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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Die heimliche Freiheit – Eine Reise zu Irans starken Frauen“ von Ulrike Keding

Irans Zukunft ist weiblich – Der Blick hinter den Schleier

Von Hans-Bernd Heier

40 Jahre nach seiner Gründung wirkt der diktatorische Gottesstaat Iran von außen betrachtet ziemlich stabil. Die islamistische Ideologie scheint alle Bereiche des Lebens zu prägen. Außenpolitisch setzt der Iran seine geostrategischen Interessen in Jemen, Syrien und Irak massiv durch. Gibt es Hoffnung auf Veränderungen hin zu Frieden und Freiheit?

©Verlag Herder

In dem soeben erschienenen Buch „Die heimliche Freiheit – Eine Reise zu Irans starken Frauen“ spürt die Journalistin Ulrike Keding diesen Fragen intensiv nach. Sie hat sich deshalb mehrfach auf die Suche nach dem anderen Iran gemacht. Vor allem die Frauen, die sie beim Couchsurfing kennenlernt, geben ihr Hoffnung. Denn sie gehen mutig und selbstbewusst ihren eigenen Weg und setzen sich von der männlich geprägten Staatsdoktrin ab. Sie repräsentieren eine junge Generation westlich orientierter Iranerinnen und streben nach Freiheit.

Ulrike Keding als Couchsurferin zu Irans starken Frauen; © Ulrike Keding

Bei ihren engagierten, nicht ungefährlichen Recherchen ist die Autorin zu dem Ergebnis gelangt: Irans junge Frauen sind clever und dynamisch. Sie haben Humor, einen umwerfenden Charme und ihr Geist ist von Widerstand geprägt, aber sie bestimmen nicht die Politik – noch nicht.

Mit modernen Großstädterinnen, Tschador-Trägerinnen, Kurdinnen und Nomadinnen hat Ulrike Keding zahlreiche Gespräche geführt. Herausgekommen ist ein farbiges Kaleidoskop mitreißender Porträts, die laut Autorin „deutlich machen, dass wir Iran und seine Menschen nicht aufgeben dürfen“. Ihr Buch hat sie „allen jungen Menschen im Iran gewidmet, die im Aufbruch sind und das Gesicht dieses Landes prägen werden“.

Couchsurfing auf dem Perserteppich. „Auf dem Boden sind wir uns näher als am Tisch“; © Ulrike Keding

Ulrike Keding, Jahrgang 1963, hat Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft studiert. Sie ist ausgebildete Rundfunk- und Fernsehredakteurin und arbeitet als freie Journalistin. Für ihre Reportagen hat sie mehrmals den Iran bereist.

Interview mit Ulrike Keding

Hans-Bernd Heier: Frau Keding Sie haben den Iran mehrmals bereist. Woher rührt Ihr Interesse an diesem Land?

Ulrike Keding: Die Frau unterm Schleier, Journalisten hinter Gittern, Mullah-Diktat: Kaum ein Land ist im Westen von solch düsteren Vorurteilen überladen wie der Iran. Gerade das reizt mich. Gerade in diesen Teil des Orients wollte ich ziehen und erfahren, wie es wirklich ist.

Sie haben Ihre Reisen über das Couchsurfing-Portal vorbereitet, war das nicht gefährlich, da Couchsurfing im Iran nicht legal ist, und Sie als Journalistin zudem incognito gereist sind?

Ich bin ein neugieriger Mensch mit Entdeckungsgeist. Deshalb bin ich wahrscheinlich Journalistin geworden. Journalisten zählen im Allgemeinen nicht zu der ängstlichen Sorte Menschen. Das geheimnisvolle, das Besondere, das Unbekannte finde ich spannend. Mit einem Pressevisum hätte ich dieses Buch nicht schreiben können, da ich ständig unter Beobachtung eines Presse Attachés gestanden hätte. Die Iranerinnen hätten sich mir gegenüber auch nicht geöffnet. Couchsurfing in Iran befindet sich in einer Grauzone: Es ist „halblegal“, obwohl es offiziell nicht erlaubt ist. Das Regime drückt in vielen Dingen auch ein Auge zu. Sie wissen ganz genau, wie beliebt es bei der Bevölkerung ist.

Ein Clan zwischen Tradition und Moderne; Neujahrsfeier in Shiraz; © Ulrike Keding

Als Ausländerin alleine über tausende von Kilometern quer durchs ganze Land zu reisen, war doch wohl ziemlich riskant. Haben Sie dabei viele brenzlige Situationen erlebt?

Nein, was soll dabei riskant gewesen sein? Es gehört zu den Vorurteilen, dass man denkt, Touristinnen, zu denen ich offiziell zählte, reisen unsicherer durch den Iran als durch die Schweiz. Das Gegenteil ist der Fall. Die Iraner sind sehr hilfsbereit und man bleibt niemals alleine. Man muss noch nicht einmal fragen, wo der Weg langführt. Sie kamen von selbst auf mich zu. Die Busfahrten sind ein Spaß, weil man von den Passagieren Plätzchen und Bonbons angeboten bekommt. Mein persönliches Risiko bestand darin, dass es hätte auffliegen können, dass ich als kritisch hinterfragende Journalistin durch das Land reise. Es gab eine brenzlige Situation bei einer Buskontrolle durch die Polizei, die mich besonders ins Visier nahm. Die Ashura-Zeremonie, die Trauerparade für den vor über tausend Jahren verstorbenen Imam Hussein, hätte ich lieber nicht fotografieren sollen. Die Polizei in der nordiranischen Großstadt Ardabil hatte mich daraufhin verfolgt, aber es ist glimpflich ausgegangen.

Viele der Frauen, die Sie gesprochen haben, äußern sich sehr kritisch zu der männerdominierten Mullah-Diktatur. Halten Sie es für wahrscheinlich, dass es wieder zu Massendemonstrationen wie im November 2019 oder gar zu einer neuen Revolution kommt?

Zu Demonstrationen wird es immer wieder kommen. Zu einer neuen Revolution? Das ist die Gretchenfrage. Die Menschen tragen ein großes Risiko dabei. Es würde viel Blutvergießen hervorrufen. Die meisten Iranerinnen und Iraner, die ich getroffen habe, haben Angst davor. Man kann sie verstehen. Leider gibt es auch keine organisierte Opposition, weil das Regime diese nie zulassen würde. Die iranischen Bürger können sich nicht selbst in die Anarchie stürzen. Sie wüssten nicht, wer als Folgeregierung antreten würde. Die Situation ist sehr komplex.

Großstädterinnen in Teheran; © Ulrike Keding

Zum ersten Mal haben Sie den Iran im Jahre 2016 bereist und zuletzt 2019, sind in der Zwischenzeit die starken Frauen im Streben nach Freiheit vorangekommen?

Ja, aber der Austritt von US-Präsident Trump aus dem Atomabkommen im Mai 2018 hat den Frauen wieder einen Strich durch die Rechnung gemacht – natürlich auch den Männern in ihren ökonomischen Bestrebungen. Nun lässt der neue US-Präsident Joe Biden wieder Hoffnung aufflammen, weil er zum Nuklearvertrag zurückkehren möchte. Dieser verschafft den Frauen im Iran mehr Freiheit.

Das Kopftuch-Tragen ist auch im Iran ein heiß diskutiertes Thema. Viele wenden sich dagegen, wie die Frauenbewegung „Weißer Mittwoch“. Welche Erfolgschancen haben Ihrer Meinung nach diese Demonstrantinnen?

Das Kopftuch ist einer der wichtigsten Säulen der Islamischen Republik. Die Mullahs haben daher unheimlich Angst vor der Offensive der Frauen. Dennoch werden sie den Frauen keine politische Macht zubilligen, solange Islam und Staat nicht getrennt sind.

Moderne Musliminnen – Die Mutter hat Jura studiert, die Tochter Film und Philosophie © Ulrike Keding

Können sich die Frauen in diesem erzkonservativen patriarchalischen System überhaupt Freiraum verschaffen?

Ja, sie sind sehr kreativ, die offiziellen Vorgaben zu umgehen und sich „heimlich“ Freiheit zu verschaffen. Dabei sind mir die unglaublichsten Überraschungen passiert, die ich in meinem Buch schildere. Deshalb ist es streckenweise zu einer Abenteuergeschichte geworden, besonders im wilden Kurdistan.

Kurdische Hochzeit; © Ulrike Keding

Erfolgreich sind die jungen Iranerinnen wohl im Bildungsbereich, denn rund 70 Prozent der Studierenden sind Frauen. Auch sind bereits einige in Top-Positionen in der Wirtschaft angekommen. Aber wie sieht es im politischen Sektor aus?

Da stehen die Karten schlecht. Es gibt nur 14 weibliche Abgeordnete im Parlament. Der Wächterrat wählt ja vorab die Kandidaten aus. Deshalb handelt es sich ja auch um eine Diktatur und keineswegs um eine Demokratie. Der Wächterrat lässt einfach kaum Frauen zu.

Nachdem Trump das Atomabkommen aufgekündigt hat, verhängte er anschließend wieder Sanktionen gegen den Iran, unter denen insbesondere die arme Bevölkerung schrecklich leidet. Sehen Ihre Gesprächspartnerinnen Joe Biden, den künftigen Präsidenten, als neuen Hoffnungsträger, der das Nuklearabkommen wieder erneuert und die Sanktionen zumindest lockert?

Sie sehen in Joe Biden einen Hoffnungsträger, aber leider können sie die Hoffnungen nicht allzu hoch hängen. Dem neuen US-Präsidenten und dem reformorientierten iranischen Staatspräsidenten Hassan Rohani sind Steine in den Weg gelegt worden. Der kürzliche Mord an dem iranischen Atomwissenschaftler Mohsen Fachrisadeh, vermutlich von Israel aus lanciert, erschwert die Rückkehr zu diplomatischen Verhandlungen. Außerdem ist das Vertrauen auf verlässliche Zusagen der USA – dank Trump – dahin.

Am Ende Ihrer Reise zu Irans starken Frauen schreiben Sie: „Iran hat etwas Magisches. Deshalb habe ich Heimweh“. Was hat Sie bei Ihren Reisen am meisten beeindruckt?

Für die Iraner ist man als Fremde die Königin in ihrem Land. Die Iranerinnen und Iraner rollen den roten Teppich für ihre Gäste aus. Deshalb finde ich die Vorurteile aus rechtsgerichteten Kreisen gegen Muslime nur dümmlich, besonders seit ich den Iran so gut kennengelernt habe. Sie sollten alle in islamische Länder im Mittleren Osten reisen und deren warmherzige Gastfreundschaft erleben – und sie würden ihre Meinung ändern.

Frau Keding wir danken Ihnen für das Gespräch

Ulrike Keding: „Die heimliche Freiheit – Eine Reise zu Irans starken Frauen“, Verlag Herder, Klappenbroschur, 224 Seiten; ISBN: 978-3-451-38569-8 – Preis: 20 Euro; auch als E-Book für 15,99 Euro erhältlich.

Weitere Informationen zu Lesungen und zum „Salonfestival“ unter: www.ulrikekeding.de

 

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