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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Deutscher Buchpreis: Die Finalisten (1) Christine Wunnicke

Vier der sechs Autor*innen, die für den Deutschen Buchpreis nominiert wurden, waren der Einladung zur Lesung ins Frankfurter Literaturhaus gefolgt: Anne Weber („Annette, ein Heldinnenepos“), Deniz Ohde („Streulicht“), Dorothee Elmiger („Aus der Zuckerfabrik“) und Bov Berg („Serpentinen“).
Die Autorin Christine Wunnicke war nicht bei der Präsentation der Finalisten im Frankfurter Literaturhaus. Ihr Roman ist aber durchaus lesenswert und preiswürdig, findet Simone Hamm, die das Buch für FeuilletonFrankfurt gelesen hat.

v.l.n.r.: Anne Weber, Deniz Ohde, Dorothee Elmiger  und Bov Berg lasen im Literaturhaus; Foto: Petra Kammann

Der Himmel über der Insel der Götter

Der persische Astronom Musa al Lahuri und sein Diener Malik warten auf der Insel Gharapuri auf ein Schiff, dass sie nach Manbai, heute Mumbai, zurückbringen soll. Sie erkunden die Insel, streifen mit dem Krummsäbel durch Wälder und Gebüsch, finden einen Höhlengang, eine riesige Halle. An den Wänden betrachten sie verwitterte Halbreliefs hinduistischer Götter, dreiarmig, zur Hälfte abgebrochen, enthauptet, einbeinig. Aber immer noch sind sie hocherotisch.

Und dann finden sie einen jungen Mann in arabischer Tracht zusammengekrümmt auf dem Boden liegend: „bläulichweiß wie entrahmte Milch“. Es ist der deutsche Carsten Niebuhr, Mathematiker und Kartograf. Er schüttelt sich im Fieberkrampf, Musa kümmert sich um ihn.

Niebuhr hat in Göttingen gelebt und ist von dem Orientalisten Johann David Michaelis nach Arabien geschickt worden. Das war 1761. Niebuhr war der einzige Überlebende einer sechsköpfigen Expedition. Heute zählt Gharapuri zum Weltkulturerbe.

Michaelis hatte Niebuhr den Auftrag gegeben, den Wahrheitsgehalt der biblischen Erzählungen zu prüfen.

Und um Wahrheit und Erzählungen geht es auch in Christine Wunnickes feinsinnigem, humorvollen kleinen Roman „Die Dame mit der bemalten Hand“.  Musa und Niebuhr erzählen einander Geschichten. Musa vertraut Niebuhr nicht.

„Er heiße Nibbur und mit Rufnamen Kurdistan und stamme aus Almanya. Musa hatte nicht weiter nachgeforscht. Der Bursche würde schon wissen, warum er so log. Kein Mensch hieß Nibbur und gewiss nicht in Almanya … Sein Arabisch war reichhaltig, falsch und lustig.“

Es überrascht Musa, dass Niebuhr ihm so bereitwillig jede noch so aberwitzige Story abkauft, etwa, dass seine Mutter sich als Mann verkleidet habe und in die Armee gegangen sei, wo sie den Vater kennengelernt habe. Er erzählt um des Erzählens willen, bunte Geschichten wie aus 1001 er Nacht.

Musa spricht Persich, Griechisch, Latein, Arabisch, Sanskrit. Die beiden unterhalten sich auf Arabisch. Für Musa kein Problem. Niebuhr radebrecht. Daraus ergeben sich lustige Missverständnisse. Sie übersetzen aus ihren jeweiligen Sprachen, da wird gelogen „wie gestempelt“ und aus dem Märchen „Tischlein deck dich“ wird „Deck Dich selbst, o kleiner Tisch des Wunders“  – das klingt gleich viel poetischer.

Der Diener Malik versteht fast kein Arabisch. Aber hinter einer Stirn kann er lesen und versteht.

Gemeinsam blicken Musa und Niebuhr in die Sterne. Niebuhr betrachtet das Sternbild Kassiopea. Musa erklärt ihm, dies sei nur  Teil eines viel größeren Sternbildes, nämlich die titelgebende „Dame mit der bemalten Hand“. Niebuhrs Kommentar dazu ist:„Wir glotzen alle in denselben Himmel und sehen verschiedene Sterne“.

Die beiden Männer erleben, sehen, denken völlig verschieden. Sie sind einander fremd und sie sind gemeinsam in einer ihnen unheimlichen Fremde. Was richtig oder falsch ist, was wahr ist, was übertrieben, was gelogen, was ein Fiebertraum gewesen ist –das lässt Christine Wunnicke offen. Sie nimmt uns mit auf eine wunderbare Reise in vergangene Zeiten, andere Welten. Manche historische Fakten sind korrekt, mit anderen spielt sie. Niebuhr ist wohl nur bis Persien gekommen. Was wir für bare Münze nehmen und was nicht – dass müssen wir schon selber entscheiden.

Die Dame mit der bemalten Hand“ , Berenberg. 168 Seiten 22 €.

Video der Nominierten:

https://www.deutscher-buchpreis.de/videos/

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