The Sound of Disney – die Klangwelt der klassischen Animationsfilme der Jahre 1928 bis 1967
„Alles bleibt im Ohr“
Sonderausstellung im Deutschen Filmmuseum & Filminstitut (DFF)
von Renate Feyerbacher
Schon längst wollten sie wieder weg sein die Stars von Walt Disney. Beehren wollten sie uns zuerst von Mai bis Oktober 2020, dann haben sie ihren Aufenthalt von August bis 10. Januar in Aussicht gestellt und ein spannendes Begleitprogramm wurde ihnen gewidmet. Nun sind sie immer noch da und hoffen auf das Ende des erneuten Lockdowns. Sie versprachen soeben, danach noch zehn Wochen lang im DFF Frankfurt zu bleiben und sich von Vorträgen und Filmen begleiten zu lassen. Prima.
Hauptplakat mit Dschungelbuch, Fotos: Renate Feyerbacher
Zunächst einmal vorab: Meine Begeisterung für die Animationsspielfilme von Walt Disney hält sich in Grenzen. Der junge Hirsch Bambi im gleichnamigen Film von 1942, dem fünften abendfüllenden Zeichentrickfilm, ein Meisterwerk aus dem Studio von Walt Disney (1901-1966), war mir zu niedlich, zu sentimental, um nicht zu sagen zu ‚kitschig‘ gezeichnet. Sicher habe ich damals als Kind, der Film wurde Ende 1950 erstmals in Deutschland gezeigt, geschluchzt als Bambis Mutter von Jägern erschossen wird. Wie sehr die Musik gerade in dieser Szene die Dramatik vertieft und die Emotion hoch treibt, ist mir bewusst geworden und kann in der Sonderausstellung des DFF „The Sound of Disney“ – 1928-1967″ erlebt werden.
Der Film nach der Novelle des österreichischen Schriftstellers und Jägers Felix Salten (1869-1945) – ursprünglich Siegmund Salzmann – behandelt sehr ernste Themen wie „Tod und Naturschutz“. Die Musik lässt sich auf die Stimmung der Natur ein und wird durch wenig Dialog unterbrochen. Die Originalfassung von Bambi 1942, damals von der Kritik abgelehnt, vom Publikum wegen des Weltkriegsgeschehens wenig beachtet, wurde 1973 neu synchronisiert, stellenweise verändert und schließlich 2004 aufwändig restauriert.
Das Bambiplakat von 1973
Warum nun hat sich die Ausstellung für den Zeitraum 1928 bis 1967 entschieden? Die ersten Versuche, in der Zeichentrickfilmbranche Fuß zu fassen, verliefen für Walt Disney ausgesprochen schlecht. Dann aber kam ihm 1928 während einer Zugfahrt die Idee zu der Figur Mickey Mouse, deren Name von seiner Frau Lillian Bounds stammt. Mit ihm entsteht auch Steamboat Willie, zunächst als Stummfilm, dann nachvertont, in dem auch Minnie schon dabei ist. 1928 ist die Erfindung von Micky Maus und der Beginn der einzigartigen Verknüpfung von Sound und Filmbild, das „Mickey Mousing“ genannt wurde.
Bei den Silly Symphonies, die zwischen 1929 und 1939 produziert wurden, stand die Musik im Mittelpunkt, die Bilder wurden dazu geliefert. 75 solcher Kurzfilme, berühmt Die drei kleinen Schweinchen (Three little Pigs) 1933 und der letzte Beitrag 1939 The Ugly Duckling (Das hässliche Entlein) wurden dann mit dem Oscar ausgezeichnet.
Der dritte abendfüllende Zeichentrickfilm Fantasia (1940) ist ein Höhepunkt dieses punktgenauen Zusammenspiels von Musik und Animation. Im Lexikon des internationalen Films – zitiert aus Wikipedia heißt es: „Entstanden ist ein technisch perfekter, einfallsreicher und höchst unterhaltsamer Trickfilm, der zugleich ein radikaler Experimentalfilm ist. Semi-abstrakte Farbspiele illustrieren Bachs ,Toccata und Fuge‘ (Orchestrierung und Dirigat: Leopold Stokowski) unter Mitwirkung des deutschen Filmpioniers Oskar Fischinger; Pilze tanzen zu Tschaikowskis ,Nußknacker Suite‘; Micky Maus spielt den ,Zauberlehrling‘ von Paul Dukas, mitreißend von James Algar inszeniert; Dinosaurier gibt es zu Strawinsky (,Sacre du printemps‘), griechische Zentauren zu Beethovens ,Pastorale‘; Ponchiellis ,Tanz der Stunden‘ wurde zum grandiosen Ballett für Nilpferde; schließlich folgt ein friedvolles Tableau zu Schuberts ,Ave Maria‘.“
Filmplakat zum „Dschungelbuch“ – ein großer Erfolg in Deutschland
„Probier’s mal mit Gemütlichkeit“ (The Bare Necessities), dieser Song von Faulenzer Balu (Baloo) aus Das Dschungelbuch (The Jungle Book) von 1967, an dem der starke Raucher Walt Disney, der 1966 an Lungenkrebs starb, noch beteiligt war, wurde, als der Film nach Deutschland kam, ein Ohrwurm. Heinrich Riethmüller (1921-2006), Organist, Chorleiter, sein eigentliches Metier Komponist von Unterhaltungsmusik, schuf Synchronfassungen von Walt-Disney Filmen.
Beim Dschungelbuch war er zuständig für Synchronbuch, – regie, für die Musik und für die Liedtexte. Vor allem musste er auch geeignete Stimmen für die Figuren finden. Übrigens einer war Synchronsprecher Klaus Havenstein. Er gab seine Stimme dem Orang Utan King Louie und sang den Song „Ich wär so gern wie du“ („I Wan’na Be Like You“). Havenstein, nach dem Krieg Gründungsmitglied der Münchner Lach- und Schießgesellschaft, war von 1990-1992 Intendant der Bad Vilbeler Burgfestspiele, den ich dort mehrfach traf.
Regie beim „Dschungelbuch“ führte Wolfgang Reithermann (Woolie Reitherman) (1909-1985). Dessen Eltern hatten München, als er noch ein Kind war, verlassen. Reitherman gehörte ab 1934 bis 1981 zu Walt Disneys engsten Mitarbeitern. Der Film war vor allem in Deutschland ein Riesenerfolg, nicht zuletzt bedingt durch die gelungene Synchronisation.
Die literarische Vorlage des englischen Autors Rudyard Kipling (1865 -1935) hatte Walt Disney verändert. Die Erzählungen vom Findelkind Mogli, seinen Freunden Bär Balu und Panther Bagheera, die im Dschungel leben, sind nach wie vor bedeutende Weltliteratur für Kinder. Natürlich hat Mogli auch Feinde, den Tiger Shir Khan, manchmal die Affen und auch die Wölfe. Dann trifft er zum ersten Mal andere Menschen und muss herausfinden, wer er wirklich ist und wo er hingehört.
Aschenputtel oder Cinderella
Mit von der Partie in der Ausstellung The Sound of Disney ist Schneewittchen und die sieben Zwerge, übrigens 1937 der erste abendfüllende Zeichentrickfilm, dessen Produktion drei Jahre dauerte und eine Unsumme verschlang. 750 KünstlerInnen arbeiteten zeitweise daran – streng kontrolliert von Walt Disney, der jede Einstellung begutachtete. Allein um die 150 Frauen haben die Tusch- und Kolorierarbeiten geleistet. Sie wurden sehr schlecht bezahlt. Viele bekamen Probleme mit den Augen.
Die Arte-Dokumentation der New Yorkerin Sarah Colt von 2015 über „Walt Disney – Der Zauberer“, die erneut Juli 2020 gesendet wurde, zeigt Walt Disneys zwiespältige Persönlichkeit. Ein großer künstlerischer Visionär, mal Gutmensch, mal Ausbeuter mit Verbindung zum FBI, Anti-Gewerkschaftler – man denke nur an den Streik der Mitarbeiter 1941 –, Republikaner und Antikommunist in der McCarthy-Ära, der geradezu eine Kommunistenjagd iniziierte.
Dem Zeichentrickfilm Pinocchio (1940), nach den Abenteuern des hölzernen Bengels von Carlo Collodi, dessen Musik und dessen Songs mit dem Oscar ausgezeichnet wurden, folgte die Geschichte von Dumbo (1941), dem fliegenden Elefanten, der auch wieder durch die Musik hervortrat wie auch Cinderella (Aschenputtel) 1950. Das Lexikon des Internationalen Films nennt Peter Pan (1953) den erfolgreichsten Film des Disney Studios. Gelobt wird vor allem die Adaption der Geschichte des schottischen Schriftstellers und Dramatikers James M. Barrie (1860-1937), die Walt Disney schon in seiner Kindheit fasziniert haben soll. „[..] künstlerische Höhepunkte bietet der routiniert inszenierte Film indes nicht.“ Natürlich spielt auch hier die Musik wieder eine wichtige Rolle.
Der wunderbare Theater- und Filmschauspieler Ernst Jacobi (u.a.in: „Das Weiße Band“ von Michael Haneke) gehörte zum Team der deutschen Synchronisation. Er sprach, damals 20 Jahre alt, die Titelfigur.
Peter Pan, einer der erfolgreichsten Filme des Disney Studios
Die Verschmelzung von Ton und Bild können im Rahmen der Ausstellung in den genannten Zeichentrickfilmen vertiefend nachempfunden werden. Zahlreiche Filmausschnitte – und das in verschiedenen Sprachen – geben der Schau eine besondere Note und locken auch Besucher an, die kein Deutsch sprechen. Der ideenreiche, pfiifige Einsatz von Musik, von Liedtexten und vor allem Geräuschen macht aus den Animationen Meisterwerke, die auch mich begeistern konnten.
Minutenlang stand ich vor dem Film-Ausschnitt von „Fröhlich, Frei, Spass Dabei „(Fun and Fancy Free –Micky und die Kletterbohne) von 1947, in dem Mickey Mouse mit der Stimme von Walt Disney, Donald Duck, Goofy und Jiminy Cricket buchstäblich rotieren. Es sind die sich schnell verändernden musikalischen Einfälle, die faszinieren. Die goldene Harfe wird von einem Riesen gestohlen. Micky und seinen Freunden gelingt es, die magische Kletterbohne zu erklimmen und so ins Reich des Riesen zu gelangen.
Jimmy MacDonald hat über 40 Jahre lang das Soundeffekte-Department des Studios geleitet, das er 1937 aufbaute. Er kreierte sage und schreibe 28.000 Soundeffekte für 139 Langfilme und 336 Kurzfilme. Die Regenmaschine zum Beispiel, die er entwickelte, bestand aus einer riesigen drehbaren Trommel mit tausenden, nach innen zeigenden Nägeln. Trockenerbsen erzeugten dann in der sich drehenden Trommel das Geräusch von Regen. Geniale Ideen, gepaart mit einfachen Hilfsmitteln, sind erfolgreich und können so gezielt Emotionen auslösen..
Die Kuratorin Daria Berten
„Alles bleibt im Ohr“, sagt die Kuratorin Daria Berten und lobt die enge Zusammenarbeit mit dem Disney Konzern, der dem Planungsteam freie Hand bei der Gestaltung der Ausstellung ließ. Grundlage dafür ist ein Sammlungsbestand des Münchner Stadtmuseums, der letzten Station der Ausstellung „How Walt Disney Animation is Made“, die von 1959 bis 1963 durch Europa tourte und noch von Walt Disney selbst zusammen gestellt worden war. Dazu gehören Produktionsskizzen, Figurenstudien, Fotografien von Filmschaffenden. Hinzukommen Leihgaben von der Southern Oregon Historical Society in Medford, Bestände und Neuankäufe des DFF.
Das Begleitprogramm, zusammengestellt von Daniel Peiler, ist online. Später, wenn Corona es zulässt, beziehungsweise der sogenannte strenge Lockdown vorbei ist, gibt es auch wieder Kinovorführungen, Vorträge, Workshops und vieles mehr vor Ort. Sowohl Erwachsene als auch Kinder werden auf ihre Kosten kommen. Es lohnt sich hinzugehen.
Diese kluge, informative Ausstellung über Walt Disney, zu dessen Fans ich mich nicht zähle, hat mich dennoch begeistert und Bewunderung für seine genialen Ideen, für die großartige Arbeit der Cartoon-KünstlerInnen, der Kameraleute, der Trickfilmer, der Komponisten und SprecherInnen ausgelöst.