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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Theater – und Festivalauftakt an Rhein und Ruhr

Zischeln in Bochum, Warten in Köln, Schwirren in Düsseldorf

von Simone Hamm

Pierre Bokma als King Lear © JU Bochum

Der tyrannische König Lear will sein Erbe unter seine drei Töchter verteilen und fragt sie, wie sehr sie ihn lieben. Die beiden älteren überbieten sich in Schmeicheleien, die jüngste, Cordelia, sagt klar und knapp, sie liebe ihn, wie es die Pflicht erfordere. Daraufhin wird sie, die bisherige Lieblingstochter enterbt. Lear wird von den beiden Töchtern, denen er alles vererbt hat, gedemütigt und verstoßen. Seine väterliche Autorität zerfällt. Er wird irre an seiner Bedeutungslosigkeit.

„Bitte, lacht nicht über mich: ich bin ein alberner und altersschwacher alter Mann. Und wohlmöglich auch nicht ganz bei Sinnen.“ heißt es in der Inszenierung von John Simons schon gleich zu Beginn. Dieser König Lear greift vor.

Johann Simons hat den „Lear“ von Miroslava Svolikova neu übersetzen lassen. Es ist ein sehr poetischer Text geworden, leichter zugänglich als die bisherigen Übersetzungen. Dann und wann unterbricht sie diese Poesie. Die Sprache wird zur heutigen. Knallmodern. Und das hat den Effekt, dass man innehält, nachdenkt über das Gehörte.

Alle Personen auf der Bühne sind einsam und distanziert. Das macht Simons so gut, dass man nur ganz selten merkt, das diese Interpretation auch Covid 19 geschuldet ist, etwa, wenn der blinde Gloster nicht an die Hand genommen wird, um geführt zu werden.

Pierre Bokma, holländischer Schauspielstar, mit einem internationalen Emmy ausgezeichnet, ein großartiger Lear! Er spielt ihn in allen Facetten: grausam, weinerlich, gebrochen, paternalistisch, nachdenklich.

Allerdings – und hierin liegt das Hauptproblem der Bochumer Aufführung – ist er stellenweise kaum zu verstehen. Die Schauspieler sprechen in Mikroports. Das soll das Hören einfacher machen. Doch erreicht wird das genaue Gegenteil. Die Tontechnik hat vollkommen versagt. Ein Krächzen und Keuchen war zu hören, Nebengeräusche, bisweilen überlagerten sie die Stimmen.

Cordelia wird gespielt von Anna Drexler, die auch den Narren spielt. So scheint es manchmal, als werden die beiden Personen zu einer, als verschmelzen sie regelrecht. Der Narr hüpft und springt über die Bühne, stets gewillt, „Lear“ aufzuheitern. Cordelia wie der Narr sprechen unbequeme Wahrheiten aus, die Lear nicht gerne hört.

Johannes Schütz gestaltete das Bühnenbild. Durch unterschiedlich große, eckige Öffnungen in einer holzfarbenen Wand kann man in die Teeküche eines tristes Büros und auf ein paar Stühle gucken. Da fläzen sich die Schauspieler, die gerade nicht auftreten. Sie sitzen breitbeinig da. Oder sie legen sich auf einen Tisch, so dass man durch die Gucklöcher nur die Beine sehen kann. Dabei werden sie gefilmt. Die Kamera zoomt dann auf den Teil des Körpers, den die Zuschauer auf der Bühne nicht sehen können. Das wird dann groß projiziert. Es gibt also immer auch das zu sehen, was man sonst nicht sieht.

Die Schauspieler tragen Gewänder, die zeitlos sind, einzig der ein oder andere Hut könnte schon zu Shakespeares Zeit getragen worden sein.

Im Vordergrund ist alles schwarz-weiß. Dunkle Erde ist wie zu einem Grabhügel aufgeschüttet. Da ist nichts Gutes zu erwarten. Von Anfang an.

Ein großer Wurf ist Johan Simon nicht gelungen. „Lear“ ist die weitere Reduktion des ohnehin schon reduzierten „Hamlet“, die phänomenale Inszenierung aus der letzten Spielzeit. „Lear“ ist noch radikaler. So radikal, das zu wenig bleibt. Die Dreistundenaufführung in Bochum wird zu einer Geduldsprobe.

„Warten auf Godot“ in Köln

„Warten auf Godot“, inszeniert von Jan Bosse, Foto: Birgit Hupfeld / Schauspiel Köln

In Köln warten Wladimir und Estragon auf Godot. Das Publikum sitzt auf der Bühne, die Schauspieler klettern zwischen den mit weißen Hussen abgedeckten Stuhlreihen herum, auf denen sonst die Besucher Platz nehmen. Darunter wachsen die Bäume. Jedesmal, wenn Estragon oder Wladimir an den Hussen ziehen, ist mehr Grün zu sehen.

Die unsichtbaren Wurzeln der Bäume sind offenbar in einem Schlagzeug versteckt. Die goldgewandtete Komponistin und Schlagzeugerin Carolina Bigge legt Rhythmus unter die Texte der vier Musiker. Manchmal sind es nur kurze Schläge, dann ein fulminantes Trommeln.

Regisseur Jan Bosse lässt offen, ob das Hoffnung bedeutet oder aber gar nichts. Überhaupt hält er sich klug zurück. Allen Versuchungen,  „Warten auf Godot“ als „Warten auf ein Ende von Covid 19“ zu inszenieren, widersteht er. Das wäre zu simpel.

Das Denken überlässt er den Zuschauern. Später wird der Diener Lucky einmal laut denken, aber weit kommt er damit nicht. Man wartet weiter.

Peter Knack ist Wladimir, Jörg Ratjen, Estragon. Sie tragen unförmige Anoraks, die an Skikleidung erinnern, machen ihre Witze, spielen die Clowns, langweilen sich. Bis Pozzo auftritt. Sofort beherrscht Bruno Cathomas die Bühne, die Wartenden und seinen Diener Lucky. Justus Maier muss erst denken, dann tanzen, ungelenk und traurig wirkt er dabei.

Pozzo ist Conférencier mit rotem Konfetti, ein Tyrann, der seinen Diener quält, ein Alleinunterhalter, der im ersten Akt niemanden braucht, auch keinen Applaus. Im zweiten Akt ist er blind und Lucky führt ihn. Gebrochen ist er nicht. Zu groß ist sein Ego.

Alles, aber auch  alles geht immer so weiter wie bisher.

Compagnie XY – Möbius beim Düsseldorf Festival

Die Compagnie XY aus Lille; Foto: Christophe Raynaud

Scheinbar immergleich geht es auch in der Mitsubishi Halle in Düsseldorf zu. Zumindest was die elektronisch – minimalistische Musik angeht. Die Compagnie XY aus Lille ist beim Düsseldorf Festival zu Gast. Die Akrobaten aus Lille zeigen „Möbius“. August Ferdinand Möbius war ein deutscher Mathematiker. Wie sehr die Wege der Tänzer mit Mathematik zusammenhängen, das ist in Düsseldorf zu sehen.

16 Akrobaten und drei Akrobatinnen bilden menschliche Pyramiden, einer steht auf den Schultern des anderen. Einer löst sich, gleitet sanft hinab oder lässt sich in viele Arme fallen, die ihn auffangen. Einmal neigt sich so ein Turm aus vier Akrobaten ganz langsam zur Seite, scheint der Schwerkraft zu trotzen. Ein anderes Mal klettert eine Tänzerin erst über mehrere Menschen, um dann auf die Schultern dessen zu springen, der am höchsten steht. Schnell lässt sie sich fallen und eine andere springt hinauf. Nur Bruchteile von Sekunden vergehen zwischen dem Fall der einen und dem Sprung der anderen.

Die Zuschauer halten den Atem an, zittern mit wie im Zirkus. Und ursprünglich sollte die Compagnie xy ja auch in einem Zirkuszelt auftreten, der Umzug in die riesige Mitsubishihalle war einem klugen Hygienekonzept geschuldet. Da konnten sie umherschwirren wie ein Vogelschwarm, die Arme ausgebreitet. Da rannten sie hin und her und nur scheinbar durcheinander.

Immerhin auf der weiß-kargen Bühne durften die ganz in schwarz oder schwarz-weiß gewandeten Akrobaten sich berühren, sich stützen. Außerhalb der Bühne bleibt nur der Wunsch danach.

KING LEAR

von William Shakespeare
Neuübersetzung von Miroslava Svolikov
Fassung von Koen Tachelet und Angela Obst (Mitarbeit)Regie: Johan Simons

Schauspielhaus Bochum

von Samuel Beckett
In einer Übersetzung von Elmar Tophoven
Regie: Jan Bosse
Schauspiel Köln

Möbius – Compagnie XY aus Lille

Düsseldorf Festival!
Mitsubishi Electric Halle

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