Zupacken, jetzt! Zur Zukunft der Städtischen Bühnen
Anmerkungen zur Debatte mit neuen Denkmalschutzdaten
Von Uwe Kammann
Ende Januar und in den ersten Februarwochen war für Kulturdezernentin Ina Hartwig die Theaterwelt noch in in Ordnung. Jedenfalls jene, die mit der Zukunft der Städtischen Bühnen zusammenhängt. Sie hatte sich klar entschieden: Neubau statt Sanierung. Und hatte für dieses klare Bekenntnis nicht nur mehrheitlich Beifall in den Medien bekommen – weil endlich, nach langem Zögern, dies für eine klare Richtungsentscheidung stand –; sondern auch, und dies zählt ebenso stark: weil sie hinter dieser Entscheidung auch eine große Mehrheit im Stadtparlament versammelte. Die Grundsatzfrage war beantwortet. Eine klare Perspektive zeichnete sich ab. Bei durchaus noch vielen Variablen, speziell bei den Fragen: Wo und wie könnten die Nachfolgebauten der jetzigen Theaterdoppelanlage stehen, in welcher örtlichen Konstellation, in welcher architektonischen Form?
Kulturdezernentin Ina Hartwig bei der Pressekonferenz im Januar zur Zukunft der Städtischen Bühnen; Foto: Uwe Kammann
Doch dann, spätestens mit dem vehementen Auftritt von Bewahr-Aktivisten und dann dem Beginn der Corona-Krise, war es mit der Eindeutigkeit und dem politischen Außen-Elan der Kulturdezernentin wieder vorbei. Und sie ließ die Zügel, die sie auf der Pressekonferenz am 23. Januar doch so fest in der Hand zu halten schien, wieder entgleiten. Durch Passivität nach außen. Nichts wurde es mit dem auf der Pressekonferenz angekündigten Vorhaben, baldmöglichst Pläne für verschiedene Platzierungs-Varianten und Modelloptionen vorzustellen.
Ob Corona nur ein Vorwand für die plötzliche Funkstille war? Jedenfalls konnte sich niemand vorstellen, dass die Stabstelle Zukunft Städtische Bühnen seit Ende Januar die Hände in den Schoß gelegt hätte. Doch obwohl es die sprichwörtlichen Spatzen von den Dächern pfiffen, dass das Kulturdezernat einiges an Optionen und Ideen hätte vorweisen können, die Offenlegung auch schon einmal angedeutet hatte, hüllte sich Ina Hartwig in Schweigen. Eine Mitte April gestellte Anfrage von FeuilletonFrankfurt, ob der ursprünglichen und dann noch einmal Anfang März bekräftigten Ankündigung, einige erste Pläne vorzulegen, nun Taten folgen würden, diese Anfrage blieb bis jetzt, also Anfang Juni, ohne Antwort. Die Chance, weiter auf den Schwung der Januarankündigung zu setzen, ihn zu nutzen und damit die steuernden Zügel in der Hand zu halten, wurde vertan.
Die Theater-Doppelanlage am Willy-Brandt-Platz, Foto: Uwe Kammann
Und damit geriet Ina Hartwig wieder – so jedenfalls der Eindruck nach außen – in die unglückliche Lage, nur zu reagieren. Eher zaghaft und verhalten, mit einem exklusiven Zeitungsgespräch (FAZ), wohl eine Reaktion darauf, dass u.a. der Architekturtheoretiker Philipp Oswalt eine Petition für den Erhalt des gläsernen Foyerbaus mit seinem goldenen Wolkenhimmel gestartet hatte. Mit Beginn der Corona-Krise wurde Hartwig dann noch vom eigenen Oberbürgermeister düpiert, der mit zwei, drei Äußerungen den Eindruck erweckte, das Sanierungs- bwz. Neubauvorhaben werde jetzt wegen dringlicher anderer Finanzierungsfragen erst einmal auf unbestimmte Zeit verschoben. Eine Äußerung unnötig wie ein Kropf: Denn höchstens in drei Jahren wäre – aufbauend auf der Planungsphase und dem dann möglichen Baubeginn – eine erste größere Investition in das Vorhaben notwendig. Düpiert wurde Hartwig auch deshalb, weil OB Peter Feldmann seine Äußerung nicht mit ihr abgestimmt hatte, sondern in der Bild-Zeitung seine Abneigung ins Blaue hinausposaunt hatte.
Das alles alleine war schon ärgerlich genug. Doch dann setzte das Landesdenkmalamt in Wiesbaden noch einmal eines drauf, in einer Form, welche die Kulturdezernentin sofort entschieden hätte zurückweisen müssen. Denn unangemessener und anmaßender als Heinz Wionski – seit 2016 Landeskonservator im Landesamt für Denkmalpflege Hessen – kann man eine wichtige und öffentlichkeitswirksame Funktion bei einer wichtigen Sachfrage nicht ausüben. Anmaßend steht hier für willkürlich, auch für eine mäandernd wahrgenommene Verantwortung, kulminierend in einer sprunghaften Amtsausübung.
Der Höhepunkt: Ein gleichsam über Nacht gefertigtes Gutachten des Landesdenkmalamtes (datiert vom 17. April) über den Denkmalwert der Städtischen Bühnen – konzentriert auf das gläserne Foyer am Willy-Brandt-Platz und die darin hängende Goldwolkenskulptur Zoltán Keménys – platzte Mitte Mai in die Corona-Stille und erweckte den Eindruck, nun stünden die Städtischen Bühnen unter Denkmalschutz. Auch wegen des Paukenschlag-Effektes wurde es fast allseits so verstanden.
Doch schon 2016, als die Zukunft der Theaterdoppelanlage bereits debattiert wurde und das dann so viel Widerhall auslösende Fast-Milliarden-Gutachten auf den Weg gebracht wurde, hatte Wionski den besonderen Charakter der Doppelanlage und ihre Bedeutung für die Nachkriegsgeschichte öffentlich kundgetan – aber ohne jede erkennbare Bekundung oder Absicht, das Gebäude oder Teile davon unter Denkmalschutz stellen zu wollen stellen.
Nun also, vier Jahre später, das in Richtung Denkmalschutz zielende Gutachten aus dem eigenen Haus (das übrigens in weiten Passagen vornehmlich die Entstehungsgeschichte und das damalige Umfeld darstellt). Warum erst jetzt, warum so spät, warum überhaupt? Gegenüber FeuilletonFrankfurt erklärt Wionski diesen doch denkwürdigen Zeitverzug so: Der immer vorhandene Gesprächsfaden mit der Stadt sei in letzter Zeit intensiviert worden, zudem sei auch von dritter Seite – gemeint ist offensichtlich vor allem: die Anti-Abriss-Initiative mit einer Petition – interveniert worden, so dass sich für ihn die Schlussfolgerung ergeben habe, es sei richtig, über das Instrument von Arbeitsgesprächen hinaus den Stellenwert der Doppelanlage „noch einmal deutlich zu machen“ in Form einer „zusammenfassenden und konzentrierten Einschätzung“.
Der Willy-Brandt-Platz, getrennt durch Straßenbahnschienen, Foto: Uwe Kammann
Am Status des Baus habe sich durch dieses Gutachten nichts geändert. Es sei eine „sekundäre Frage“, ob ein Bau in die Denkmalliste aufgenommen sei. (Tatsächlich ist die Doppelanlage, wie das Landesdenkmalamt auch gegenüber der Stadt bestätigt hat, förmlich nicht in diese Liste aufgenommen). Ob diese Eintragung erfolge, werde „im Benehmen“ mit der Kommune festgelegt, wozu auch die Fragestellung gehöre, wie man mit dem Gesamtfall umgehen könne. Genau diese „Benehmensfeststellung“ sei im Falle der Theateranlage „noch nicht vollzogen“. Im Frühjahr hatte es zur Theaterfrage ein Gespräch mit der Stabstelle Zukunft Städtische Bühnen gegeben, dessen Nachfolgetermin wegen der Corona-Krise dann noch nicht in der beabsichtigten Form stattfand.
Jetzt, so Wionski gegenüber FeuilletonFrankfurt weiter, würden die Gespräche im Sinne der „Benehmensfestellung“ weitergeführt, wofür die im Gutachten präzisierten Aussagen über den Denkmalwert des Gebäudes als neue Grundlage dienten. Hierbei handele sich es im Ganzen – unter dem Oberbegriff des öffentlichen Interesses — um einen „Abwägungsprozess“, der stets wechselseitig sei. Zu den Abwägungskriterien zählten dabei die Intentionen der Stadt, die Vorstellungen zu Art und Formen eines künftigen Theaterbetriebs, die Finanzbedingungen, auch die historischen Gesichtspunkte und die für die Stadt sich insgesamt ergebenden Perspektiven.
Auf die Frage von FeuilletonFrankfurt, ob sich das Landesdenkmalamt nicht mit der privaten Initiative mitsamt deren Petition „gemein“ mache, indem die Behörde auf ihrer Webseite auf eben diese Petition hinweise und auch einen Link gesetzt habe, sagte Wionski, hierin sehe er kein Problem. Es gebe eben in dieser neuen Phase „identische Einschätzungen“. Überschrieben ist der Behördenbeitrag auf der Webseite mit dem Satz, dass das Landesamt für Denkmalpflege die Planung des Neubaus „begleitet“.
Im einleitenden Vorspann wird auf die Entscheidung der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung von Ende Januar zum Abriss verwiesen, dem dann der Satz folgt: „Dagegen protestieren bundesweit Fachleute und Bürger. In einer Petition fordern sie auch die Feststellung des Denkmalwertes.“ Bevor sich das eigene Gutachten per Klick herunterladen lässt und dann der Link zur Petition folgt, lässt sich Wionski im Erläuterungstext zitieren: „Wir freuen uns darauf, im konstruktiven Miteinander Chancen und Möglichkeiten der Erhaltung und Integration der denkmalwerten Elemente zu erörtern und gemeinsam weitere Schritte zu entwickeln“. Wichtig sei, so heißt es weiter, „die geschichtliche Dimension des Standorts Städtische Bühnen insgesamt sowie das besondere Erhaltungsinteresse am Foyer als Rahmenbedingung in den Planungsprozess einzubringen.“
Möglicher Standort für Theaterneubau oder Interimslösung beim Depot und der Uni-Bibliothek, Foto: Uwe Kammann
Wer dies aufmerksam liest, kann leicht zum Schluss kommen, dass Wionski in der Sachfrage nicht die absolute Konfrontation sucht – was ja auch merkwürdig genug wäre, wenn man die lange Vorgeschichte inklusive der Arbeitsgespräche mit der Stadt sieht. Die große Schärfe hat die Initiative mit ihrer Petition in die Angelegenheit gebracht. Sie hat auf kräftige Kampfvokabeln gesetzt und damit – zumindest vordergründig – das Gesetz des Handelns an sich gezogen, mit dem Versuch, über den Denkmalschutz eine eindeutige politische Entscheidung auszuhebeln.
Ob in all den Kombinationen nicht ein Zusammenspiel und schlussendlich auch eine gemeinsame Sache zu sehen ist? Schon die Grundkonstruktion ist delikat. Denn Oswalt, einer der Petitionsinitiatoren, ist einer der beiden Vorsitzenden (es gibt eine Doppelspitze) des hessischen Landesdenkmalrates, der das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst in allen Fragen des Denkmalschutzes und der Denkmalpflege berät. Dabei kann das Gremium auch zu grundsätzlichen Fragen Stellung beziehen, auch auf eigene Initiative. In dieser Eigenschaft erhielt Oswalt auch, zur Vorbereitung auf eine Sitzung, das aktuelle Gutachten aus dem Landesdenkmalamt – das dann mit kleinerem Zeitverzug über die Initiative im Wortlaut veröffentlicht wurde und damit die eingangs beschriebene Lawine in der Medienlandschaft lostrat.
Dass die Initiative auch sehr geschickt feinere Instrumente gezielt einsetzen kann, bewies sie mit einem Begriff in ihrer Agitations-Argumentation, der vielfältige Assoziationen und Emotionen hervorrufen kann und in der Regel seine Wirkung wegen des moralisierenden Untertons nicht verfehlt. „Geschichtsvergessenheit“ – das sei es, für die der beschlossene Abriss stehe. Jeder, der Ina Hartwig ein wenig kennt, ahnt, dass der mit diesem Begriff verbundene Vorwurf sie im Mark getroffen haben muss. Zumal sie selbst ja lange Zeit dafür eingetreten war, die Fassade der Theaterdoppelanlage zu erhalten, weil sie als herausragender architektonischer Rahmen für den demokratischen Aufbruch und den Geist der Aufklärung in dieser Phase der Nachkriegsgeschichte stehe und deshalb in besonderer Form auch im kollektiven Gedächtnis der Frankfurter Stadtgesellschaft verankert sei.
Blick auf Schauspiel (links) und Oper (rechts) von der Gallusanlage aus, Foto: Uwe Kammann
Auf diesen Kern lässt sich übrigens auch die Petition und das jetzige Gutachten des Landesdenkmalamtes reduzieren. Dass sich die Kulturdezernentin aufgrund ihrer eigenen Anhänglichkeit zum bestehenden Bau es sich nicht leicht gemacht haben wird, am Ende der Überlegungen zum Jahreswechsel 2019/2020 doch einen Abriss zu befürworten, liegt auf der Hand. Und beweist zugleich: Der nochmals vertiefte Einblick in das Erstgutachten (2017) und das Studium des im letzten Jahr aufgelegten sogenannten Validierungsberichts des renommierten Frankfurter Architektur- und Planungsbüros Schneider+Schumacher muss sie überzeugt haben, dass aus bautechnischen, programmatischen und finanziellen Gründen dieser dann auch vom Stadtparlament mit großer Mehrheit gefasste Beschluss in der schwierigen Gemengelage die beste Lösung darstelle.
Nochmals: Ina Hartwig hat dieser Lösung sicher nicht leichten Herzens zugestimmt. Umso bedauerlicher und unverständlicher ist es, dass sie dann nicht offensiv damit umgegangen ist, dass sie keinerlei Planungsperspektiven aufgezeigt hat, dass sie darauf verzichtet hat, mit Modellvorstellungen zu punkten, die ja in der vor ihr geführten eigenen Stabsstelle ausgearbeitet wurden. Jeder, der sich mit Bauen beschäftigt, weiß, wie wichtig die Anschauung ist, um für Künftiges zu werben. In Berlin war es die Simulation eines Teils der Fassade des Stadtschlosses, welche den Wiederaufbau befeuerte. In Hamburg war es allein das Computerbild eines künftigen architektonischen Flaggschiffs im Hafen, welches die ganze Stadt für die spätere Elbphilharmonie begeisterte – und dann auch die Realisierung über alle Hürden brachte.
Auch in Frankfurt wären solche Simulationen der möglichen Standorte und der dort vorstellbaren Bauten für Oper und Theater sicherlich hilfreich, um den Bürgern ein Bild ihrer künftigen Zentralorte für die Hüllen der Darstellenden Künste zu vermitteln, ihnen die Optionen vor Augen zu führen. Dazu könnte und müsste auch unbedingt ein Modell gehören, wie man am jetzigen Platz der Doppelanlage ein modernes Haus (bevorzugt die Oper) mit einem Hochhaus an der Stelle des jetzigen Schauspielhauses verbinden könnte, sogar durchaus inspiriert vom Ausgangsgedanken des jetzigen 60er-Jahre Baus, der ja selbst beträchtliche Reste des einstigen Theaterbaus aus dem Jahre 1902 ohne viel Federlesens in die neuen Bauteile und Fassaden eingehüllt hat. Für den Wiederaufbau dieses von Heinrich Seeling (eines zu seiner Zeit für diese Bauaufgabe vielgefragten Architekten) entworfenen Ur-Theaters an dieser Stelle setzt sich ja eine Bürgerinitiative ein, die als Aktionsgemeinschaft Schauspielhaus firmiert.
Im heutigen Operntrakt verborgene Reste des alten Schauspielhauses von 1902 – nicht auch denkmalwürdig?, Foto: Petra Kammann
Insofern: Wen und was soll der Kampfbegriff „Geschichtsvergessenheit“ treffen? Könnte er auch für Otto Apel (und sein damals tonangebendes Architekturbüro ABB) gelten, weil er das alte, nach den Kriegsschäden wieder spielbereit gemache Theater Anfang der 60er Jahre einfach überbaute und um das zweite Haus erweiterte, verklammert mit der neuen, 120 Meter langen Glasfassade? War auch der damals frohgemute Jungarchitekt Anselm Thürwächter einfach nur geschichtsvergessen, als er für sein betonseliges Technisches Rathaus schöne Bürgerhäuser an der Braubachstraße ohne jegliche Bedenken abreißen ließ (wozu er heute noch steht)?
Und wie ist Geschichtsvergessenheit zu interpretieren, wenn die mit Frankfurt eng verbundene Schriftstellerin Katherina Hacke sich vehement für den Erhalt der Doppelanlage ausspricht, aber dabei ausdrücklich erwähnt, gegen den Wiederaufbau der Alten Oper gewesen zu sein, weil „wir“ (sie meint sicher ihr Milieu) „das Gebäude einfach als verkehrt und verfehlt empfanden“. Denn: „In unseren Augen tat es so, als sei die Geschichte dieses Ortes am Opernplatz eine andere gewesen, als sie es tatsächlich war.“ (Wie sie denn nach ihrer Auffassung tatsächlich war, präzisiert sie nicht.) Weiter heißt es : „Die Städtischen Bühnen dagegen, das war und ist meine Geschichte, das war und ist mein Gebäude.“
In diesem Zitat spiegelt sich die ganze verquere Problematik des Begriffs Geschichtsvergessenheit. Zu deren Kern gehört, dass es vor allem immer um das eigene Verständnis und Erlebnis von Geschichte gehört, auch um eine generelle Interpretation, um eine bevorzugtre Bewertung von Phasen und Zeitläuften, um eine Einordnung, die auf einer als verpflichtend und allgemein gültig angesehene Moral beruht. Wenn, wie von Katherina Hacke insinuiert, das 1880 feierlich eröffnete Opernhaus in der Wallanlage zehn Dekaden später als „verkehrt und verfehlt“ beurteilt, dann vermutlich, weil sie darin das Zeichen einer reaktionären Zeit sieht. Mit der Schlussfolgerung: Kann weg, muss als „Zeitschicht“ (ein Lieblingswort des Denkmalschutzes) nicht bewahrt werden. Ein ähnliches Muster findet sich ja beim Architekturtheoretiker Stephan Trüby, allerdings militant gesteigert. Er sieht da, wo Altes wiederaufgebaut oder dessen Architektursprache bemüht wird, neue „rechte Räume“ entstehen, als (klein-)bürgerliche Rekonstruktion einer unbefangenen Heimeligkeit, welche die Gräuel der Nazigeschichte gleichsam negiert und sich dieser Geschichte entledigen will.
Möglicher Bauplatz für ein neues Schauspielhaus oder eine Interimsspielstätte, Foto: Uwe Kammann
Dieses Motiv steckt, das lässt sich jedenfalls vermuten, auch in der Philippika gegen die vermeintliche Geschichtsvergessenheit beim Frankfurter Abrissbeschluss. Und eine solche milieu-ideologische Feste-Burg-Mentalität steckt offensichtlich in der Haltung, jegliche andere Mit-Nutzung des jetzigen Theatergrundstücks als pure Verbeugung vor einem Ausbeutungskapitalismus zu deuten und in der praktischen Folge zu verdammen. Dass eine Neuinterpretation der Theaterbauten am Willy-Brandt-Platz von hohem Reiz sein könnte (vor allem dann, wenn die Oper am jetzigen Standort bliebe und ein neues Schauspielhaus gleich gegenüber entstünde, dort, wo jetzt die Super-Euro-Skulptur einen ziemlich heruntergekommenen Teil der Gallusanlage dominiert). Hier wäre (auch unter Berücksichtigung des Formalschutzes der Grünanlagen) eine signifikante Verbesserung der Gesamtsituation möglich, schon jetzt eigentlich dringend geboten. Zumal das der Doppelanlage gegenüberliegende Sockelgeschoss des alten BfG-Hochhauses, das jetzt die Bankenaufsicht beherbergt, ein ungeschlachter Platzkiller erster Güte geworden ist.
Möglicher Bauplatz für eine neue Oper schräg gegenüber der alten Oper, Foto: Uwe Kammann
Insofern: Hier wäre es sogar ein Leichtes, mit einer Neukonzeption zu einer Platzfassung und einer Neuinterpretation zu kommen, die großstädtisches Leben beflügelt. Die dann beispielsweises auch mit einer Fassadenkombination von Oper und Sockelgeschoss eines neuen Hochhauses (ausgerichtet an der Neuen Mainzer Straße) auf sehr elegante und großzügige Art jene Offenheit herstellen könnte, die doch in vielen Diskussionen als ein Hauptwunsch bei einer Neugestaltung formuliert wurde. Eine Offenheit (Restaurant?, Theaterladen?, Publikumswerkstatt?), die doch auch beim Erhalt des jetzigen Foyerriegels beträchtliche Eingriffe erfordern würde. Was ohnehin positiv wäre: Denn jetzt ist der Eingangsbereich mehr als gedrungen und wenig einladend: ein funktionaler Mangel, ein architektonischer Offenbarungseid, eine optische Not-Lösung.
Eine großzügige Neuinterpretation (die durchaus, wie von der Stabsstelle immer wieder betont, schon im Ausschreibungsmodus auch Elemente der jetzigen Fassade und der Wolkenskulptur einbeziehen könnte), eine solche Neuinterpretation also böte auch einen Vorteil, der gerade wegen der tiefgreifenden Auswirkungen der Corona-Krise auf das städtische Budget in den nächsten Jahren gewiss nicht einfach beiseitezuschieben ist. Denn über einen Verkauf eines Teil-Grundstücks oder über ein geschicktes Nutzungsmodell ließe sich ein Teil der immens hohen Kosten für Sanierung/Neubau/Übergangslösung (je nach schließlich realisierter Lösung) refinanzieren. Wer, wie die Befürworter der Anti-Abriss-Initiative, im Blick auf solche Modelle lediglich den Ausverkauf der Stadt und das gewissenlose Forcieren eines reinen Marketing-Denkens sieht und dies entsprechend verurteilt, zeigt vor allem eines: Es geht hier um das Beschwören/Abwehren/Verfestigen von Gesellschaftsmodellen, verbunden mit dem Beharren auf einem engen Geschichtsverständnis, das Vielfältigkeit und Komplexität eher ausblendet.
Das Wolkenfoyer von Zoltán Kemény, Foto: Petra Kammann
Genau hier liegt, um noch einmal auf das Landesdenkmalamt zu kommen, eine Art Parteinahme – indem, wie es Landeskonservator Heinz Wionski ja betont hat, er wegen der „identischen Einschätzung“ auf die Petition verlinkt hat. Die „Aktionsgemeinschaft Schauspielhaus“ wertet dies als Verstoß gegen ein behördliches Neutralitätsgebot, auf das sie nun mit einer Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Wionski antworten will.
Hier sei – ganz kurz, aber notwendig, weil aktuell – auf eine weitere Amtshandlung des Landeskonservators verwiesen, die bei vielen Betrachtern und Bürgern Kopfschütteln hervorgerufen hat, nicht selten auch reine Empörung. Denn die Behörde hat jetzt das Geschäftshaus der Firma Lorey formal unter Denkmalschutz gestellt, zu einem Zeitpunkt, als die Firma es schon verkauft hatte, um ein neues Geschäftsdomizil in der Galerie „My Zeil“ zu beziehen. Die Stadt, wo das Planungsamt als Untere Denkmalschutzbehörde – im Zusammenspiel mit der oberen Behörde in Wiesbaden – für solche Fragen zuständig ist, hatte Lorey noch im Oktober letzten Jahres bescheinigt, das Haus stehe nicht unter Denkmalschutz.
Aber dann kam im März, wie aus heiterem Himmel, nach achtjährigen Gesprächen über die „Nacherfassung“ von denkmalwürdigen Gebäuden in Frankfurt, die Verfügung aus Wiesbaden, um das „baukulturelle“ Erbe aus den 50er Jahren gegenüber der mehrfach umgestalten Kaufhaus-Fassade zu schützen. Für das städtische Denkmalamt sei das, wie Planungsamtssprecher Mark Gellert einräumt, „überraschend“ gekommen. Der enge zeitliche Zusammenhang zwischen der eigenen Negativ-Auskunft und der Unterschutzstellung durch das Landesdenkmalamt sei „tatsächlich unglücklich, juristisch aber nicht relevant“. Aber er ergänzt auch: Planungsdezernent Mike Josef nehme den Fall Lorey zum Anlass, die derzeitigen Denkmalschutzregelungen als Thema in den Hessischen Städtetag einzubringen und auf Reform beim geltenden Verfahren zu drängen: „Wir sehen da erheblichen Änderungsbedarf.“ Beispielsweise, indem Eigentümer frühzeitg informiert würden, dass ihr Gebäude auf einen möglichen Denkmalswert untersucht werde, möglicherweise auch mit festen Fristen von maximal ein oder zwei Jahren.
Das Haus des Tradionsgeschäftes Lorey an der Großen Eschenheimer Straße, jetzt unter Denkmalschutz, Foto: Uwe Kammann
Gut, dass die Stadt so schnell diesen offenkundigen Missstand benennt und darauf reagieren will. Für nicht diplomatisch gebundene Beobachter gleicht dieser Vorgang, gelinde gesagt, schon einem Stück aus dem Tollhaus. Nicht nur, weil so in Corona-Zeiten einem wichtigen (und traditionellem!) Wirtschaftsunternehmen wie Lorey möglicherweise der Garaus gemacht wird. Sondern auch, weil dann mit zigfachem Recht gefragt werden muss, warum das für die 50er Jahre viel bedeutsamere und in seiner architektonischen Qualität viel höherwertige, auch in bester Weise stadtbildprägende elegante Verlagshaus der „Frankfurter Rundschau“ gegenüber dem Eschenheimer Turm nicht vehement vom Landesdenkmalamt verteidigt wurde.
Jetzt erdrückt ein modernistischer Protzbau (vom ansonsten renommierten Architekturbüro Teherani) die gesamte Umgebung. Während auf der anderen Seite, gleich gegenüber der Garageneinfahrt dieses grobgestrickten Weißwabenkomplexes, einige Neubauten an der Großen Eschenheimer trotz ihrer relativ banalen Fassaden dem Straßenbild gutgetan haben. Vom verklinkerten vierstöckigen Lorey-Haus bis zur Neuen Wache zeugen hingegen die zweigeschossigen Geschäftshäuser zwar von der (natürlich finanziell erzwungenen!) Bescheidenheit des Wiederaufbaus auch mitten im Herz der Großstadt. Doch wäre es städtebaulich ein enormer Gewinn, wenn hier neue Bauten den Maßstäben der Umgebung entsprächen und damit als Gegengewicht wirken könnten, um die gleichfalls extrem modernistischen und aufdringlichen Kipp- und Knicktürme hinter dem Kaufhof wenigstens im Ansatz auszubalancieren.
Das alles führt nochmals zu Grundfragen auch des Denkmalschutzes. Zum Abschluss des Recherchegesprächs mit FeuilletonFrankfurt setzte Heinz Wionski eine Pointe: „Denkmalspfleger muss man auch mit Vorsicht genießen“. Selbstkritik? Oder eher kokettierende Selbstironie? Richtig ist auf jeden Fall: Denkmalschutz hat schon manche Wendungen genommen, ist in vielen Fällen wegen der Einschätzungen und Beurteilungen, auch wegen der Entscheidungen umstritten; gerade auch, weil die Entscheidungen allzuoft willkürlich und selbstherrlich wirken, abhängig vom individuellen Geschmack des Personals der Behörden, und dies bei weit reichenden Auswirkungen.
Hat den Rundschau-Bau ersetzt: ein Neubau des Hamburger Architekturbüros Teherani, Foto; Uwe Kammann
Oft entsteht der Eindruck, das Bewahren von gebauten „Zeitschichten“ solle vor allem ein Lehrpfad sein, wissenschaftlich unterfüttert und begründet, etabliert in rein pädagogischer Absicht, ganz unabhängig davon, ob die damit gewollten „Denkmäler“ nun eine Umgebung weiter bereichern oder belasten, ob sie von den Bürgern gemocht, vielleicht auch nur achselzuckend toleriert oder aber vehement abgelehnt werden – was ja zum gegenteiligen als dem beabsichtigten Effekt führen würde. Der Begriff Schönheit übrigens war bis vor kurzem in weiten Kreisen der Denkmalschützer verpönt und keine achtenswerte architektonische Kategorie. Je größer der Widerstand gegen die Politik von Hässlichkeitsverfechtern (die SOS-Brutalismus-Initiative ist dafür ein Musterbeispiel) und Vertretern einer Wunden-Ästhetik ist, umso heftiger griff der Mechanismus dieses Typus von Denkmalschutz: Jetzt erst recht! Wir haben die Macht!
Zu welch’ kuriosen Formen das führen kann, und wie sehr es oft nur darum geht, ein ganz bestimmtes Geschichtsbild zu betonen und zu vermitteln, zeigt gerade ein Denkmalstreit in Berlin, der auch für die Frankfurter Theaterdebatte Finderzeige geben könnte. Denn dort, zwischen dem Boulevard Unter den Linden und der schlichteren Behrenstraße, steht die Generalsanierung der Komischen Oper an, verbunden mit einem Erweiterungsbau für Probebühnen und Büros an der seitlichen Glinkastraße.
Und wie greift der neue, noch junge Landeskonservator Christoph Rauhaut ein? Er will die derzeitige, als absolut intakt bewertete steinerne Außenhaut des ursprünglich aus dem Jahr 1892 stammenden, im Krieg schwer mitgenommenen Hauses abnehmen lassen und den Zustand von 1966 (also: der damaligen Renovierung durch die DDR) wiederherstellen lassen. Auch die 2005 vorgenommene, auf Klarheit und Großzügigkeit setzende Innengestaltung des Foyers durch Stephan Braunfels (immerhin der Architekt der eleganten Regierungsbauten im Berliner Band des Bundes, auch der vielgerühmten Pinakothek der Moderne in München) will der dynamische Landeskonservator herausreißen lassen, um den vorherigen DDR-Zustand wiederherzustellen, inklusive einer Lochplattendecke aus Gipsstuck, die frühere Besucher immer an Eierkartons erinnerte.
Klar erkennbar: Berlins junger Landeskonservator ist bekennender Liebhaber der DDR-Architekturschichten. Dass deren Zeugnisse vielerorts, oft vorbildlich renoviert, zu besichtigen sind, vom Haus des Lehrers am Alexanderplatz bis zum Langdenkmal der Karl-Marx-Allee, ist ihm offensichtlich nicht genug. Und so verwahrt er sich auch im Sinne seiner DDR-Bewahrideologie dagegen, den mit seiner Gesamttechnik völlig veralteten Bühnenturm der Komischen Oper abzureißen und nach funktionalen Gesichtspunkten neu aufzubauen.
Möglicher Standort für eine Interimslösung (oder mehr?): das Gesellschaftshaus am Zoo; Foto; Uwe Kammann
Dieses Beharren wiederum entspricht genau dem Verfahren bei der Renovierung der Lindenoper. Auch dort hatte das Landesdenkmalamt erzwungen, die aus den früheren DDR-Jahren stammende Nachkriegsoptik zu erhalten, inklusive der Mauern und Funktionsräume des Bühnenturms. Was wesentlich dazu beitrug, dass die Kosten der Staatsopernsanierung enorm in die Höhe schossen, auf gut eine halbe Milliarde Euro. Auch bei der Komischen Oper werden derzeit gut 240 Milliarden Euro für die Sanierung und Erweiterung veranschlagt. Wer die Ausschreibung liest, kann ohnehin nur staunen ob der Opulenz der Anforderungen, die im Wunschkatalog fatal an die ersten Frankfurter Listen für die Theatersanierung entsprechen. Dass sogar die erst vor wenigen Jahren installierten neuen Sessel mit vielgelobten individuellen Übersetzungsschirmen auf den Müll geworfen werden sollen, lässt die Haare zu Berge stehen.
Genauso haarsträubend ist die vorherige Erfahrung mit dem Berliner Denkmalschutz, dass ihn die fundamentale Zerstörung aller Sichtachsen des Kulturforums mit seinen Architekturikonen durch die jetzt im Bau begonnene monströse Kunstscheune aus dem Büro Herzog & de Meuron nicht im geringsten berührt hat. Trotz vieler und gut begründeter Proteste aus der Fachwelt sowie städtebaulicher Einwände, die auch den Denkmalschutz betreffen, hat er das Projekt lässig durchgewunken. Dass dieses neue Museum jetzt auf 450 Millionen Euro veranschlagt wird, belegt übrigens in erschreckender Weise, wie bei Kulturbauten offensichtlich die Devise herrschte und herrscht: Kosten spielen keine Rolle, nach uns die Sintflut. Aktuelle Beispiele gibt es im Dutzend.
Doch in dieser Hinsicht, so ist anzunehmen (oder nur zu hoffen?), wird in Frankfurt sicherlich abgespeckt werden (müssen). Und ob Denkmalschutz-Wünsche und -Vorstellungen so zu Buche schlagen werden oder sollen wie bei den erwähnten Negativ-Beispielen in Berlin, ist nicht unbedingt anzunehmen. Hier wird nicht zuletzt die Corona-Krise eine wohltuende Sparsamkeit erzwingen. Eine Sparsamkeit und Bescheidung, welche ohnehin auch für die Gesamtunternehmung von Schauspiel und Oper als Grundprinzip wohltuend wäre. Manche Teilnehmer an der Debatte fordern ja, die Perspektiven möglicher dramaturgischer Entwicklungen bis in zwanzig, dreißig Jahre vorauszudenken und einzubeziehen.
Möglicher Standort für eine neue Oper an der Neuen Mainzer Straße, Foto: Uwe Kammann
Wie dies praktisch geschehen soll, ist mehr als nebulös. Und wer die Theatergeschichte kennt, der ahnt: Dieses Glaskugelgeschäft kann und wird nicht funktionieren. Die Grundformation von Bühne und Zuschauerraum wird wahrscheinlich so lange bestehen, wie überhaupt Theater und Oper als zentrale Formen lebendiger szenischer Kunst gelebt werden und als kulturelle Institution überleben. Ein Trend, das vielleicht lässt sich am nassen Zeigefinder in der Luft ablesen, wird sich herausbilden: Nicht mehr auf die teuerste und spektakulärste Maschinen-Ästhetik und Medienopulenz zu setzen, sondern wieder stärker auf das zu vertrauen, was doch zu den Urmerkmalen des Theaters gehört: die an den linearen Zeitverlauf gebundene menschliche Präsenz und Handlungsmacht.
Wenn es so wäre, wenn es so ist: Dann müssen sich auch die Orte dieses lebendigen Spiels verändern dürfen. Wie ohnehin auch die Städte – in deren Mitte in der Regel die heutigen Theater beheimatet sind, im Idealfall gedacht als Verständigungs- und Selbstvergewisserungsorte der offenen Bürgergesellschaft – sich ja ständig verändern, solch’ dynamische wie Frankfurt ohnehin (wie es auch gerade Stadtplanungsdezernent Mike Josef beim entstehenden Großprojekt „Four“ mit vier neuen Hochhäusern am Rossmarkt als Positivum hervorgehoben hat).
Umso verwunderlicher deshalb, dass gerade die Initiative in so ausgeprägt einengendem Konservatismus auf einem bestimmten Zustand und damit Erscheinungsbild der Nachkriegsmoderne beharrt. Als Philipp Oswalt, einer ihrer Initiatoren 2009 als neuer Direktor der Stiftung Bauhaus Weimar in einem Interview der Zeitschrift „baunetz“ die Perspektiven seiner Arbeit und seiner Positionen im Rahmen der oft als sakral empfundenen Bauhaus-Einordnung und -Geschichte erläuterte, stellte er klar fest, dass es nicht reiche, das Bauhaus als Kulturgut zu bewahren. Sondern der aktuelle Umgang müsse auch dem ursprünglichen Geist und den Ideen gerecht werden. Also dem Bauhaus auch als einer „unheimlich dynamischen Institution“ mit „sehr heterogenen Positionen“, mit „revolutionären Brüchen“ und „produktiver Streitkultur“. Am Beispiel des Streits um Rekonstruktionen forderte er für die Architektur mehr Spielraum. Und geradezu als perfekter programmatischer Schlüsselsatz für den jetzigen Frankfurter Theaterstreit ließe sich diese Oswalt-Äußerung aus seiner frühen Bauhaus-Zeit zitieren: „Die Quintessenz des Bauhauses ist heute meines Erachtens sogar aktueller denn je: die Dinge von Grund auf neu zu betrachten, kritisch zu hinterfragen, die Interdisziplinarität und all diese Aufgaben als gesellschaftlichen Auftrag zu begreifen.“
Vielleicht ist es ja nicht zu spät für neue/alte Einsichten, um die Fronten zu enthärten. Vielleicht ist es ja nur ein böser Verdacht, wenn man bei einigen personellen Konstellationen im Zusammenhang mit der jetzigen Auseinandersetzung, welche durch Heinz Wionski auf eine neue Betriebstemperatur angeheizt wurde, Zweifel haben kann, ob es sich bei Äußerungen und Einschätzungen nur um Zufälle handelt. Warum beispielsweise tauchte im ursprünglichen Validierungsbericht des Planungsbüros Schneider+Schumacher, wie glaubwürdige Quellen sagen, ein Passus auf, der den Denkmalwert der Theaterdoppelanlage genau im Sinne von Phillip Oswalt und des jetzigen Gutachtens des Landesdenkmalamtes beschreibt? Kann dies damit zu tun haben, dass eine am Theaterreport beteiligte Mitarbeiterin des Planungsbüros, Astrid Wuttke, auch Mitglied des Landesdenkmalrates ist (seit 2017), mithin demselben Beratungsgremium angehört, dem Philipp Oswalt vorsitzt?
Mutet es zu Unrecht merkwürdig an, dass eine die Kernfragestellungen des Validierungsberichtes gar nicht berührende Passage einen Fingerzeig in die Denkmalsrichtung geben sollte oder soll? Denn der Validierungsbericht – gleichsam ein Gutachten zum Gutachten des Hamburger Architekturbüros PFP aus dem Jahre 2017, das damals dem großen Schrecken verbreitet hatte –, dieser Bericht sollte und soll ja in variierender Form die bautechnischen und organisatorischen Modelle und Möglichkeiten bei den verschiedenen Optionen Sanierung/Neubau bewerten und die finanziellen Konsequenzen vergleichend darstellen. Was ja im Ergebnis offensichtlich so überzeugend war, dass die Kulturdezernentin Ina Hartwig im Januar bei der Pressekonferenz im Architekturmuseum so eindeutig Stellung bezog, sekundiert vom Leiter der Stabsstelle Zukunft Städtische Bühnen, Michael Guntersdorf.
Option für ein neues Schauspielhaus oder eine Interimsspielstätte: die Gallusanlange neben dem Bafin-Turm, Foto: Uwe Kammann
Das gegenwärtige Fazit aus den Beobachtungen und vielen sich daraus ergebenden Überlegungen: Ina Hartwig sollte unbedingt ihre nach der städtischen Grundentscheidung für einen Neubau gezeigte und durchgehaltene Schweigehaltung aufgeben und wieder klar zeigen und sagen, warum sie diese Entscheidung als zuständige Dezernentin nach der Prüfung aller Fakten und Sachaussagen (eben auch in den beiden Gutachten) getroffen und der Stadtverordnetenversammlung zur entsprechenden Beschlussfassung empfohlen hat.
Was gar nicht geht: Eine sehr spät ins Spiel gebrachte Petition – so ehrenwert auch die Motive der mehr als 5000 Unterzeichner sein mögen – von jetzt auf gleich zum Ausgangspunkt eines ganz neu aufgerollten Diskurses zu machen oder gar eine politische Mehrheitsentscheidung auszuhebeln. Was ebenso nicht geht: Jetzt in einer Denkmalschutzdebatte zu kneifen, die – und das ist tatsächlich skandalös (auch wenn das Wort oft so hohl klingt) – nach einem vierjährigem Zeitraum der eher informellen Sachgespräche vom Landesdenkmalamt mit großem Öffentlichkeits-Tamtam auf eine neue Ebene gehoben wurde. Angestoßen zudem, wie vom Behördenleiter offen eingeräumt, durch eine private Aktion, die ja ebenfalls mehr als spät gekommen ist. Und die so tut, als ob all die Überlegungen auch zum besonderen Stellenwert der Architektur der Doppelanlage nicht in vielen Symposien und Einlassungen hin- und hergewendet worden wären.
Muss nach vielen Diskussionen endlich das Heft wieder in die Hand nehmen – Frankfurts Kulturdezernentin Ina Hartwig, Foto: Petra Kammann
Wer Ina Hartwig im Gespräch mit Salomon Korn anlässlich des 100. Geburtstags von Marcel Reich-Ranicki gehört hat, der konnte nur bewundern, mit welch’ kenntnisreicher, kluger und differenzierter Argumentation sie den Charakter und die Lebensform sowie die Lebensgeschichte dieses nicht selten stark polarisierenden Literaturkritikers (schlicht also: des ehemaligen Kollegen im selben Fach) umrissen und in sehr sympathischer Form verdeutlicht und eingeordnet hat. Zu ihren schlussfolgernden Merksätzen gehörte, dass Kritik auch laut sein und kräftig zuschlagen dürfe. Eine solche Kritik muss sie sich jetzt – nachdem sie die Hauptrolle der aus der Distanz wirkenden feinsinnigen Literaturkritikerin verlassen hat, um die neue (und sicherlich immer noch ungewohnte) Rolle der aktiven Politikerin einzunehmen – ebenso gefallen lassen.
Denn: Die Theaterfrage verlangt kein Feuilleton-Ziselieren. Sondern, nach vielfältiger und abwägender Erörterung, ein beherztes Zupacken, bei dem die politische Führung ebenso klar erkennbar sein muss wie die Bestärkung der sachlich/fachlich ausgerichteten Kompetenzen und Funktionen im Umfeld. Alles andere wäre (Nicht-)Politik, die gerade auf den neuesten oder den lautesten Zuruf reagiert. Das, keine Frage, wäre fatal. Und ein Fanal für die Frankfurter Bühnenzukunft. Oder, in der Theatersprache ausgedrückt: Es wäre eine Tragödie.