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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Warum in die Ferne schweifen?“ – Spannende Kunsttour vom „Faulborn“ bis zum „Eisenbaum“

Panoramaweg des Regionalparks RheinMain bietet Natur und Kultur satt

Von Hans-Bernd Heier

Im November sind wegen des coronabedingten Lockdowns Reisen nur eingeschränkt möglich. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sogar von allen nicht notwendigen Reisen abgeraten. Da auch Museen und viele andere Kultureinrichtungen geschlossen sind, sollten sich die BürgerInnen zum aktiven Zeitvertreib etwas einfallen lassen, um dem weitverbreiteten November-Blues zu entgehen. Doch warum in die Ferne schweifen, liegt das Gute oft so nah? Auch im näheren Umkreis lässt sich viel Neues und Überraschendes entdecken bzw. wiederentdecken; beispielsweise der abwechslungsreiche Panoramaweg ab Bad Weilbach bis zum „Eisenbaum“ – Teil des Regionalparks RheinMain.

Laubengang zur Flörsheimer Warte mit großartiger Panorama-Sicht; Foto: Toni Bormann

Der Regionalpark RheinMain besteht aus einem Netz von landschaftlich reizvollen Wegen und Parks im Rhein-Main-Gebiet mit zwei Besucherzentren in Weilbach und in Offenbach. Er bietet „Grün vor der Haustür“. Damit dies in einem Ballungsraum mit mehr als 3, 7 Millionen Bewohnern gelingt, haben sich Kommunen, Kreise und viele Partner zwischen Rheingau und Spessart, Taunus und Hessischem Ried zusammengetan, um die Landschaft vor der Haustüre zu schützen und mit den unterschiedlichsten Attraktionen aufzuwerten.

Die Regionalpark-Rundroute umfasst mittlerweile eine Länge von 190 Kilometern und reicht von Wiesbaden bis Hanau und von Friedrichsdorf bis Rödermark und Mörfelden Walldorf. Die weitverzweigte Route verbindet Streuobstwiesen, Felder und Feuchtbiotope, Kunstwerke und historische Zeugnisse sowie vielfältige Freizeitangebote, wie großzügige Spielplatz-Anlagen, oder Offenbachs sehenswerten Wetterpark, ein einzigartiger Erlebnispark mit Wetterphänomenen zum Anfassen (s. Bericht vom 20. Juli 2020).

Im Quellenpavillon in Bad Weilbach sprudelt wieder das faulig riechende Schwefelwasser; Foto: Gisela Heier

Auch der Panoramaweg ab Bad Weilbach ist mit seinen monumentalen Steinskulpturen ein höchst abwechslungsreicher Abschnitt des Regionalparks. Der idyllische, aber heute verschlafen wirkende Ort mit der herrlichen Platanen-Allee erlebte im 19. Jahrhundert eine kurze Glanzzeit mit regem Kurbetrieb. Diesen Zuspruch verdankte das kleine Bad dem „Faulborn“, einer der an Schwefel reichsten kalten Mineralquellen Deutschlands. Die Quelle wurde gegen Ende des 18. Jahrhunderts per Zufall bei Bohrungen nach Bodenschätzen entdeckt. Dabei stießen die Arbeiter auf den „Faulborn“, dessen Wasser insbesondere bei Erkrankungen von Haut und Atemwegen heilende Kraft entfalten soll.

Zu den prominenten Gästen der Anlage zählte u. a. Johann Wolfgang von Goethe. Für erkrankte Personen, die die Heilquelle nicht aufsuchen konnten, bestand die Möglichkeit, das Schwefelwasser bei der Brunnenverwaltung in Bad Weilbach zu bestellen. Der Versand erfolgte in verpackten, verschlossenen Krügen. Noch heute füllen viele Besucher das müffelnde Heilwasser des Gesundbrunnens in mitgebrachte Flaschen.

Ab der Schwefelquelle führt der Panoramaweg, der seinem Namen alle Ehre macht und großartige Aussichten bietet, über knapp 2 Kilometer zur Flörsheimer Warte. An klaren Tagen bietet er einen Blick bis zum Odenwald. Den abwechslungsreichen Weg durch Wiesen und Felder säumen monumentale Steinskulpturen.

Diese beeindruckenden Werke aus Granit, Basalt, Muschelkalkstein und Sandstein haben vier bekannte Künstler und eine Künstlerin während eines internationalen Bildhauer-Symposiums „en plein air“ im Sommer 1999 aus mächtigen groben Steinblöcken geschaffen. Sechs Wochen haben die Künstler an den tonnenschweren Steinobjekten gearbeitet – nicht in verborgenen Ateliers, sondern an Ort und Stelle vor den Augen aufmerksamer Beobachter.

Thomas Link „Kreis der Steine; Ost-Stele“, Basalt; Foto: Gisela Heier

Die mehrteilige Skulptur von Thomas Link beeindruckt mit sieben massigen Basaltkugeln und drei mächtigen Basaltstelen, von denen eine als Klangsäule bearbeitet ist. Die einzelnen Skulpturen bilden einen großen Kreis. Der freischaffende Bildhauer aus Issing bei München erläutert: „Der Kreis, Sinnbild des Universums, öffnet sich nach Osten, dem Licht zu. Diese Richtung ist bestimmt durch die Achse: Klangstele im Inneren des Kreise und Stelenpaar außerhalb des Kreises. … Die Steine ruhen gesammelt, um die Mitte – geöffnet, verweisen auf Richtung und Raum“.

Ingrid Hornef „Schauaufsland“, Sandstein; Foto: Hans-Bernd Heier

Dem mehrteiligen Werk von Link folgt die monolithische Skulptur „Schauaufsland“ aus rotem Sandstein der Hofheimer Bildhauerin Ingrid Hornef. Die gegenständliche, fast drei Meter hohe Arbeit zeigt andeutungsweise zwei wie auf einem Thron sitzende Figuren. Zu ihrer Arbeit sagt die international bekannte Künstlerin: „Wenn ich dieser Arbeit einen Namen geben müsste, dann „Schauaufsland.“ Die sensible Landschaft sei es wert, dass man auf sie schaut“. Und sie fügt hinzu: „Ich übergebe meine Skulptur der Zeit, die sie weiter bearbeiten wird, natürlichen Veränderungen und dem Verfallsprozess ausgesetzt“.

Eine Plastik oder Skulptur sollte, wie der weltberühmte Künstler Henry Moore betont, nie sofort alles über sich preisgeben, sondern beim Betrachter den Wunsch wecken, weiter zu betrachten, nachzudenken, Unklares und verborgene Bedeutungen zu erforschen. Dazu möchte auch Hornef mit ihrem Werk an diesem Standort anregen, das eine Balance zwischen stillem Innehalten und dröhnenden Flugzeugmotoren sucht.

Gerard Höweler „Steinmantel“, Granit; Foto. Hans-Bernd Heier

Von dort geht es weiter an dem dreiteiligen tonnenschweren Steinobjekt aus Muschelkalkstein von Georg Hüter, einem Bildhauer aus Aschaffenburg, weiter zu zwei monumentalen Granit-Plastiken.

Bei der abstrakten Skulptur „Steinmantel“, von Gerard Höweler besticht der Kontrast zwischen dem grob behauenen Stein auf der einen Seite und dem glatten, polierten Einschnitt auf der anderen Seite. Die gerade Fläche soll BesucherInnen einladen, sich einen Augenblick hinzusetzen und das Material anzufassen und zu erkunden. Die Sitzenden werden umhüllt von einem Schutzmantel aus mächtigem Stein. „Mit der polierten Innenseite und der Exaktheit des Eingriffs habe ich versucht“, so der Bildhauer aus Amsterdam, „den Kontrast zwischen Kultur und Natur, zwischen Wissen und Empfinden, zwischen Berechnung und Zufalle darzustellen“.

Hubert Maier „Himmelsleiter“, Granit; Foto. Hans-Bernd Heier

Nicht weit davon reckt sich die spektakuläre „Himmelsleiter“ in die Höhe, eine gut vier Meter hohe Basaltskulptur mit sechs Einschnitten von Hubert Maier aus Moosbach bei München. Als der Bildhauer die schöne Landschaft zum ersten Mal sah, hat er sofort den idealen Standort für sein Werk gefunden und sein erster Gedanke dabei sei gewesen: „Ich mache einen großen stehenden Stein. Mit großem Respekt bohrte ich das erste Keilloch in die große Granitplatte. An die 500 Bohrlöcher waren nötig, um die Form frei zu bohren. Eine wahre Bohrorgie“ – mit einem imposanten Ergebnis.

Blick auf die von Weinbergen umgebene Flörsheimer Warte; Foto: Toni Bormann

Von dort ist es nicht mehr weit bis zu Flörsheimer Warte. Wegeüberspannende Bögen – von Kletterrosen und wildem Wein umrankt – geleiten die Besucher vorbei an Weinbergen von Wicker. Der Ort ist die östlichste Weinbaugemeinde des Rheingauer Anbaugebiets und nennt sich „Tor zum Rheingau“.

Mit dem farbenfrohen Plakat wirbt das Weingut Frank Schnabel für Wein und Wicker; Foto: Gisela Heier

Die Flörsheimer Warte mit dem rund 30 Meter hohen Turm ist eines der beliebtesten Ausflugsziele im Regionalpark RheinMain. Die Warte war ursprünglich einer der vier Wachtürme entlang der „Kasteler Landwehr“. Das Verteidigungsbauwerk hatten die Mainzer Erzbischöfe im 15. Jahrhundert errichten lassen, um ihre rechtsrheinischen Besitzungen mit den Dörfern Kastel, Kostheim, Flörsheim und Hochheim zu schützen.

Auf den von Barbara und Gernot Rumpf geschaffenen Bronze-Löwen klettern nicht nur die Kleinen; Foto: Hans-Bernd Heier

Nach der Säkularisierung (1803) verlor die Warte ihre strategische Bedeutung und verfiel. Vermutlich hätte ihr das Schicksal vieler ähnlicher Bauten geblüht, die allesamt vom Erdboden verschwunden sind. Aber dank der Unterstützung der Gesellschaft zur Rekultivierung der Kiesgrubenlandschaft Weilbach (GRKW) konnte das verhindert werden. 1996 wurde neben den verbliebenen Fundamenten des ursprünglichen Turms ein Nachbau errichtet, der sich an alten Zeichnungen orientierte. Vom Turm, aber auch vom Vorplatz eröffnet sich BesucherInnen ein herrlicher Blick über die ausgedehnte Landschaft.

„Eisenbaum“, Foto: Toni Bormann

Weite Ausblicke bis zum Opelwerk in Rüsselsheim, zum Odenwald oder den Taunuskamm bietet auch die Plattform des „Eisenbaums“. Diesen erreichen Wanderer von der Warte auf dem Weg durch die „Flörsheimer Schweiz“ Richtung „Wiesenmühle“ nach gut zwei Kilometern.

Plötzlich rückt eine faszinierende Landschaftsinstallation, der „Eisenbaum“, ins Blickfeld: 70 Tonnen schwer, mit einer Höhe von 18 Metern und einer 13 Meter breiten Krone. Diesen Koloss in der hügeligen Flur zu besteigen, lohnt nicht nur des Ausblicks wegen. Auf dem Weg hinauf zur Aussichtsplattform sind zunächst natürliche Klänge wie Windrauschen und Vogelgezwitscher zu hören. Dann beginnt der Baum, wenn man Glück hat und gerade die Sonne scheint, sogar zu sprechen und erzählt „seine“ spannende Geschichte. Umweltfreundliche Solarmodule machen dies möglich.

Einen stählernen Baum mit diesen Ausmaßen zu konstruieren, stellte die Ingenieure vor riesige statische Probleme. In der Natur wachsen Bäume als homogenes Gesamtgebilde: Die Wurzeln, der Stamm, die Äste bilden ein „Werkstück“, in dem die Kräfte der Natur und die Spannungen ohne Unterbrechungen übertragen werden. Ein stählerner Baum ist dagegen aus vielen Einzelteilen zusammengesetzt mit vielen Verbindungsstellen, die demselben „Kraftfluss“ ausgesetzt sind. An der Baumskulptur lässt sich ablesen, welche unglaublichen Ingenieursleistungen die Natur mit jedem lebenden Baum vollbringt.

Die Baumskulptur im Schattenspiel; Foto: Hans-Bernd Heier

Die technischen Leistungen sind allerdings nur ein Aspekt des wundervollen Phänomens Baum. Biologische und chemische Prozesse, wie vor allem die Fotosynthese, „schaffen die Voraussetzung dafür, dass alle anderen Lebewesen – auch die Menschen – auf der Erde atmen, sich ernähren, also existieren können“, so die verständlich verfassten Info-Tafeln an der Baumskulptur. Mancher Besucher – wie auch der Autor – dürfte Bäume, die größten Lebewesen auf der Erde, von da an in einem anderen Licht sehen. Der Besuch des Eisenbaums dürfte für die allermeisten ein unvergessliches Erlebnis sein, regt die kühne Installation doch zum Nachdenken an.

Die „Tele-Visionen“ von Ingrid Hornef eröffnen überraschende Ansichten; Foto: Hans-Bernd Heier

Wer noch einige Meter weiter in Richtung „Wiesenmühle“ geht, kann sich von einem künstlerischen Gag überraschen lassen. Dort stehen sieben Fernrohre, welche die Bildhauerin Ingrid Hornef in Richtung der nahen Mülldeponie ausgerichtet hat. Schaut der Betrachter durch die „Tele-Visionen“, sieht er statt der erwarteten Deponie Fotos von berühmten Bauwerken wie dem Eiffelturm, der Freiheitstatue, der Akropolis oder des Kolosseums. „Durch die Projektion bekannter Bauten auf die Mülldeponie wird“, so die Künstlerin, „Edles (berühmte Bauwerke) versus Nichtedles (Müll) gesetzt, Hehres, Erhabenes gegen Banales, Alltägliches; aber auch mit Schein kontra Realität wird hier gespielt“.

Die abwechslungsreiche rund fünf Kilometer lange Tour vom „Faulborn“ in Bad Weilbach bis zum „Eisenbaum“ auf der Flörsheimer Gemarkung bietet ein unvergessliches Kunst- und Naturerlebnis für die ganze Familie.

 

 

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