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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Entdeckungstour durch die Dünenlandschaft des Lennebergwalds

Schloss Waldthausen – prunkvolle Villa mit tragischer Geschichte

Von Hans-Bernd Heier

Der Corona-Lockdown ist bis zum 7. März verlängert worden. Auslandsreisen werden durch verschärfte Grenzkontrollen zunehmend erschwert. Die Bundesregierung rät sogar generell, auf nicht unbedingt notwendige Reisen zu verzichten. Doch warum in die Ferne schweifen, liegt das Gute oft so nah? Auch im näheren Umkreis lässt sich viel Neues, Interessantes und Überraschendes entdecken, so beispielsweise die abwechslungsreiche Steppenlandschaft Lennebergwald und das imposante Schloss Waldthausen am Rande des Dünengebiets.

Fassade des imposanten Schloss Waldthausen

Er ist der Lieblingswald der Mainzerinnen und Mainzer: Der Volksmund nennt ihn „Gonsenheimer Wald“, obwohl er offiziell „Lennebergwald“ heißt. Das schert die vielen Besucherinnen und Besucher aber nicht: Denn in dem mit Wäldern wahrlich nicht reich gesegneten Rheinhessen ist das rund 700 Hektar große Waldgebiet das wohl beliebteste Naherholungsgebiet der Mainzer. Mit seinen vielen Attraktionen, die zudem noch kostenfrei sind, zieht es jährlich etwa eine Million Menschen an. Besonders Kinder und Freizeitsportler kommen hier voll auf ihre Kosten, ebenso wie Geschichts- und ökologisch Interessierte.

Der bei Groß und Klein beliebte Wald-Tierpark

Der Lennebergwald erstreckt sich zwischen den Mainzer Stadtteilen Finthen, Gonsenheim, der Gemeinde Budenheim und dem Ortsteil Uhlerborn der Stadt Ingelheim am Rhein. Die Bezeichnung „Lenneberg“ hat ihren Ursprung im Germanischen, früher bezeichnete man mit „Lenne“ einen Mischwald aus Kiefern und anderen Gewächsen. Der größte Teil des mit Kiefern- und Eichen bewachsenen Waldgebiets liegt innerhalb der Budenheimer Gemarkung. Diese Waldregion befindet sich in einem Dünengebiet und unterscheidet sich damit von den meisten anderen Wäldern in Deutschland. Der Boden besteht hauptsächlich aus reinem Sand, der nur wenig Wasser und Nährstoffe speichern kann. Dies sowie das milde und trockene Klima des Rheintales sind Ursache für die Steppenvegetation, die von einer großen Zahl seltener und zum Teil vom Aussterben bedrohter Pflanzen und Tiere geprägt ist.

Ausgangspunkt für unsere Erkundungstour ist der beliebte Tierpark in Mainz-Gonsenheim, der Jung und Alt erfreut. Mit einer Gesamtgröße von 3,1 Hektar hat der Wildpark einen waldähnlichen Charakter und beherbergt derzeit 14 verschiedene Tierarten. Besondere Attraktionen des Wildparks sind Thüringer Waldziegen, Wollschweine, Lakenfelder Hühner und Phönixhühner. Sie stehen auf der Roten Liste der gefährdeten Haustierrassen. Der Wildpark, der von einem Rundweg umgeben ist, hat es sich zur Aufgabe gemacht, der Öffentlichkeit vom Aussterben bedrohte Haustierrassen zu präsentieren.

Die neugotische „Vierzehn-Nothelfer-Kapelle“

Schräg gegenüber vom Tierpark in der Kirchstraße lässt ein spannender Abenteuer-Wald die Herzen der Kinder höher schlagen. Auf einem „Walderlebnispfad“ können diese das Naturschutzgebiet Lennebergwald spielerisch kennenlernen. Für Sportbegeisterte ist er Ausgangspunkt zu einem der drei Fitness-Parcours, die mit anspruchsvollen Übungsstationen den Kreislauf auf Trapp bringen.

Ansprechend gestaltete Infotafeln erklären die geologischen und ökologischen Besonderheiten des Dünengebiets

In unmittelbarer Nachbarschaft zu der ersten Fitness-Anlage steht die „Vierzehn-Nothelfer-Kapelle“. Die schmucke kleine Kirche wurde dem herrschenden Zeitgeist des Historismus entsprechend im neugotischenStil errichtet und ist den heiligen vierzehn Nothelfern geweiht. Der aus Klinker und Sandstein errichtete Sakralbau wurde 1895 eingeweiht und steht unter Denkmalschutz. Über den Vorgängerbau aus dem Jahre 1729 ist nur bekannt, dass die Gonsenheimer Bürger sie in Erfüllung eines Gelübdes erbaut haben sollen. Besonders beeindruckend in der heutigen Kapelle sind die Statuen der 14 Nothelfer im Aufbau des Hochaltars. Noch heute ziehen Gläubige am dritten Sonntag nach Pfingsten in einer Prozession zur Wallfahrtskapelle, wo das Festhochamt am Außenaltar stattfindet.

Im Lennebergwald finden sich weitere Kulturdenkmäler wie die Alte St.-Wendelinus-Kapelle, der Lennebergturm (Aussichtsturm im neugotischen Stil aus dem Jahr 1878), die Neue St.-Wendelinus-Kapelle mit neugotischem Bruchsteinsaal sowie die als Jugendstil-Rundbau errichteten Wasserbehälter. Das Highlight ist zweifellos das pompöse Schloss Waldthausen.

Naturbelassener Wald am Rande des „Kleinen Mainzer-Höhenwegs“; das tote Holz ist ein wichtiger Lebensraum für Tiere und Pilze

Die repräsentative Villa und einige Nebengebäude wurden zwischen 1908 und 1910 vom Architekten Hans Bühling im Auftrag von Freiherr Martin Wilhelm von Waldthausen errichtet. Architektonisch ist das Schloss im Stil eines staufischen Palasgebäudes gehalten. Von weitem sichtbar ragt der markante Vierkantturm hervor.

Seitenansicht von Schloss Waldthausen

Bauherr Martin Wilhelm von Waldthausen stammte aus einer angesehenen Essener Patrizier- und Industriellenfamilie, die seit Mitte des 17. Jahrhunderts, aus dem Hamelner Raum kommend, in Essen ansässig ist. Sie hatte großen Einfluss auf die Entwicklung des Wirtschaftslebens im rheinisch-westfälischen Industriegebiet. Zunächst waren die Waldthausens in der Textilwirtschaft tätig, speziell im Wollhandel. Dann investierten sie ihre Gewinne erfolgreich in der Kohle- und Stahlwirtschaft und engagierten sich im Bankwesen. Im Jahre 1913 rangierten sie laut Wikipedia an Platz 11 unter den reichsten Familien des Deutschen Kaiserreichs.

Martin Wilhelm von Waldthausen (1875–1928) war das einzige Kind des Bankiers Albert von Waldthausen und dessen Ehefrau Henriette. Über seine ersten Lebensjahre ist nur wenig bekannt. Offenbar wollte er aber nicht Bankier werden wie sein Vater und entschied sich erst mit Mitte 20 für eine Offizierslaufbahn in der Preußischen Armee. 1901/02 trat er in das Husaren-Regiment „König Humbert von Italien“ ein, das zu dieser Zeit in der Festung Mainz stationiert war. Dort hatte er den Dienstgrad eines Leutnants.

Unübersehbar: das große Familienwappen oben an der Eingangsfassade

Bei einem Militärmanöver mit Kaiserparade – vermutlich im Jahre 1904 – soll es im Übungsgebiet „Mainzer Sand“ zu einem Zwischenfall gekommen sein, durch den sich Waldthausen von Kaiser Wilhelm II. gekränkt fühlte. Im Gegenzug habe der Freiherr sich zu dem „Götzzitat“ hinreißen lassen. Dies hätte üblicherweise den Tatbestand der Majestätsbeleidigung erfüllt, wurde jedoch nicht strafrechtlich verfolgt. Waldthausen musste aber nach dem Zwischenfall den Militärdienst quittieren.

Nach dem Ausscheiden aus dem Militär lebte Waldthausen in Mainz als Privatier. 1905 heiratete er in Essen die vier Jahre ältere Klara Elise Theodore Korte. Mit ihr hatte er drei Kinder: Irene, Horst und Elisabeth, die alle in Mainz geboren wurden. Der Freiherr ließ für sich und seine Familie ab 1908 im Lennebergwald zwischen Mainz und Budenheim die Schlossvilla erbauen, die sie Anfang 1910 beziehen konnten.

Das Pförtnerhaus mit kunstvollem Schmiedetor

Als ein Motiv für die auffallend prunkvolle Ausführung des Baus vermuten Historiker von Waldthausens Geltungsdrang gegenüber dem deutschen Kaiser Wilhelm II. Der Kaiser ließ zeitgleich verschiedene Schlossprojekte ausführen, u. a. den Neubau der „Hohkönigsburg“ und das Residenzschloss in Posen. Von Waldthausen soll seinen Architekten Hans Bühling angewiesen haben, nach dem Posener Vorbild das Schloss im Lennebergwald zu gestalten. Die imposante Villa soll samt mehreren Nebengebäuden sowie dem weitläufigen Park und einem großen terrassierten Schlossgarten mit Fischteich die für die damalige Zeit enorm hohe Summe von 18 Millionen Mark gekostet haben.

An der Eingangsfassade ließ der Bauherr ein riesiges Relief des Familienwappens anbringen, das die Jahreszahl 1569 trägt. Mit dem Wappen wollte der standesbewusste Waldthausen belegen, dass er nicht zum neureichen Geldadel gehöre, sondern seine Vorfahren bereits 1569 in den Adelsstand erhoben wurden.

Das prunkvolle Schloss brachte der Familie jedoch kein Glück, sondern wurde von tragischen Schicksalsschlägen überschattet. Kurz nach dem Einzug starb im März 1910 die jüngere Tochter Elisabeth, sie wurde nur zehn Wochen alt. Und im November 1911 starb mit fünf Jahren auch die ältere Tochter Maria.

Grimmig schaut der gepanzerte Wächter am Schlosseingang

Mit Beginn des Ersten Weltkriegs verließen von Waldthausen, seine Frau und sein Sohn Horst Deutschland und lebten fortan in der Schweiz und in Liechtenstein. Die Familie erwarb die Schweizer Staatsbürgerschaft und kehrte nie wieder zum Schloss im Lennebergwald zurück.

Martin Wilhelm von Waldthausen starb 1928 im Alter von nur 52 Jahren bei einem Aufenthalt in Wiesbaden. Er erlebte nicht mehr, dass sein Sohn Horst im Alter von 26 Jahren im August 1933 bei einem Autorennen tödlich verunglückte.

1919 – nach Ende des Ersten Weltkriegs – wurden kurzzeitig französische Truppen in Schloss Waldtausen einquartiert. Sie räumten die Anlage aber noch im selben Jahr wieder, nachdem von Waldthausen mit diplomatischer Unterstützung durch die Schweiz ein Ende der Einquartierung erreichen konnte.

Nach dem Tod von Klara von Waldthausen (1940) verkauften die Erben Anfang 1941 die Villa samt Nebengebäuden und einem Großteil des Waldgeländes an die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt. Während des Zweiten Weltkriegs wurden auf dem Anwesen im Rahmen der so genannten Kinderlandverschickung kriegsgefährdete Mütter und Kinder untergebracht.

Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es mehrere Besitzwechsel: Zunächst wurde es von US-amerikanischen und dann von französischen Truppen beschlagnahmt. Nach dem Abzug der Franzosen übernahm 1955 das Bundesvermögensamt das Anwesen. Bis 1978 wurde es von der Bundesluftschutzschule genutzt. Danach erwarb die Stadt Mainz die Schlossvilla und das umliegende Gebiet. Das Gebäude wurde unter Denkmalschutz gestellt und die gesamte Anlage zur Denkmalzone erklärt.

Ende 1982 wurde das gesamte Anwesen an den Sparkassen- und Giroverband Rheinland-Pfalz verkauft. Dieser ließ das Gebäude renovieren und nutzte es ab 1988 als Bildungs- und Begegnungszentrum. Ende 2019 gab der Sparkassen- und Giroverband Rheinland-Pfalz das Bildungszentrum auf und das Anwesen ging an die Stadt Mainz zurück, die derzeit nach einer neuen Nutzungsmöglichkeit sucht.

In unmittelbarer Nachbarschaft zum Lennebergwald befindet sich der „Mainzer Sand“, der zu den bedeutendsten Naturschutzgebieten in Europa zählt und über den FeuilletonFrankfurt gesondert berichten wird.

Weitere Informationen unter: www.lennebergwald.de

Fotos: Gisela und Hans-Bernd Heier

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