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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Dichte emotionale Atmosphäre beim „Faust on Tour“

Elf Künstlerinnen und Künstler wurden am 21. November mit dem Deutschen Theaterpreis DER FAUST 2020 ausgezeichnet. Die 15. Verleihung war pandemiebedingt digital vorproduziert worden. Das Staatstheater Hannover, Ort der diesjährigen verhinderten Gala, hatte diese Arbeit übernommen. „Der FAUST on tour“ – so der Titel der Dokumentation, die zu den ausgezeichneten KünstlerInnen reiste –, wurde in ZDF/3sat gezeigt. Zum Teil kamen sehr ausführlich Ausgezeichnete zu Wort. Zwei Auszeichnungen sind mit Hessen verbunden.

Von Renate Feyerbacher

Hessisches Staatsballett, Foto:Bettina Stöss / Staatstheater Wiesbaden

25 Theaterschaffende aus den verschiedenen Sparten zählten zur Nominierungs-Jury. Unter anderem war Ulrich Khuon, Intendant des Deutschen Theaters Berlin, der nach vier Jahren den Vorsitz des Deutschen Bühnenvereins, Bundesverband der deutschen Theater und Orchester, aufgab, dabei. Inzwischen wird der Bühnenverein von Dr. Carsten Brosda, Senator der Behörde für Kultur und Medien der Senatskanzlei Hamburg, geleitet.

Der Tanz in Hessen gefiel der Preis-Jury, zu der Marion Tiedke, Ausbildungsdirektorin Schauspiel an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main (HfMDK), früher Vizechefin und Chefdramaturgin am hiesigen Schauspielhaus, und Tim Plegge gehörten. Plegge war bisher Ballettdirektor des Hessischen Staatsballetts und ist nun Hauschoreograf, weil er sich mehr der Arbeit mit dem Ensemble widmen wollte. Der gebürtige Berliner Plegge begeisterte seinerzeit mit der Neuinterpretation von „Der Nussknacker“, die in den Staatstheatern Darmstadt und Wiesbaden, wo die Tänzerinnen und Tänzer des Staatsballetts zu Hause sind, gezeigt wurde.

Die fünf Jurymitglieder, zu denen er und Marion Tiedke gehörten, zeichneten Bryan Arias mit dem FAUST Theaterpreis in der Sparte Choreografie aus.

Der Choreograf Brian Arias, Foto: De-Da Productions / Staatstheater Wiesbaden

Bryan Arias choreografierte den 1. Teil des Ballett-Doppelabends „29 May1913“ und „Le sacre du printemps“ nach der Choreografie von Edward Clug, was coronabedingt bisher nur in Darmstadt zu sehen war. Die Jury lobte „29 May1913“, mit der Musik von Dmitri Savchenko-Belski als eine „sehr kluge, reiche und sensible Arbeit, die als Kommentar zur Originalchoreographie von „Le sacre du printemps“ aus dem Jahr 1913 von Igor Strawinsky zu lesen ist und „mit stark reduzierten Mitteln sowie der Dekonstruktion von Bewegungsmaterial eine sehr dichte Atmosphäre erzeugt.“ Die inneren emotionalen Vorgänge, die Individualität seiner Tänzerinnen und Tänzer würden dem Ensemble einen besonderen Stellenwert geben.

„29. May 1913“; Foto: Bettina Stöss / Staatstheater Wiesbaden

Was aber hat es nun mit dem 29. Mai 1913 auf sich ?

Am 29. Mai 1913 wurde im damals neu erbauten Théâtre des Champs-Élysées in Paris „Le sacre du printemps“ uraufgeführt. Es erzählt vom Frühlingsopfer im heidnischen Russland. Während des Rituals wird eine Jungfrau dem Frühlingsgott als Versöhnungsgabe geopfert. Choreografiert wurde es von Vaslav Nijinsky, dem legendären polnisch-russischen Balletttänzer. Schon bei der Eröffnungsmusik gab es Gelächter, dann kam es zum Tumult. Paris hatte seinen Theaterskandal. „Pariser pfeifen das neue Ballett aus“, schrieb die New York Times. Pariser Kritiker sprachen von Primitivität der Nijinsky-Inszenierung. Auch Strawinsky, der durch den Skandal berühmt wurde, machte Nijinsky für den Reinfall verantwortlich.

Der in Puerto Rico geborene Bryan Arias, der mit großen Ensembles weltweit arbeitet und bereits mehrere Auszeichnungen erhielt, konzentriert sich jedoch nicht auf die Frühlingsopferthematik, sondern auf die menschlichen Aspekte um die Ereignisse rund um die Uraufführung, die er intensiv recherchierte.

Im Magazin-Gespräch des Staatsballetts spricht Arias vom ‚wunderbaren Ensemble‘, mit dem er bisher nicht gearbeitet hat. Das Kennenlernen der Kompanie war der Ausgangspunkt seiner Konzeption. Darauf folgte das Suchen nach Bildern und Begriffen wie: Erde, Frühling, Opfer – was bedeutet  das?  Und wie könnte man „diese durch den Körper, durch Bewegungen hervorbringen? „Ich bin kein Choreograf, der den Tänzer*innen Bewegungsfolgen „überstülpt“, vielmehr nutze ich die Schwarmintelligenz der Gruppe. So entstehen im Verlauf der Proben Dinge, die am Anfang der gemeinsamen Arbeit noch nicht absehbar waren“, sagt der Choreograf. Erst dann folgt die Improvisationsphase.

Wie bereits erwähnt,  wurde bisher 29 May 1913, gestaltet von Bryan Arias, und Le sacre du printemps, choreografiert von Edward Clug, am 29. Februar 2020 lediglich im Darmstädter Haus gezeigt, jedoch noch nicht in Wiesbaden.  Corona lässt die Aufführung bisher in Wiesbaden nicht zu.

„Ich freue mich über dieses Glück, das ich habe.“ (William Forsythe)

William Forsythe 2015 im MMK Frankfurt, Foto: Petra Kammann 

Ein Juwel unter den Preisen ist natürlich „Der FAUST Theaterpreis fürs Lebenswerk“ und ein weiterer Höhepunkt der „FAUST on tour. William Forsythe, der langjährige Frankfurter Ballettdirektor, war diesmal der Auserwählte.

„William Forsythe ist mit seinem ästhetisch, pädagogisch wie strukturell in die Zukunft gerichteten Lebenswerk der ideale Preisträger für den Deutschen Theaterpreis DER FAUST. Forsythe hat den zeitgenössischen Tanz durch seine unvergleichlichen Choreografien entscheidend beeinflusst. Ganze Generationen von Tänzer*innen und Choreograf*innen der Gegenwart hat Forsythe ausgebildet, gefördert und nachhaltig geprägt. Damit hat er Spuren hinterlassen, die für den Tanz kreativ nach vorne weisen“, so die Begründung der Jury.

Eine großartige Wahl! Wie kein anderer hat er das Ballett in der Mainmetropole verändert und geprägt. Ein Revolutionär, der das Ballett nicht abschaffte, aber entstaubte und ständig hinterfragte. Das Tutu, das Ballettröckchen, war so gut wie out. „Schwanensee“ war nicht seine Sache.

William Forsythe in seiner Ausstellung „The fact of matter“ 2015 im MMK Frankfurt, Foto: Petra Kammann 

Der in New York geborene, heute 71-jährige William Forsythe kam nach seinem Tanzstudium in Florida und erstem Engagement dort mit 22 Jahren nach Deutschland. „Ich wusste irgendwie, dass ich nach Deutschland fahren würde.“

John Cranko, seit 1961 Direktor des Stuttgarter Balletts, das er zu einer der führenden Ballettkompanien machte, wollte ihn in seinem Ensemble haben. Dort ist er der brasilianischen Primaballerina und Choreografin Marcia Haydée  begegnet, die den jungen Forsythe förderte. Die Gastspiele der Stuttgarter Kompanie in der Jahrhunderthalle Höchst waren eine echte Sensation. Als Abonnentin für die Ballettreihe konnte ich mich davon überzeugen. Vom „Stuttgarter Ballettwunder“ war damals die Rede. Mit von der Partie waren Richard Cragun, Haydées Lebensgefährte und Tanzpartner, der in Forsythe‘ Choreografien tanzte, sowie Egon Madsen, von 1981-1984 Forsythes Vorgänger als Ballettdirektor in Frankfurt.

In Stuttgart begann Forsythe dann auch selbst zu choreografieren. Daraufhin wurde er weltweit zu Gastauftritten eingeladen. Mit 31 Jahren entschloss er sich, dauerhaft als freischaffender Choreograf zu arbeiten. Und er hatte Erfolge vorzuweisen. Sie veranlassten Klaus Zehelein, 1977 bis 1987 Chefdramaturg an den Städtischen Bühnen in Frankfurt und danach Intendant in Stuttgart, William Forsythe nach Frankfurt zu holen. Das war im Jahr 1984.

Im aus New York eingespielten Video zur Preisverleihung erinnert sich Forsythe an seine erste Zeit in Frankfurt, die nicht ganz so glanzvoll klingt: „Es war in Frankfurt eine Katastrophe. Die Zuschauer sind ausgeflippt. Die Hälfte der Zuschauer ist raus, 30 haben gebuht, 30 waren begeistert. Der damalige Frankfurter Kulturdezernent Hilmar Hofmann war verzweifelt.“ Forsythes Konzept, mit Konventionen zu brechen, um Neues zu schaffen, verkrafteten die Zuschauer nicht. Die einen wollten “Schwanensee“, die andern wollten Neues, kein ‚Gehüpfe‘ mehr.

Aber Zehelein glaubte an seine Arbeit und hielt zu Forsythe. Das hat sich für den Choreografen wie auch für das Frankfurter Publikum ausgezahlt, das ihm später zu Füßen lag. An einige seiner Kreationen kann ich mich erinnern wie zum Beispiel an: „One Flat Thing, reproduced“ (2000). Da rennen Tänzerinnen und Tänzer um Tische, die Ecken und Kanten haben, kriechen drunter und drüber. Alles in einem unglaublichen Tempo. Forsythe soll dabei von einer historischen Expedition im Südpol inspiriert worden sein.

White Bouncy Castle“, Forsythes Hüpfburg im Bockenheimer Depot, gemeinsam kreiert mit der Tänzerin Dana Caspersen, war ein Renner für alle. „Limb’s Theorem“ (1990) mit der minimalistischen Musik von Thom Willems, der viele seiner Choreografien instrumentierte. Das wiederum war ein Tanz zwischen Licht und Schatten, der sowohl etwas Mechanisches als auch etwas Machtdemonstratives hatte. Hinzukam, dass die Ensemblemitglieder Partner waren, die sich auch als Sprecher oder Sänger einbringen durften.

Plakat der Forsythe Ausstellung; Foto: Renate Feyerbacher

Zwanzig Jahre lang, bis 2004, leitete Forsythe schließlich das Ballett Frankfurt und wäre auch vielleicht noch länger geblieben, hätte die Stadt Frankfurt nicht die Mittel gekürzt und schließlich die Sparte Ballett abgewickelt. Geldknappheit war der Grund. Rettungsversuche wurden von der Stadt aus rechtlichen Gründen abgelehnt.

„Wir standen vor der völlig neuen Situation, dass es von nun an keinen Etat für Spitzenschuhe mehr gab. Ich musste mich entscheiden, ob ich entweder Spitzenschuhe und fünf Tänzer oder keine Spitzenschuhe und 16 Tänzer zur Verfügung haben wollte.“ So kommentierte Forsythe damals die Situation.

Aber der Macher blieb nicht tatenlos. Er führte das Ensemble in die unabhängige „The Forsythe Company“, die von den Ländern Sachsen und Hessen, den Städten Dresden und Frankfurt sowie privaten Sponsoren unterstützt wurde, und die er bis 2015 leitete. Der italienische Choreograf Jacopo Godani, einst Solist in der Forsythe Company, wurde dann sein Nachfolger.

Vor allem blieb mir Forsythe‘ Performance-Installation, „You made me a monster“ in Erinnerung. Da bastelten die Zuschauer aus Pappe bizarre Skelette und verarbeiten damit gemeinsam mit Forsythe den Krebstod seiner Frau, der Tänzerin Tracy-Kai Maier. Ein Tanzrequiem, das mich 2005 sehr berührte.

Unerschöpflich ist Forsythes Ideenpool bis heute. Die Projekte in den Bereichen Choreografie, Installation, Film und internetbasierte Wissensentwicklung wurden vertieft. Eine Tanzbibliothek (Motiion bank) ist im Aufbau.

Seine Arbeit hatte ein klassisches Fundament. Er wollte aber keine erzwungenen Bewegungen. „ Das Ballett erzählt die Beziehung zu sich selbst und zum Körper“. „Als ewig Forschender hat er die Kunstform Tanz, aber auch seine eigene strenge und zugleich sinnliche Tanzsprache immer wieder neu erfunden“, fasste es der Deutsche Bühnenverein zusammen.

Für ihn war die Tanzarbeit Forschung. Der Künstler William Forsythe machte, bevor er Frankfurt verließ noch einmal Furore mit seiner Ausstellung „Fact for Matter“ 2015 im Museum für Moderne Kunst.

William Forsythe und sein Ensemble haben viele Preise bekommen und waren in der ganzen Welt unterwegs. Nur noch gelegentlich widmet er sich heute der Choreografie, intensiv aber der Forschung und der Bildenden Kunst. Heute ist er Berater an der University of Southern California.

Zum Abschluss seines Statements anlässlich der Preisverleihung betont er die Bedeutung des FAUST Theaterpreises, der einem größeren Publikum zeige, welche Bedeutung Kultur hat: „Wir brauchen Kultur. Es kann nicht nur Business und Food sein. Nicht nur! [..] Ich muss immer nach vorne schauen, nicht nach hinten. Ideen zu haben, macht mir Spaß. Ich freue mich über dieses Glück, das ich habe.“

 

 

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