home

FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Schauspiel Frankfurt – Spielzeit 2020 / 21: Schwerpunktthema: Antisemitismus / Rassismus

Brüchige Heimat

von Renate Feyerbacher

Die Coronaregeln bestimmten auch die Jahrespresskonferenz im Schauspielhaus. Etwa 88 Personen saßen weit auseinander und hatten sich vorher anmelden müssen. Mundschutz war natürlich Pflicht.

Schauspielchef Anselnm Weber schaut optimistisch in die Zukunft und präsentiert die neue Spielzeit, Foto: Renate Feyerbacher

Seit Februar war ich das erste Mal wieder im Schauspielhaus. Die Angebote des Theaters im Juni, zum Beispiel Lesungen, fanden nur in den Kammerspielen statt. Dort konnten nur 22 Menschen dabei sein. Die Karten waren sofort weg. Als altersbedingte Risikoperson schreckte mich die Enge in den Kammerspielen ab.

Pressekonferenz

Für die Zukunft wünschte sich Kulturdezernentin Ina Hartwig bundeseinheitliche Lösungen und mehr Handlungsspielraum. Sie plädiert für den Abstand von 1,5 Metern von Gesichtsmitte zu Gesichtsmitte. Es gäbe so mehr Sitzplätze. Bei der Konferenz trennten mich drei Sitzplätze von der Kollegin.

Sie freue sich, dass Anselm Webers Vertrag um fünf Jahre verlängert wurde.

Mit den Worten: „Die Aktualität muss trauriger Weise nicht begründet werden“ leitete die Kulturdezernentin zum Schwerpunktthema „Antisemitismus / Rassismus“ der kommenden Schauspiel-Saison über und gab das Mikrofon an den Rechtsanwalt Marc Grünbaum, Vorstand der Jüdischen Gemeinde in Frankfurt.

Er berichtete von einem erschreckenden Video jüdischer Freiburger Kinder, die von ihrer Unsicherheit und Angst erzählen. „Heimat ist ohne Geborgenheit und Sicherheit nur schwer vorstellbar“, so Marc Grünbaum und zeigt sich zufrieden, dass so ein Institution wie das Schauspiel Frankfurt das Thema „Antisemitismus / Rassismus“ zu seiner DNA mache.

Präsentation mit Viel Abstand; Foto: Renate Feyerbacher

Seit über einem Jahr hat Intendant Anselm Weber und sein Team mit Vertretern jüdischer Institutionen am Programm gearbeitet. Dabei waren Mirjam Wenzel, Leiterin des jüdischen Museums, Tobias Freimüller, Historiker und stellvertretender Direktor des Fritz Bauer-Instituts, Gottfried Kössler, der bis 2019 diese Position inne hatte, Meron Mendel, Direktor der Bildungsstätte Anne Frank, und Marc Grünbaum. Sie alle waren auch zur Pressekonferenz gekommen.

Programm – Corona im Blick

Mit „Mephisto“, dem Kult-Roman von Klaus Mann (1906 bis 1949), in dem dieser den Typus des Opportunisten, den er in seinem Schwager, dem Theatermann Gustaf Gründgens vorfand, trefflich beschreibt, beginnt der thematische Schwerpunkt am 3. Oktober 2020.

Katja Herlemann war bisher am Leipziger Theater aktiv und arbeitet nun als Dramaturgin in Frankfurt.

Dramaturgin Katrin Spira, zuletzt freischaffend in Stuttgart, ist seit dieser Spielzeit fest am Schauspiel Frankfurt engagiert.

Julia Weinreich jahrelang Dramaturgin in Dresden ist nun nach dem Weggang von Tiedke und Thinnes einfügen in Frankfurt.“

Claudia Bauer, Hausregisseurin am Leipziger Schauspiel, die an mehreren großen deutschen Theatern inszeniert hat und mehrfach zum legendären Berliner Theatertreffen eingeladen wurde, führt Regie. Zusammen mit Katja Herlemann hat sie den Roman bühnentauglich gemacht.

Die bisherige Chefdramaturgin und stellvertretende Intendantin Marion Tiedke hat das Theater verlassen und kehrt auf ihre Professur an der Frankfurter Hochschule für Musik und Darstellende Kunst (HfMK) zurück. Auch Dramaturgin Ursula Thinnes verlässt das Frankfurter Haus und wird Schauspieldirektorin am Staatstheater Braunschweig.

Sechs Tage nach „Mephisto“ ist dann Premiere des Max Frisch-Klassikers „Andorra“, der eine erschreckende Aktualität bekommt. Seine Parabel handelt von alltäglichen Judenhass. David Bösch, der 2018 mit seinem Regiekonzept zu „räuber.schuldenreich“ des Österreichers Ewald Palmetshofer begeisterte, wird das Stück inszenieren.

Bereits am 11. September werden nun die Schauspieltüren erstmals wieder geöffnet, da führt Bösch Regie in Shakesspeares politischster Komödie „Wie es Euch gefällt“. Noch in diesem Jahr sind „Die Wahlverwandtschaften“ von Goethe geplant. Wie gesagt geplant. Eine mögliche zweite Corona-Welle  haben die Theatermacher absolut im Blick.

l. n.r.: Lukas Schmelmer,  Katja Herlemann , Alexanerd Leifheidt,  Julia Weinreich Katrin Spira,  Martina Droste Foto: Renate Feyerbacher

Nach wie vor ist die Zusammenarbeit mit anderen Theaterinstitutionen vorgesehen: „Inferno“ , eine Oper der italienischen Komponistin Lucia Ronchetti nach Dante, ein Auftragswerk der beiden Frankfurter Bühnen, musste coronabedingt auf das nächste Jahr verschoben werden. Die Uraufführung von „Inferno“ für Sänger und Schauspieler wird im Bockenheimer Depot sein.

Bereits im Dezember soll die Dresden Frankfurt Dance Company unter ihrem künstlerischen Leiter und Choreografen Jacopo Godani Gast im Schauspielhaus sein. Die Choreografin Saar Magal gestaltet im nächsten Jahr zusammen mit der Godani-Truppe das Crossover-Projekt „10 Odd Emotions“.

Auch mit dem Mousonturm ist wieder eine Zusammenarbeit vorgesehen.

Johanna Wehner, die im Dezember „Geschlossene Gesellschaft“ von Sartre realisierte, ist mit „Hiob“ von Joseph Roth, von ihr für die Bühne eingerichtet, dabei. Roger Vontobel könnte „Früchte des Zorns“ von John Steinbeck realisieren. Wehners „Geschlossene Gesellschaft“ und Vontobels „Brand“ von Ibsen gehören zu den Wiederaufnahmen.

Mehrere Uraufführungen versprechen die Kammerspiele wie etwa die Stückentwicklung mit dem Arbeistitel „NSU 2.0“ von Nuran David Calis, der wegen seiner bildstarken Theaterarbeiten, auch als Filmregisseur und Drehbuchautor bekannt wurde.

Die beliebte Reihe „Stimmen einer Stadt VII – IX“ wird erweitert mit Stücken von Zsuzsa Bank, Lars Brandt und Martin Mosebach.

Das Junge Schauspiel hat wieder besondere Aktivitäten. Auch das StudioJahr Schauspiel gehört seit drei Jahren zum festen Bestand. Neun junge Schauspieler*innen der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt stehen mit erfahrenen Kollegen*innen des Schauspiels auf der Bühne.

Und Kinder können sich wieder auf „Der kleine dicke Ritter“ freuen.

Dann steht ein Jubiläum an. Die Frankfurter Positionen werden 20 Jahre. Vorträge, Gespräche werden die Diskussion zum Schwerpunktthema vertiefen.

Die Verhinderung der Frankfurter Inszenierung von „Der Müll, die Stadt und der Tod“ von Rainer Werner Fassbinder wird in einem Symposion neu bewertet. Vor fünf Jahren hatten Karl Heinz Braun und Marion Victor vom Verlag der Autoren im Gallus-Theater einen Lese-Abend veranstaltet „Der Müll, die Stadt und der Skandal..“

Wiederaufnahme von „jedermann [stirbt). Wieder aufgenommen wird „Die Orestie“ von Aischylos in der Regie von Jan-Christoph Gockel, dramaturgisch begleitet durch Marion Tiedke, Premiere am 22. Februar, ein Monat vor Beginn der strengen Corona-Regeln. Die Kritiken waren zum Teil sehr angetan. Ich habe diese Inszenierung nicht gesehen, da ich auf der BERLINALE war.

Die Deutsche Erstaufführung von „Jedermann (stirbt)“ am 31. Januar von Ferdinand Schmalz in der Regie von Jan Bosse bescherte einen faszinierenden Theaterabend.

Aus: jedermann (stirbt) Ferdinand Schmalz / Regie: Jan Bosse, Foto: Arno Declair (Schauspiel Frankfurt)

Das Werk des jungen in Graz geborenen, in Wien lebenden Dramatikers, Theaterwissenschaftlers wurde 2018 am Wiener Burgtheater uraufgeführt.

Mit „Jedermann – das Spiel vom Sterben des reichen Mannes“ hat Hugo von Hofmannsthals (1874- 1929) das mittelalterliche Mysterienspiel wieder belebt. Seit 1920 gehört es zum festen Theaterritual der Salzburger Festspiele.

Ferdinand Schmalz hat das Spiel von mittelalterlicher Moral befreit und eine Neufassung mit aktuellen Themen angereichert: Kapitalismus, Gesellschaft und Umwelt.

Die Sprache des im S. Fischer Theater& Medien Verlags erschienenen Dramas ist verständlich, kritisch, ohne Verse.

In elf Szenen ist sein selbstherrlicher Hedermann ein Banker. Hart, nüchtern und gottlos sind die Zeiten voller Unruhen auf den Straßen. Aber jedermann will in seinem Lustgarten ein Fest feiern. Einer der Gäste ist der Tod, genannt buhlschaft tod. Als seine letzte Stunde geschlagen hat, bittet er um Aufschub. Vergeblich. Sein Geld nützt ihm nichts. Er ist sterblich wie jederman (frau). Die Gäste heißen der arme nachbar gott, die [teuflisch] gute gesellschaft, mammon, gute Werke. Seine Frau (Manja Kuhl) und seine Mutter (Simon Schwan), die ihm ins Gewissen reden, sowie ein dicker und dünner vetter sind auch dabei.

Jedermanns Hybris und Ausbeutungswillen sind grenzenlos.
jedermann: ich könnt euch alle kaufen. und wieder verkaufen. oder besser verleihen. könnt euch zu aktienbündeln machen, zu bündeln fauler kredite, weil eure leben, eure einzelnen kleinen leben, die werfen halt nichts ab. da investiert man rein in so ein menschenleben und schaut nichts dabei raus. traurig. da müsst man schon mit ganz viel phantasie müsst man eine renditenhoffnung herbei sich phantasieren, da müsst schon jemand in der marketingabteilung sich etwas einfallen lassen, dass ich auf euren leben nicht noch sitzen bleib. wenn ich euch nicht bald abstoß, zieht ihr mich auch noch mit hinab.“

(5. Szene „vetternwirtschaftliches“)

Aufschub wünscht er vom Tod und bettelt bei den Vettern, sie mögen ihn begleiten.

Buhlschaft tod hält ihm immer wieder seine Unbarmherzigkeit gegenüber andern vor:

jedermann das ist mein haus, mein garten.

buhlschaft tod ich bitt sie, wie viele haben sie aus ihren häusern werfen lassen? da darf man wirklich nicht so kleinlich sein. (6. Szene „der tod als Spielmann“)

Jan Bosse führt Regie. 2017 /18 hat er die Spielzeit mit „Richard III“ eröffnet und wurde gefeiert. Und auch „jedermann [stirbt]“ kam gut anl. Außergewöhnliche Regieideen beherrschen diese grandiose große Bühne, die es vielleicht nicht mehr geben soll. Stéphane Laimé kreiert einen offenen Lustgarten ohne exotische Gewächse, dafür Metallstangen, begehbare Podeste, die Bosse fantastisch bespielen und akrobatisch beturnen lässt. Kathrin Plaths aufwändig-verrückte Kostüme machen das Spektakel mit tiefem, aber geläufigem Sinn komplett. Weiße Unterwäsche, künstlicher Bauch, weiße Kniestrümpfe, schwarze Lackschuhe und schwarzer Hut (gleichend seinem Autor, der einen ähnlichen trägt) für jedermann, den reichen Banker, gewöhnungsbedürftig, aber im Endeffekt durchaus logisch.

Die schauspielerischen Höchstleistungen reißen buchstäblich vom Hocker.

Bosse hatte wie bei „Richard III“ Wolfram Koch als Jedermann zur Verfügung. Reich, aber bieder kommt er daher, gelegentlich anmaßend, aber am Ende immer stiller werdend. Erstaunlich, wie Wolfram Koch die körperlichen Strapazen, die er gegen Ende erfährt, aushält.

Mechthild Großmann, die das Fernsehpublikum als Staatsanwältin aus dem Münsteraner „Tatort“ kennt, ist eine abgeklärte Buhlschaft tod. Manchmal verständnisvoll, aber am Ende unbestechlich. Ihre Interpretation hat mir gefallen.

Am Schluss sitzen buhlschaft tod und jedermann beisammen und reden. Jedermann will nicht gehen. Als der Leichenzug sich auf den Weg macht, referiert buhlschaft tod:

in wahrheit sind wir lebend tot. von anfang an. wir werden mit der taufe schon begraben. das ist die schmerzliche wahrheit, die wir nicht wahrhaben wollen. dass immer schon der tod da in uns drinnen sitzt. dass wir schon gestorben sind, bevor wir zu leben beginnen. oder besser, dass wir erst zu leben beginnen, wenn wir gestorben sind. erst an dem punkt, an dem wir uns selbst von der möglichkeit, nicht zu sein, aus denken, erst an dem punkt, an dem wir uns selbst als gestorbene denken, beginnen wir zu leben.“ (11. Szene „ ein trauertableau“).

Katharina Bach als goldener mammon – charity – wird von jedermann auf dem Fuß balanciert. Peter Schröder als armer nachbar gott ziemlich trocken, Heiko Raulin als Teufel – die [teuflisch] gute Gesellschaft – recht schmierig. Der dicke Vetter gespielt vom schlanken Isaak Dentler, der dünne Vetter vom beleibten André Meyer auch schmierige Charaktere.

Ein nachdenklicher Abend.

Die kommende Spielzeit hat noch viele spannende Theaterabende geplant. Wie gesagt geplant. Corona ist unberechenbar. Die zweite Welle, die kommen könnte, haben die Theaterleute im Blick. Zunächst aber herrscht berechtigte Vorfreude.

Die Spielpläne für September und Oktober werden erst nach den Theaterferien bekannt gegeben. Der Kartenvorverkauf wurde auf den 7. September festgelegt.

 

Comments are closed.