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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Daniel Canogars „Latencies“ in der Galerie Anita Beckers

Geniale Ingenieurin Natur 

Symbolisch leuchtet die Pandemie aus den Objekten des hispano-amerikanischen Künstlers Daniel Canogar, der die Schnittstellen und Übergänge zwischen virtuellen und realen Welten untersucht und in abstrakten Animationen auf flexiblen LED-Bildschirmen einfängt.

In diesem Leuchtteppich von Conegar sammeln sich die Informationen über den weltweiten Niederschlag; Foto: Petra Kammann

In der Braubachstraße leuchtet es des Abends geheimnisvoll durch die Fenster der Galerie, denn die großen Schaufenster ermöglichen jederzeit einen Blick in das Innere der Galerieräume. Da schwebt mitten im Raum so ein bläulich schillernder Teppich, in den man sich am liebsten hineinlegen möchte. Und weiter hinten wechselt ein etwas größeres Lampenobjekt ständig die Farbe zwischen Rot, Gelb und Schwarz.

Doch was hat es mit den Spielereien auf sich? Da spiegelt sich zum Beispiel in dem bläulichen Teppich der Niederschlag, der gerade in über 195 verschiedenen Städten auf der ganzen Welt in Echtzeit fällt. Da die Leuchtobjekte mit dem Internet verbunden sind, berechnen die Computer einen Durchschnittswert der Algorithmen, die von den Webseiten ablesbar sind. Dabei nimmt das Wasser eine changierend bläuliche Farbe an und lässt Moirée-Muster auf dem „LED-Teppich“ entstehen.

Die Galeristin Anita Beckers neben dem Objekt „Troposphere“ (2017), das die Luftverschmutzung im Rhein-Gebiet wiedergibt, Foto: Petra Kammann

Ein anderes Objekt bezeichnet die Feuerherde auf der Welt, die sich ständig verändern. Daniel Canogar verwendet Echtzeitdaten von weltweiten Phänomenen, wie Niederschlag bzw. Erdbeben, um diese bunten abstrakten Animationen auf flexiblen LED-Bildschirmen zu generieren, die aufgrund einer Überlastung von Daten fast zu verschmelzen scheinen.

Seismographisch nimmt das Objekt die Daten aktueller Erdbeben auf. Je höher die Erdbeben auf der Richterskala aufgezeichnet werden, desto ausgeprägtere sind die farbigen Moiré-Muster, die dabei entstehen.

Daniel Canogar neben „Echo“, einem flexiblen LED Screen mit Echtzeitübertragung  aus dem Jahr 2016, Foto: Petra Kammann

So macht Daniel Canogar den Wechsel von elektro-mechanischen hin zu digitalen Systemen anschaulich. Der Künstler, der 1964 in Madrid als Sohn eines spanischen Vaters und einer amerikanischen Mutter geboren wurde, arbeitete zunächst in den USA als Fotograf.

Als er 1990 einen M.A. von der NYU und dem International Centre for Photography erhielt, interessierte er sich aber schon bald für die Möglichkeiten des projizierten Bildes und der Installationskunst. Er schuf permanente öffentliche Kunstinstallationen mit flexiblen und starren LED-Bildschirmen.

In seinen raumgreifenden Installationen beschäftigte er sich kritisch mit dem Einfluss von Medientechnologien auf unsere aktuelle Gesellschaft und mit der Frage, welche Bedeutung und Position das Individuum in der technologisch vernetzten Welt haben, welche Einflüsse es nehmen kann, und wie das unsere Wahrnehmung beeinflusst.

Seine neueste Serie „Latencies“ entstand in diesem ungewöhnlichen Jahr der weltweiten Pandemie. Man könnte diesen Begriff vielleicht mit den Latenzen, mit Zeitverzögerungen beim Datenaustausch, übersetzen, die je nach Intensität unsere Wahrnehmung und Sensitivität erhöhen.

Small datas (2014 – 2016): Tableaus, die aus Elektroschrott entstehen, Hier: „Discarded calculator, wood, projector, multimedia player. Video loop: 05:18 min“Foto: Petra Kammann 

Leben und Tod der Unterhaltungselektronik

Im hinteren Galerieraum befinden sich seine etwas älteren Werkserien Small Data (2014-2016), die uns an die unterschiedlichen ausgemusterten elektronischen Geräten erinnern – gleich ob es sich um VHS-Tapes, DVDs oder Game-Boys handelt oder um Mobiltelefone, Festplatten oder Scannern. Canogar hat deren Innenleben als eine Art animiertes Stillleben wieder zu neuen Tableaus aufgebaut, die uns jeweils an die elektronische Industrie und  deren Produkten erinnert, und die uns zu ständig neuem Konsum zwingt.

Wir können uns kaum der Logik widersetzen, dass stets neue Updates und Versionen Bestehendes ersetzen. Und das häufig, wenn die Geräte  noch vollständig intakt und funktionstüchtig sind.  So lassen die Tableaus eine Zeit lebendig werden, in der die Geräte noch voll funktionstüchtig waren und uns als Werkzeuge dienten.

Zerbrochene Bildschirme von Handies ergeben neue Muster und Meereslandschaften, „Tide – Latencies Series“ 2021 Discarded smartphone screens, screen, videoFoto: Petra Kammann

Wie eine Art Memento Mori erforscht Small Data das Leben und den Tod der weggeworfenen Unterhaltungselektronik. Canogar organisiert die Fundstücke als zerbrechliche Relikte einer vergangenen Zeit, die er in großen Schrotthaufen Kaliforniens zusammenkauft, und anhand derer er die Fragen des kulturellen Gedächtnisses untersucht. 

„Mit Small Data wirft Canogar einen nostalgischen Blick auf unsere digitalen Werkzeuge, die zunehmend Träger unseres Gedächtnisses geworden sind“, so formuliert es Sabine Himmelsbach, die Direktorin des Hauses der elektronischen Künste (HeK) Basel. Die Ausstellung dürfte auch für die mit dem Handy aufgewachsenen Schüler sehr interessant werden, sobald sie demnächst die Galerie wieder aufsuchen können und dürfen.

Im Lockdown lockt das changierende Licht erst einmal die Betrachter im Vorübergehen.   Petra Kammann

Galerie Anita Beckers, Braubachstrasse 9, 60311 Frankfurt am Main I Tel. +49 69 92101972, Mail: info@galerie-beckers.de. Bitte um Voranmeldung

www.galerie-beckers.de

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