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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Frankfurter Kultur im Zweiten Lockdown

Safe im Museum wie auch im Konzertsaal

Von Petra Kammann

Die erneute Schließung von Kultureinrichtungen bis Ende November ist ein harter Schlag für die Kulturszene. Grund eines Treffens zwischen der Frankfurter Kulturdezernentin Ina Hartwig, Markus Fein, Intendant und Geschäftsführer der Alten Oper, Jan Gerchow, Direktor Historisches Museum, und Sarah Kortmann, Regisseurin, Schauspielerin und Vorstandsmitglied des Vereins Paradiesvogel sowie Bernd Loebe, Intendant der Oper. Sie nahmen gemeinsam Stellung zur Situation der Frankfurter Kultur im zweiten Lockdown.

Derzeit ein stiller Echoraum – die Alte Oper. Im November gibt es weder Konzerte noch Kongresse, noch Einnahmen; Alle Fotos: Petra Kammann

In einem Punkt waren sich die Vertreter der Frankfurter Kulturinstitutionen einig: sie waren überzeugt, dass wir wohl noch eine Weile mit der Pandemie und mit dem besorgniserregenden Anstieg der Corona-Infektion leben und uns deswegen entsprechend einschränken müssen. Sie hegten auch keinerlei Zweifel daran, dass man darum Vorkehrungen treffen müsse, weswegen sie mit größter Anstrengung und unter Aufsicht des Gesundheitsamtes nicht nur die vorgeschriebenen Hygieneregeln eingehalten haben.

„Die seit März entwickelten Hygiene- und Abstandsregeln, die Begrenzung der Besucherzahl auf den epidemiologisch empfohlenen Wert sowie der konsequente Verzicht auf Eröffnungen und größere Veranstaltungen haben sich bewährt“, schrieb daher folgerichtig bereits am 2. November in einem unterzeichneten Rundbrief auch Stefan Berg, dem Leiter der Bundeskunsthalle Bonn, im Namen der Direktoren der zumeist nordrhein-westfälischen Museumsverantwortlichen. All diese Orte wurden gerade in der Zeit des Lockdown zu besonders sicheren Orten gemacht.

In keinem einzigen Fall wurde bekannt, – so das einhellige Statement aller Anwesenden an der von Jana Kremin moderierten Diskussion am vergangenen Freitag im Sonnemann-Saal des Historischen Museums in Frankfurt, die übrigens auch live ins Netz übertragen wurde – war durch den Besuch einer dieser Orte in Frankfurt Infektionsfälle ausgelöst worden.

Kulturdezernentin Ina Hartwig hatte Frankfurter Kulturerantwortliche zu einem Gespräch versammelt 

Umso enttäuschter waren die Verantwortlichen, dass die von den Kultureinrichtungen eingehaltenen Vorkehrungen im letzten Beschluss der Bundesregierung und der Regierungschefs der Länder zur Eindämmung der Corona-Pandemien dies nicht einmal zur Kenntnis genommen wurde, stattdessen Kultur, Freizeit und Unterhaltung über einen Kamm geschert wurden, was sich in der Verordnung so las: „Geschlossen bleiben Museen, Schlösser, Tierparks, Zoos, Theater, Opern, Konzerthäuser und ähnliche Einrichtungen, Messen, Kinos, Freizeitparks und Anbieter von Freizeitaktivitäten (drinnen und draußen), Spielhallen, Spielbanken, Wettannahmestellen, Prostitutionsstätten, Bordelle und alle weiteren Einrichtungen, die der Unterhaltung dienen.“

Die Ohrfeige durch den Vergleich der Kultur mit Spielhallen und Prostitutionsstätten saß tief, weswegen die Basis der Kulturschaffenden, sich solidarisch zu verhalten, unter den Institutionsvertretern wuchs. Das wurde auch in der Presse bundesweit entsprechend kommentiert. Die Frankfurter Kulturdezernentin Ina Hartwig griff beim Treffen die Formulierung des Hamburger Kultursenator Carsten Brosda auf, der in der ZEIT verkündet hatte: „Wer Kultur mit Freizeit gleichsetzt, zerstört die Fundamente der offenen Gesellschaft.“ Daher empfand sie die Schließung als besonders ungerecht, in der nicht berücksichtigt wurde, dass das Bedürfnis der Bürger über Arbeiten, Einkaufen und Vergnügen hinausgeht.

Jan Gerchow, Direktor des Historischen Museums ist überzeugt, dass Museen auch Lernorte sind

Die Kultur in ihrer gesellschaftlichen Kraft werde weder wahrgenommen noch wertgeschätzt, noch sei sie überhaupt in den Beratungen der Bundesregierung vorgekommen, und das, obwohl eine kulturelle Öffentlichkeit „für unser freiheitliches Zusammenleben von hoher Wichtigkeit“ sei, fand auch Jan Gerchow, der Direktor des Historischen Museums. Natürlich seien Museen genauso gut Lernorte wie Schulen, weil auch sie ständig wichtige Bildungsangebote vermittelten. Kultur sei eben kein „nice to have“, sondern ein „must“.

Immerhin wären seine Museumsräume im nagelneuen Bau hervorragend ausgestattet und besser belüftet als viele der öffentlichen Schulen. Außerdem seien dort auch die Abstandsregeln hervorragend einzuhalten. Es sei nicht einsichtig, zumal in dieser schwierigen Phase Schulen, Volkshochschulen, Kirchen und Kaufhäuser geöffnet seien, Museen aber nicht. Aberwitzig sei es, Musentempel gegen Lernorte auszuspielen. Warum also sollen diese wertvollen Gebäude leerstehen?

Zudem, – so Hartwig –  seien  mit der Schließung der Museen große finanzielle Verluste verbunden. Allein in diesem Jahr gebe es in den Frankfurter Museen 1 Mio an Einnahmenseinbußen, das Doppelte für den Zoo, nämlich 2 Mio, während im kommenden Jahr – wenn es so weiter gehe  – mit einem Defizit von 10 Mio zu rechnen sei. Wie das überhaupt wieder aufzufangen sei? Insofern entstünde durch die Schließung insgesamt ein gewaltiger Schaden.

Hinzukommt, dass wir neu darüber nachdenken müssen, welchen Wert eine Kultur grundsätzlich besitzt, vor allem auch, was die kommende Generation betrifft, die keine Lobby für ihre Bedürfnisse hat. Besonders betroffen nach dem zweiten Lockdown seien auch die meist am Existenzminimum lebenden Vertreter*innen der Kinder- und Jugendtheater der Freien Szene. Man denke nur an das Theaterhaus Frankfurt, das Gallus Theater, die theaterperipherie und an weitere Spielstätten und die vielen Gruppen, Kollektive und Einzelkünstler*innen wie z. B. das TheaterGrueneSosse und das Theaterhaus Ensemble, die teilweise seit vielen Jahren für junges Publikum unabhängig Theater machen.

Sarah Kortmann, Regisseurin, Schauspielerin und Vorstandsmitglied des Vereins Paradiesvogel e.V.

Kortmann, als Vorstandsmitglied des Vereins Paradiesvogel, legte eindrücklich dar, wie stark die Auseinandersetzung mit den Künsten die Kindheit und Jugend vieler Nachwachsenden präge und ihnen Mut zum Leben mache. Gerade die freien Theater seien es, welche sich den Sorgen und Nöten der Jugendlichen stellen. Denn das Kinder- und Jugendtheater gehe künstlerisch Wagnisse ein, entwickele neue Geschichten, experimentiere, gehe an und über Grenzen, forsche künstlerisch, beziehe neue Generationen von Künstler*innen mit ein und wecke vor allem Interesse bei denen, die sonst so gut wie keinen Kontakt mit Theater hätten und daher oft ein Leben abseits der Gesellschaft führten und ihre Aggressionen anders auslebten.

Auf der Bühne hingegen gelinge es den darstellenden Künsten, Aggressionen abzubauen, neue Impulse zu geben, ästhetische, soziale, psychologische und kulturelle Entwicklungsprozesse zu katalysieren, die elementar für junge Menschen als Mitgestalter*innen künstlerischer Prozesse seien. Allein, es mangele häufig genug an größeren Sälen, aber auch an Spielraum im Allgemeinen.

Auch viele Ladenlokale stehen in dieser Zeit leer – ist das die Alternative für die freie Theaterszene? Foto: Petra Kammann

Die freien Künstlerinnen und Künstler sind mangels regelmäßiger Einnahmen überdies auf Unterstützung angewiesen. Ein von der Kulturdezernentin bereits im März initiierter Notfallfonds in Höhe von zunächst 200.000 Euro unterstütze daher die Arbeit von Kulturschaffenden und Vereinen auch im zweiten Lockdown finanziell. Dieser Notfalletat konnte nun durch das Engagement Frankfurter Bürger um weitere 60.000 Euro aufgestockt werden. Nebenbei: Anträge können übrigens noch bis Ende November eingereicht werden.

Dr. Markus Fein, Intendant Alte Oper Frankfurt

Aber wer denkt, die großen „Kulturtanker“ wie die Oper oder die Alte Oper wären von der Schließung ihrer Wirkstätten weniger betroffen, der irrt. Die Einnahmeverluste durch nicht eingenommene Eintrittsgelder sind auch in den schon anerkannten Häusern gewaltig. Im Falle der Alten Oper etwa, die nicht auf ein eigenes Ensemble verweisen kann, fällt zudem auch noch die Vermietung des Hauses für Kongresse oder Festivitäten als Einnahmequelle weg, ganz abgesehen davon, dass trotzdem ein Apparat mit Dienstleistungen aller Art erhalten werden muss, und Ausfallhonorare für Künstlerverträge, die schon weit im Vorhinein gemacht wurden, anfallen.

Nachdem bereits im ersten Lockdown die Alte Oper aufgrund der behördlichen Vorgaben etliche Wochen geschlossen bleiben mussten und zahlreiche Konzerte abgesagt wurden, konnten die Türen zum Saisonbeginn im September/Oktober dann wieder geöffnet werden. Der Enthusiasmus des hochdisziplinierten Publikums und seine Dankbarkeit dafür waren groß, als ihm wieder Begegnungen mit live gespielter Musik (wie zum Besipiel der Abend der Solist*innen) ermöglicht wurde. Bereitwillig hatten die Konzertinteressierten das etwas kompliziertere Procedere ebenso in Kauf genommen wie dass das Ticket erst nach der Auskunft über den gesundheitlichen Zustand der Konzertteilnehmer an die Heimadresse zugeschickt  wurde, oder auch die entsprechend großzügig bemessene Sitzordnung im Saal mit jeweils zwei Sesseln Abstand.

Die vorsichtige Öffnung funktionierte bestens. Und dann fielen von heute auf morgen im ansonsten hoch frequentierten November abermals 29 Konzerte aus. Ob die ebenso begehrten Dezemberkonzerte stattfinden werden, bleibt weiterhin fraglich. Auch, ob das hochbegehrte Neujahrskonzert stattfinden kann oder nicht, ist ebenso wenig absehbare, ob die angekündigten Konzerte der Vorweihnachtszeit stattfinden können. Es bleibt ein Vabanquespiel. Wie also planen und sogar auch noch bewerben, was demnächst kommt, um den Ticketverkauf anzukurbeln. Ganz abgesehen von der Werbung im öffentlichen Raum, was ebenso Kosten verschlingt. Soll man ein attraktives Konzert bewerben, wenn man überhaupt nicht weiß, ob es jemals stattfinden wird?

Äußerst schwierig für einen Intendanten wie Markus Fein, der gerade in Frankfurt begonnen hat, und der, statt eine neue Programmstrategie zu entwickeln, nun vor allem dem Publikum einerseits  Zuversicht vermitteln und andrerseits Enttäuschung ersparen muss. Neben den Musikern, mit denen viele langfristige Verträge verbunden sind, hängen darüberhinaus auch etliche Dienstleister daran, die derzeit ihren Job nicht ausüben können, arbeitslos werden oder sich umorientieren müssen und im Bedarfsfalle kurzfristig nicht mehr zur Verfügung stehen.

Bernd Loebe, Intendant der Frankfurter Oper

Der international anerkannte Opernintendant Bernd Loebe – die Oper Frankfurt immerhin bereits fünf mal wurde er zum „Opernhaus des Jahres“ auserwählt – , konnte die Argumente seiner Vorredner voll bestätigen. Er berichtete, dass in der der kurzen Zeit der Öffnung des Hauses sämtliche Veranstaltungen seines Hauses unter all diesen Vorkehrungen restlos ausgebucht gewesen seien, auch wenn das Bühnengeschehen äußerst abgespeckt wurde.

Seine Argumentation war vor allem psychologischer Art. Das gemeinschaftliche Zusammentreffenin einer Stadt wie Frankfurt  an einem öffentlichen Ort haben auch ausgesprochen emotionale Aspekte. Das Musiktheater als Ort der Zuflucht, der Katharsis, der Traumwelt. Sichtlich bewegt berichtete er von der letzten Pergolesi-Aufführung am Tag vor der Schließung der Oper. Als er dem Publikum mitteilen musste, dass nun auch alle Veranstaltungen im kompletten November wegfallen würden, konnte er das Schluchzen hinter ihm (auf  der Bühne), unter ihm (aus dem Orchestergraben) und vor ihm (aus dem Publikum) nicht überhören. War es nicht der legendäre Alexander Kluge, dem die Kunstform der Oper als wichtigstes Beispiel für die „Welt der Gefühle“ in einer kalten und rationalen Umgebung erschien, was er als „Kraftwerk der Gefühle“ bezeichnete. Ja, wohin mit den Gefühlen in einer immer komplexer werdenden Gefühlswelt? Natürlich ersetzen Theater oder Opernbesuche keinen Therapeuten. Vielleicht trösten sie aber über die Einsamkeit hinweg und lassen uns spüren, dass uns innerlich etwas bewegt und auslöst, das wir in keinem Supermarkt erkaufen können.

Petition der Kunstmuseen:

Diese anliegenden Kunstmuseen sind der Meinung, dass Museen wieder geöffnet werden sollten. Sie haben die Petition des Initiators Stephan Berg (Direktor Kunstmuseum Bonn) unterschrieben:

Wenn die Museen nun erneut geschlossen werden, so erscheint dies als eine symbolische Geste. Sie wird allerdings massive Folgen haben – nicht nur für die Museen selbst, die abermals geschwächt werden, sondern auch für das Publikum, dem die Erfahrungen, die sie dort machen, viel bedeuten. Es ist uns unverständlich, warum es möglich ist, Baumärkte, Autohäuser und andere Geschäfte offen zu halten, Museen aber, die über dieselben oder großzügigere Flächen für einen Corona-gerechten Publikumsverkehr verfügen, geschlossen werden. Museen sind öffentliche Bildungsorte. Gerade in diesen Tagen sollten sie unterstützt und gestärkt werden, statt sie erneut in ihrer Rolle und in ihrem Funktionieren zu beeinträchtigen. Wir appellieren deshalb eindringlich an die Verantwortlichen, ihre Entscheidung zu überdenken. 

Dr. Andreas Beitin | Direktor Kunstmuseum Wolfsburg 

Dr. Tayfun Belgin | Direktor OSTHAUS MUSEUM HAGEN 

Prof. Dr. Stephan Berg | Direktor Kunstmuseum Bonn 

Prof. Dr. Ursula Blanchebarbe | Direktorin Siegerlandmuseum im Oberen Schloss, Siegen 

Dr. Frédéric Bußmann | Generaldirektor Kunstsammlungen Chemnitz 

Anja Dorn | Direktorin Leopold-Hoesch-Museum & Papier Museum Düren 

Georg Elben | Direktor Skulpturenmuseum Glaskasten Marl 

Dr. Fritz Emslander | Stellvertretender Direktor Museum Morsbroich, Leverkusen 

Dr. Hans Günter Golinski | Direktor Kunstmuseum Bochum 

Peter Gorschlüter | Direktor Museum Folkwang, Essen 

Dr. Ulrike Groos | Direktorin Kunstmuseum Stuttgart 

Prof. Dr. Christoph Grunenberg | Kunsthalle Bremen 

Julia Höner | Künstlerische Direktorin KAI 10 | ARTHENA FOUNDATION, Düsseldorf 

John Jaspers | Direktor Zentrum für Internationale Lichtkunst Unna 

Dr. Alexander Klar | Direktor Kunsthalle Hamburg 

Dr. Eva Kraus | Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn 

Dirk Krämer | Stiftungsvorstand, Museum DKM, Duisburg 

Dr. Felix Krämer | Generaldirektor der Stiftung Museum Kunstpalast, Düsseldorf 

Dr. Heinz Liesbrock | Direktor Museum Quadrat, Bottrop 

Rouven Lotz | Wissenschaftlicher Leiter Emil Schumacher Museum, Hagen 

Klaus Maas | Stiftungsvorstand, Museum DKM, Duisburg 

Dr. Stephan Mann | Direktor Museum Goch 

Dr. Roland Mönig | Direktor Von der Heydt Museum Wuppertal 

Dr. Beate Reese | Museumsleiterin Stadt Mülheim an der Ruhr 

Leane Schäfer | Direktorin Kunstmuseum Gelsenkirchen 

Prof. Walter Smerling | Vorsitzender Stiftung für Kunst und Kultur e.V., Bonn 

Dr. Achim Sommer | Direktor Max Ernst Museum Brühl des LVR 

Dr. Ulf Sölter | Direktor Gustav-Lübcke-Museum, Hamm 

Dr. Hans-Jürgen Schwalm | Direktor Museen der Stadt Recklinghausen 

Ute Stuffer | Direktorin Kunstmuseum Ravensburg 

Thomas Thiel | Direktor Museum für Gegenwartskunst Siegen 

Susanne Titz | Direktorin Museum Abteiberg, Mönchengladbach 

Christina Végh | Direktorin Kunstmuseum Bielefeld 

Dr. Christine Vogt | Direktorin LUDWIGGALERIE Schloss Oberhausen 

Janneke de Vries | Direktorin Weserburg Bremen 

Karla Zerressen | Geschäftsführung Langen Foundation, Neuss 

 

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