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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Schaulust. Niederländische Zeichenkunst des 18. Jahrhunderts im Frankfurter Städel

Ein lange gehüteter und nicht gehobener Schatz

Von Petra Kammann 

Die kostbare, über 100.000 Zeichnungen und Druckgrafiken vom Spätmittelalter bis zur Gegenwart umfassende Graphische Sammlung des Städel Museums liegt wegen der Lichtempfindlichkeit der Blätter im Verborgenen. Annähernd 600 Blätter umfasst allein die Sammlung niederländischer Zeichnungen des 18. Jahrhunderts, eine der umfangreichsten außerhalb des Entstehungslands. Wie sich die Zeichnung in den Niederlanden ein Jahrhundert nach dem „Goldenen Zeitalter“, im 18. Jahrhundert, als Genre emanzipiert, davon handelt jetzt eine kleine, aber feine Ausstellung namens „Schaulust“ – mit 81 repräsentativen Zeichnungen von sehr erfolgreichen Künstlern dieser Zeit, deren Namen zu Unrecht in Vergessenheit geraten sind.

Jan van Huysum (1682–1749), Eine Krabbe, Wasserfarben und Grafit auf Büttenpapier, vor 1749, 183 × 294 mm, Städel Museum, Frankfurt am Main; Foto: Städel Museum

Wie  doch eine einzelne Meereskrabbe von der Rückensicht aus eine so starke Faszination ausüben kann! Unweigerlich wird mein Blick von der Natürlichkeit des sich windenden Krustentiers angezogen. Es sieht so aus, als wäre es gerade frisch aus dem Meer gefischt und hingeworfen worden und wollte sich mit seinen gefährlich verschränkten Scheren seiner selbst vergewissern. Detailreich ist sein mit hakenartigen Borsten besetzter Panzer dargestellt, seine Krallen scheinen sich in den Boden – ein unbearbeiteter Hintergrund – einzugraben, die gekrümmten Krabbenbeine werfen Schatten auf das fast weiße Blatt. Sein Korpus schimmert leicht in zart rötlichen Schattierungen und hat eine ungeheure Präsenz. Seine Pose wirkt auf dem Blatt von Jan van Huysum (1682–1749) alles andere als stilisiert, dafür ungleich lebendiger als die 1495 dargestellte Krabbe von Albrecht Dürer oder die von Maria Sibylla Merian aus dem Jahre 1701.

Meisterhaft und anders als arrangierte Blumenstillleben oder Darstellung exotischer Tierarten aus der gleichen Epoche wurde die Krabbe für sich und ohne Hintergrundarrangement vom Amsterdamer Künstler Jan van Huysum mit Grafit vorgezeichnet, dann mit Wasserfarbe ausgemalt, in mehreren Schichten naturgetreu koloriert und laviert. Huysum war ein echt begehrter Star in den 1710er und 1720er Jahren und gehörte zu den bestbezahlten Künstlern seiner Zeit. Zu seinen europäischen Kunden zählte neben anderen europäischen Prominenten u.a. auch der Landgraf Wilhelm III. von Hessen-Kassel. Insgesamt war das Interesse an Flora und Fauna, wovon auch Naturalienkabinette zeugten, nicht nur bei den Niederländern in Europa damals groß. Daher waren die fast naturwissenschaftlichen und lehrreichen Abbildungen wie auch die künstlerischen Blumen- und Tierzeichnungen beliebt. 

Das schien den Sammler Johann Georg Grambs (1756–1817) und den mit ihm befreundeten Johann Georg Johann Friedrich Städel (1728–1816), Namensgeber des Museums, ebenfalls zu begeistern. Im wissensdurstigen Jahrhundert der Aufklärung blühte die Kunstproduktion insbesondere in Zentren wie Amsterdam, Haarlem, Den Haag oder Dordrecht, auf die sie daher ihr Augenmerk richteten. Dort wurden vielfach etwa Zeichnungen als Kunstwerke für den Verkauf angefertigt, die dann europaweit gekauft und gesammelt wurden, wo auch Grambs sie erwarb, während Städel sich kaum aus Frankfurt wegbewegte; zumindest wissen wir nichts darüber. Sie sollten das Kunst- Wissens- und Bildungsbedürfnis einer neuen wohlhabenden Bürgerschicht unterstützen. Aufbewahrt wurden diese Zeichnungen dann vorzugsweise in kostbaren Kunstbüchern oder Alben in den Bibliotheken reicher Bürger. Im Städel wanderten sie dann zunächst ein Jahr nach dem Tode des Museumsstifters Städel in die Graphische Sammlung.

In der Städel-Schau sind nicht nur die differenziert gemalten Stillleben und Tierzeichnungen zu sehen, sondern neben drei anderen Schwerpunkten auch die Landschaftszeichnungen der begehrten niederländischen Künstler. Sie gehörten ebenfalls zur persönlichen Vorliebe von Johann Friedrich Städel und Johann Georg Grambs. Da finden sich in der Schau herausragende Landschaftsdarstellungen, die vom Landleben erzählen, die malerische Bauernhäuser darstellen wie in Landschaft mit Burg im Schnee (Der Winter) (1788) von Jacob Cats (1741–1799) oder von Egbert van Drielst (1745–1818), die  von Vorbildern des „Goldenen Zeitalters“, des 17. Jahrhunderts, beeinflusst sind, aber auch Marinen des Rotterdamers Hendrik Kobell (1751–1779) oder des Dordrechters Martinus Schouman (1770–1848) wie „Eine Antwerpener Pleit und andere Schiffe zwischen Noord-Beveland und Wolphaartsdijk“ (1775). 

Der Reiz der niederländischen Landschaft konnte sich in dieser Zeit in den Zeichnungen jedoch auf mehreren Ebenen entfalten: in der Vergewisserung der Schönheit des eigenen Landes, im Reflektieren der großen niederländischen Kunstgeschichte und ihrer Landschaftsmalerei, zumal mit dem besonderem Lichteinfall, außerdem im Wahrnehmen der antiken Architektur oder der mythologischen Motive, die aus französischen und italienischen Darstellungen stammen.

Jan van Huysum„Der Sturm“ (um 1721),  Städelsches Kunstinstitut, Jan van Huysum,“Der Sturm“(um 1721),  Städelsches Kunstinstitut; Foto: Petra Kamman 

Aber auch hier stellt die Federzeichnung einer Landschaft „Der Sturm“(um 1721) von Jan van Huysum mit ihrem dynamischen grau-braunen Pinselstrichen eine Besonderheit dar. In diesem Landstrich herrscht Werder die arkadische Ruhe unter fast südlichem Licht, wie es in anderen Landschaftsdarstellungen oder auch die Stille in vielen detailreichen raffinierten Stillleben der Künstler der Zeit zu sehen ist. Hier ist alles in Bewegung, man glaubt förmlich den rasend-peitschenden Wind in den zu einer Seite geneigten Baumzweigen auf der Haut zu spüren. Dramatisch wirkt die gesamte Szene mit den zerborstenen Bäumen und den zwei Personen im Vordergrund, die miteinander zu kämpfen scheinen, oder die sich gegen den Sturm aufbäumen. Mag sein, dass es sich bei dieser bewegten und bewegenden Zeichnung um eine Entwurfsskizze handelt. Aber auch sie zeugt von der ungeheuren Strichsicherheit und Souveränität des Amsterdamer Künstlers im Umgang mit dem Raum der Landschaft und dem des begrenzten Blattes.

Blick in die renovierten Räume der Graphischen Sammlung, Foto: Städel Museum

Zu schauen in dem wegen der Lichtempfindlichkeit der Blätter abgedunkelten und nicht so großen Ausstellungsraumes, gleich links neben dem Eingang des Museums, gibt es jede Menge, durchaus auch satirische Genreszenen. Die Lust beim Entdecken dieser meisterhaften Zeichenkunst der Niederländer stellt sich dabei ganz von alleine ein. Vertiefen kann man seine neuen Entdeckungen dann im dahinter liegenden Studiensaal der Graphischen Sammlung mit ihren Bereichen für Wissenschaft und Forschung, der nach mehr als fünf Jahrzehnten vom Architekten Gisbert Pöppler schlicht, funktional und farblich diskret umgebaut und renoviert wurde, so dass sich dort Historie und Gegenwart aufs Schönste vereinigen. Dort kann man sich von nun an einzelne der kostbaren Arbeiten aus dem über 100.000 Zeichnungen und Grafiken umfassenden Schatz des Städel Museums, von dem noch längst nicht alles gehoben wurde, vorlegen lassen.

Ausstellungsansicht „Schaulust. Niederländische Zeichenkunst des 18. Jahrhunderts“; Foto: Städel Museum – Norbert Miguletz

SCHAULUST. NIEDERLÄNDISCHE ZEICHENKUNST DES 18. JAHRHUNDERTS 

bis 10. Januar 2021

Städel Museum, Schaumainkai 63, 60596 Frankfurt am Main  

www.staedelmuseum.de

Besucherservice: +49(0)69-605098-200, info@staedelmuseum.de 

Öffnungszeiten: Di, Mi, Fr, Sa, So + Feiertage 10.00–18.00 Uhr, Do 10.00–21.00 Uhr 

Sonderöffnungszeiten: Sa, 3.10., 10.00–18.00 Uhr; Do, 24.12., geschlossen; Fr, 25.12., 10.00–18.00 Uhr; Sa, 26.12., 10.00–18.00 Uhr; Do, 31.12., geschlossen; Fr, 1.1.2021, 11.00–18.00 Uhr 

Öffnungszeiten Studiensaal Graphische Sammlung: Mi, Fr 14.00–17.00 Uhr, Do 14.00–19.00 Uhr. Um die Schutzmaßnahmen gegen die Verbreitung des Coronavirus (Covid-19) einzuhalten, ist eine vorherige schriftliche Anmeldung mit Angabe der Uhrzeit und Aufenthaltsdauer per E-Mail an: graphischesammlung@staedelmuseum.de erforderlich. 

Überblicksführungen durch die Ausstellung: Do 18.00 Uhr, So 14.00 Uhr. Die Teilnehmerzahl ist begrenzt. Tickets sind im Online-Shop für 5 Euro buchbar unter shop.staedelmuseum.de. 

 

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