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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Wenn Steine sprechen – Die Restaurierungswerkstatt des Archäologischen Museums

Von Trümmern, Gräbern und Gelehrten 

Ins Steindepot der Stadt Frankfurt mit Thomas Flügen

Von Petra Kammann

Irgendwo zwischen Baustellen, dem Mediamarkt und dem Möbeldiscounter Poco, dem Autohaus Subaru, Carglass und Mac Donalds, dem Hessen-Center und einem runtergekommenen Jugendzentrum lagern im industriell geprägten Frankfurter Osten in einer ehemaligen Industriehalle mehrere Jahrtausende Menschheitsgeschichte in Fragmenten. Die Funde im Steinarchiv der Stadt Frankfurt erzählen vom Alltag der Menschen und liefern Details über das gesellschaftliche Zusammenleben verschiedener Epochen…

Wächst Gras darüber… Die Schätze müssen erst wieder befreit werden; Alle Fotos: Petra Kammann

Die Borsigallee ist alles andere als eine elegante Flaniermeile. Gleich gegenüber der U-Bahn-Haltestelle Gewinnerstraße an der Borsigallee 8, wenn man die Baustellen passiert hat, führt ein Weg durch einen ungewöhnlichen Backstein-Beton-Bau aus der Zeit der Postmoderne seitlich entlang von blauen Torbögen in einen eigenartigen Hinterhof, der auf den ersten Blick wie ein Abladeplatz für Gerümpel wirkt. Aber das täuscht. Dort liegen im Freien und teils auf Paletten tonnenschwere Sarkophage, Relikte aus der Römerzeit, angefressene, vom Unkraut und Moos überwachsene Gartenskulpturen herum, auch Friese, Mörser, Mühlen, Keramikscherben, riesige Glocken. Fragmente und Relikte, die den Weg in das Archäologische Museum finden werden. Vorher aber noch wartet auf sie noch auf eine weitere Bearbeitung im Depot. Im Außendepot an der Borsigallee gibt es nämlich für die Steinrestaurierung einen 200 m² großen Werkstattraum. Die Ausstattung mit Mikroskopen, Schleifgeräten und Absaugen an den meisten Arbeitsplätzen mit speziellen Beleuchtungen ermöglicht dort ein ganz präzises Arbeiten an den Objekten.

Thomas Flügen, der Steinrestaurator des Archäologischen Museums, Foto: Petra Kammann

Denn: Hier muss nun mal akribisch gearbeitet werden. Wie können wir sonst Rückschlüsse auf das Leben früherer Zeiten ziehen, wenn schriftliche Dokumente fehlen? Dann müssen sich die Spuren, die sich in das Gedächtnis der Dinge eingeschrieben oder -gegraben haben, auf andere Weise erschlossen werden. Natürlich ist die Vergangenheit von Menschen doch auch ein riesiges Puzzle, das wir auf vielfältige Art wieder neu zusammensetzen müssen, wenn wir Näheres wissen wollen. Zunächst einmal die Einzelteile aus dem Boden ausgraben, sie dann von den Einwirkungen der Verwitterung oder gar der Vernichtung wieder befreien, und so auslegen, dass es ein Bild vom Ganzen ergibt. Das ist keine ganz leicht Aufgabe. Denen, die professionell nicht damit betraut sind, fehlt es oft an Vorstellungskraft, in den Relikten – vor allem in den Scherben – etwas Besonderes oder gar etwas Ganzes zu sehen. Erst wenn Stück für Stück wieder zusammengesetzt werden, bekommen die meisten die Spur einer Ahnung von der ursprünglichen Form.

Die Fundstücke gesammelt und strukturiert in Regale gepackt  – Blick in die Lagerhalle

Hinter einer Eisentür, hinter der sich unter einem Sheddach einer ehemaligen Industriehalle auf rund 200 Quadratmetern das geschützte Lager des Archäologischen Museums befindet, wartet schon der Steinrestaurator Thomas Flügen, um durch die Sammlung zu führen. Schon der erste Eindruck in der geräumigen Halle ist überwältigend: streng systematisch geordnet liegen hier Mühlsteine, Säulen, tonnenschwere römische Altäre, Grabplatten aus Sankt Leonhard, Kreuzigungsgruppen vom Petersfriedhof, Gartenskulpturen aus den barocken Sommerresidenzen am Main von früheren großbürgerlichen Frankfurter Familien, Wappensteine, auch die von Thurn und Taxis, solche aus Kirchen,  Gedenksteine aller Art, Hausmadonnen, der Originalbrunnen vom Liebfrauenberg, Kaminfassungen und Sühnenkreuze, daneben Ansichten von der Stadt, Urnen und Steinkisten mit vorsortierten Scherben.

Auch ein Goethe-Abdruck im Regal

Das alles lagert dort und noch viel mehr: ein riesiger Goethe-Kopf zum Beispiel – wohl eine Abformung von David d’Angers Plastik aus dem Quai d’Orsay, dann schaut einen Karl der Große gleich in seiner Urform an. Persönlichkeiten wie Justus Liebieg und Albert Schweitzer grüßen aus den hohen Regalen sowie diverse Honoratioren aus der Frankfurter Stadtgesellschaft, und etwas versteckt, – man glaubt es kaum – sogar eine Büste von Adolf Hitler. Die Büstensammlung wiederum stammt aus dem Historischen Museum, das mit dem Archäologischen Museum kooperiert, erklärt der Steinrestaurator Thomas Flügen.

Alles, was hier in der Borsigallee angeliefert wird, gleich ob aus Grabungen, Schenkungen oder Ankäufen, sei oft in einem unansehnlichen Zustand, sagt der Restaurator. Und weil es dazu häufig auch noch in seinem Bestand gefährdet sei, müsse man zuallererst einmal die Funde konservieren. Nur so lasse sich der Verlust der Objekte und der mit ihnen verbundenen Informationen verhindern. Erst dann erfolgt die eigentliche Restaurierung oder gar eine Rekonstruktion.

Prächtig sieht zum Beispiel schon eine Platte aus, die in Sankt Leonhard, einer der ältesten romanischen Kirchen der Frankfurter Innenstadt aus dem 13. Jahrhundert mit gotischer Bausubstanz, gefunden wurde. Wie sie hierher gelangt ist? Da St. Leonhard nah beim Mainufer liegt, das immer wieder durch Hochwasser geflutet wurde, hatte man um das Jahr 1500 das Bodenniveau um 2,00 Meter angehoben, zu Beginn des 19. Jahrhunderts dann um weitere 0,90 Meter.

Grabplatte aus St. Leonhard

Allerdings wurde die Anhebung nicht etwa nur mit Erde aufgefüllt, sondern auch mit religiösen Gegenständen und sakralen Kunstwerken, die aus Pietät nicht weggeworfen werden durften. Auch zahlreiche Kleinfunde wurden im neuen Fundament der Kirche „bestattet“. Zwischen 2009 und 2014 war diese Aufschüttung im Rahmen archäologischer Ausgrabungen an der Leonhardskirche abgetragen und untersucht worden. Kunstwerke, Grabplatten und Gebeine oder Relikte von Gräbern, die bei dieser Gelegenheit zutage traten, wurden im vergangenen Jahr dann unter dem Titel „Schätze aus dem Schutt“ im „Haus am Dom“ in einer bemerkenswerten Ausstellung präsentiert.

Frankfurter Malergrab aus römischer Zeit

In einer Ecke der Halle wurde eine kleine Werkstatt mit Werkzeug nachgebaut, in der auf eine Frankfurter Besonderheit hingewiesen wird: Hier, in einem Gräberfeld der Römerstadt Nida, dem heutigen Frankfurt-Heddernheim, wurde ein römisches Brandgrab und dort auch ein Malergrab entdeckt. Da konnten im Grabfund sogar die Farbpigmente nachgewiesen werden. Der Ruf des Malergrabs reiche sogar bis nach Pompeji, sagt Flügel voller Stolz. Demnach müssen Maler im Rhein-Main-Gebiet eine größere Bedeutung gehabt haben. Vielfach wurden die Skulpturen auch bemalt. In antiken Gräbern gehören berufsspezifische Grabbeigaben zu den selteneren Funden. Etwas häufiger entdeckt man zum Beispiel Hinweise auf Ärzte, wie etwa der Fund eines Arztbesteckes aus Bingen dokumentiert. Das Grabinventar befindet sich heute in der Dauerausstellung zu Nida-Heddernheim im Archäologischen Museum Frankfurt.

Die rekonstruierte Werkstatt mit Steinbildhauerwerkzeugen, Knüppeln und Knöpfen

Bei den Bodendokumenten wiederum geht es zunächst einmal darum, sie überhaupt „lesbar“ zu machen. Deswegen muss, soweit dies möglich ist, die Originaloberfläche erst einmal freigelegt werden. Da bei dieser Prozedur häufig etwas verloren geht, ist deshalb eine gründliche Dokumentation mit Fotos, Zeichnungen und eventuell auch mit Röntgenbildern erforderlich. Dabei werden die einzelnen Arbeitsschritte festgehalten.

Auflagerungen werden dann ebenso erfasst wie technische Details, die ggfs. nach der Restaurierung nicht mehr zugänglich und sichtbar sind. Nach der Bestandsaufnahme wird schließlich ein Restaurierungskonzept entwickelt, das ständig an die jeweiligen Gegebenheiten angepasst werden muss. Bei komplexeren Situationen ist man dabei auf eine interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Geistes- und Naturwissenschaftlern sowie mit Grafikern oder Grabungstechnikern, bisweilen auch auf Handwerker angewiesen.

Grundlage der Museumsarbeit ist der Sammlungsbestand, mit dem die verschiedenen Abteilungen arbeiten. Er muss bewahrt und dokumentiert werden, um erforscht werden zu können, so dass die gewonnenen Kenntnisse dann weitergegeben werden können, sei es mithilfe von Publikationen, durch Ausstellungen oder museumspädagogischen Projekte. Die unterschiedlichen Untersuchungen wiederum ermöglichen, dass die Objekte in einen größeren Zusammenhang gebracht, technische Details mit verschiedenen Methoden sichtbar gemacht, Herstellungstechnik nachempfunden oder auch neue Materialien entwickelt und erprobt werden können.

Das Gedächtnis der Stadt freilegen

Aber wie erkennen wir denn, aus welcher Zeitschicht solche Relikte stammen? „Wenn Gefäße aus römischer Zeit stammen, dann erkennt man das sofort an der Art der Scherben“, sagt Flügen mit kennerischem Blick. Die lassen sich ebenso leicht datieren wie Münzen und Inschriften. Und wir haben hier natürlich den Spezialisten. Der Kustos für provinzialrömische Archäologie und Leiter der Werkstatt Dr. Carsten Wenzel hat sich vor allem mit den Römerzeichnungen beschäftigt.“

In einer Stadt wie Frankfurt, wo ständig so viel gebaut wird, stehen Projekte oft unter großem Zeitdruck, da wird vieles schnell weggebaggert wie zum Beispiel bei der Altstadtgrabung oder bei der Freilegung der Judengasse. Und da muss dann schnell gehandelt werden, um die Funde zu sichten und die damit verbundenen Erkenntnisse nicht zu verlieren.

Wenn aus Scherben wieder ein Kochgeschirr wird … Dr. Thorsten Sonnemann, der derzeit für das Projekt METHhub arbeitet, erläutert die römischen Funde

Aber können wir denn überhaupt aus Scherben oder ähnlichen Funden Rückschlüsse auf das Leben der Menschen in früheren Zeit ziehen? Viele Materialien wie Stoff und Holz haben sich in der Regel in der Erde aufgelöst. Doch manchmal gibt es eben auch Überraschungen. So hat Flügen behutsam eine Urne von Erde und Staub befreit, dann minutiös untersucht und dabei eine überraschende Entdeckung gemacht. In den Resten des Mörtels, der den Deckel und den Trog der Urne zusammengehalten hatte, fand Flügen Abdrücke von Stoffresten.

Ein solches Glück erlebt ein Archäologe natürlich nicht alle Tage. Nur allzu oft ist viel Geduld gefragt. „Mit der Entdeckung der Stoffspuren konnten wir nachweisen, dass die Römer die Überreste einer Leiche nach der Verbrennung nicht einfach zusammengefegt in die Kiste legten, sondern handverlesen und in ein Tuch verpackt hineingaben“, ergänzt Flügen nicht ohne Stolz. „Das war schon ein besonderer Befund.“

Auf archäologischen Ausgrabungen werden aber nicht nur „Highlights“ konserviert und restauriert. So hängt in der Werkstatt von Thomas Flügen auch ein sogenanntes Lackprofil, d.h. ein naturgetreues Abbild der obersten 1 bis 2 Meter eines Bodenprofils – eine einzigartige Form der wissenschaftlichen Dokumentation. Mit Lackprofilen können archäologische Funde konserviert werden. Darin lassen sich Scherben von Keramikgefäßen, Tierknochen oder Metallobjekten konservieren.

Und dann sehe ich an der Wand im Arbeitszimmer von Thomas Flügen ein Bild, das an Anselm Kiefers Tableaus erinnert und in einem zeitgenössischen Kunstmuseum hängen könnte.

Sieht aus wie ein Kunstwerk, ist aber ein Bodenlackprofil. Es bringt es an den Tag, was in der Erde steckt

Flügen erläutert das äußerst aufwändige Verfahren der Herstellung und Bearbeitung von Lackprofilen bis hin zu einem ausstellungfähigen Objekt als Ergebnis einer Kooperation zwischen dem Archäologischen Museum Frankfurt und dem städtischen Denkmalamt. Da sind Restauratoren und Grabungstechniker zunächst im Schutzanzug und mit Atemmaske tätig, um die bereits freigelegten Bodenprofile zu bearbeiten. Diese werden dann mit einem Kunstharzprodukt beschichtet und getrocknet, bevor die Vorderseite erstmals sichtbar wird. Nach dem Abtransport in die Werkstatt wird diese bereinigt, lose Kiesel und ähnlich reliefartige Gebilde werden abgenommen und restauriert. Schließlich wird das Ganze in einen Rahmen gefasst und gleichmäßig an den Seiten und am Boden beschnitten.

So wurden im Zentrum der römischen Stadt Nida, die sich in den heutigen Gemarkungen Heddernheim und Praunheim befand, ein neu entdeckter Tempelbezirk mit mindestens fünf Tempeln freigelegt. Neben mehreren ehemals repräsentativen Steingebäuden stieß man zudem auf weitere Zeugnisse der religiösen Verehrung zur Römerzeit. Dazu gehören auch Kultgruben aus dem zweiten Jahrhundert nach Christus, die in einem bisher noch nicht erforschten Zusammenhang mit religiösen Handlungen innerhalb der Tempelanlage stehen. Die erstellten Lackprofile sind nun für die Zukunft konserviert und ihr Zustand zeigt unverändert ihren Inhalt und ihre Struktur, auf die man sich später beziehen kann.

Profilschnitte durch römische Gruben: Flügen erläutert, wie ein Lackprofil vor der Bergung hergestellt wird 

Die Lackprofile dienen dazu, Bodenprofile zu sichern. Das Bodenprofil wiederum wird aufgegraben, bodenkundlich untersucht, dann vorsichtig von der Profilwand abgenommen und auf eine mit Kleber bestrichene Trägerplatte gelegt. Durch geeignete Präparation der Erdschichten lassen sich auf diese Weise komplexe Befunde anschaulich darstellen.

Dann wird das fast fertige Lackprofil auf die Größe einer Trägerplatte zugeschnitten und anschließend präpariert, indem lockere Teile festgeklebt und Lücken mit Originalmaterial geschlossen werden. Wenn das Profil ausgehärtet ist, wird die Oberfläche versiegelt und durch die bodenkundliche Profilbeschreibung und die Laboranalysen dokumentiert, so dass man auch nach Jahren noch auf die mit Funden getrüffelten Erde zurückgreifen kann.

Aus diesem Vorgang erschließt Flügen auch die Charakterisierung seiner eigenen Arbeit und greift auf ein Bild aus der Kriminalistik zurück, wenn er sagt: „Ich gehöre zum technischen Dienst, der an den Tatort führt und versucht, Zusammenhänge am Objekt darzustellen. Die Geschichte aber wird in den historischen Kontext eingebunden und erzählt. Und das macht der Kommissar, sprich: die Archäologen schreiben die Geschichte.“

Thomas Flügen, der nach der Schule eine Ausbildung zum Chemielaboranten absolvierte und sich dabei Wissen aneignete, das ihm bei seinen heutigen Aufgaben immer wieder zupass kommt, hatte schon als Junge ein Interesse für Archäologie. Aufgewachsen ist er in Mainz, wo er bei vielen Großausgrabungen, die ihn faszinierten, zuschaute.

Als er nach seiner Ausbildung beim Zivildienst fast zwei Jahre lang bei der Archäologischen Denkmalpflege in Mainz arbeitete und dort den Restaurator kennengelernt hatte, war für ihn klar, dass es genau das war, was er künftig gerne machen wollte. Das systematische und strukturierte Denken, das hat er als Voraussetzung aus seiner Ausbildung mitgebracht, was für seinen heutigen Beruf als Restaurator hilfreich ist.

Erstaunlich, wie fein die Werkzeuge vor mehreren Tausend Jahren schon ausfielen

Inzwischen beschäftigt er sich auch mit Metallen, dem mit Kupfer und den Eisenfunden des Rhein-Main-Gebiets, war es doch das erste Metall, das die Menschen bereits am Ende der Jungsteinzeit nutzten, um Werkzeuge und Schmuck herzustellen. Eines jedenfalls ist klar. Der Boden im Rhein-Main-Gebiet hält auch für die nächsten Jahre viel Arbeit für ihn bereit. Denn der Boden steckt noch voll ungehober Schätze.

 

 

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