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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Die Zukunft der Paulskirche: viele offene Perspektiven

Aufschlussreicher Online-Vortrag von DAM-Direktor Peter Cachola Schmal

Einordnendes Fazit und eine Buchempfehlung

von Uwe Kammann

Die Zukunft der Paulskirche und eines manchen Köpfen vorschwebenden Hauses der Demokratie? In vielen Punkten völlig offen. Dies ist das Fazit eines Online-Vortrags von Peter Cachola Schmal, Direktor des Deutschen Architekturmuseums (DAM), auf Einladung der Frankfurter Gesellschaft für Handel, Industrie und Wissenschaft.

Architekturmodell der Paulskirche in der DAM-Ausstellung „Ein Denkmal unter Druck“, Foto: Petra Kammann

„Wir werden uns für zwei, drei Jahre wieder ordentlich streiten“, so spitzte er gleich zum Auftakt seine sicherste Vorhersage zu. Um dann am Schluss dafür zu plädieren, dass die bislang sehr unterschiedlichen Kräfte in Frankfurt an einem Strang ziehen und mit einer Stimme sprechen müssten, um zu verhindern, dass eine ganze andere Kraftkombination den künftigen Gang der Dinge bestimmt: nämlich das Bundespräsidialamt und die Regierungsbeauftragte für Kultur und Medien: „Weder der Bundespräsident noch Monika Grütters kennen die Frankfurter Seele“.

DAM-Direktor Peter Cachola Schmal, Foto: Petra Kammann

Schmal hat da seine eigenen negativen Erfahrungen, seit er in einen Prozess eingebunden war und ist, der wesentlich angestoßen wurde durch den wiederholten vehementen Versuch eines „Zeit“-Journalisten, das jetzige Erscheinungsbild der Paulskirche in Grund und Boden zu verdammen und ihm nachzusagen, keinerlei Würde zu haben und als Erinnerungsort an eine Aufbruchsphase der deutschen Demokratie völlig untauglich zu sein. Diese Totalkritik griff dann der Bundespräsident auf, im Zuge der ohnehin schon in Frankfurt laufenden Debatte, wie die Paulskirche zum 175jährigen Jubiläum der ersten Nationalversammlung (1848/49) am besten zu solidem Glanz gebracht werden könne. Was zuvörderst hieß, die anstehende Sanierung von Brandschutz und technischer Infrastruktur zu stemmen; was aber auch Oberbürgermeister Feldmann mit dem Gedanken spielen ließ, ob nicht eine Rekonstruktion des ursprünglichen Zustands der bessere Weg sei.

Kurzum, der Bundespräsident lud Experten zu Gesprächsrunden ein, um Ideen zu ventilieren, wie der revolutionäre demokratische Aufbruch denn in positiverer Form anschaulich werden könnte. Damit ging er eben vom suggerierten Befund aus, dass die jetzige Paulskirche mit ihrer architektonisch geformten großen Nachkriegsgeste – aus einem dämmrigen und gedrängten Raum ins hellste Licht eines reinen und offenen Runds und damit in einen Idealraum der Demokratie emporzusteigen – die für positive Erinnerung ungeeignete Zeitschicht sei.

Ausgebrannte Paulskirche, 1946, Foto: Institut für Stadtgeschichte 

Das Pikante (um es nobel zu sagen) beim Berliner Vorgehen war, dass aus drei Kurzreferaten der letztsommerlichen Expertenrunde – eines hatte Schmal zur Baugeschichte der Paulskirche gehalten – vom Bundespräsidialamt ein integraler Text „zusammengewürfelt“ (Schmal) wurde, den die FAZ unter der schreienden Überschrift veröffentlichte: „Der Paulskirche fehlt die Würde“. Schmal heute zu diesem einen verzerrenden Tenor setzenden Verfahren aus der Werkstatt des Bundespräsidenten: „Sowas würde ich nie wieder machen“. Zumal kurz darauf Kulturstaatsministerin Grütters – wieder in der FAZ – noch einmal im Berlin-Sinne kräftig nachlegte (Schmal: „Wussten wir vorher nicht“) und ein Paulskirchen-Modell in Kombination mit einem Haus der Demokratie propagierte, anzusiedeln unter dem Dach einer Stiftung Demokratiegeschichte, die auch andere Orte des demokratischen Aufbruchs einbeziehen soll.

Den Haken an diesem Konzept – das eine Trägerschaft von Bund, Land und Stadt vorsieht und mit Sitz in Frankfurt für Schmal „ein gutes Geschenk“ für die Stadt sein könnte, messbar auch an einer beträchtlichen Außenfinanzierung durch Bund und Land –, den Haken also benannte er in seinem Online-Vortrag deutlich. Denn klar ist: Das Fließen der Gelder ist dann abhängig vom Einverständnis der Geldgeber mit dem Konzept. Sprich: Frankfurt wäre dann nicht mehr eigenständiger Entscheider über Ziele, Form und Konzeption. Es gelte dann die übliche Verlaufsformel: Antrag, Prüfung, Bewilligungsbescheid – ein Verfahren in Abhängigkeit vor allem von der Kulturstaatsministerin, in deren Budgetverantwortung es laufen soll.

Schon an diesem Punkt setzte Schmal ein dickes politisches Fragezeichen: Wie wird diese Position nach der Bundestagswahl im Herbst aussehen? Ebenso fraglich sei, welche politische Konstellation in Frankfurt nach den Kommunalwahlen im Frühjahr herrsche und sich in den Mehrheitsverhältnissen der Stadtverordnetenversammlung abbilde; jenem Gremium also, das in Sachen Paulskirche immerhin einen klaren Beschluss gefasst hat: Sie soll in ihrer Nachkriegsgestaltung erhalten bleiben.

Diese Gegenüberstellung der Innenräume der Paulskirche von 1848 und der heutigen Gestaltung inklusive des Wandbilds von Johannes Grütze um das Oval des VIP-Raums in der unteren Wandelhalle hat uns freundlicherweise „Bild“ / Axel Springer SE zur Verfügung gestellt –  © BILD Infografik 

Unmissverständlich hatte Schmal im ersten Teil seines Referats die Qualitäten dieses vom rheinischen Kirchenbaumeister Rudolf Schwarz geleiteten Wieder- und Neuaufbaus der leicht ovalen Kirche hervorgehoben: Gerade der sehr eindrucksvolle Innenraum mit seiner Monumentalität habe eine eigene Aura. „Der Ort prägt alle“, er kenne niemanden, der nicht „hochergriffen“ sei, wenn er von der „sehr schönen Kanzel“ spreche (die, nebenbei bemerkt, OB Feldmann im Sinne des Niederschwelligen einebnen wolle, ganz im Sinne der Öffnung des Saals für Gruppierungen jeglicher Art, Attac inklusive). Der DAM-Direktor ließ auch keinen Zweifel daran, dass es wegen der gegenüber 1848 „gründlich geänderten“ architektonischen Situation (nicht zuletzt in der völlig anderen Höhenentwicklung des Raumes) kaum wieder die frühere säulengetragene Rundempore eingezogen werden könne: „So einfach ist das nicht“.

Bei der späteren Perspektivbeschreibung im zweiten Teil drängte sich dieses Urteil mehrfach auf. Mit welchen Vorstellungen und Modellen solle denn der präsidial intendierte Positiv-Bezug auf die Nationalversammlung – die in neuerer historischer Beurteilung tatsächlich nicht mehr einfach als eine Bewegung des Versagens und Scheiterns gesehen werde – herausgestellt und veranschaulicht werden? Was könne und solle das als Ergänzung gedachte Haus der Demokratie überhaupt leisten? Gehe es in Richtung einer Demokratieakademie, sei an die Bespaßung von Touristen gedacht? Bei solchen essentiellen Fragen, so Schmal, liege alles „im Vagen“, sei auch in den vorhergehenden Phasen höchst Unterschiedliches zu Tage gekommen. Nach dem jetzigen Zeitplan soll eine Kommission in den kommenden zwei Jahren konzeptionelle Vorstellungen zusammentragen, was dann 2023 in einen Wettbewerb münden könne.

An der Kanzel (Sprechstelle) in der Paulskirche: DAM-Hochhauspreisträger Christoph Ingenhoven bei der Verleihung des Preises; Foto: Petra Kammann 

Welche Überlegungen für das Haus der Demokratie konkreter werden könnten? Die Berliner, so Schmal, wollten lieber einen Neubau. Pläne, ihn auf dem jetzigen Platanenraster des erweiterten Paulsplatzes zu errichten, sieht er mehr als skeptisch: Kaum ein Politiker werde sich trauen, für ein Demokratiezentrum die Platzbäume abzusägen. In Frage käme vielleicht das eine Seite der Paulskirche rahmende Gebäude der Kämmerei, die ohnehin demnächst zur Hälfte ausziehe. Für die Stiftung wiederum komme das in Sichtweite stehende Altgebäude der Bethmann-Bank in Frage.

Und doch, und doch, dies drängte sich deutlich als Schlussfolgerung der Ausführungen auf: Das alles ist in seinen Grundzügen mehr als unbestimmt, ist in vielerlei Hinsicht auch ein Konkurrenzkampf um Deutungsmuster – und in der Folge nicht zuletzt ein Machtspiel. Dabei ist die politische und gesellschaftliche Kräftekonfiguration komplex, gerade auch wegen der verschiedenen Ebenen, von lokal bis national; Ebenen, die wegen des Stiftungsmodells ebenso miteinander verschränkt sind wie aus finanziellen Beweggründen. Was würde eine reine Sanierung der Paulskirche kosten (Schätzungen bewegen sich schon in Richtung 50 Millionen, so viel, wie das neue Jüdische Museum gekostet hat)? Wieviel verschlingt ein Haus der Demokratie, was ist für das Umfeld aufzubringen?

Und im Frankfurter Hintergrund ist immer mitzufragen: Was wird aus den inzwischen verworrenen, vom Denkmalschutz ins Bizarre gedrängten Plänen für Oper und Theater? Was wird sich die Stadt leisten können, was wird sie sich leisten wollen? Dass unter dieser Perspektive – welche natürlich auch ganz wesentlich durch die finanziellen Schockwellen der Pandemie bestimmt wird – dieses Großvorhaben mit der Sanierung der Paulskirche verknüpft sein wird, liegt auf der Hand, ist unausweichlich. Vielleicht, und auch dies gehört zum jetzigen Status des Vor- und Nachdenkens, liegt aber gerade darin eine große Chance. Nämlich bei beiden Projekten jene Dimension auszuloten, die lange Zeit unter einem ausufernden Anspruchsdenken nahezu verborgen war: jene der äußeren Bescheidenheit. Welche die Räume der Gedanken und der Phantasie enorm beflügeln kann.

Sitzung des Vorparlaments in der Paulskirche, ©ISG FFM, S7Z Nr. 1848-30, Ilustrierte Zeitung, Leipzig, Nr. 255, 20. Mai 1848, S. 330

Wer immer übrigens sich mit der Geschichte der Paulskirche, mit der historischen Einbettung der ersten Nationalversammlung, mit ihren heutigen Perspektiven und mit ihrem inneren Wert beschäftigen will, der kommt an einem Buch nicht vorbei. Erschienen ist es im Societätsverlag, seine editorische Heimat ist das Frankfurter Institut für Stadtgeschichte. Es heißt so schlicht wie umfassend: „Die Frankfurter Paulskirche. Ort der deutschen Demokratie“. Wer es kennt, der wünschte, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Staatsministerin Grütters hätten es gründlich gelesen, bevor sie ihre von einem wütenden „Zeit“-Autor angestoßene Initiative zur ‚positiven’ Neugestaltung dieses sicher großartigsten Frankfurter Orts gestartet hätten.

Gleich anfangs ihres Vorworts zitiert Herausgeberin Evelyn Brockhoff (neben Alexander John) – die langjährige Leiterin eben dieses Instituts – einen wunderbaren Satz des ehemaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck: „Die Frankfurter Paulskirche ist ein Ort mutiger Träume“. Wer so eingestimmt wird, versteht das, was als gebaute „Doppelgestalt aus Scheitern und Hoffen“ gesehen werden kann und muss, schon in den ersten Anläufen besser, als wenn er sich mit einem bestimmten Vor-Bild diesem Herzgebäude der ehemals Freien Reichsstadt nähern würde.

Was Peter Cachola Schmal in seinem Vortrag für die Frankfurter Gesellschaft für Handel, Industrie und Wissenschaft nur skizzieren konnte, hier ist es in vielfältiger Weise ausgebreitet: ein Bild der Paulskirche in allen Facetten, die notwendig sind, um ihre Geschichte und ihren Kern zu begreifen. Nicht zuletzt, um zu verstehen – in einem überzeugenden Beitrag von Thomas Bauer –, warum der Wiederaufbau nach dem Krieg ein so wichtiges, geradezu zentrales „Signal für den demokratischen Neubeginn“ war.  Ebenso erhellend: der Überblick von Michael Dreyer über Demokratieorte in Deutschland.

Ach, wie kann es sein, dass ein solches Buch mit seiner differenzierten Auswahl und Darstellung der zentralen Aspekte (Redaktion: Franziska Kiermeier) allem Anschein nach nicht die Berliner Möchtegern-Erinnerer bereichert und beflügelt hat bei ihrem Vorstoß, nun mehr „Erinnerungsgeschichte zu wagen“ (Monika Grütters)? Liegt dem der Wille zugrunde, publikumsblendend das Rad neu erfinden zu wollen, womöglich in eckiger Form?

Wie auch immer, es bleibt dabei: Wer sich in die Paulskirchen-Debatte einmischen will (und sie wird noch dauern, höchst kontrovers), der muss sich nochmals rückblickend in den DAM-Ausstellungsschwerpunkt „Ein Denkmal unter Druck“ einklinken. Und der muss sich vertiefen, wieder und wieder, in den Band „Die Frankfurter Paulskirche. Ort der deutschen Demokratie“. Am Ende wird mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Überzeugung stehen: So wie sie jetzt ist, die Paulskirche, so ist sie richtig. Als wunderbar offener, beflügelnder Ort mutiger Träume. Nicht weniger, ganz gewiss nicht. Sondern im Inneren noch sehr, sehr viel mehr. Ändern um des Änderns willen? Nein, entschieden nein.

→ Paulskirche – vom Paulus zum Saulus?

 Die Paulskirche – Ein Denkmal unter Druck“ im Deutschen Architektur Museum in Frankfurt

→ Plädoyer für das Paulskirchen-Wandbild: „Ein vitales Kunstwerk“

→ Die Paulskirche und ein Wolkenkuckucksheim

 

 

Der Katalog zur Ausstellung Paulskirche. Ein Denkmal unter Druck“ ist im Deutschen Architekturmuseum (DAM) erhältlich. www.dam-online.de

 

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