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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Wo einst Bier gebraut wurde, gibt es heute Kultur satt

Der Prenzlauer Berg – angesagter Szene-Bezirk mit vielen Attraktionen

Von Hans-Bernd Heier

Wer einen mehrtägigen Berlin-Trip plant, sollte unbedingt einen Abstecher zum Prenzlauer Berg im Bezirk Pankow einplanen. Dieser ehemals etwas heruntergekommene Stadtteil hat sich nach der Wende zum Szeneviertel und dann zum gutsituierten Familienquartier gewandelt, das zahlreiche Sehenswürdigkeiten bietet. Heute ist der „Prenzlberg“ ein Touristenmagnet und lockt mit trendigen Cafés, Kneipen, Restaurants, Bars und Clubs, und vor allem mit viel Kultur.

Der Wasserturm von 1877 ist der älteste in Berlin und ein Wahrzeichen des Prenzlauer Bergs; Foto: ©Google-Dienste

Das zunehmende Interesse am Prenzlauer Berg rührt auch von dem angenehmen Wohnflair: Der Ortsteil glänzt mit dem größten zusammenhängenden Gründerzeit-Altbaugebiet Deutschlands: 67 % aller Wohnungen stammen aus den Jahrzehnten zwischen der Reichsgründung im Jahr 1871 und dem Beginn des Ersten Weltkriegs 1914. Heute sind große Teile der Fassaden saniert. Auch malerische Plätze und Straßenzüge laden zum Flanieren ein. Besonders beliebt sind die Gegenden um den Kollwitz- und Helmholtzplatz mit Restaurants aller Geschmacksrichtungen und kleinen Boutiquen. Der beliebte Sonntagsflohmarkt im Mauerpark ist ein lohnendes Ziel von „Stöberern“ und Straßenmusikern.

Der Kollwitzplatz bildet den Mittelpunkt des sogenannten „Kollwitzkiezes“. Der Platz wurde 1947 nach der bedeutenden deutschen Grafikerin und Bildhauerin Käthe Kollwitz benannt, die hier einen Großteil ihres Lebens im Haus Weißenburger Straße Nr. 25 verbrachte, heute Kollwitzstraße 58. Der Bildhauer Gustav Seitz hat von der expressionistisch arbeitenden Künstlerin eine tief beeindruckende Großplastik gefertigt.

Gustav Seitz „Käthe Kollwitz“; Foto: ©Käthe Kollwitz Museum Köln

Im „Kollwitzkiez“ gibt es kaum noch unsanierte Ecken. Das war vor 30 Jahren n ganz anders. Denn die Maxime der damaligen DDR-Wohnungsbaupolitik war, die „Lösung der Wohnungsfrage“ über ein gigantisches Neubauprogramm anzustreben. Dies hatte zur Folge, dass die Altbausubstanz auch im Prenzlauer Berg immer weiter verfiel und die Zahl der unbewohnbaren Wohnungen Jahr für Jahr stieg. Für eine umfassende Sanierung der Altbauten fehlten die finanziellen Mittel, nicht zuletzt aufgrund der stark subventionierten Mieten in der DDR, mit denen die Baukosten nur zu einem Bruchteil erwirtschaftet werden konnten. Erst im Zuge der Vorbereitungen für die 750-Jahr-Feier Berlins im Jahr 1987 wurde Anfang der 1980er Jahre verstärkt damit begonnen, Altbauten zu renovieren. Die Gründerzeitfassaden in der Husemannstraße am Kollwitzplatz sollten wie in einem Freilichtmuseum präsentiert werden, entsprechend aufwändig und authentisch wurde die Sanierung vorgenommen.

Außenansicht der Kulturbrauerei am „Prenzlberg“; Foto: ©Grover R.

Der Kollwitz- und Helmholtzplatz spielten auch für die politische Wende in der DDR eine maßgebliche Rolle, da sie die Heimat der Protestbewegung waren. Bereits in den 1970er und 1980er Jahren entwickelte sich dort ein Zentrum der Opposition im Arbeiter- und Bauernstaat. Die „Umwelt-Bibliothek“ und andere oppositionelle Prenzlauer-Gruppen organisierten im Oktober 1989 Demonstrationen gegen die Wahlfälschungen im Frühjahr und Mahnwachen für die politischen Gefangenen in der Gethsemanekirche, die zum Symbol für gewaltfreien Protest wurde. Am 9. November 1989 wurde der Grenzübergang an der Bornholmer Straße als erster geöffnet.

Der Innenhof der Kulturbrauerei bietet Platz für Rockkonzerte, Shows und Open-Air-Veranstaltungen; Foto: Petra Kammann

Schon zu DDR-Zeiten prägten Studenten, Kulturinitiativen und Literaten das Image des Stadtteils. Nach dem Fall der Mauer hat sich der „Prenzlberg“ zum beliebten Szeneviertel entwickelt und ist für sein ausgeprägtes Nachtleben bekannt. Besonders jüngere Menschen schätzen die lebendige Mischung aus Kneipen und Kultur und sind in den letzten zehn Jahren zur Überraschung der Kommunalpolitiker mit ihren kleinen Kindern in den Ortsteil gezogen. Wurde noch Mitte der 1990er Jahre der Wegzug von Familien mit Kindern öffentlich beklagt, so gilt heute der Bereich um den Helmholtz- und Kollwitzplatz als die kinderreichste Gegend der Stadt.

Am Sonntag bieten Imbisswagen auf dem Gelände der Kulturbrauerei Leckerbissen aus aller Welt; Foto: Gisela Heier

Zur Attraktivität des Bezirks dürfte nicht zuletzt das vielfältige kulturelle Angebot beigetragen haben, besonders die auf dem ehemaligen Schultheiss- Gelände gelegene „Kulturbrauerei“ in der Knaackstraße. Sie ist Zentrum einer abwechslungsreichen, bunten Kulturszene. Wo einst Bier gebraut wurde, wird heute Kultur satt geboten.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wandelte das SED-Regime die Brauerei, deren Grundstein im Jahre 1842 gelegt wurde, in einen Volkseigenen Betrieb (VEB) um. 1967 wurde jedoch der Betrieb wegen der maroden Maschinen eingestellt und die  Gebäude wurden für unterschiedliche Zwecke genutzt. Nach der Wiedervereinigung wurde 1991die Kulturbrauerei gegründet, die sich zu einem großartigen multikulturellen Zentrum entwickelt hat.

Auf dem großen Brauereigelände gibt es jetzt statt Pferdefuhrwerke, Bottiche und Fässer Kinos im „CineStar“, Musikclubs, Restaurants und Theater: wie das schon 1922 in Berlin gegründete russische Kammertheater P.A.N.D.A. und das Theater „RambaZamba“, in dem der Verein Sonnenuhr e. V. mit Künstlern mit unterschiedlichsten Beeinträchtigungen arbeitet. Des Weiteren befinden sich auf dem Areal das „Haus für Poesie“, das sich der Förderung junger Talente verschrieben hat; ferner das „Palais“ mit mietbaren Veranstaltungsräumen sowie beliebte Clubs, die aus dem Berliner Nachtleben nicht wegzudenken sind, beispielsweise das „SODA“, einer der größten Clubs Berlins; dort tanzen Partygänger zu Pop und Disco. Auch in der „Alten Kantine“ wird zu heißen Rhythmen aufgelegt.

Eingang des Museums in der Kulturbrauerei; Foto: © Stephan Klonk / Stiftung Haus der Geschichte

Der weitläufige Komplex der Kulturbrauerei besteht aus sechs Innenhöfen mit 20 Gebäuden aus rotem und gelbem Klinker. Auf den renovierten Klinkerfassaden sind noch die Originalschriftzüge mit der früheren Nutzung der Gebäude zu lesen. Ein Highlight auf dem großen Gelände ist das „Museum in der Kulturbrauerei“, in dem die „Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland“ die beeindruckende Dauerausstellung „Alltag in der DDR“ präsentiert. Die sehenswerte Schau beleuchtet das Spannungsverhältnis zwischen ideologischem Anspruch der SED-Herrschaft und ostdeutscher Alltagswirklichkeit – dies ohne Häme oder Wessi-Überheblichkeit.

Im Kiosk liegt ein breites Sortiment meist streng zensierter Printmedien aus; mehr Freiheit hatte das Modejournal „Sibylle“, das wegen der exquisiten Kleidungsentwürfe (die es nicht in den volkseigenen Läden gab), der herausragenden Fotos und den beigefügten Schnittmuster–Heften heiß begehrt war (s. Bericht in feuilletonfrankfurt); © Stephan Klonk / Stiftung Haus der Geschichte

Versammelt sind in der beeindruckenden Ausstellung rund 800 Exponate und 200 Dokumente, Filme und Tonaufnahmen von Zeitzeugen, die verdeutlichen, wie Ideologie und Wirklichkeit in Ostdeutschlandauseinander klafften, aber auch  wie geschickt und einfallsreich die Menschen auf die ständige staatliche Bevormundung und auf die Mängel der sozialistischen Planwirtschaft reagierten: mit viel Kreativität, Pragmatismus und der Flucht ins private Idyll.

Die Ende 2013 eröffnete Ausstellung ist in vier Themenschwerpunkte klar gegliedert: Im ersten Teil wird die grundlegende Prägung des Alltagslebens durch die Ideologie des SED-Staates dokumentiert. Das Regime propagierte die Sowjetunion als politisches und praktisches Vorbild und berief sich auf den Marxismus-Leninismus. Trotz großer Propagandaposter und massivem gesellschaftspolitischem Druck unterstützten nur wenige aus Überzeugung die SED, die Mehrheit arrangierte sich gezwungenermaßen mit den Zwängen der Diktatur. Widerstand und „Andersdenken“ wurden mit Überwachung, Bespitzelung und Verfolgung geahndet.

Trabi mit Zeltdach – eine kniffelige Meisterleistung; Foto: Gisela Heier

Um die Bevölkerung von den Vorteilen des Sozialismus zu überzeugen, boten die Machthaber als Belohnung soziale Anreize, wie Freizeit- und Kulturangebote, Prämien, umfassende Kinderbetreuung oder auch preisgünstige Grundnahrungsmittel an. Wer sich staatstreu verhielt, verbesserte seine Chancen auf Bildung und eine abgesicherte Existenz. Abweichendes Verhalten wurde hingegen staatlich sanktioniert, bis hin zu politisch motivierten Verhaftungen.

Im zweiten Teil wird das Leben im Kollektiv thematisiert. Zu hören sind Tonaufnahmen mit Liedern, die das Kollektiv preisen. Nicht nur für die Werktätigen bei der Arbeit, sondern auch nach Dienstschluss und in der Freizeit waren Massenorganisationen und Arbeitskollektive Taktgeber für das tägliche Leben. Mit Freizeit- und Kulturprogrammen sollte ein Gefühl der Gemeinsamkeit und des Zusammenhalts geschaffen werden. Zugleich dienten die Programme auch der sozialen Kontrolle.

↑↓ Die Partei wirbt bei den Werktätigen auf Plakaten mit „Mutmacher-Parolen“ – auch mit dem berühmten Slogan „Das schaffen wir“; Foto: Hans-Bernd Heier

Der dritte Themenbereich veranschaulicht die erhebliche Kluft zwischen dem SED-Versprechen eines besseren Lebens im Sozialismus und der tatsächlichen Lage. Die Versorgung mit ausreichendem Wohnraum, hochwertigen Konsumgütern und Nahrungsmitteln konnte die sozialistische Zentralplanwirtschaft entgegen aller Parolen nicht sicherstellen. Unzulängliche Infrastruktur und zerstörte Umwelt erschwerten die Lebensbedingungen.

Verblüffend sind die präsentierten Beispiele, wie sich die Menschen der Mangelwirtschaft durch private Initiative und viel Kreativität entgegengesetzt haben. Der Trabi mit Dachzelt im vierten Ausstellungsbereich dürfte sicher eher eine Ausnahme eines einfallsreichen und geschickten Tüftlers gewesen sein. Weit verbreitet waren dagegen die Datschen, die als Synonyme für den Rückzug vieler Ostdeutscher ins Private stehen, um der politischen und sozialen Kontrolle zu entgehen. Der Mangel an Freiheit und Selbstbestimmung konnte durch diese kleinen Fluchten in die private Idylle allerdings nicht verdrängt werden.

Der Eintritt zu dieser großartigen Präsentation, die einen anschaulichen Rückblick in das Alltagsleben der damaligen DDR bietet, das 30 Jahre später bisweilen schon nostalgisch verklärt wird, ist frei.

Weitere Informationen unter: www.hdg.de

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