home

FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Lee Miller. Hautnah. – Fotografien von 1940 bis 1946“ in den Opelvillen

Begehrtes Modell, begnadete Fotografin und mutige Kriegskorrespondentin

Von Hans-Bernd Heier

Elizabeth Miller, kurz „Lee“ genannt, (1907–1977) zählt zu den vielschichtigsten und schillerndsten Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts. Die als Modell, Muse, Fotografin und Surrealistin weltbekannt gewordene Amerikanerin lieferte auch eindrückliche Bilddokumente der letzten Phase des Zweiten Weltkriegs, als sie die US-Truppen nach Deutschland begleitete. Die Ausstellung „Lee Miller. Hautnah. – Fotografien von 1940 bis 1946“ ist bereits in den Opelvillen fertig aufgebaut und wird ab 13. März schrittweise für Besucher*innen geöffnet. In der Schau, die bis zum 25. Juli verlängert wird, sind 130 tief beeindruckende Kriegsbilder der Ausnahmefotografin versammelt.

Blick in die Ausstellung „Lee Miller. Hautnah. – Fotografien von 1940 bis 1946“; Foto: Frank Möllenberg, Opelvillen

Elizabeth Miller wurde als Tochter von Theodore und Florence Miller 1907 in Poughkeepsie, Staat New York, geboren. Ihr Vater, ein begeisterter Hobby-Fotograf, machte sie schon sehr früh mit den künstlerischen und technischen Aspekten der Fotografie vertraut, indem er sie gekonnt und bisweilen freizügig porträtierte.

Einerseits wurde Lee wegen ihrer mädchenhaften Schönheit bewundert, andererseits galt sie im College als eine unangepasste Schülerin. Sie war damals schon für rasche Entschlüsse und überraschende Kehrtwendungen bekannt, und das sollte ihr ganzes  Leben so bleiben. Über sich selbst schrieb sie, laut Wikipedia, einmal: „Aus irgendeinem Grund möchte ich immer lieber woanders hin“.

Als 18-jährige zog es Lee mit Erlaubnis des Vaters nach Paris. Dort begann sie an der Schule des ungarischen Theaterregisseurs und Surrealisten László Medgysi, Licht-, Kostüm- und Bühnengestaltung zu studieren. Nach sieben Monaten wechselte sie zum Studium der Malerei an die „New Yorker Art Students League“ in New York.

1926 kam es für die junge Studentin zu einer schicksalhaften Begegnung: Lee entging nur knapp einem Unfall in Manhattan, bei dem sie beinahe vor ein herannahendes Fahrzeug gelaufen wäre. Im allerletzten Moment wurde sie von einem Passanten zurückgezogen, der ihr damit das Leben rettete. Wie es der Zufall wollte, war ihr Retter der Verleger Condé Nast, der die führenden Zeitschriften „Vanity Fair“ und „Vogue“ herausgab. Nast war sofort fasziniert von Millers aparter Erscheinung sowie ihrer eleganten Kleidung, dass er ihr spontan einen Vertrag als Fotomodell anbot. Damit begann ihre äußerst erfolgreiche Modellkarriere. Porträtaufnahmen von Lee Miller erschienen mehrmals auf Titelseiten der amerikanischen Ausgabe von Vogue. Sie arbeitete als eines der begehrtesten Fotomodelle mit renommierten Fotografen wie Edward Steichen, Horst P. Horst und George Hoyningen-Huene zusammen.

„Justice amid the ruins“, Frankfurt, Germany, 1945, by Lee Miller; © Lee Miller Archives England 2021. All Rights Reserved. www.leemiller.co.uk

Als eine Aufnahme von ihr ohne ihre Zustimmung für eine Werbung von Hygieneprodukten verwendet wurde, beendete Miller 1929 ihre Karriere als Fotomodell. Sie wollte künftig lieber hinter als vor der Kamera stehen. Um das Foto-Handwerk von der Pike auf zu lernen, plante sie, nach Paris, der Hochburg der Surrealisten, zurückzukehren. Lernen wollte sie bei dem damals schon international bekannten surrealistischen Künstler und Fotografen Man Ray. Die Crux war allerdings, dass Ray keine Schüler annahm. Mit einem Empfehlungsschreiben des Starfotografen Edward Steichen gelang es der zielstrebigen Lee dann doch, als Schülerin akzeptiert zu werden.

Im Atelier ihres Landsmanns lernte die 22-jährige „nicht nur die Technik der Fotografie, sondern entwickelte vor allem ihre surrealistische Formensprache der engen Bildausschnitte und experimentellen Techniken. Die Zusammenarbeit und Beziehung von Lee Miller und Man Ray wurde so eng, dass Fotografien, die Miller in dieser Zeit machte, Ray zugeschrieben wurden“, erläutert Kuratorin Dr. Beate Kemfert, Vorstand der Stiftung Opelvillen.

Gemeinsam realisierten Lee Miller und Man Ray eine Vielzahl von Schwarz-Weiß-Fotoprojekten Durch einen Zufall fanden sie eine spezielle Form der Überbelichtung – die Solarisation, mit der sie ihre Fotos verfremden konnten. Durch die Überbelichtung entstehen beim Entwickeln jene charakteristischen Umrisslinien, die den porträtierten Personen oder Gegenständen etwas Magisches verleiht.

„Pablo Picasso and Lee Miller in his studio, Liberation of Paris, Rue des Grands-Augustins“, Paris, France 1944 by Lee Miller; © Lee Miller Archives England 2021. All Rights Reserved.

Durch Ray lernte Miller in Paris eine Reihe weltbekannter Künstler kennen, wie den Surrealisten Paul Éluard, den Filmemacher Jean Cocteau oder Maler, beispielsweise Max Ernst und Pablo Picasso, der Lee sechsmal porträtiert hat. Eine Abbildung eines Picasso-Porträts ist in einer der informativen Ausstellungsvitrinen zu sehen. Dokumente und Fotos, auf denen die bildhübsche Protagonistin zu sehen ist, zeigen die wichtigsten Lebensstationen, die die beeindruckende Schwarz-Weiß-Foto-Schau ergänzen.

Lee Miller war Man Rays fotokünstlerische Partnerin, Modell, Muse und Geliebte in einem. Im Laufe der Jahre entzog sie sich allerdings beruflich wie privat immer mehr ihrem Mentor und suchte ihren eigenen Weg. 1932 kehrte sie zurück nach New York, um dort ein eigenes Studio für Porträt- und Werbefotografie zu eröffnen. Zwei Jahre arbeitete sie sehr erfolgreich in der Metropole, bis die Unstete den vermögenden ägyptischen Geschäftsmann Aziz Eloui Bey kennenlernte, den sie 1934 heiratete. Kurz danach zog sie mit ihm nach Kairo. Obwohl sie in dieser Zeit nicht als professionelle Fotografin arbeitete, entstanden dort einige ihrer eindrucksvollsten, weitgehend vom Surrealismus inspirierten Fotografien. Fasziniert von der kargen Wüstenlandschaft und den verlassenen Pharaonenstätten fotografierte sie die Ruinen und Tempel. Sie kletterte sogar mit ihrer kompletten Kamera-Ausrüstung auf die Cheops-Pyramide in Gizeh, um diese im Bild festzuhalten.

Doch die Ehe mit Aziz Eloui Bey hielt nicht lange. 1937 begegnete Miller auf einer Party in Paris dem englischen Künstler Roland Penrose, der später ihr zweiter Ehemann werden sollte. Penrose (1900 – 1984) war Maler, Kunsthistoriker und Autor. Darüber hinaus war er ein renommierter Galerist, Kunstsammler und Kurator sowie Mitbegründer der surrealistischen Bewegung in Großbritannien Die beiden verliebten sich sofort und durchquerten gemeinsam halb Europa. Kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges zog das Paar nach London. Hier wandte sich Miller der Reportage-Fotografie zu. Ihre ersten Kriegsaufnahmen zeigen das zerstörte London nach einem Bombardement durch die deutsche Luftwaffe1940/41.

Fire Masks, Downshire Hill, London, England 1941 by Lee Miller; © Lee Miller Archives England 2021. All Rights Reserved. www.leemiller.co.uk

Kriegsbedingt trennten sich vorübergehend ihre Wege: Penrose wurde zum Militärdienst einberufen und Miller kehrte als Fotografin für die amerikanische Ausgabe des Magazins Vogue nach New York zurück. Dort lernte Lee ebenfalls auf einer Party den amerikanischen Time-Life Fotografen David E. Scherman kennen. Dieser gab ihr den Rat, sich bei der US-Army als Militärkorrespondentin zu akkreditieren.

1944 wurde Lee Miller von der US-Army als Kriegskorrespondentin akkreditiert. Sie war eine der wenigen Frauen, die als Kriegsberichterstatterinnen eingesetzt wurden. Sie stieß damit in einen Bereich der Fotografie vor, der bislang von männlichen Kollegen dominiert war. Mit ihren Reportage-Texten und der Wahl ihrer Fotomotive wollte Miller aufrütteln und klare Position beziehen.

In ihrem ersten Einsatz in der Normandie im Sommer 1944 hatte Miller in ihrer Reportage die Arbeit von Krankenschwestern in Feldlazaretten zu dokumentieren. Wenig später kam die Mutige aufgrund eines missverständlichen Befehls nicht in einer eroberten Stadt an, sondern geriet mitten in eine äußerst gefährliche Schlacht. Bei der Belagerung von Saint-Malo hielt sie einen der ersten Abwürfe von Napalm-Bomben im Bild fest. Eines der bislang nicht öffentlich gezeigten Schreckensfotos ist in der außerordentlichen Schau in den Opelvillen zu sehen.

„Small tired boy [Raymond Melchers aged 7] waits at crossroads for transport, lweschtgaass, Bech, Luxembourg“ 1945 by Lee Miller; © Lee Miller Archives England 2021. All Rights Reserved. www.leemiller.co.uk

Paris erreichte Miller mit den alliierten Streitkräften am 25. August 1944, dem Befreiungstag. Die Filme davon musste sie in einer improvisierten Dunkelkammer in ihrem Hotelzimmer entwickeln. Weitere Fotodokumentationen waren das Zusammentreffen der US-Armee mit den sowjetischen Truppen in Torgau und die Einnahme von Adolf Hitlers Berghof auf dem Obersalzberg in Berchtesgaden.

Frankfurt am Main erreichte Lee Miller Ende März 1945, wenige Tage, nachdem die amerikanischen Truppen in die zerstörte Main-Metropole einmarschiert waren. Ihr Foto der Frankfurter Gerechtigkeitsstatue auf dem Trümmerfeld am Römer erschien kurz darauf im Vogue-Artikel „Nazi Harvest“. Die in Hessen entstandenen Aufnahmen werden teilweise zum ersten Mal gezeigt.

Miller war eine der Ersten, die Bilder vom zerstörten Westdeutschland publizierte und dadurch die Wahrnehmung der Zeit unmittelbar nach der Kapitulation im Ausland stark prägte. „Dabei bleibt die Surrealistin mit subjektiv-künstlerischem Blick in ihrem fotografischen Werk des Krieges erkennbar, auch wenn Lee Miller sich dem dokumentarischen Journalismus verschrieben hatte“, erläutert Kemfert. „Ob dokumentarisch oder komponiert, es war vor allem ihre Absicht, Emotionen zu erzeugen. Heute, über 75 Jahre nach Kriegsende, sind ihre Kriegsfotografien weiter von großer Bedeutung: Erinnern sie vorrangig an die Brutalität des Zweiten Weltkriegs, belegen sie auch das Engagement von Lee Miller, vor zukünftigen Kriegen zu warnen“.

Auf das unfassbare Leid in den Konzentrationslagern Dachau und Buchenwald sollte sie noch stoßen. Mit der erschütternden Berichterstattung über die Befreiung der Konzentrationslager Buchenwald und Dachau dokumentierte sie das unfassbare Elend der Inhaftierten und das Grauen über den Massenmord. Diese traumatischen Erlebnisse hinterließen bleibende Spuren in der Psyche der Fotografin.

Gezeigt wird in der eindrücklichen Schau auch die Foto-Ikone „Lee Miller in Hitlers Badewanne“, die der Time-Life Fotografen David E. Scherman am 30. April 1945, an Hitlers Todestag, in dessen Münchener Privatwohnung in der Prinzregentenstraße aufgenommen hat. Das offizielle Führerbildnis Heinrich Hoffmanns ist am Wannenrand platziert und eine weibliche Marmorstatue steht neben einer Klingelanlage für Bedienstete. Millers Uniform liegt unauffällig auf einem Hocker, ihre Militärstiefel stehen auf dem Boden.

Nach Kriegsende zog Lee Miller sich vom aktiven Bildjournalismus zurück und heiratete im Mai 1947 in zweiter Ehe Roland Penrose. Noch im selben Jahr brachte die begnadete Fotografin mit 40 Jahren ihren gemeinsamen Sohn Antony zur Welt. Statt der Fotografie galt Lees neue Leidenschaft dem Kochen. Infolge der wohl nicht verarbeiteten Kriegserlebnisse litt sie zunehmend unter Depressionen und begann übermäßig zu trinken. Sie starb am 21. Juli 1977 auf ihrem Anwesen, dem Farley Farm House in East Sussex, an einer Krebserkrankung.

Ihr außergewöhnliches Werk der Reportage-Fotografie wäre heute vergessen, wenn nicht kurz nach ihrem Tod ihr Sohn auf dem Dachboden den künstlerischen Nachlass in Form von 60.000 Negativen, und Abzügen entdeckt hätte.

Arbeiten der weltberühmten Fotokünstlerin waren in der Rhein-Main-Region schon früher zu sehen: So waren surrealistische Werke von Lee Miller im letzten Jahr in der großartigen Präsentation „Fantastische Frauen – Surreale Welten von Meret Oppenheim bis Frida Kahlo“ zu bewundern. Das „Fotografie Forum Frankfurt“ hat 1993 die umfassende Retrospektive „Lee Miller – Fotografien 1929 – 1964“ gezeigt.

Ausstellungsplakat an der Fassade der noch geschlossenen Opelvillen; Foto: Hans-Bernd Heier

Die tief beeindruckende Schau „Miller. Hautnah. – Fotografien von 1940 bis 1946“ in den Opelvillen ist Teil der internationalen „Triennale RAY Fotografieprojekte Frankfurt/RheinMain“; s.: www.ray2021.de Alle Leihgaben stammen aus dem Lee Miller Archives, East Sussex, England.

 

Aktuelle Informationen zu den Öffnungszeiten gibt es unter: www.opelvillen.de

Comments are closed.