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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„GRÜNER HIMMEL, BLAUES GRAS. Farben ordnen Welten” im Weltkulturen Museum

Die kulturelle Bedeutung der Farben

Von Hans-Bernd Heier

In der japanischen Dichtung wird der Himmel bisweilen als „grün“, das Gras dagegen als „blau“ beschrieben. Das Weltkulturen Museum hat sich von dieser poetischen Formulierung bei der Wahl des neuen Ausstellungstitels inspirieren lassen. Unter dem irritierenden Leitthema „GRÜNER HIMMEL, BLAUES GRAS. Farben ordnen Welten” versammelt die spektakuläre Schau rund 200 aus den reichhaltigen Sammlungen des Weltkulturen Museums, die die kulturelle Bedeutung der Farben beleuchten.

Armring (Detail); Federn, Rindenbast, Palmblatt und Baumwolle. Kayapó Txukarramãe, Pará, Brasilien; gesammelt von Luiz Boglar, 1988. Sammlung Weltkulturen Museum; Foto: Wolfgang Guenzel

Unsere Welt ist voller Farbe, aber sehen alle Kulturen auch das Gleiche? Obwohl alle Menschen physiologisch auf dieselbe Art sehen, werden Farben nicht überall gleich wahrgenommen. „In verschiedenen Sprachen und Kulturen werden Farben oft nach ganz unterschiedlichen Kriterien geordnet. Vor allem sind mit Farben auch vielfältige gesellschaftliche und kosmologische Vorstellungen verbunden“, erläutert Matthias Claudius Hofmann, der kuratorische Leiter. „Sich mit den Bedeutungen der verschiedenen Farbwelten zu beschäftigen heißt daher, kulturelle Zusammenhänge in einem neuen Licht zu sehen und sich so andere Weltanschauungen zu erschließen“.

Ausstellungsansicht; Foto: Wolfgang Guenzel

Der Ausstellungstitel verweist auf die komplexen Zusammenhänge, denen der Betrachter beim Anschauen von Farbe als einem kulturellen Phänomen gegenübersteht. Grundlagen der Farbwahrnehmung sind bei allen Menschen dieselben. Dennoch bestimmen die Wellenlängen des Lichtes noch lange nicht, wie wir Farbeindrücke benennen, in wie viele und welche Kategorien wir sie einteilen und welche Bedeutungen und Assoziationen wir diesen Farben zuschreiben. Dies alles kann sprach- und kulturabhängig mitunter sehr unterschiedlich sein.

Ohrgehänge (Detail), Käferflügel, Federn, Jivaro / Shuar, Peru; gesammelt von Alfred Grosmann; Foto: Wolfgang Guenzel

Ein Leitmotiv der Präsentation sind laut Hofmann die vielseitigen kulturellen Farbkonzepte, denn Farben ordnen Welten: Mit ihnen sind oft vielfältige gesellschaftliche und kosmologische Vorstellungen verbunden, die dabei helfen, sich in der Welt zu orientieren, dieser Sinn abzuringen und das Zusammenleben zu ordnen. Sich mit den Bedeutungen der verschiedenen Farbwelten zu beschäftigen heiße daher auch, kulturelle Zusammenhänge in einem neuen Licht zu sehen und sich so andere Weltanschauungen zu erschließen.

Ausstellungsansicht; Foto: Wolfgang Guenzel

Neben imposanten Ahnenfiguren, prachtvollem Federschmuck und wirkmächtigen Palmblattscheidenmalereien geben auch kleine Dinge, wie Schmuck, Anlass zum Staunen und Nachdenken. Rote Muscheln, farbige Glasperlen oder schillernde Federn sind wie Mosaiksteine, die einzeln genommen unscheinbar wirken, zusammengesetzt aber Stück für Stück ein vielfarbiges Ganzes ergeben. Gezeigt werden u. a. beeindruckende Werke aus Neuguinea, Polynesien, dem Amazonas-Gebiet, Ostafrika, Tibet und Java.

Der enge Zusammenhang zwischen Farben und Spiritualität wird besonders bei den Werken des Künstlerkollektivs aus dem Dorf Avim, Papua-Neuguinea, deutlich. Ursprünglich sollte der Titel der Ausstellung „Farbgewaltig“ lauten. Dieser Titel hätte besonders zu der sinnlich überwältigenden Wirkung der großflächigen, farbintensiven Bilder aus Avim gepasst.

Ausstellungsansicht; Foto: Wolfgang Guenzel

Im Jahr 2019 fertigten elf Männer aus dem Dorf Avim in Papua-Neuguinea über einen Zeitraum von zwei Wochen achtzehn Malereien mit achtzehn Motiven auf achtzehn Papierbögen an. „In diesen Malereien erweckten sie mit den Farben Rot, Schwarz, Weiß und Gelb ihre Mythologie sowie ihre Geister wieder zum Leben. Die Mythen, die die Bilder zeigen, erzählen zugleich, wie die Avim die Kenntnisse der Malerei erwarben“, so der Ethnologe und Co-Kurator Tomi Bartole. Dieser beauftragte die Malereien während seiner Feldforschung 2019 vor Ort und fertigte eine umfangreiche Dokumentation an.

Die Bilder stellen eine Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart her. Denn schon 1961 sammelte der deutsche Ethnologe Eike Haberland in Avim derartige Malereien. Auf seiner Forschungsreise besuchte er Avim und erwarb die Wandverkleidung des dortigen Männerhauses, die aus bemalten Sagopalmblattscheiden bestand. So kamen sie in den Besitz des heutigen Weltkulturen Museums.

„Obwohl die Avim auf Grund starker christlicher Einflüsse kaum noch Bezug zu ihrer Geisterwelt haben, erweckten sie so innerhalb von zwei Wochen die Geister einmal mehr zum Leben. Und es scheint fast so, als ob diese lebendiger wären als je zuvor, denn die Avim malten 2019 sechs Motive mehr, als ihre Väter im Jahre 1961“, betont Tomi Bartole.

Der profunde Begleitband „GRÜNER HIMMEL, BLAUES GRAS – Farben ordnen Welten“, herausgegeben von Matthias Claudius Hofmann, 256 Seiten, ist im Weltkulturen Museum zu einem Sonderpreis von 25 € erhältlich.

Die sehenswerte Schau „GRÜNER HIMMEL, BLAUES GRAS. Farben ordnen Welten” wird bis zum 30. Januar 2022 im Weltkulturen Museum gezeigt, ist allerdings Corona-bedingt derzeit geschlossen. Weitere Informationen unter: www.weltkulturenmuseumde

Leitbild des Weltkulturen Museums

„Das Weltkulturen Museum ist ein ethnologisches Museum, das sich der interdisziplinären Zusammenarbeit verpflichtet hat. Es arbeitet an der Schnittstelle von Ethnologie und Kunst. Als Museum der Stadt Frankfurt verbindet es das Lokale mit dem Globalen. Es steht im aktiven internationalen Austausch mit Partnern aus indigenen Kulturen und nicht-europäischen Gesellschaften. Als Forum für transkulturellen Austausch fördern wir die Vielfalt der Weltbilder, Geschichtsschreibungen, Religionen, Ästhetiken und deren Akzeptanz und Wertschätzung. Wir verpflichten uns zu Erhalt, Pflege und Erforschung der Sammlungen im Dialog mit ihren Urhebergemeinschaften, mit Künstlern und Wissenschaftlern. Ein wichtiges Ziel ist die Provenienzforschung und kritische Aufarbeitung kolonialer Kontexte. Das Weltkulturen Museum richtet sich gegen jede Art von Ausgrenzung und Stigmatisierung und will zu Prozessen der Dekolonisierung beitragen. Als Team realisieren wir unsere Projekte gemeinsam und wertschätzen die Wünsche und Bedürfnisse der Besucher“, betont Direktorin Dr. Eva Ch. Raabe.

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