„Städels Erbe“ und „Alter sitzender Mann (Der trunkene Lot)“ von Rembrandt Harmensz van Rijn.“- Dieses Bild hätte ich gerne!
Seit etwa zwei Wochen zeigt die Grafikabteilung des Städel Museums „Städels Erbe“ – Meisterzeichnungen aus der Sammlung des Stifters vom 16. bis 18. Jahrhundert – mit Feder, Stift, Kreide oder Pinsel zu Papier gebracht. Johann Friedrich Städel, der von 1728 bis 1816 in Frankfurt lebte, war seit seiner Jugend ein leidenschaftlicher und kenntnisreicher Sammler von Handzeichnungen. Usci-Hoffmann-Volz hat sich in der Ausstellung „Städels Erben“ ihre Lieblingszeichnung genauer angeschaut und sich von Dr. Martin Sonnabend, dem Leiter der Graphischen Sammlung des Städelmuseums bis 1750, Details erläutern lassen.
Ausstellungsansicht „Städels Erbe. Meisterzeichnungen aus der Sammlung des Stifters“, Foto: Städel Museum – Norbert Miguletz
Die ausgestellten Zeichnungen italienischer, holländischer, französischer und deutscher Maler sind wunderbar, ausdrucksstark und kaum mit Worten zu beschreiben. Ich habe sie mir mehrfach und in aller Ruhe angesehen, viele haben mich begeistert, aber nur eine hat mich wirklich tief berührt „Alter sitzender Mann (Der trunkene Lot)“ von Rembrandt Harmensz van Rijn. Warum? Ich fragte Dr. Martin Sonnabend, Leiter der Grafischen Sammlung bis 1750, was so besonders an diesem Bild ist und was der trunkene Lot mit diesem alten Mann zu tun hat.
„Dieser bärtige Mann taucht in verschiedenen Zeichnungen des jungen Rembrandt auf, er war sein Modell, diese Zeichnungen sind im Atelier entstanden, er saß da und Rembrandt hat ihn hier mit schwarzer Kreide gezeichnet. Kreide ist ein Zeichenmittel, das malerische Qualitäten hat, man kann klare Linien ziehen, Flächen abtönen, stark aufdrücken, dann wird es dunkel, oder ganz zart, dann wird es hell. Und diese Modulationsmöglichkeiten hat Rembrandt virtuos eingesetzt.
Der Mantel ist schwer und da wird die Kreide auch schwer, aber nicht nur der Mantel wird dunkel, auch die Schatten setzt der Maler so, dass man merkt, dass das hier ein Tuch ist das sich schwer über das Bein legt, sich nach hinten bauscht. Der Kopf, die Haare, da ist die Kreide ganz zart geführt, dieser Kopf ist ein Wunderwerk an zartesten Berührungen mit dem Papier, es wird nur angedeutet – und plötzlich sieht man Haare, ein Gesicht mit diesem enorm traurigen Gesichtsausdruck. Und da kann man dann schon zu der Meinung kommen, dass dieses Modell, dieser alte Mann mit dem Bart auch noch was Anderes an sich hatte, was ihn für den Künstler interessant gemacht hat, denn in allen Zeichnungen die es von ihm gibt, strahlt er eine unglaubliche Traurigkeit aus. Diese Ausstrahlung war wahrscheinlich der Grund, warum Rembrandt psychologisch an ihm interessiert war.
Rembrandt Harmensz. van Rijn (1606–1669), Sitzender Greis, ca. 1630–1633, Kreide auf geripptem Büttenpapier, 253 × 189 mm, Städel Museum, Frankfurt am Main, © Städel Museum, Foto: U. Edelmann
Es gab ein Gemälde von Rembrandt, „Der trunkene Lot und seine Töchter“, von dem heute nur noch eine Radierung des holländischen Radierers Jan van Vliet existiert. In diesem Gemälde ist Lot sehr lustig, das muss er auch sein, er wird von seinen Töchtern betrunken gemacht und schläft dann mit ihnen, weil sie glauben, nach der Flucht aus Sodom auf dieser Welt keinen Mann mehr zu finden. Die Trunkenheit gehört zu dieser drastischen Geschichte, dieses Aus-sich-Herausgehen, der totale Kontrollverlust. Und in unserer Zeichnung hat man jetzt eine Situation, die überhaupt nicht lustig ist, die nichts mit Kontrollverlust und dem Übermut zu tun hat, die beim trunkenen Lot das Entscheidende ist. Ist das wirklich ein Lot?
Zunächst sitzen Modell und Maler nur im Atelier und der Maler malt mit einem Stück Kreide aufs Papier. Und dabei fängt er dieses komische Sitzen mit ausgestreckten Beinen ein und er gibt ihm etwas Rundes in die rechte Hand. Dieses Runde kommt in Van Vliets Radierung auch vor, da ist es eine Trinkschale. Und auch der alte Mann ist dem trunkenen Lot wie aus dem Gesicht geschnitten. Gemälde und Zeichnung entstanden zur gleichen Zeit. Jetzt kann man anfangen zu fabulieren, das mache ich immer sehr gern, aber ganz klar, das ist reine Spekulation.
Man könnte sich vorstellen, dass dieses Sitzen mit dem schweren Mantel, mit diesem Wams, das noch ein paar Falten auf dem Bauch hinterlässt, so vornüber gebeugt, der gesenkte Kopf und dann der Lichtschimmer auf der hohen Stirn, dass das der Lot ist, als er aus seiner Trunkenheit erwacht und sich langsam darüber klar wird, was passiert ist. Wenn es so ist, wie ich spekuliere, dann ist das ein schönes Beispiel dafür, wie sehr sich Rembrandt in seinem gesamten Werk seelisch in die Dinge hineindenkt. Darauf muss man erst einmal kommen, man hat ja die biblische Geschichte, die wird erzählt. Rembrandt spinnt die Geschichte weiter, er stellt sich vor, wie es Lot eigentlich geht, wenn er am nächsten Tag vollkommen verkatert aufwacht. Rembrandt setzt sich in die Protagonisten hinein, wie ein Theaterregisseur, der in einem Text Nuancen und Facetten entdeckt, die so im Text gar nicht stehen.
Und ein Letztes, die Signatur. Die Signatur zeigt 1633, die Zeichnung wie das Gemälde wurde daraus aber 1631 gemacht. Dabei veränderte Rembrandt die rechte Handstellung. Es gibt kaum signierte Zeichnungen, denn diese sind sein Arbeitsmaterial und die behält er und signiert sie nicht, er weiß ja, dass er sie gemacht hat. Also hat er sie verkauft oder verschenkt.
Zwischen 1631 und 1633 zieht der Maler von Leiden in der Provinz aus in die Kulturmetropole Amsterdam und muss sich dort behaupten. Er wird zum Star und signiert seine Werke mit Rembrandt, seinem Vornamen. Dieses Signieren mit dem Vornamen bezieht sich auf berühmte Künstler der Vergangenheit. Raffael hat einen Nachnamen, wird aber nur mit dem Vornamen genannt, Michelangelo, Tizian, Leonardo. Dass Rembrandt mit seinem Vornamen signiert ist ein Rückverweis auf diese Künstler, in deren Liga er will. Und ist ja auch gekommen, seine Ambitionen, seine Arroganz sind nicht leer, er bringt tatsächlich das Zeug mit, sich qualitativ in eine Reihe mit diesen Künstlern zu stellen.“
Im Herbst ist in der Grafikabteilung eine Rembrandtausstellung geplant, die sich u.a. mit der Frage beschäftigt, wie Rembrandt eigentlich zu Rembrandt wurde. Diese Ausstellung wird dann auch nach Ottawa, Kanada, reisen.
„Städels Erbe“.Meisterszeichnungen aus der Sammlung des Stifters ist bis zum 16. August in der Ausstellungshalle der Graphischen Sammlung des Städel Museums zu sehen.
www.staedelmuseum.de