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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Hannah Arendt und das 20. Jahrhundert“ Ausstellung in der Bonner Kunsthalle.

Hannah Arendt, die große Theoretikerin und Philosophin hat sich zu allen großen Fragen des 20. Jahrhunderts geäußert:  zu Antisemetismus, Zionismus, dem Holocaust, dem Eichmannprozess, der Rassentrennung in den USA, den Studentenprotesten, zu Geflüchteten, zum Feminismus. Noch immer sind ihre Ideen und Gedanken wichtig. Gerade junge Leute haben Hannah Arendt für sich entdeckt.

von Simone Hamm

Monatelang ist die Ausstellung immer wieder verschoben worden. Jetzt endlich dürfen Besucher in die Bundeskunsthalle kommen, zur großen Ausstellung „Hannah Arendt und das 20. Jahrhundert.“

Ausstellungsansicht; Foto: Laurin Schmid, 2020 © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH

In Bonn gibt es viel zu sehen und zu lesen. Hannah Arendt in Interviews und Artikeln, gespiegelt von Zeitzeugen. Ihre Artikel sind ebenso ausgestellt wie ihre Perlenkette. Politisches, und Persönliches. Vor allem aber gibt es auch viel zu hören: Lesungen aus Hannah Arendt Werken, das berühmte Interview, das Günther Gaus mit ihr führte. Und Fotografien von Hannah Arendt. In den fünfziger Jahren hatte Fred Stein die Denkerin immer wieder fotografiert: in ihrem Wohnzimmer in der 95. Straße an der Upper West Side in Manhattan. Hannah Arnedt trägt elegantes Schwarz und eine Perlenkette. Sie verkörpert die intellektuelle Frau, die in unserer Bilderwelt noch immer nicht allzu oft zu sehen ist, wie die Stefanie Lohaus in einem Video anmerkt. Für Lohaus war Hannah Arendt eine Pop Ikone.

Hannah Arendt (1906–1975) Photo: Ricarda Schwerin © ullstein bild – Heritage Images 

Dunkle Augen strahlen in die Kamera und lassen Hannah Arendts starke Ausstrahlung spüren. In der Hand hält sie eine Zigarette. Ihr Haar ist dunkel und dicht. Ihre Züge sind markant.

Hannah Arendt war eine öffentliche Figur und genau das wollte sie sein. Dass eine Frau so selbstbewusst auftrat, war außergewöhnlich in den fünfziger Jahren, als dieses Foto entstand. Hannah Arendt ist das „Wagnis der Öffentlichkeit“ ganz bewusst eingegangen, wie sie in einem Video anmerkt:  „Das Wagnis der Öffentlichkeit“ scheint mir klar zu sein. Man exponiert sich im Lichte der Öffentlichkeit, und zwar als Person. Das ist ein Wagnis. Und nun würde ich sagen, dass dies Wagnis nur möglich ist, im Vertrauen auf die Menschen.“

Die Kuratorin der Ausstellung, Monika Boll, hat sich ganz bewußt dafür entschieden, nicht nur Hannah Arendt politisches Werk vorzustellen, sondern auch die öffentliche Intellektuelle Hannah Arendt.

Die Besucher und Besucherinnen der Bonner Ausstellung können sich in kleine Sitznischen zurückziehen, in denen Texte von Hannah Arendt gelesen werden. So fühlt man sich Arendt ganz nah, fast ein tête – à – tête. Historische Sprachaufnahmen sind zu hören, Zeitungsartikel zu lesen.

Ausstellungsansicht; Foto: Laurin Schmid, 2020 © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH

Auch auf eine sehr ungewöhnliche Liebesgeschichte geht die Ausstellung ein. Als junge Studentin verliebte Hannah Arendt sich in Freiburg in Martin Heidegger, ihren Philosophieprofessor. In der Ausstellung kann man einen Brief lesen, den Heidegger der 19-jährigen geschrieben hat:

Liebe Hannah, im Regensturm auf dem Rückweg warst Du noch schöner und größer. Und ich hätte mit Dir Nächte durchwandern mögen.“ 

1933, in seiner Rektoratsrede begrüßte Heidegger die Herrschaft der Nationalsozialisten. Er war auf seine Karriere bedacht und angepasst. Hannah Arendt war mutig und unerschrocken.

1941 musste die Jüdin nach New York fliehen in ein, wie sie schrieb, „sehr großes Berlin“.

In New York blieb Hannah Arendts zu Hause bis zu ihrem Tod. Sie arbeitete für die jüdische Zeitung „Aufbau“. Wenn man als Jude angegriffen werde, so Hannah Arendt, müsse man sich als Jude verteidigen. Nicht als Deutscher oder als Bürger der Welt oder der Menschenrechte wegen.

1951 erschien „Die Ursprünge des Totalitarismus“. Ideologien totalitärer Bewegungen haben einen Absolutheitsanspruch. Der Einzelne spielt eine untergeordnete Rolle. Hannah Arendt wagte es, Nationalsozialismus und Stalinismus in einem Atemzug zu nennen.

Die  2019 verstorbene ungarische Philosophin Agnès Heller, die der Budapester Schule angehörte, stimmt Hannah Arendts Definition von Totalitarismus zu. In einem Video erzählt sie, dass es für sie, die in einem totalitären System gelebt habe, selbstverständlich gewesen sei, dass es gemeinsame Züge aller totalitären Gesellschaften gebe. Denn im Totalitarismus sei der Pluralismus ausgeschlossen. Die Feinde der totalitären Regierungen allerdings seien nicht dieselben. Für Hitlers Totalitarismus seien Juden die Hauptfeinde gewesen. Für den Sowjettotalitarismus seien Eigentümer die Hauptfeinde gewesen.

Diese Theorie lehnten die Linken in West-Deutschland ab. 1968 gingen die Studenten auf die Barrikaden. Sie kritisierten Hannah Arendt als „kalten Krieger“:

In einem Interview erklärt Daniel Cohn Bendit, dass Hannah Arendt verpönt gewesen sei, weil sie es gewagt hätte, in ihrem Totalitarismus-Buch Stalinismus und Nationalsozialismuns zu vergleichen. Sie habe zwar nicht gesagt, das sei identisch, aber das seien zwei Seiten einer totalitären Gesellschaftvorstellung. Die westdeutsche Linke habe  ihr das nicht verzeihen können. Und deswegen galt sie als eine reaktionäre politische Denkerin und wurde als solche rezipiert.

Brief von Hannah Arendt an Daniel Cohn-Bendit27. Juni 1968, Deutsches Historisches Museum© 1968 by Hannah Arendt. Reprinted by permission of Georges Borchardt, Inc., on behalf of the Hannah Arendt Bluecher Literary Trust

Mit Daniel Cohn Bendits Eltern war Hannah Arendt befreundet. In der Ausstellung ist neben einer Aufzeichnung dieses Interviews auch ein Brief zu sehen, den Arendt an Cohn Bendit geschrieben hat, er beginnt mit „mein lieber Junge“. Und das ist das Besondere an dieser Ausstellung: Hannah Arendt wird nicht nur als die große politische Theoretikerin und Philosophin präsentiert, sondern auch privat.

In Bonn sind Hanna Arendts kleine Minoxkamera und Portraitfotos, die sie damit gemacht hat, ausgestellt und auch ihre Perlenkette, ihre Ohrringe, ihr Nerzjäckchen. Und das natürlich nicht, um den privaten Modegeschmack Hannah Arendts zu dokumentieren. Kuratorin Monika Boll wollte vielmehr zeigen, wie eine weibliche Intellektuelle in den 50iger Jahren sich in einer akademischen, männerdominierten Umgebung verortet hat.

Es ist das große Verdienst dieser Ausstellung, die große Philosophin, die sich selbst gar nicht als Philosophin sah, in all ihren Facetten zu zeigen.

Ausstellungsansicht; Foto: Laurin Schmid, 2020 © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH

Günther Gaus, ehemaliger Chefredakteur des Spiegel, dann Staatssekretär im Bundeskanzleramt und später Fernsehjournalist, hat Hannah Arendt interviewt – ein Interview, das längst zu einem YouTube Hit geworden ist. Über eine Million mal wurde ein Video angeklickt, in dem zwei Menschen sich gegenüber sitzen, rauchen und ein kluges Gespräch führen. Solche Interviews, die getragen sind von Respekt und Interesse füreinander, gibt es inzwischen nicht mehr im Fernsehen.

Die Kamera ruht auf Hannah Arendt. In der Ausstellung sind Interview und Interviewausschnitte gleich mehrfach zu sehen: „Arendt: Wissen Sie, das Entscheidende ist ja nicht das Jahr ‘33; jedenfalls für mich nicht. Das Entscheidende ist der Tag gewesen, an dem wir von Auschwitz erfuhren. Gaus: Wann war das? Arendt: Das war 43. Und erst haben wir es nicht geglaubt. Obwohl mein Mann und ich eigentlich immer sagten, wir trauen der Bande alles zu. Und das ist der eigentliche Schock gewesen. Dies hätte nie geschehen dürfen, wie ich immer sage. Und damit meine ich nicht die Zahl der Opfer. Ich meine die Fabrikation der Leichen und so weiter usw. – ich brauche mich darauf ja nicht weiter einzulassen. Dieses hätte nicht geschehen dürfen. Da ist irgend etwas passiert, womit wir alle nicht mehr fertig werden.“

Für Hannah Arendt waren Konzentrations- und Vernichtungslager die konsequenteste Einrichtung totalitärer Herrschaft. Der fabrikmässige Massenmord an unschuldigen Opfern. In der Ausstellung sind auf drei Leinwänden Abbildungen eines Modells von Mieczysław Stobierski zu sehen: das Krematorium 2 im Vernichtungslager Auschwitz.

Die kleinen Figuren, das Haus in dem sie schliefen, die Gaskammer sind  ganz in weiß gehalten. SS-Männer mit Hunden führen hunderte von Menschen in einen unterirdischen Raum. Dort müssen sie sich ausziehen. In die Gaskammer gehen. Die Figuren haben starr geöffnete Münder, aufgerissene Augen. Sie scheinen zu schreien. Sie haben Angst. Sie sterben. Leblose Köper stapeln sich, die am Ende im Krematorium verbrannt werden.

Hannah Arendt bei einem Seminar, Center for Advanced Studies at Wesleyan University
Deutsches Historisches Museum © Courtesy of the Wesleyan University, Special Collections & Archives

Verantwortlich für die Deportationen von Millionen von Juden in die Konzentrationslager war Adolf Eichmann. In Jerusalem wurde ihm der Prozess gemacht. 1961 nahm Hannah Arendt als Reporterin am Prozesses gegen den ehemaligen Obersturmbandführer teil. In ihren Augen war Eichmann aber kein Dämon, kein Teufel. Er hatte sich auf seine Pflicht berufen, Befehle auszuüben. Hannah Arendt schrieb den berühmten Satz, der sich auf Kant bezieht: „Niemand hat das Recht zu gehorchen.“ Anders gesagt, jeder hat die Pflicht, selber zu urteilen.

Hannah Arendt war der Meinung, dass Adolf Eichmann ein Hanswurst war. Sie hatte das Polizeiverhör, 3600 Seiten, sehr genau gelesen, und dabei oft laut gelacht. Diese Reaktion wurde ihr sehr übel genommen.

Arendts Bericht über den Eichmannprozess erschien 1963 in der Zeitschrift „New Yorker“. Diese Ausgabe des „New Yorker“ ist in der Ausstellung zu sehen: riesige farbige Anzeigen für Luxusgüter. Und der Artikel: „Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen.“ Hannah Arendt bezeichnete Eichmann als banal, sie hinterfragte die Rolle der „Judenräte“, die die Ghettos verwaltet hatten. Ein erklärtes Tabu in der jüdischen Gemeinde. Die heftigen Reaktionen auf diesen Artikel sind in Bonn in Zeitungsartikeln nachzulesen.

1975 starb Hannah Arendt.

In den letzten Jahren hat sie eine fulminante Renaissance erlebt. Junge Menschen lesen ihre Werke. Für die Kenner von Hannah Arendts Werk ist diese Ausstellung ein Muss. Die, die sie noch nicht kennen, sollten sich auch aufmachen in die Bonner Kunsthalle. Denn es gibt viel zu entdecken. Denen, die zu weit weg von Bonn wohnen, sei der ausführliche Katalog aus dem Piper Verlag empfohlen, in denen namhafte Soziologen, Philosophen, Historiker auf die vielen Facetten der Hannah Arendt eingehen. ( Doris Blume, Monika Boll, Raphael Gross (Hrsg.): Hannah Arendt und das 20. Jahrhundert. Piper. 288 Seiten. 20 €.

 

HANNAH ARENDT UND DAS 20. JAHRHUNDERT

noch bis 16. Mai 2021

Bundeskunsthalle Bonn

Tageskarte 10 €. Ermäßigt 6,50 €. Personen unter 18 Jahren freier Eintritt.
Telefonische Terminbuchungen unter T +49 228 9171–243 oder –222

Öffnungszeiten:

Do – So 10 – 19 Uhr

Di und Mi 10 – 21 Uhr

Fr 9–12 Uhr


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