Die diesjährigen Chemie-Nobelpreise an die beiden Frauen Emmanuelle Charpentier und Jenny Doudna
Triumpf der Grundlagenforschung. Ein Rückblick
von Renate Feyerbacher
Es heißt, dass Wissenschaftler*innen, die den Paul Ehrlich Preis erhalten, Chancen haben, den Medizin-Nobelpreis zu erhalten. Zuletzt war es der amerikanische Krebsforscher James Allison, der 2015 den Paul Ehrlich – Ludwig Darmstädter Preis in Frankfurt erhielt und drei Jahre später den Medizin-Nobelpreis.
James Allison am 14. März 2015 an der Universität Frankfurt; Foto: Renate Feyerbacher
Mit dem Paul Ehrlich Preis, der seit 1952 verliehen wird, wurde in den ersten Jahren nur die eine oder andere Frau ausgezeichnet. Ab 2007 stand häufiger eine Preisträgerin auf der Bühne der Paulskirche. 2009 waren es auch zwei Frauen, amerikanische Wisssenschaftlerinnen, die den Preis in Empfang nehmen konnten.
Vor vier Jahren erhielten die Französin Emmanuelle Charpentier und die Amerikanerin Jennifer Doudna am 14. März, dem Geburtstag von Paul Ehrlich, den begehrten Preis.
Vier Jahre später, 2020, nur acht Jahre nach ihrer Entdeckung, sehr schnell also, verleiht die Königlich Schwedische Akademie der Wissenschaften am 14. Dezember, dem Geburtstag von Alfred Nobel, in Stockholm den Chemie-Nobelpreis an die beiden Genforscherinnen. Sie sind die sechste und siebte Frau, die einen Chemie-Nobelpreis empfingen. Noch eine Frau konnte sich in diesem Jahr freuen: die Amerikanerin Andrea Chez über den Physik-Nobelpreis.
Bis dato wurde zwölfmal in Medizin, fünfmal in Chemie und dreimal in Physik der Nobelpreis an Frauen verliehen. Marie Curie (1867-1934), Vorbild für Emmanuelle Charpentier, konnte 1903 sowohl den Physik- als auch den Chemie-Nobelpreis (1911) entgegennehmen.
Prof. Dr. Emmanuelle Charpentier und Prof. Dr. Jenny Doudna haben die Genschere Crispe/ Cas9 entdeckt; Foto: Renate Feyerbacher
Die beiden Wissenschaftlerinnen Doudna und Charpentier haben die Genschere Crispe/ Cas9 entdeckt. Eine Forschung, welche die DNA des Menschen entscheidend verändern kann, aber auch die von Tieren und Pflanzen. Eine geniale Entdeckung!
Der Wissenschaftsstandort Deutschland, genauer die Max Planck-Gesellschaft mit Sitz in München, deren Forschungsstellen über ganz Deutschland verteilt sind, partizipiert an der Ehrung wie auch die Charité in Berlin. 2018 gründete Emmanuelle Charpentier gemeinsam mit der Max-Planck-Gesellschaft das Institut dort für die Wissenschaft der Pathogene – ein unabhängiges Institut, das sie auch leitet. Die Stadt Berlin hat Charpentier ein eigenes Gebäude für die Forschungsarbeiten in Aussicht gestellt – ein Anreiz für sie, länger dort zu bleiben.
Auch der diesjährige Physik-Nobelpreis an Reinhard Genzel, den er zusammen mit Andrea Chez und einem Briten erhielt, strahlt auf die Max-Planck-Gesellschaft aus. Genzel ist Direktor des Max Planck-Instituts für extraterrestrische Physik in Garching bei München.
Emmanuelle Charpentier forscht über Bakterien, Pilze, Einzeller und Viren, die Menschen schaden können; Foto: Renate Feyerbacher
Emmanuelle Charpentier, 1968 in Frankreich geboren, studierte in Paris. Als Postdoktorandin ging sie nach New York, als Gastprofessorin nach Wien, dann nach Schweden und lehrte ab 2015 in Deutschland – in Hannover und Braunschweig. 2015 folgte sie dem Ruf als Direktorin ans Max-Planck Institut für Infektionsbiologie in Berlin. Nun ist sie Gründungsdirektorin der Max-Planck-Forschungsstelle für die Wissenschaft der Pathogene.
Unermüdlich war und ist sie wissenschaftlich unterwegs, mit der These „Pathogene Mikroorganismen, Bakterien, Pilze, Einzeller und Viren können Menschen schaden.“ Ihre Auszeichnungen sind vielfältig und sprengen den Rahmen einer Aufzählung. In diesem Jahr wurde sie auch in die „Hall of fame“ der deutschen Forschung aufgenommen.
Am 14. März 2016 begegnete man bei der Pressekonferenz zum Paul Ehrlich-Preis in der Universität Frankfurt einer jung wirkenden Frau, der Starallüren fremd sind und die bescheiden wirkt.
Paul-Ehrlich-Preisträgerin Prof. Dr. Jenny Doudla
Jennifer Doudna, Februar 1964 in Washington geboren, trat mit 30 Jahren an der Yale University eine erste „Assistent“-Professur an, die dann zur ordentlichen Professur wurde. Es folgte eine Gastprofessur an der Harvard University, dann wechselte sie 2003 nach Berkeley, der University of California, an der sie heute noch forscht und lehrt. Auch sie bescheiden, aber intensiv und voller Power. Und wie Charpentier auch, bereits vielfach mit den höchsten Wissenschaftspreisen ausgezeichnet. Sie soll fassungslos und fast geschockt auf den Nobelpreis reagiert haben und Demut bekundet haben.
Doudna und Charpentier lernten sich zufällig in einem Café in Puerto Rico kennen, wo es einen Wissenschaftskongress gab. Sie kamen ins Gespräch und vereinbarten ihre Zusammenarbeit. Charpentier arbeitete damals noch in Schweden.
Doudnas Forschung auf dem Gebiet der RNA, (deutsch RNS = Ribonukleinsäure) war angesehen. Sie wollte herausfinden, welche Rolle die RNA in den Zellen spielt? Es gibt verschiedene Arten von RNA-Molekülen: Manche dienen als Vorlage für die Produktion von Proteinen, andere wiederum steuern die Aktivität von Genen.
„Ich war begeistert von der Idee, chemisches Wissen anzuwenden, um die Biologie zu verstehen. Diese Idee hat mich in meiner späteren Forschung begleitet und dazu geführt, Biochemie zu studieren und die Rolle der RNA in Zellen zu untersuchen“, so Doudna in ihrer Dankesrede in der Frankfurter Paulskirche 2016 (Zitat aus dem Bericht über den Paul-Ehrlich Preis Universität Frankfurt)
Doudnas Wissen war eine wichtige Grundlage für die Arbeit und die Entdeckung der programmierbaren Genschere CRISPR-Cas9. Mit diesem Präzisionswerkzeug können Gene mühelos und mit großer Genauigkeit bearbeitet werden. Ein Beweis, dass Grundlagenforschung zur nützlichen und praktischen Anwendung führen kann.
Das Erbgut von Mikroorganismen von Pflanzen, Tieren und Menschen lässt sich nun mühelos, schnell und präzise verändern. Auch Viren wie zum Beispiel das neue Coronavirus Sars-CoV-2. fällt in den Forschungsbereich. Durch die Genschere wird die Entstehung von Krankheiten erforscht, inzwischen werden bereits auch einige Patienten mit Erbkrankheiten sowie auch mit Krebs behandelt. Das ist alles noch Anfangsstadium.
Genschere CRISPR-Cas9, Foto: Renate Feyerbacher
„CRISPR steht für „Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats“ und bezeichnet einen Abschnitt im Erbgut von Bakterien. Cas9 ist eine sogenannte Endonuklease – also ein Enzym, das DNA schneidet. Bei einer Infektion durch Viren schneiden die Bakterien Stücke aus dem Virenerbgut heraus und bauen es in den CRISPR-Abschnitt ein.
Mit der daraus übersetzten CRISPR-RNA sowie einem weiteren RNA-Molekül können die Bakterien bei einer erneuten Attacke das Erbgut der Viren erkennen, es durchtrennen und die Erreger dadurch unschädlich machen. Das CRISPR- Cas9-System gibt dem bakteriellen Immunsystem auf diese Weise eine Art Gedächtnis.“ (Glossar Max-Planck-Gesellschaft)
Inzwischen wird die Methode vielfach angewandt, aber es ist noch viel Forschungsarbeit notwendig, bevor sie am Menschen angewandt werden kann. So müssen etwa mögliche Risiken noch geklärt werden. Und so kann es trotz präziser Technik passieren, dass die Genschere Fehler macht und das Erbgut an falscher Stelle schneidet.
Wichtig sind auch ethische Fragen, wann CRISPR-Cas9 eingesetzt werden darf. Proteste gab es, als ein chinesischer Forscher das Erbgut menschlicher embryonaler Stammzellen veränderte. Charpentier stellt klar: „Eingriffe in die menschliche Keimbahn beispielsweise, die das Erbgut künftiger Generationen beeinflussen, lehnen die meisten meiner Kollegen und ich selbst auch ab.“
Letztlich ist es Aufgabe der Politik, dafür zu sorgen, dass das gewaltige Potenzial der Genschere nicht zur Erzeugung von Designerbabys missbraucht wird.“ (Aus dem Artikel der Max-Planck-Gesellschaft vom 27.9.2016)
Eine Entdeckung, die allen nur nützen kann.