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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Joseph Beuys – Das Leben des Aktionskünstlers in Fotografien im Beuys Book

 DER MANN IST DAS MEDIUM – FACETTEN EINER IKONE

Eines der so einprägsamen wie humorvollen Beuys-Motti: „Ich ernähre mich durch Kraftvergeudung“; Foto: ©Klaus Staeck und Gerhard Steidl

Joseph Beuys, der Zeichner, Bildhauer, Aktions- und Installationskünstler, von 1961–1972 Lehrer an der Düsseldorfer Kunstakademie und politischer Aktivist für die direkte Demokratie, hat wie kaum ein anderer die zeitgenössische Kunstszene beeinflusst. Am 12. Mai 1921 in Krefeld geboren und 1986 in Düsseldorf gestorben, wäre er in diesem Jahr hundert geworden. Sicher ein Grund, sich ausgiebig mit ihm zu beschäftigen. Ein „Beuys-Book“ erinnert an ihn, an seine Aktionen und Auftritte und an seinen Alltag. Petra Kammann hat sich den schwergewichtigen Buch-Block angesehen, in dem Ideenserien und -sequenzen von der AG Staeck und Steidl festgehalten wurden.

Beuys, knieend, Beuys liegend, Beuys dozierend, Beuys im Gespräch mit Menschen, mit Tieren, mit Dingen, mit Künstlern, mit Studenten. Bei seiner Arbeit, auf Reisen oder privat. Mal mit Hut, mal ohne Hut. Joseph Beuys hat sich medial äußerst vielfältig ausprobiert, in Szene gesetzt und dabei immer wieder der Kamera gestellt. Kurzum: Fast bei allem, was er tat und lehrte, wurde Beuys wie eine Ikone fotografiert. Nur wenige Fotografen aber haben ihn aber so kontinuierlich begleitet wie der Grafiker Klaus Staeck und Gerhard Steidl, der Drucker und Verleger. Sie haben ihn von Nahem erlebt, ihn zu Ausstellungen und Aktionen begleitet und von 1972 an bis zu seinem Tod 1986 mit der Kamera begleitet. So konnte dieses ganz besondere Zeitdokument zwischen zwei Buchdeckeln überhaupt entstehen.

Mit schwerem pelzgefüttertem Wollmantel ging es nach Amerika, Foto: ©Klaus Staeck und Gerhard Steidl

In dem „Beuys Book“ haben Staeck und Steidl ihre über die Jahre gesammelten Fotografien zusammengetragen. Da stößt man schon gleich zu Beginn 1972 auf einige der bekannten Beuys-Aktionen oder Happenings, nämlich auf die Aktion „Vitex agnus castus“ in Neapel in der Modern Art Agency von Lucio Amelio, wo der Künstler damals seine mit Öl verschmierte Hand über gestapelte Kupferplatten – den Leiter – gleiten ließ, bis sein Körper so sehr mit Energie aufgeladen war, dass er förmlich vibrierte. Der missionarisch-charismatische Künstler war wie meistens auch hier „auf Sender“. Der Künstler brannte, wo er er ging und stand, förmlich an allen Ecken, er hatte auch etwas Missionarisches.

„Die Wahrheit ist eine Wunderkerze“ schrieb er 1973 im Kunstverein Hannover auf eine Tafel. Als er ein Jahr später, 1974, zusammen mit Klaus Staeck mit der PanAm nach New York fliegt, lässt er die Einreiseprozedur bewusst bei der Ankunft am Kennedy-Airport über sich ergehen. Gleich am nächsten Tag tritt er mit Filzhut und gekleidet in einen schweren Wollmantel mit Pelzkragen im überfüllten Saal der New School auf, wo er seine erste „Lecture“ in Amerika abhält. Dabei erklärt er den Studenten, was für ihn soziale Plastik und der erweiterte Kunstbegriff bedeuten. Dort ließen sich auch Künstler wie Claes Oldenburg, Lil Picard, Al Hansen, Palermo und Ulrike Rosenbach seinen Auftritt nicht entgehen.

Als hätte es damals schon eine Pandemie gegeben, so verhüllt flog Beuys damals mit dem Pan American World Airways flight to New York in die USA; Foto: ©Klaus Staeck und Gerhard Steidl

Die Bandbreite der Aufnahmen – vielfach Schnappschüsse – betrifft viele Bereiche: Beuys im Kaufhaus, Beuys mit Klaus Staeck und Richard Hamilton; mit Staeck in Chicago, Beuys – dann mal mit Schlägermütze statt mit Filzhut – Beuys bei einer Diskussion in London, schließlich auf der documenta 6 in Kassel bei der Installation seiner „Honigpumpe am Arbeitsplatz“; Beuys im „Museum voor Hedendaagse Kunst“ im flämischen Gent, oder mit Rolf Staeck, dem Bruder von Klaus Staeck, im Atelier bei der Herstellung seiner „Multiples“.

Klaus Staeck wiederum, lange bevor er Präsident der Akademie der Künste und Wissenschaften wurde, hatte damals mit dem Verleger Steidl Beuys-Sprüche als Multiples wie „Wer nicht denkt, fliegt raus“ herausgebracht.

„Wenn ihr alle meine Multiples habt, dann habt ihr mich ganz“, kommentierte Beuys seine preiswerten Auflagenobjekte. Er setzte sie neben seinen Kunstwerken ein, um sein Denken und Handeln in die Gesellschaft zu tragen und dort wirksam werden zu lassen. Sie sollten nach Beuys‘ Ansicht der Umgestaltung und Gesundung des erkrankten gesellschaftlichen Körpers dienen.

Schließlich sehen wir „dä Jupp“ auch in der Düsseldorfer Kunstszene zum Beispiel mit Nam June Paik, dem koreanischen Happening-Künstler und Pionier der Videokunst, mit dem berühmten Fotografenpaar  Bernd und Hilla Becher, mit dem Kunstakademie-Professor Klaus Rinke, der demonstrierte, wie man Kunst mit Energie und Rheinwasser verbindet, aber auch mit dem Schriftsteller Heinrich Böll, dann mit seinem legendären Galeristen Alfred Schmela, mit Henning Christiansen und seinem anderen wirkungsvollen Galeristen René Block in der Hamburger Kunsthochschule.

Nicht zuletzt erleben wir in diesem prallen Foto-Buch den Umtriebigen auch in seinem Wohnatelier am Drakeplatz 4 in Düsseldorf-Oberkassel bei der Lektüre des Westfalenblatts. Natürlich darf auch der Künstler nicht fehlen, der den Schalk im Nacken hatte, so, als das langjährige SPD-Mitglied Klaus Staeck sich öffentlich von seinem alten Freund Beuys distanzieren musste, weil der sich damals für die ersten „Grünen“ engagierte. Auf einer Eröffnung hat er ihn wohl als seinen politischen Gegner beschimpft, um diesen Ausspruch auf Verlangen von Staeck sogleich schriftlich festzuhalten und als Multiple in die künstlerische Arbeit mit der Aufschrift „Klaus Staeck ist mein politischer Feind“ zu überführen.

Auf den chronologisch zusammengestellten umkommentierten Fotos wird förmlich sichtbar, dass etliche seiner Arbeiten wie Sprechakte funktionieren – die mit Kreide auf eine Tafel geschriebenen Worte und Redensarten werden wörtlich genommen, materialisieren sich, aus ihnen werden Taten oder besser Aktionen. Bei dem inzwischen hochprofessionalisierten Kunsthandel heute wirken etliche der festgehaltenen Szenen wie aus der Zeit gefallen. Dennoch geben sie etwas von der ungeheuer anregenden Szene wieder. Damals wurde noch vieles kreativ ausprobiert und noch war nicht alles marketingmäßig perfekt für den Markt vorbereitet. Das hat zweifellos auch zahlreiche zeitgenössische Künstler inspiriert.

Endpunkt und Abschluss des Foto-Buchs bildet die Verleihung des Lehmbruck-Preises in Duisburg am 12. Januar 1986 kurz vor seinem Tod, zweifellos für den Künstler einer der Höhepunkte seiner Karriere. Für Beuys war die Beziehung zu dem „Plastiker“ Lehmbruck eng mit seiner eigenen Entscheidung verbunden, sein ursprüngliches Studium der Naturwissenschaften aufzugeben und sich stattdessen der Kunst zu widmen.

Unverkennbar sein Outfit und die Faszination des Gegenüber, das er 1974 in Minneapolis fixiert; Foto:©Klaus Staeck und Gerhard Steidl

Blättert man in dem dicken Wälzer „Beuys-Book“ – wohl eine Anspielung auf den Darmstädter „Beuys-Block“ – mit dem beuys-typisch grauem Einband und all den lediglich chronologisch geordneten Schnappschüssen, so taucht aus der Erinnerung immer wieder dieselbe Frage auf: War der rastlose Joseph Beuys – gleich ob mit Anglerweste, mit Filzhut oder ohne –, geradezu als mystischer Hirte mit dem Schäferstab, ein Schamane und unermüdlicher Propagandist eines erweiterten Kunstbegriffs, oder war er vor allem ein großer Kommunikator seiner selbst, der es geschafft hat, allein aus seiner Person eine Stilikone zu machen?

„Ich ernähre mich durch Kraftvergeudung“, lautet sein paradoxaler Satz, den er häufig wiederholte und in seiner unnachahmlichen Handschrift niederschrieb. Wie auch immer, etliche seiner Zeitgenossen sagen, er sei auf jeden Fall faszinierend gewesen, weil er seine theoretischen Prinzipien auch gelebt und sich dabei verausgabt habe, bei ihm seien Leben und Arbeit jedenfalls vollständig zur Deckung gekommen. Das kann man nicht von jedem behaupten.

 

Klaus Staeck, Gerhard Steidl
Book Beuys
Steidl Verlag, Göttingen, 2012
736 S., geb., 28 Euro
www.steidl.de

→ Beuys – eine Kunst-Montage. Kino-Premiere in Frankfurt

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