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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Neue Erfahrung: Plein Air-Musik – Hören, Singen, Summen und die Seele baumeln lassen

Dezentral: Plein Air-Musik in der Nachbarschaft – Hören, singen, summen und die Seele baumeln lassen

Von Petra Kammann

Seit der Spargel- und Erdbeerenzeit im Dichterviertel war es schon zu einer lieben Tradition geworden. Denn am Vormittag jobbte die Cellistin Anna-Lena Perenthaler am dortigen Spargelstand und machte sich nebenbei neue Freunde. Wurde sie nun Spargelverkäuferin? Dabei war sie doch mit dem Quartett „Salut Salon“ vor dem Lockdown schon zu Konzertauftritten durch die Welt gereist. Doch dann gingen ihr von heut auf morgen um die 100 Aufträge verloren…

Optimistisch und ideenreich – die Cellistin Anna-Lena Perenthaler; Alle Fotos: Petra Kammann

Am 16. März schrieb sie auf ihrer Homepage: „Seit heute ist nun wirklich jedes Konzert und jede Probe abgesagt und wir freiberuflichen MusikerInnen schweben mit Klimpergeld in der Tasche in kreativer Freiheit. Lasst euch nicht verrückt machen. Stärkt lieber euer Immunsystem mit Vitaminen, Bewegung und meiner neuen Form von Straßenmusik: #neuer Weg. Kennt ihr das? Ihr sucht nach Wegen und stoßt mit dem Kopf doch immer wieder an die eine Wand, die schon voller Dellen ist… Wo ist der neue Weg? Kommt an meine virtuelle Straßenecke…“ So lautete ihr Heilrezept.

Musikerfamilie Anna-Lena Perenthaler und Nicolai Bernstein (Geiger, Kammerphilharmonie), die seit Mitte März mit ihren Instrumenten durch die Nachbarschaft zogen und dabei eine neue und treue Zuhörerschaft fanden

Über den Zustand der Welt zu klagen, ist Anna-Lena Perenthalers Sache nicht. Flugs gründete sie in der Corona-Krise mit der Frankfurter Kammerphilharmonie die Konzertreihe „Nachbarschaftsmusik“. So lockte und versammelte sie auch musikbegeisterte Menschen auf die grüne Wiese in Frankfurts Dichterviertel, auf die Hans-Burggraf-Anlage.

Für die professionelle Musikerin gehört Grenzüberwindung inzwischen zum Alltag. Sie kann Zugehörigkeit zu einem szenischen Konzert ebenso mühelos darbieten wie auch stets neue Ausdrucksformen ausprobieren, gleich ob mit Kindern, Tänzern oder mit Musikerkollegen. 14 Wochen lang hatte die Kammerphilharmonie Frankfurt mit Anna-Lena Perenthaler und Nicolai Bernstein und deren Kammermusikern 20 Minuten lang jeden Sonntag die Stadtteile Frankfurts mit ihrer „Nachbarschaftsmusik“ beglückt. Vom virtuosen klassischen Instrumentalstück, über Kinderlieder bis hin zu Chanson, Jazz, Pop, Traditionals und Volksliedern brachte die kleine Truppe alles zum Klingen, und das hat viel Spaß  gemacht. Jedenfalls bis zum Saisonbeginn, am 23. August.

Einen kleinen Trost für all die ausgefallenen Konzerte gab es immerhin in der Sommerferienzeit, als Anna-Lena Perenthaler und das Frauenquartett „Salut Salon“, wo sie jeweils als Cellistin, Sängerin, Schauspielerin, Moderatorin und Akrobatin gefordert ist, im Potsdamer Palais Lichtenau gemeinsam mit Daniel Hope für die Arte-Konzertserie „Hope@home – on tour!“ spielen und ihr Können zeigen konnte, woraus dann auch eine sehr lebendige ARTE-Sendung entstand.

Zwischen Nacht und Morgen mit dem Duo Perenthaler-Cohen

Konzert mit dem israelischen Pianisten Yonatan Cohen und der Cellistin Anna-Lena Perenthaler

Dann kann Anna-Lena Perenthaler am 4. September doch noch einmal zurück auf die grüne Wiese mit dem israelischen Pianisten Yonatan Cohen, nämlich zu einer äußerst gelungenen „Generalprobe“ ihres Konzerts „Zwischen Nacht und Morgen“, das sie gemeinsam mit dem Pianisten erarbeitet hatte. Sie spielten dem aufmerksamen Publikum ein ungewöhnliches Programm vor, nämlich unbekanntere „Phantasien im Volkston“ von verschiedenen östlichen Komponisten: von Paul Ben Haim, dem israelischen und Fazil Say, dem türkischen, und von Sulchan Zinzadse, dem georgischen Komponisten. Sergei Rachmaninoff war darunter noch der bekannteste der Komponisten.

Sie alle lassen /ließen sich in ihren Kompositionen von der Dämmerung inspirieren, von dieser anregenden Phase zwischen Wachen und Träumen, zwischen Nacht und Morgen, wo Traum und Realität zu verschmelzen scheinen, bisweilen aber auch zum Feiern anregen.

Die ausgewählten Komponisten jedenfalls haben allesamt tiefe Wurzeln in ihren traditionellen Volksmusiken und ähnlich wie Béla Bartók mit seinen in die Moderne transformierten ungarischen Tänzen, haben sie die musikalische Identität ihrer Länder neu geprägt, gleich ob in Ben-Haim mit seinen „Lieder ohne Worte“, in Fazil Says Klangportrait der türkischen Stadt Sivas oder in den volkstümlichen Gepflogenheiten der Levante. Da wechseln Farben, Klänge und Affekte einander ab.

Als Anna Perenthaler versucht, eine orientalische Flöte auf dem Cello zu imitieren, fingen die Vögel in den Bäumen an sich zu regen und echoten musikalisch-rhythmisch darauf. Das war schon eine besondere Naturerfahrung!  Man kann nur hoffen, dass mit Anhalten der Pandemie für die Musiker die Durststrecke zwischen den Konzerten in den offiziellen Konzertsälen nicht zu groß und der Herbst nicht zu kompliziert wird. Dafür wurde durch die Art des unmittelbaren Musizierens im Freien die ursprüngliche Musikalität und das Bedürfnis etlicher Zuhörer nach Live-Musik wieder neu geweckt.

Deutsch-französisches Konzert privat unter Freunden 

Der Frankfurter Solo-Flötist Sebastian Wittiber und die Pariser Solo-Harfenistin Anne-Sophie Bertrand 

Ganz anders, weil von gesettelter Basis aus, aber wegen der großen Lust am freien Musizieren in frischer Luft und in kleinem Kreis dennoch vergleichbar, war ein Konzert, bei dem eine musikaffine deutsch-französische Familie in ihren Garten mitten im Herzen der Stadt Frankfurt zu einer exquisiten musikalischen Soirée franco-allemande geladen hatte, zu einem Récital Flûte et Harpe. Dieser französisch-deutsche, alles andere als steife Abend, die anschließenden Gespräche der an verschiedenen Tischen plazierten Menschen untereinander, hatte etwas ganz Persönliches. Das musikalisch auftretende Duo, der brillante deutsche Solo-Flötist Sebastian Wittiber und die renommierte französische Solo-Harfenistin Anne-Sophie Bertrand hatten ein entsprechend duales Programm für das Publikum zusammengestellt.

Allein die Viten der beiden Musiker können sich sehen lassen. Wenngleich auch ihnen das ein oder andere Konzert weggebrochen ist, so müssen sie wenigstens in dieser komplizierten Phase nicht von der Hand in den Mund leben. Denn beide sind Mitglied des hr-Sinfonie-Orchesters, und häufig auch in etlichen anderen Rundfunk-Orchestern als Solisten zu Gast, wie im BR, NDR, WDR, SWR. Aber auch international. So spielt Anne-Sofie Bertrand im Mahler Chambers Orchestra und im Orchestre Philharmonique de Radio France, während der Frankfurter Wittiber als Mitglied im Orchester der Bayreuther Festspiele spielt. Beide sind zudem begehrte Dozenten, Bertrand an der Royal Academy of Music of London, Wittiber an der Frankfurter Musikhochschule.

Bei ihrem feinen Zusammenspiel war im Schatten der alten hohen Kastanie an diesem Abend die Leichtigkeit des Sommers noch spürbar, nicht nur, weil sich in den umliegenden Häusern die Fenster öffneten und einige Nachbarn von ihren Balkonen aus gebannt der Musik lauschten. Die Solo-Harfenistin Anne-Sophie Bertrand präsentierte rund um ihr ungewöhnliches Saiteninstrument, das sie bravourös beherrscht, mit dem ebenso differenziert spielenden Solo-Flötisten Sebastian Wittiber ein feinsinnig gesponnenes Programm.

Große Zustimmung und Applaus für die Solisten

Die Harfenistin ließ sich nicht etwa davon beeinträchtigen, dass wegen des Draußenspielens dann schon mal eine Saite reißt… Souverän lächelte sie die Situation weg und spannte geschickt eine neue. Atemberaubend schön und von großer Eleganz war das Zusammenspiel der beiden Musiker zwischen der traumwandlerischen Solo-Harfenistin und dem Solo-Flötisten an einem der letzten lauen Sommerabende, auch wenn die Harfe im Innenraum vermutlich mehr Präsenz hätte entfalten können. Die Brillanz der Querflöte ließ weder in der Melodieführung noch in der Rhythmik etwas zu wünschen übrig.

Von dem „Bach-Praeludio“ und der „Gigue aus der Suite in c-moll für Laute“ einmal abgesehen, passte das impressionistische Programm mit den Fauré-Fantasien und dem „Impromptu für Harfe Solo“ von Fauré ebenso wie auch Claude Debussys „Rêveries“ und seine schmeichlerische „Syrinx“ perfekt zum Ambiente des Abends unter Freunden.

Das „Divertissement à l’espagnole für Harfe solo“ von André Caplet und die „Carmen-Variationen“ von François Borne fügten dem deutsch-französischen Dialog noch eine gewürzte zusätzliche europäisch-mediterrane Farbe hinzu. Keine Musik hätte die nach Exotismen Ausschau haltenden Komponisten aus dem Paris des Fin de Siècle stärker in ihren Bann ziehen können als gerade die Bizet-Oper „Carmen“. François Bornes “Carmen-Fantasie“ forderte die Querflöte in ihrer ganzen Virtuosität heraus.

Es wurde eine Soirée mit dem französischsten aller Instrumente, der Harfe, durch die auch der Wind zu spielen schien. Nicht nur der Göttergünstling Äolus hätte seine wahre Freude daran gehabt. Und der möge auch den anderen „freien“ Musiker künftig hold sein.

 

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