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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Zukunft der Städtischen Bühnen: eine Echternacher Springprozession

Umdenken, Neudenken, Nachdenken

Die Diskussion um Sanierung/Abriss/Neubau/Rekonstruktion der Theaterdoppelanlage bietet eine große Chance

Von Uwe Kammann

Eine Ikone: Das Düsseldorfer Schauspielhaus von Bernhard Pfau, nun durch den Architekten Christoph Ingenhoven restauriert; Foto: Petra Kammann

Bild eins: In strahlendem Weiß beherrscht das Düsseldorfer Schauspielhaus den noch unfertigen Gustaf-Gründgens-Platz, in kontrastierender Nachbarschaft zur schlanken Hochhausikone der 50er Jahre, dem Dreischeibenhaus, und zum neuen Gegenüber, einer von Christoph Ingenhoven entworfenen, spektakulären Halb-Pyramide, deren Platz-Fassade aus lauter Hainbuchenhecken besteht, in strengen Reihen treppenförmig angeordnet.

Sichtachse mit neuem Hainbuchenterrassenhaus von Christoph Ingenhoven; Foto: Uwe Kammann

Bild zwei: im neobarocken Innenraum des Berliner Ensembles wird der Zuschauerraum wieder mit Theatersesseln komplettiert, die aus Corona-Gründen abmontiert worden waren; sprich: es wird eine Normalitätshoffnung implantiert.

Bild drei: In Köln sehen Oper und Schauspielhaus äußerlich wieder ziemlich normal aus, nachdem 2012 entgegen den ursprünglichen Neubauplänen mit einer grundlegenden Sanierung begonnen wurde; heute, acht Jahre später, ist an ein Ende noch nicht zu denken, die Rede ist nun von 2023.

Die Operation wird jetzt mit gut 840 Millionen Euro veranschlagt, bei einem Finanzierungsplan, der sich über 40 Jahre erstrecken soll; das macht 20 Millionen pro Spielzeit, zusätzlich zum laufenden Etat von derzeit 60 Millionen.

Dagegen nimmt sich die Düsseldorfer Investition bescheiden aus: 60 Millionen, um das 1969 eröffnete Haus wieder innen und außen auf Vordermann zu bringen. Ein 2016 begonnenes Manöver, das mit einigem Hickhack verbunden war, weil zwischendurch der Oberbürgermeister laut mit Abrissplänen liebäugelte, da dies wirtschaftlich günstiger sei.

Das scheiterte am lauten Protest aus dem Bürgermilieu. Der Denkmalschutz selbst hätte sicherlich ausgehebelt werden können – so wie bei der eleganten Auto-Hochstraße, welche in direkter Nachbarschaft den Zeitgeist der frühen 60er Jahre so perfekt wie elegant verkörperte, allerdings auf Kosten der direkten Wege- und Sichtverbindungen an diesem zentralen Düsseldorfer Ort.

Farbiger Hingucker an dem Frankfurter Werkstatttrakt; Foto: Uwe Kammann

All’ diese Schlaglichter können einem durch den Kopf gehen, wenn man an die Springprozession der nun bald ins fünfte Jahr gehende Frankfurter Debatte um die Zukunft der Städtischen Bühnen denkt.

Eine Springprozession, nicht unbedingt nach dem Muster einsvorzweizurück, sondern eine mit tänzerischen Ausfallschritten in jede Richtung, auch mit Volten und Außeninterventionen, welche möglicherweise dem Goethe-Motto geschuldet waren und sind, wonach Stolpern fördert.

Eine Schnapsidee: Theater statt des derzeitigen Karstadthauses an der Zeil; Foto: Petra Kammann

Sicher schon wieder zu den Akten gelegt ist der allerneueste, eher absonderliche Vorschlag, an Stelle des mittelfristig überflüssigen Karstadt-Kaufhauses – Ecke Zeil/Schäfergasse – einen Theaterbau zu errichten. Ein Gedanke, ja woher? Aus der Immobilienbranche, die dringlich nach neuen Nutzungsmustern für die unsichere Handelszukunft der Innenstädte sucht?

Städtebaulich jedenfalls eher eine Nullnummer: ein in sich ähnlich gestricktes Modell wie jenes, das die CDU mit der Osthafen-Option einst vehement ins Spiel gebracht hat, nach lauter Kritik vielerorten jedoch inzwischen eher auf kleiner Flamme köchelt.

Ein neues Instrument ist seit Mitte September im Spiel, eines, das ernsthaft versucht, die Karten noch einmal neu zu mischen: über ein Bürgerbegehren, das – im Falle des zahlenmäßigen Erfolgs – einen Bürgerentscheid nach sich ziehen soll.

Das erklärte Ziel des von der Aktionsgemeinschaft Schauspielhaus initiierten Unternehmens: die bauliche Rekonstruktion des ursprünglichen Schauspielhauses (Eröffnung: 1902) am jetzigen Platz, eines Baus, den der damals vielfach als Theaterarchitekt gefragte Heinrich Seeling entworfen hat.

Reste des alten Schauspielhauses von 1902; Foto: Petra Kammann

Dieser Bau, relativ wenig beschädigt, diente nach dem Krieg wieder als Theater, wurde dann jedoch in den 60er Jahren teilweise abgerissen und mit den Restbestandteilen in die jetzige Theaterdoppelanlage einbezogen – dort, wo jetzt die Oper residiert und nach außen hin die gemeinsame 120-Meter-Glasfassade Oper und Schauspielhaus verbindet, inklusive des durchlaufenden Foyers, unter dessen Decke die vielgerühmten goldenen Wolken als Kunstwerk schweben.

Entsponnen hat sich an dieser Geschichte nun die denkwürdige Konstellation, dass zwei Imaginationen von jeweils engagierter Seite ins Feld geführt werden, um entweder den einen, ursprünglichen Zustand wiederherzustellen oder aber die architektonische Überformung der 60er Jahre als Non-plus-ultra anzusehen. Was zum Kuriosum führt, dass hier zwei Zeitschichten um Denkmalwürdigkeit und Denkmalschutz konkurrieren: die eine wesentlich vom Erscheinungsbild geprägt, die andere von einer Idee.

Wobei immer wieder klarzustellen ist: Weder wurde der Seeling-Bau aus der vorigen Jahrhundertwende mit dem Denkmalschutz-Siegel versehen, noch steht der jetzige gläserne Foyerteil formal unter Denkmalschutz, obwohl eine rührige Bürgerinitiative dies medienwirksam insinuiert hat und weiter darauf besteht, dass alleine diese „Zeitschicht“ – heute ein Lieblingswort der Denkmal-Fachleute – von besonderem Wert für die Stadtgesellschaft sei (ein Lieblingswort wiederum aus der Kulturszene), weil alle Tugenden des aufklärerischen, demokratietreibenden Theaters mit diesem gläsernen Frankfurter Vorbau (zu dem ansonsten ein verquerer Stilmix gehört) verbunden seien.

Der Vorsitzende der Aktionsgemeinschaft Schauspielhaus, der Frankfurter Musiker Tobias Rüger, unterschreibt das Bürgerbegehren; Foto: Uwe Kammann

Nun, dass es solch’ einfache Gleichungen für Architektursprachen, Nutzungsformen und Inhalte auch bei Theatergehäusen nicht gibt, dafür gibt es viele Belege. Denn sonst hätte das Theater am Schiffbauerdamm nur eine klägliche und falsche Hülle abgegeben für das Berliner Ensemble mit seinem revolutionären Spiel. Denn das 1892 eröffnete Haus stammt ebenfalls vom Reißbrett Heinrich Seelings.

Und erlebte dann eine wechselvolle Geschichte, mit großen Namen wie Max Reinhardt, auch mit zeitweiser Operettenseligkeit, dann wieder mit experimentellen oder auch erklärtermaßen proletarisch-revolutionären Kollektivgesten. Auch der widerborstige Gesellschaftsrebell Claus Peymann störte sich in seinen vielen Berliner Intendantenjahren offensichtlich nicht am neobarocken Zuschnitt des Baus (dem außen der Zierrat abgeschlagen wurde; und der im Ganzen unter Denkmalschutz steht).

Grafik an der Kasse des Düsseldorfer Schauspielhauses; Foto: Petra Kammann

Auch der Ex-Palast der Republik mit seinem Marmor-Imponiergehabe bietet für Spannungsverhältnisse ein schönes Beispiel. Denn in seinem Innern wurde auch Theater gespielt (tip = Theater im Palast), das den DDR-Kulturfunktionären alles andere als gefällig war. Aufmüpfige Autoren wie Peter Ensikat nutzten die Chance des engagierten Auftritts, trotz des ursprünglichen „Widerwillens gegen das Prachtstück“.

Beim jetzigen Duell der Zeitschichten-Befürworter in der einen oder anderen Richtung sollte übrigens immer bedacht werden, dass auch formal bestehender Denkmalschutz nicht als absolutes Stoppschild fungiert und über die gesellschaftlich-politische Debatte im Status jeweils neu bestimmt werden kann.

In Frankfurt war das, ganz prominent, in letzter Zeit zweimal der Fall: beim Zürich-Hochhaus auf dem Eckgrundstück des Rothschild-Parks und beim Hochtief-Hochhaus von Egon Eiermann an der Bockenheimer Landstraße. Das Ergebnis lässt sich kaum beklagen: Der Opernplatz hat durch den eleganten Opernturm und die Randbebauung am Reuterweg städtebaulich enorm gewonnen, und auch der beschwingte neue Glasturm mit seinem offenen Sockelgeschoss an Stelle des merkwürdig gedrungen wirkenden Eiermann-Baus ist in den Augen vieler eher ein Gewinn.

Überhaupt, Einschätzung und Bewertung: Wie sehr die Urteile auch mit den Maßstäben der Fachleute (wie Denkmalschutz, Kunst- und Architekturgeschichte) auseinandergehen können, zeigen beim Frankfurter Theaterstreit zwei Gutachten.

Das Foyer der Theater-Doppelanlage in Frankfurt, Foto: Petra Kammann

Das eine, vorgelegt vom hessischen Landesdenkmalamt, lobt den Frankfurter Nachkriegszeit-Glasbau aus dem Büro des damals höchst erfolgreichen Architekten Otto Apel (ABB) in den höchsten Tönen, sieht in ihm die gelungene Apotheose der theatralisch-aufklärerischen Selbstvergewisserung einer die Nazi-Vergangenheit reflektierenden und überwindenden Denk-Gesellschaft. Dies wird vor allem aus der Baugeschichte und dem zeitgeschichtlichen Kontext sowie der Theatergeschichte abgeleitet.

Das andere Gutachten hingegen, erstellt vom versierten Kunsthistoriker Peter Stephan, lässt gerade an diesem der Nachkriegsmoderne verpflichteten ABB-Entwurf kaum ein gutes Haar: „Seine Ständer-Architektur passt weder unter städtebaulichen noch typologischen Gesichtspunkten an diesen Ort.“ Hingegen erweise sich die Architektur Seelings in der „Komplexität ihrer Formensprache und bildlichen Ausstattung sowie in ihrer städtebaulichen Bedeutung als die denkmalpflegerisch bevorzugt zu behandelnde Substanz“.

Damit erfüllt dieses von der Aktionsgemeinschaft Schauspielhaus in Auftrag gegebene Gutachten natürlich vorbildlich den inneren Auftrag, gute Gründe für eine Rekonstruktion des 1902-Hauses zu liefern. Wie am Streit Denkmal gegen Denkmal abzulesen ist: Das unauflösliche Zugangspaar von Erkenntnis und Interesse ist hier unbedingt im Spiel.

Die 120 Meter lange Glasfassade am Willy-Brandt-Platz; Foto: Petra Kammann

Es ist absehbar, dass die Aktionsgemeinschaft Schauspielhaus – selbst wenn das Bürgerbegehren Erfolg hätte und zu einem Bürgerentscheid führen würde – kaum auf einen Enderfolg ihrer Aktion hoffen kann. Zum einen ist die Ausgangslage ganz klar: Die bisherige politische Debatte hat in der Mehrheit der Positionsbeschreibungen und Stellungnahmen gezeigt, dass für eine Rekonstruktion keine Mehrheit zu erwarten steht. Dafür gibt es auch eine Reihe von guten Gründen.

Denn schon die bisherigen Planspiele der  beiden Hamburger Architekturbüros gmp und FPF mit architektonischen Platzhalter-Simulationen für Schauspielhaus und Oper haben gezeigt, wie vielversprechend solche modernen Lösungen sein können. Und natürlich würde sich keine Stadt der Welt die Chance entgehen lassen, über hochkarätige Wettbewerbe eine Reihe von Entwürfen zu gewinnen, welche zeigen, in welch’ optimaler Gestalt sich architektonische Bestqualität und städtebauliche Neuordnung verbinden lassen. Entwürfe, die zudem die Quersumme aus den bisherigen theoretischen Diskussionen um künftiges Theaterspielen aufnehmen können. Und die dabei zugleich Antworten auf die Frage präsentieren, ob künftig vielleicht eher eine gewollte äußere und innere Sparsamkeit solche öffentlichen Spielstätten prägen sollte.

Simulation eines Opernhauses neben dem Japan-Center und mit einem neuen benachbarten Helaba-Turm ©gmp · Architekten von Gerkan, Marg und Partner

Eine solche öffnende Zielsetzung kann die Wiederauferstehung des nicht sonderlich herausragenden Seeling-Baus in keinerlei Weise erfüllen. Er stünde eher für ein gemütvoll-attraktives Außensymbol traditioneller bürgerlicher Repräsentanz. Allerhöchstens wäre denkbar, einzelne Elemente als Spolien in einen Neubau einzufügen, als Erinnerungssprengsel an eine frühere Epoche bürgerschaftlichen Engangements. Diese bildlich-materielle Reminiszenz wäre auch gar nicht an den Ort gebunden. Einen Architekten wie David Chipperfield könnte so eine Aufgabe sicherlich mehr als reizen. Aber eben: in einer Collage.

Auch für die Konservierung der jetzigen Fassade am Willy-Brandt-Platz spricht nicht viel. Denn tatsächlich hat sie eher unglückliche Proportionen, neigt zum Seriell-Banalen. Und im Sockelbereich ist sie alles andere als transparent, hat unklare Eingangssituationen, erdrückt mit dem niederen Überhang die Besucher. Im Inneren setzt sich das fort, mit unglücklicher Ebenenverschiebung, gedrungenen Räumen, beengten Wegen. Einladend, großzügig ist das alles nicht. Und auch das Foyer selbst wirkt schlauchartig und hat allein einen hinreißenden Höhepunkt: die Wolkenskulptur des ungarischen Künstlers Lázló Kemény. Hinzu kommt: Der Tageseinblick vom Platz aus ist gleich null, nachts fehlt es an in umgekehrter Richtung an Flaneuren, um das erleuchtete Foyer zu bewundern. Allein die nächtliche Durchsicht nach außen findet eine attraktive Hochhauskulisse als Blickfang.

Simulation Wiederaufbau des Seeling-Baus des Hamburger Architekten André Gansel; Foto während einer Veranstaltung der Aktionsgemeinschaft Schauspielhaus; Foto: Petra Kammann

Insofern: Die Rettung vor einem Abriss des Ganzen (wenn denn dieses Fass jemals noch aufgemacht würde) lässt sich kaum oder gar nicht  mit einer Erinnerungsromanze an schon Jahrzehnte zurückliegende aufmüpfige Theaterzeiten begründen, sondern höchstens ökonomisch: Weil im Gesamtbau viele wertvolle, ziemlich neue und immer noch gut funktionierende Bereiche stecken, von der Drehbühne bis zum Werkstatttrakt.

Eine weitere Untersuchung – also: ob eine Generalsanierung des Bestands nicht doch praktikabel wäre – steht nach dem zweiten Gutachten, dem Validierungsbericht, nicht zu erwarten. Der mit Großprojekten erfahrene Architekt Christoph Mäckler hat diese doppelte Bestätigung der Gutachten auf seine Art interpretiert und kommentiert: „Dann wird es wohl so sein.“

In einem Punkt ist die jetzige, von Verärgerung bis zur Empörung reichende Position der Aktionsgemeinschaft Schauspielhaus aber zu verstehen (und hier setzt ja auch das Bürgerbegehren an): nämlich beim von der Stadtverordnetenversammlung beschlossenen generellen Ausschluss („baulich oder konzeptuell“) ihres Ziels einer Rekonstruktion.

Dieser Ausschluss, der nicht mit der ja noch offenen Standortfrage begründet werden kann, muss von einer Bürgerinitiative als das reine Gegenteil dessen aufgefasst werden, was doch auch als Zielsetzung in der Vorlage für den Magistrat formuliert ist: eine Beteiligung der Bürger bei diesem so wichtigen – und kostenintensiven –  Vorhaben.  Immerhin hat die Aktionsgemeinschaft sich schon früh, vor vier Jahren, formiert, um für den Wiederaufbau des ursprünglichen Schauspielhauses zu streiten.

Insofern wäre es aus Gründen der viel beschworenen Offenheit – gerade auch gegenüber Bürgerinitiativen – gut und richtig gewesen, diese Variante einfach unter unterschiedlichen Gesichtspunkten im Spiel zu lassen: indem Stadtparlament, Magistrat und Kulturdezernat den Generalbeschluss vom 3. September noch einmal ändern – durch schlichtes Streichen der unter Punkt VIII eigens eingefügten Einschränkung: „Der Magistrat wird darüber hinaus beauftragt, keine bauliche oder konzeptuelle Rekonstruktion des Schauspielhauses von 1902 zu verfolgen.“

Eine solche Revision wäre kein Einknicken oder ein Gesichtsverlust, sondern ein Akt nachträglicher demokratischer Hygiene und Fairness, diese vor allem mit einem bestimmten Architekturbild begründete Option nicht kategorisch abzulehnen. Und dies ganz unabhängig davon, ob das bis Ende Oktober befristete Bürgerbegehren das Quorum von mehr als 15.000 Unterschriften (3 Prozent der Wahlberechtigten) erreicht.

Trostloses Gegenüber von Schauspiel und Oper am Willy-Brandt-Platz; Foto: Uwe Kammann

Die Stilmischung des Peeling-Baus aus Neobarock und Jugendstil scheint wiederum bei vielen Befürwortern ein Gefühl anzusprechen oder wachzurufen, das auch den Wiederaufbau der Altstadt befördert hat. Nämlich: hier eine in sich reichere Formensprache zu finden, anders als bei vielen Quartieren und Bauten, die nach dem Grundton der Moderne auf Abstraktion und Reduktion setzen. Diese Einschätzung, so die Erfahrung der Unterschriftensammler, sei häufig die ganz spontanpositive erste Reaktion. Mit dem Ergebnis, dass zur Halbzeit des Bürgerbegehrens schon gut die Hälfte der notwendigen Unterschriften vorliegt.

In den zahlreichen vorherigen ‚offiziellen’ Diskussionen – Symposien, Römerberggesprächen, Ausstellungen im Deutschen Architekturmuseum – spielten diese Aspekte keine Rolle, die Variante war immer nur gleichsam der Paria, so wie über lange Zeit die Rekonstruktion der Römer-Ostzeile und des Altstadt-Kerns im politischen und kulturellen Mainstream-Diskurs als No-Go-Vorstellungen behandelt wurden, meist mit der ewigen Klischee-Abwehrformel ‚Disneyland’. Oder, im Nachgang zur Altstadt-Eröffnung, gar als Versuch, „rechte Räume“ zu etablieren.

Kulturdezernentin Ina Hartwig plädiert für eine „Kulturmeile“; Foto: Petra Kammann

Kulturdezernentin Ina Hartwig hatte, als das Bürgerbegehren angekündigt wurde, sofort abgewehrt und gekontert: Die „bestehende Beschlusslage“, so ihre Reaktion, sei das „Ergebnis eines komplexen, demokratischen Prozesses, der durch umfangreiche Prüfungsverfahren, umfassende Untersuchungen der vorhandenen Bausubstanz und öffentliche Diskussionsveranstaltungen sowie eine intensive politische Debatte begleitet“ worden sei und werde.

Gegen den Vorschlag einer Rekonstruktion stünden eine Reihe von Gründen. Das Ziel, einen „nachhaltigen, zukunftsfähigen Spielbetrieb“ zu garantieren und die damit verbundenen Anforderungen beispielsweise an den Platzbedarf oder die Bühnentechnik zu erfüllen, seien mit den vor über 100 Jahren gängigen Theaterstandards nicht zu vereinbaren. Dies gelte auch für die Publikumsbereiche, bei denen es heute – sprich:  bei „zeitgemäßen Bühnenbauten“ – auch auf die Verbindung zum angrenzenden Stadtraum ankomme, so über offene Foyers und allgemein zugängliche Erdgeschossbereiche.

Weiter argumentiert Hartwig, dass von der Seeling-Rohbausubstanz lediglich nur noch ein Viertel vorhanden sei, bei den schmückenden Elementen des Baus sei es weniger als ein Zehntel. Im Fall einer Rekonstruktion „müsste das Gebäude aus der Kaiserzeit nahezu komplett nachgebaut werden. Ohne dass die heutigen Anforderungen des Schauspiels auch nur annähernd abgebildet werden.“

Das renovierte Foyer des Düsseldorfer Schauspielhauses von Bernhard Pfau; Foto: Petra Kammann 

Sicher, das alles sind bedenkenswerte Faktoren. Dass sie keinen Absolutheitsanspruch nach sich ziehen können, zeigen leicht andere Beispiele. Das bereits erwähnte Düsseldorfer Schauspielhaus folgt beispielsweise nicht der gängigen modischen Vorstellung einer größtmöglichen Öffnung zum Stadtraum. Ein Teil des unteren Eingangsfoyers ist zwar verglast. Doch das Restaurant liegt auf der Rückseite, schaut auf einen Park, den historischen Hofgarten, und hat einen separaten Charakter.

Insgesamt ist das immer noch hochelegante Schauspielhaus erst einmal und dann noch einmal ein Theater, ein skulpturaler Spiel-Solitär mit zwei Bühnen (für 760 und 300 Besucher, in Frankfurt sind es im großen und kleinen Haus des Schauspiels 700 und 200).

Die Größe also wäre kein Hindernis, auch die Bühnentechnik sicherlich nicht. Das Berliner Ensemble spielt im Seeling-Bau vor 700 Besuchern, er verfügt über eine moderne Drehbühne, und seit kurzem bietet es auch, ganz unspektakulär, im Hinterhof ein Neues Haus und einen Werkraum mit 180 und 100 Plätzen.

In Stuttgart wiederum wird derzeit mit Verve diskutiert, wie die Sanierung der unter Denkmalschutz stehenden Staatsoper aussehen soll – ein Bau aus dem Jahr 1912, dessen inneres Bild Mitte der 80er Jahre nach Originalplänen wieder in den Ursprungszustand versetzt wurde.

Auch hier gibt es ein komplexes Fragemuster, bei einer finanziellen Dimension, welche der in Frankfurt ähnelt: von einer Milliarde Euro ist die Rede. Oberbürgermeister Fritz Kuhn und Kunst- und Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (beide Vertreter der ‚Grünen‘) fechten vehement für die Generalsanierung und eine bauliche Erweiterung samt Interimslösung.

Die Initiative „Aufbruch Stuttgart“ hingegen plädiert für eine maßvolle Sanierung mit einer baulichen Neuordnung des Ensembles und hält eine Halbierung der Kosten für möglich und geboten. Wie vertrackt all’ diese Planspiele sein können, bezifferte der Stuttgarter Architekt Arno Lederer (in Frankfurt hat er das Historische Museum gebaut) gegenüber FeuilletonFrankfurt.

Werkstattcharakter des Kleinen Hauses in Düsseldorf, Foto: Petra Kammann

Wenn die Forderung der Opernleute nach der Installation einer Kreuzbühne erfüllt würde, müssten wesentliche Teile der Außenmauern versetzt – sprich: abgerissen und neu aufgebaut werden –, wofür gut 400 Millionen Euro zu veranschlagen seien.

Dort wie hier also: Jede Menge offene Fragen. Und im Hintergrund immer das warnende Trauerspiel Köln, wo alles aus dem Ruder gelaufen ist. Mit einer frühen Kehrtwendung, die sicher mit zu den Ursachen des Schlamassels gehört.

Zunächst nämlich hatte sich die Stadt für den Abriss des 50er-Jahre-Baus und des vorgelagerten Schauspielhauses entschieden. Doch eine starke Bürgerinitiative kämpfte – mit einem erfolgreichen Bürgerbegehren – für eine reine Sanierung des ikonographischen, denkmalgeschützten Ensembles; auch die Intendantin Karin Beier protestierte gegen die Neubaupläne.

Viele Züge der damaligen Kölner Springprozession finden sich in abgewandelter Form auch in Frankfurt, inklusive der Vorgeschichte, zu der auch der 1958 in Köln erfolgte Abriss des noch weitgehend intakten ursprünglichen Opernhauses der Gründerzeit (Eröffnung: 1902!) gehört, dem wiederum vorher die Nazis die Jugendstilelemente abschlagen ließen.

Hier, in Frankfurt, ging und geht es im Kern bei den zwei präsenten Außen-Interventionen und -initiativen letztlich um zwei konträre Ziele. Eine Initiative, um den Architekturtheoretiker Philipp Oswalt, streitet vor allem vehement – namentlich in Form einer Petition – für den Erhalt des Glasfoyers der Theaterdoppelanlage und des dort schwebenden Wolkenkunstwerks. Die andere wiederum, eben die seit vier Jahren   agierende Aktionsgemeinschaft Schauspielhaus, ficht für die Wiedererstehung des 1902-Hauses.

Dass dabei die Nachkriegsmoderne-Fraktion mit dem Vorwurf der „Geschichtsvergessen-heit“ (hinsichtlich des von der Stadt beschlossenen Abrisses statt einer Sanierung) eine moralische Bastion aufzubauen versuchte, hat natürlich eine pikante Note. Denn diese Fixierung zieht die Frage nach sich: Warum soll die eine spezielle Zeitschicht (Mitte der 60er) bewahrt werden, die andere hingegen (jene der 1900er- Jahrhundertwende) auf keinen Fall? Und weiter: Welche Präferenzkriterien muss da der Denkmalschutz entwickeln und anlegen? Dass diese Kriterienfrage erkannt ist, wird auch an einer Passage der Magristratsvorlage erkennbar: „Zu Fragen der gesetzlichen Voraussetzungen eines Kulturdenkmals ist grundsätzlich Stellung zu beziehen.“

Städtische Bühnen mit Fragezeichen: Wie lange muss Kulturdezernentin Ina Hartwig damit leben?, Foto: Petra Kammann

Das alles zeigt nur: Es sind viele, viele Fragen zu erörtern, mit ebenso vielen Perspektiven, die teilweise in ganz verschiedene Richtungen weisen, die sich teilweise auch ausschließen oder in die Quere kommen. Doch muss dies nicht unentwirrbar bleiben. Denn das Zeitfenster ist nicht so klein, wie es ursprünglich schien, nachdem das erste Fast-Milliarden-Gutachten zur Sanierung der Theaterdoppelanlage so viel Aufsehen erregt hatte.

Denn die zentralen Fragen nach Standort, Machart und Methodik der Neugestaltung der beiden Spielorte werden erst weit nach den Kommunalwahlen im nächsten Frühjahr entschieden werden, wenn sich die Fraktionen in neuer Größe/Stärke und Konstellation auf Regierungsmehrheiten geeinigt haben.

Und die Grundmodelle stehen nach dem Parlamentsbeschluss ja fest:
1) Neubau einer Theaterdoppelanlage am Willy-Brandt-Platz
2) Neubau einer Theaterdoppelanlage inklusive  Werkstätten, Probebühne und Lager an einem geeigneten – sprich: an einem noch offenem Standort
3) Neubau einer Spielstätte (Oper oder Schauspiel) am Willy-Brandt-Platz, gekoppelt mit dem Neubau der zweiten Spielstätte an einem „gut erschlossenen“ weiteren Grundstück

Bestechender Vorschlag des Frankfurter Architekten Prof. Christoph Mäckler für eine „Kulturmeile“ 

Diese Varianten sollen gründlich mit allen damit verbundenen Einzelfragestellungen untersucht und geprüft werden, wozu speziell auch die Grundfragen nach den künstlerischen, betrieblichen und räumlichen Konzepten des künftigen Spielbetriebs gehören. Dass die unmittelbaren Verantwortlichen gerade bei diesem Großprojekt, dass speziell die Kulturdezernentin immer mit dem Grundgedanken des Selbstgesprächs und der Selbstvergewisserung der Stadtgesellschaft verbindet, hier die Formeln ‚ergebnissoffen’ und ,partizipativ‘, ohne jede Einschränkung anwenden sollten, müsste selbstverständlich sein.

Dass neues Nachdenken, Umorientierung und Einlenken möglich sind, das hat sich schließlich inzwischen erwiesen. Indem beispielsweise die CDU-Fraktion Zeichen ausgesandt hat, welche eines erkennen lassen: der von ihr ursprünglich mit aller Macht gewollte Neubaustandort im Osthafen wird nicht mehr bis zur letzten Konsequenz verteidigt.

Wenn der von Ina Hartwig mit so einhellig positiven Echo vertretenen Idee der „Kulturmeile“ – mit der räumlichen Linie vom Jüdischen Museum und dem anschließenden Theater am Willy-Brandt-Platz über eine Oper auf dem jetzigen Sparkassen-Grundstück an der Neuen Mainzer bis hin zur Alten Oper – auch aus kompetentem CDU-Mund ein großer „Charme“ bescheinigt wird, heißt das im Klartext: Ja, das können wir uns sehr wohl vorstellen. Dass wiederum das Parlament die Osthafen-Option indirekt auch in die Prüfoptionen eingebaut hat, spricht für einen fairen Verfahrensausgleich, der falsch verstandene Starrheit und Sturheit aufzulösen vermag.

Tafel in einer Ausstellung des Deutschen Architektur Museums (DAM), Foto: Uwe Kammann

Ohnehin ist eines immer mit zu bedenken: Bis zur Ausschreibung von Architekturwettbewerben auf einer haltbaren Anforderungsgrundlage werden nach der Grundentscheidung im nächsten Herbst (auch dies: ein Wackeldatum!) sicher noch drei Jahre vergehen, die Ausarbeitung der Pläne nach einem Zuschlag wird mindestens zwei Jahre in Anspruch nehmen, die Bauphase ist mit gut fünf Jahren zu veranschlagen. Also: vor 2030, eher später, wird nichts vollendet sein.

Zuversicht kann vermitteln, dass die Prüfaufträge bei der Stabsstelle Zukunft Städtische Bühnen unter der Leitung des schon beim Altstadt-Wiederaufbau bewährten Michael Guntersdorf in guten Händen liegen. Was die Finanzierung anbelangt, sind die Fragezeichen viel größer. Welche Spielräume bleiben der Stadt, wenn all’ die Folgekosten der Coronakrise zu verkraften sind?

Dass von Bund und Land große Finanzierungstranchen übernommen werden (der Frankfurter Parlamentsbeschluss spricht diese Verhandlungsoption natürlich an), ist unwahrscheinlich, wenn überhaupt. Hessens Kunst- und Wissenschaftsministerin Angela Dorn lässt bei offener Nachfrage diskret durchblicken, dass das Land mit seinen eigenen Verpflichtungen und Aktivitäten bei den Staats- und Landestheatern schon enorm ausgelastet sei, in Corona-Zeiten sogar unter erschwerten Bedingungen. Ganz ausschließen will sie, direkt befragt, eine Landesbeteiligung allerdings nicht. Allerdings: Der begleitende Blick sagt alles …

Hessens Kunst- und Wissenschaftsministerin Angela Dorn, Foto: Petra Kammann

All’ dies ungeordnete Terrain bietet allerdings auch viel Gutes, vorausgesetzt, es existiert tatsächlich der Wille zur vorurteilsfreien, ergebnisoffenen Diskussion und nicht zur Exekution von starren Standpunkten. Insofern: Es ist noch einmal gründlich zu diskutieren, wie verhältnismäßig, wie angemessen Hülle und Inneres eines künftigen Theaterbetriebs sein können, sein müssen und welchen finanziellen Rahmen es dafür braucht.

Generell fragt der „Tagesspiegel“-Kulturredakteur Falk Jaeger angesichts der vielerorts horrenden Sanierungs-Summen und –Visionen: „Ist nicht das hinreißendste, revolutionärste, innovativste Theater immer unter improvisierten, räumlich und finanziell teilweise prekären Umständen realisiert worden? Lieben Regisseure nicht den ‚Werkstattcharakter’, spielen sie nicht am liebsten in leeren Industriehallen?“

Seine Schlussfolgerung ist eindeutig: „Ein Umdenken im Theaterwesen ist angesagt, Pragmatik, Realitätssinn und weniger Spendierhosen bei den Politikern.“ Beispiele, dass die Preis-Leistungsschere beim Bauen und Sanieren sich nicht zwingend sperrangelweit öffnen muss, gibt es ja auch, von Darmstadt bis Potsdam.

Umdenken, Neudenken, Nachdenken. Ja, unbedingt. Insofern bietet die Frankfurter Situation mit ihren Sprungelementen, ihren konträren Positionen, ihren Modellideen (wie der ,Kulturmeile‘), ihrem Zeitrahmen und nicht zuletzt mit ihren existentiell gewendeten finanziellen Not-Wendigkeiten auch eine große Chance: jene der Besinnung, jene der Nachhaltigkeit. Bezogen immer auch auf die Entwicklungs- und Gestaltungsziele für die ganze Stadt.

Wenn das so wäre, wenn die Chance genutzt würde, dann ließe sich mit einiger Zuversicht sagen: Schon der Weg zum neuen Theater ist lohnend, in jeder Hinsicht.

 

ZUR ZUKUNFT DER STÄDTISCHEN BÜHNEN. Standorte und Stadträume

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