Dem Maler, Zeichner, Buchillustrator Hans Ticha zum 80ten
Humorvoll-Skurill, Außergewöhnlich, und Unverkennbar
von Renate Feyerbacher
Kein gemeinsames Versammeln mit Eröffnungsrede zum Beginn der Vernissage, sondern nur der Aufenthalt vor der Büchergilde-Galerie in Frankfurt auf der Straße mit Getränke-Theke. Der Zugang zur Ausstellung ist nur nach und nach möglich… Hans Ticha nimmt die Situation locker, es muss ja sein. Große Ruhe strahlt er aus, als habe er diese in der DDR gelernt. Geduldig redet er mit den Freunden, die gekommen sind, mit den Interessierten, die seine Kunst schätzen. Nur kurz dürfen Hans Ticha und später auch seine Frau zum Foto ohne Mundschutz in die Laden-Galerie gehen.
Vor der Eröffnung am 28. August in Frankfurt war er in Schwerin und Rheinsberg unterwegs.
In Schwerin wurde in der Sammlung der Schwerpunkt DDR-Kunst der Staatlichen Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern (SSGK M-V), der Ankauf von drei Bildern ermöglicht, unterstützt vom Verein der Freunde, erzählt der sichtlich erfreute Künstler.
Das außergewöhnliche Gemälde „Sieger im Radrennen“ von 1970 und „Brausender Hochruf“ waren mit vielen anderen Werken des Künstlers –Malerei, Zeichnung,Plastik bis zum 13. September im Schleswig-Holstein-Haus ausgestellt.
Die Begründung zum Kauf stand in der Pressemitteilung des SSGK M-V: „Hans Ticha agierte wie ein westlicher Pop Art Künstler und befragte in seiner Malerei Ideale, aber auch Rituale des Sozialismus made in DDR. So spielt sein Werk ‚ Hochruf‘ von 1982 auf die Totalität des damaligen Systems an. Das Gemälde zeigt zum einen die geballte Faust des Sozialismus und akzentuiert zum andern einen runden Kopf, der nur dazu da zu sein scheint, Lösungen herauszuschreien.“
Im Kurt-Tuchosky-Museum im Schloss Rheinsberg sind die 30 Geburtstagsbilder, die der Künstler seit vielen Jahren seiner Frau zum Geburtstag malt und schenkt, noch bis zum 3. Januar 2021 zu sehen.

Hans Ticha und seine Frau, die Zahnärztin Monika Funk, am 28.8.2020 in der Büchergalerie, Foto: Renate Feyerbacher
Über Hans Tichas Leben und Werk in der DDR hat FeuilletonfFrankfurt bereits vor fünf Jahren anlässlich seines 75. Geburtstags ausführlich berichtet.
Hans Ticha hat in der DDR etwa 70 Bücher bebildert. Bereits mit 19 Jahren illustrierte er „Das Schildbürgerbuch“ – 28 Seiten mit zehn dreifarbigen Original-Linolschnitten, in einer Auflage von 25 Exemplaren. Oft gehörten seine Bücher zu den „Schönsten“, und das sowohl in der DDR als auch in der Bundesrepublik. Mit drastischer Ironie gestaltete er malerisch wie zeichnerisch die SED-Rituale: reckende Fäuste, Beifall klatschende Hände, aber auch Hände, die Solidarität zeigen. Überhaupt spielen Hände in seinem Werk eine große Rolle, ebenso der Sport. Diese Bilder wurden von den Oberen geschätzt.
Vielfältig ist das Werk von Hans Ticha und auch ironisch; Foto: Renate Feyerbacher
In den Büchern konnte er seine Kritik am System realisieren. „Das ist das Merkwürdige, dass bei Buchillustrationen in formaler Hinsicht wesentlich mehr Freiheiten existierten. Das war verblüffend. Bei einem Buch, das in zehntausendfacher Auflage erschien, da haben sie nicht so genau hingeguckt als bei einer Ausstellung, wo gerade mal 20 Leute hinguckten.“ (Aus einem Gespräch im Jahre 2015). Im Westen übt er oft bissige Kritik am Konsumverhalten der Gesellschaft.
Die Buchkunst hat Hans Ticha auch im Westen nicht aufgegeben. Mittlerweile sind es etwa insgesamt 100 Bücher, die er bildlich gestaltete. Nachdem er 1990 in den Westen übergesiedelt war, arbeitete er mit verschiedenen Verlagen zusammen. Groß eingestiegen ist er bei der Büchergilde. „Der Krieg mit den Molchen“ von Karel Capek mit Tichas Grafiken. 1987 war es in der DDR erschienen, wurde 1990 im Westen in Lizenz übernommen und 2016 neu aufgelegt.
Ein literarisches Kultbuch, für das sich Hans Ticha bereits mit 15 Jahren begeisterte. Über ein Jahrzehnt später hat er daran gearbeitet. 1996 beauftragte ihn die Büchergilde dann mit der Gestaltung von Ringelnatz-Gedichten. In diesem Jahr hat die Büchergilde ihm den Jahreskalender gewidmet. Im Oktober erscheinen die Gesammelten Gedichte von Mascha Kaléko „Bewölkt mit leichten Niederschlägen“, die von ihm bildlich gestaltet wurden.
Original-Flachdruckgrafiken zu Mascha Kalékos Gedichten; Foto: Renate Feyerbacher
Mascha Kaléko (1907 bis 1975), Kind osteuropäischer Juden, kommt mit sieben Jahren zunächst nach Frankfurt, geht nach Marburg und nach dem Ersten Weltkrieg nach Berlin.
Der Vater verbietet ihr das Studium, so beginnt sie eine Lehre als Bürokraft. Sie fühlt sich zur intellektuellen Bohème-Szene hingezogen. 1929 erscheint ihre erste Lyrik, die gut ankommt. 1938 verlassen sie und ihr Mann im letzten Moment Deutschland. Bis 1960 leben sie samt Sohn in New York, siedeln schließlich nach Jerusalem um. Der Sohn stirbt 1968 in New York, ihr Mann wenige Jahre später. Noch einmal kommt sie nach Berlin und liest ihre Gedichte. Nach einer Operation in Zürich stirbt sie. Heimatlosigkeit kennzeichnet ihr Leben.
„Poetin des Alltags“ wird Mascha Kaléko von ihrer Biografin, der Schriftstellerin und Journalistin Jutta Rosenkranz, genannt. Sie preist Kalékos Poesie als „ideale Lektüre in schwierigen Zeiten“ und nahm in ihrem Beitrag folgende Zeilen auf:
„Mein schönstes Gedicht…?
Ich schrieb es nicht.
Aus tiefsten Tiefen stieg es.
Ich schwieg es.“
(Zitiert aus Büchergilde –Journal)
Wolfgang Grätz, (li), Hans Eiche (re); Foto: Renate Feyerbacher
Wolfgang Grätz, der Herausgeber des Frankfurter Grafikbriefs bei der Büchergilde, schreibt, dass Hans Ticha zunächst gezögert habe, den Auftrag zu übernehmen mit der Begründung, Kalékos Lyrik richte sich stark nach innen, was plausible Bilderfindungen erschwere. Nun, so Grätz: „Es ist ein großartiges Buch entstanden.“ Es ist soeben erschienen.
Collage mit WELTKUNST; Foto: Renate Feyerbacher
Die Kunstzeitschrift WELTKUNST, herausgegeben von der Wochenzeitschrift DIE ZEIT, hat dem Künstler eine große Titelgeschichte gewidmet. Matthias Ehlert, stellvertretender Chefredakteur, schildet in seinem Einleitungstext Hans Tichas Bedeutung: „In der DDR: kannte seine Zeichnungen fast jedes Kind. Die von Hans Ticha 1973 illustrierten ‚Geschichten aus der Murkelei‘ von Hans Fallada waren ein Dauerbestseller, so wie im Westen das SAMS oder der Grüffelo.“ Warum? „Sie waren so anders als das optische Graubrot, das man im Osten meist vorgesetzt bekam: geradezu schrill und bizarr, dabei auffallend farbig und poppig.“ (Zitat: WELTKUNST September 2020).
Und das sind seine Werke auch noch heute. Wobei die Illustrationen zu den Gedichten von Mascha Kaléko zum Teil in feiner Weise reduziert sind, um der Innerlichkeit ihrer Gedichte zu entsprechen.
Hans Ticha, diesem außergewöhnlichen, bedeutenden Künstler, ist im Westen mehr Anerkennung zu wünschen – zum Beispiel eine Ausstellung in der SCHIRN. Würde er nicht da hinpassen?
Seine Original-Flachdruckgrafiken und die jeweils freien Farbskizzen und andere Werke sind derzeit bis 31. Oktober in der Frankfurter Büchergilde Buchhandlung & Galerie, An der Staufenmauer 9, in Nähe der Konstablerwache zu sehen.
www.buechergilde.de und www.grafikbrief.de