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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Deutscher Buchpreis Finalisten(5): Bob Bjergs bedrückender Roman „Serpentinen“

Strick um den Hals

von Simone Hamm

Ein Soziologieprofessor aus Berlin reist mit seinem kleinen Sohn auf die schwäbische Alb, in den Ort seiner Kindheit. Das ist nur auf den ersten Blick idyllisch. Dahinter lauert der Abgrund…

Bov Bjerg bei der Lesung im Frankfurter Literaturhaus; Foto: Petra Kammann

Bov Bjerg nennt diesen Vater Höppner, wie die Person aus seinem Erfolgsroman „Auerhaus“

Der Junge will etwas erfahren über die Familie. In dieser Familie wurde vieles totgeschwiegen. Man spricht nicht darüber, dass Urgroßvater, Großvater und Vater sich das Leben genommen hatten.

Seinem Vater hat der Ich-Erzähler nie genügen können. Der bemerkte ihn nicht einmal. Viele Jahre hat er sich gefragt, wie denn der Vater sich habe selbst töten können. War sein Sohn ihm so wenig wert? In der Erinnerung steht ein verzweifeltes Kind einem verzweifelten Vater gegenüber. Der Strick, mit dem der Vater sich haufgehängt hat, wird im sparsamen schwäbischen Haushalt aufgehoben. Man kann ihn ja noch gebrauchen. Das sind die berührendsten Szenen in „Serpentinen“.

Bov Bjerg springt zwischen den Zeiten und Räumen hin und her, von Berlin in die schwäbische Provinz, vom Zweiten Weltkrieg in die Jetztzeit. Das sind die titelgebenden „Serpentinen“. Kurz sind die Kapitel, kurz die Sätze, meist Hauptsätze.

Vater und Sohn wandern. Der Vater trinkt, der Vater ist larmoyant, der Vater ist depressiv, der Vater kotzt, der Vater schreit, der Vater ist stumm. Er fragt sich, ob er den Fluch durchbrechen kann. Ob er weiterleben kann. Oder sich umbringen soll. Oder ob er seinen kleinen Sohn töten solle. Abraham habe Gottes Willen, Isaac zu opfern, entsprechen wollen.

Aber der Ich-Erzähler glaubt weder an Gott, noch wird er von wem auch immer dazu aufgefordert, sein Kind zu opfern. Es gibt nur den schwarzen Gott der Depression. Dennoch, die Vision, dem Sohn den Hals zuzudrücken, verlässt ihn nicht. Denn dann bliebe diesem wenigstens das Schicksal der Vorväter erspart. Unermüdlich kämpft der Erzähler gegen seine Historie, gegen die Dämonen.

Bov Bjerg spielt mit der Angst des Lesers um das Kind. Das hat etwas vom ,Tatort‘ am  Sonntagbend. Die Todessehnsucht des Ich-Erzählers und dessen Wahn, sein Kind zu töten zu wollen, sind manchmal schier unerträglich. Für den Erzähler UND für die Leser.

Die Reise wird auch zu einer Reise in die Vergangenheit, die braune Vergangenheit des Vaters. Diese Reise um den Nazivater ist weit weniger subtil als die zu dem abweisenden Vater, der so oft vergeblich – und dann doch erfolgreich – versucht hat, sich umzubringen. Alle waren Nazis, auch noch nach dem Krieg – dieser Gedanke durchzieht den ganzen Roman.

Weil man im  Elternhaus nicht sprach, weil es stattdessen etwas gab, das man „Familienbla“ nannte,  kleine, harmlose Anekdoten.  Deshalb will der Ich-Erzähler alles aussprechen, die furchtbarsten Gedanken, die krudesten Träume, die ungeheuerlichsten Vorstellungen. Da bleibt kein Raum für Zweideutigkeiten, für das Vage.

Bov Bjerg will ehrlich sein, erschreckend ehrlich. Deshalb ist „Serpentinen“ kein leichter Roman, sondern einer, den man manchmal gegen die Wand werfen möchte und dann doch weiterliest.

Wird der Ich Erzähler enden wie sein Vater oder wird er zum Mörder seines kleinen Sohnes werden? Sind das alles Gedankenspiele? Der Sohn ist auch schon merkwürdig und klettert mit einem Springseil, das er sich um dem Hals wirft, auf Bäume.

Der Vater kommt in Gewahrsam. Wird er vor sich selbst gerettet?

Bob Bjerg: Serpentinen. Claassen. 272 Seiten, 22€

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