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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Sterben im Sommer“ – Zsuzsa Bánks langer Abschied vom Vater 

Zwischen Sommer und Sommer – Die lange Reise zum letzten Abschied 

Der weite Erinnerungsraum der Autorin

Von Petra Kammann

Zsuzsa Bánk bei ihrer Lesung in der Frankfurter Katharinenkirche während des Open Books-Festivals, Foto: Petra Kammann

Hingebungsvoll, ja, fast altmodisch klingt in manchem die persönlich gefärbte Geschichte „Sterben im Sommer“ der 1965 geborenen Autorin mit ungarischen Wurzeln, deren Beschreibungen vom allmählichen Verlust des Vaters man einige Wochen lang allmorgendlich in der hr 2-Lesung folgen konnte. Da übernahm Tatortkommissarin Lisa Wagner einfühlsam die Stimme der Autorin. Gebannt folgt man nach der Krebdisgnose von Bánks Vater Alltagserzählungen von Liebe, Verzweiflung und Verlustangst, von Familienzusammenhalt und Freundschaft in einem in der Gegenwart verankerten geradezu magischen Realismus, so, wenn die Familie noch einmal gemeinsam auf eine nostalgische Reise in das Land aufbricht, aus dem die Eltern unabhängig voneinander 1956 geflohen sind.

Zsuzsa Bánk schafft es, mit wenigen Worten und sinnlichen Eindrücken einen ganzen Gefühlskosmos sichtbar zu machen, man kann sich den vitalen Vater László bestens vorstellen. „Beweglichkeit, Schnelligkeit, Sprungbereitschaft“ kennzeichnen ihn ebenso wie seine Freude, „Länder zu sammeln, Sprachen, Landschaften, Gesichter“. Auch die ihn begleitende Frau, Zsuzsa Bánks anhaltend trauernde Mutter, die 1956 den Weg aus Fertöszentmiklós in den Westen gefunden hat, nicht zuletzt Zsuzsa Bánks eigenen, dem Großvater zugetanen heranwachsenden Kinder. Sie leben gleichzeitig ganz im Hier und Jetzt und erden sie täglich.

Wenn sie das Leben am Wasser beschreibt, an Flüssen, an Seen, wo sie dem Vater, dem unnachahmlichen Schwimmer, zusieht, wie er seine weiten Bahnen zieht und wie dieses Schwimmen in sie selbst übergegangen ist, da scheinen immer wieder verzauberte Momente der Leichtigkeit und des Glücks durch. Und man erkennt darin auch Motive aus Bánks Debütroman „Der Schwimmer“ aus dem Jahre 2002.

Mit Bánks Reise durch Ungarn nehmen wir ganz nebenbei den weichen Klang der uns so fremden Sprache „mit Schleifen und Bögen“ wahr. Mit ihr erfahren wir etwas über das sanfte hügelige Land zwischen Budapest, Pecs und Tokaj, das selbst sie neu entdeckt, war Ungarn zuvor für sie doch eher das Sommerbesuchsland mit dem Sommerhaus am Plattensee mit seinem hellen, bisweilen verschwindendem Licht.

Und ansatzweise lernen wir etwas über das so andere Leben dort kennen, über das Familiengeflecht, über ihre ungarischen Verwandten wie Tante Ilona zu Jolàn, der Schwester ihrer Mutter, die als einzige vor deren Weggang 1956 in den Westen wusste. Und wir verstehen, dass Zsuzsas „Märchen-Großmutter“ in dem Paradieshäuschen mit den vielen Kindern auch die Wahrnehmung und Vorstellungskraft der Schriftstellerin geprägt hat. Die Reise führt zu einer Vertiefung der im Ausland abhanden gekommenen Kultur und Familiengeschichte und gleichzeitig erleichtert sie das allmähliche Abschiednehmen, auch vom familiären Sommerhaus.

Daneben betreten wir – bisweilen auch in Begleitung ihrer Mutter  – mit der Erzählerin das ungeliebte Klinikum in Frankfurt-Höchst, diese unwirtliche Krankenhaus-Atmosphäre, wo ihr krebskranker, 1933 in Hidasnémeti in Ungarn geborener Vater liegt und leidet. Seine unheilbare Krankheit schritt nicht nur unaufhaltsam voran, sein Gesamtzustand hatte sich zunehmend so verschlechtert, dass er nach dem Abbruch der Sommerreise und Aufenthalten in einem slowakischen und einem österreichischen Krankenhaus endgültig wieder nach Frankfurt gebracht werden musste. 2018 starb er dann in Frankfurt.

Mit der Verschlimmerung seines Zustands lässt die Autorin uns auch teilhaben an den praktisch zu erledigenden Dingen, mit denen man sich auseinandersetzen muss, wenn jemand stirbt: die vielen Telefonate, die zermürbenden Gespräche mit Ärzten, Pflegediensten, und Krankenkassen.

Aber zwischen Erinnerung und Gegenwart lässt sie in all den kleinen geschilderten Episoden dem Leser immer genügend Raum, sich eigene Gedanken zu machen, seinen eigenen Empfindungen nachzugehen und etwas von ihrer Geschichte zwischen Ost- und West-Europa zu Zeiten des „Kalten Kriegs“ mitzuerleben, die vielleicht auch andere Familien gemacht haben, die nach dem Ungarnaufstand in den Westen flohen. Und unmerklich erinnert sie daran, was Emigration im Innersten bedeutet, die Suche nach der eigenen Geschichte, die in die Gegenwart hineinreicht.

Die langsame und behutsame Beschäftigung mit dem Tod des Vaters hat dabei überhaupt nichts Larmoyantes, sondern eröffnet tröstliche Perspektiven, den Rückblick auf ein reiches erfülltes Leben und nicht zuletzt poetische Momente: das grün, blau, türkisfarbene Licht des Balaton, das familiäre Unter-den-Akazien-Sitzen, der Geruch der reichen Obstgegend, die Geräusche der Panzersperren von 1968 und das Gebell der Hunde sowie das allmähliche Ankommen in der Gegenwart des Unabwendbaren: „An den Tod gedacht, mit ihm gelebt…“ Die Großherzigkeit des allmählichen Abschiednehmens vom „Großvaterland!

 

 

Das Buch:
Sterben im Sommer

S. Fischer Verlag,

240 Seiten, 22 Euro,

 

Das Hörbuch:
Sterben im Sommer,

Audiobuch,

5 CDs, 21,95 Euro

Biographie

Zsuzsa Bánk, geboren 1965, arbeitete als Buchhändlerin und studierte anschließend in Mainz und Washington Publizistik, Politikwissenschaft und Literatur. Heute lebt sie als Autorin mit ihrem Mann und zwei Kindern in Frankfurt am Main. Für ihren ersten Roman „Der Schwimmer“ wurde sie mit dem aspekte-Literaturpreis, dem Deutschen Bücherpreis, dem Jürgen-Ponto-Preis, dem Mara-Cassens-Preis sowie dem Adelbert-von-Chamisso-Preis ausgezeichnet. Für die Erzählung „Unter Hunden“ aus ihrem Erzählungsband „Heißester Sommer“ erhielt sie den Bettina-von-Arnim-Preis. Auch ihre Romane „Die hellen Tage“ und „Schlafen werden wir später“ wurden große Erfolge. 2020 erschien „Sterben im Sommer“.  

Literaturpreise:

Open Mike-Preis 2000
Jürgen-Ponto-Preis 2002
aspekte-Literaturpreis 2002
Deutscher Bücherpreis 2003
Mara Cassens Preis 2003
Bettina-von-Arnim-Preis 2003
Adelbert-von-Chamisso-Preis der Robert Bosch Stiftung 2004

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