Raffaela Zenoni: „Mutter Erde und ihre Besucher“ im Kunstverein Familie Montez (II)
Stationen eines Kreuzwegs
Von Erhard Metz
Mutter Erde, Zyklus I-XV, 2015, Acryl auf Leinwand, je 130 x 195 cm; hier: Mutter Erde I und II
Mutter Erde in 15 Stationen. Den Stationen eines Kreuzwegs nachempfunden, dem Symbol für die Via Dolorosa. 14 Stationen seit Ende des 16./Anfang des 17. Jahrhunderts, vor allem im süddeutschen Raum auch 15 Stationen.
Mutter Erde – Gaia? Der antike Mythos der Gaia, der Urmutter, der Gebärenden und Nährenden, er ist verblaßt, vor allem unter Einfluß der großen Weltreligionen und der fortschreitenden naturwissenschaftlichen Erkenntnisse. Unsere Erde ist ein Himmelskörper im Universum unter zig Milliarden anderen, nicht einmal ein Stern, nur eines Sternes Trabant, beide fast unauffindbar in der zugehörigen Galaxie, die wir Milchstraße nennen, ihrerseits nur eine unter Milliarden. Der Glaube, dass Mutter Erde von einem Schöpfergott erschaffen ist, er schwindet in durchindustrialisierten und durchglobalisierten, materiell orientierten und – ob reich oder arm – um ihr Bestehen und Überleben ringenden Gesellschaften. Von Natur (was verstehen wir unter Natur?) und von Menschen verursachte Eingriffe und Katastrophen prägen heute in beträchtlichem Maße deren Oberfläche, deren Antlitz. Verwüstungen, Wunden, Narben breiten sich aus. Welche Kraft könnte dem Einhalt gebieten – der monotheistische Gott unter welchem Verständnis auch immer? Eine durch Evolution bedingte Schöpfung?
Raffaela Zenonis „Mutter Erde“ erscheint als ein Gang über diese verletzte Oberfläche – voll Liebe und Hoffnungen, voll Sorge, Befürchtungen und Schrecken. Ihre Bilder lassen sich lesen als Geburt, Glück und Lebensfreude, Neid, Mißgunst und Haß, Krankheit und Leid, Schmerz und Tod.
Mutter Erde III und IV
Mutter Erde V und VI
Mutter Erde VII und VIII
In der Motivik vermischen, ja bedrängen sich Zeitgenössisches und Archaisches, Realität und Erzählung. Je mehr sich der Zyklus seinem Ende nähert, umso farbiger und dramatischer zeigt er sich.
Die weltweit gereiste Künstlerin Raffaela Zenoni: „Afrika malt durch mich durch, ein Rhythmus in meinem Duktus, so fühlt es sich oft an. Archaisch, getrommelt, tief ins Innere von Mutter Erde, brodelnd und auch zwischendurch wie durstig, schlaflos und mit Begegnungen, Traumszenarien. Ohne Erklärung. Kein allzu leichter Spaziergang. Die Sonne brennt, die Farben erdig, sandig, Fata Morgana mit dabei. Als ich vor einiger Zeit in Südafrika landete, konnte ich die Zeit während meines Aufenthaltes dort kaum schlafen. Mein Herzschlag suchte und fand die Schwingung der Trommeln von weither … Es schwingt weiter. Hörbar und sichtbar, in meiner Arbeit … Geburt, Natur, Seelen ...“
Mutter Erde IX und X
Mutter Erde XI und XII
Mutter Erde XIII und XIV
Als letzte Leinwand ein erschütterndes Bild: eine menschliche Gestalt, gekrümmt, blutend, der Rippenkorpus durchscheinend, in radioaktiver Glut? Im 75. Jahr nach der menschengemachten – und deshalb menschenverachtenden – Katastrophe denken wir an Hiroshima und Nakasaki. Nein, dieser Kreuzweg nimmt kein „gutes Ende“.
Mutter Erde XV
Ein kraftvolles, auch in seinen Formaten monumentales Bildwerk, das den aufmerksamen Betrachter fordert und das die Ausstellung – neben den Reihen „Die andere Ahnengalerie“, „Die vier Jahreszeiten“ und „Skulpturen“ – dominiert.
Abgebildete Werke © Raffaela Zenoni; Fotos: Martin Jepp, Berlin
Raffaela Zenoni: „Mutter Erde und ihre Besucher“, Kunstverein Familie Montez, nur noch bis 30. August 2020
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