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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Erinnerungskultur: Fragmente jüdischer Geschichte im Archäologischen Museum

Steine als stumme Zeugen

von Petra Kammann

Eilig gemachte Schwarzweiß-Fotos von der brennenden Synagoge am Börneplatz im November 1938 bilden den Hintergrund einer Ausstellung im Archäologischen Museum. Nur ein einziges farbiges, wenn auch kein realistisches Bild gibt es vom prächtigen Gotteshaus, das Max Beckmann 1919 gemalt hat und das heute im Frankfurter Städel hängt. Ein Jahr nach dem Ersten Weltkrieg hat der desillusionierte Kriegsheimkehrer Beckmann die Synagoge mit ihrem übergroßen, von innen grün beleuchteten Zwiebelturm dargestellt. Über dem dazugehörigen Eckgebäude mit den fünf klassizistischen Fenstern schimmert das Morgenrot. In der es umgebenden Stadtlandschaft scheint gerade alles zu kippen…

Ein Trümmerhaufen – Was vom „Allerheiligsten“ übrigblieb, Foto: Petra Kammann

Wenn selbst auch eher ungläubig, so vermittelt uns der Maler Max Beckmann, der zwischen 1915 und 1933 in Frankfurt lebte und hier etliche Stadtansichten malte, mit diesem Bild eine Idee von der imposanten Bedeutung der Synagoge am Eingang zum damals lebendigen Judenviertel, auch wenn ein Augenmerk  auf diesem Gemälde den Nachtschwärmern und Heimkehrern vom Karneval gilt – seinen Künstler-Freunden Ugi und Friedel Battenberg, die den schwarz gekleideten Maler durchs völlig schiefe, aus dem Lot geratene städtische Umfeld nach Hause begleiten.

Dr. Wolfgang David, der Leiter des Archäologischen Museums bei der Erläuterung der Dokumente von der Börneplatz-Synagoge, auf die sich die Forscher beziehen konnten, Foto: Petra Kammann

Die damals größte Synagoge gibt es nicht mehr. In der Pogromnacht im November 1938 wurde sie von den Nationalsozialisten niedergebrannt und nach der Bombardierung Frankfurts während des Zweiten Weltkriegs restlos zerstört. 82 Jahre nach der Brandstiftung wurde am 10. November 2020 nun zunächst im Archäologischen Museum in einem Gedenkakt der Synagoge am Börneplatz gedacht. Dort im Museum nämlich sind ab sofort die Marmorbruchstücke des bei der Zerstörung des Gotteshauses später gewaltsam zerschlagenen Thoraschreines zu sehen, die von einem besonders barbarischen Akt zeugen.

Fragmente der Thora-Schrein-Fassung sortiert, die in den Kellerräumen der früheren Synagoge gefunden wurden, Foto: Thomas Flügen

Mit den Fragmenten der eigentlich kostbaren Marmorsteine, die man auch hätte woanders verbauen und sie sogar verkaufen können, wie zum Beispiel mit den Sandsteinen der Außenmauern geschehen, die teils heute den alten jüdischen Friedhof in der Battonstraße umfrieden, der zeitweise als Schuttabladeplatz genutzt wurde, wurden jedoch nur die Kellerräume der ehemaligen Synagoge verfüllt.

Für Marc Grünberg, den Kulturdezernenten der Jüdischen Gemeinde, verweist die bewusste Zerstörung der Reste des großen Schreins auf noch brutalere Verbrechen, die den Novemberpogromen folgten. In der Lade oder dem Schrein wird nämlich traditionell im Judentum die Thora, die heilige Schrift, gewissermaßen das Allerheiligste, „das man nicht einmal küssen darf“, aufbewahrt.

Marc Grünberg, der Kulturdezernent der Jüdischen Gemeinde, erläutert die Bedeutung des Schreins, Foto: Petra Kammann

1987 und 1990 waren bei archäologischen Ausgrabungen die steinernen Reste in den mit Schutt verfüllten Kellerräumen der im Winter 1938/39 abgebrochenen Synagoge entdeckt und später ins Magazin des Archäologischen Museums gebracht worden. Auch schon damals beim umstrittenen Bau des Verwaltungsgebäudes der Stadtwerke stand der besondere Ort zur Diskussion. Inzwischen ist in das Gebäude das Stadtplanungsamt eingezogen. Nur dunkle Zeichen auf dem Boden erinnern an den Ort der einstigen Synagoge.

Drei Jahrzehnte später wiederum wurden die Fragmente in der Restaurierungswerkstatt für Steindenkmäler des Archäologischen Museums in der Borsigallee vom Steinrestaurator Thomas Flügen genauestens untersucht und die Spuren der eiskalten Destruktion festgestellt. In der Ausstellung des Archäologischen Museums hat man nun daher ganz bewusst darauf verzichtet, die Fragmente im Sinne einer versuchten Rekonstruktion sortiert anzuordnen, um die Spuren der Zerstörung sichtbar zu lassen und wollte stattdessen an die Brutalität der Vernichtung dieses auratischen Ortes erinnern.

Die Geschichte der einst prächtigen Synagoge wird im Archäologischen Museum im Zusammenspiel der zertrümmerten kostbaren Marmorsteine und der stark vergrößerten dokumentarischen Schwarz-weiß-Fotografien im Hintergrund sichtbar. Dass hier nicht wie im Foto von Thomas Flügen die Form des ursprünglichen Schreins rekonstruiert angedeutet wird, sondern stattdessen ein Trümmerhaufen zu sehen ist, unterstreicht noch einmal diesen großen Bruch durch die Pogromnacht. Dafür bekommen wir die Spur einer Ahnung von der einst prächtigen 1871 gebauten und 1901 erweiterten Synagoge, die damals für die jüdische Bevölkerung Frankfurts zu klein geworden war. Schatten und Steine sind inzwischen die stummen Zeugen, welche noch einmal an die einstige Bedeutung der jüdischen Bevölkerung in der Stadt erinnern.

 

DER THORASCHREIN DER SYNAGOGE AM BÖRNEPLATZ 

10. November 2020 bis  18. April 2021

Zur Ausstellung erscheint in der Publikationsreihe des Museums eine illustrierte Begleitbroschüre

 

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