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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Zurück in die Gegenwart. Neue Perspektiven, neue Werke – Die Sammlung von 1945 bis heute“ im Frankfurter Städel

Wer vielen etwas bringt… So oder auch anders?

Ein erster Eindruck von Petra Kammann

Es ist wie das Erklimmen eines Berges, den wir uns neu erobern müssen, wenn wir wieder zurückkommen in die Gegenwart eines wunderbaren Museums, nein nicht nur zu den alten Meistern, sondern zu den Zeitgenossen, den fürs Städel Museum Auserkorenen, versteht sich. Spiegeln deren Werke eigentlich die Gegenwart oder vor allem die Blessuren der Menschen, bedingt durch ihre Vergangenheit, wieder? Stimmen sie uns heiter? Helfen sie uns, einen Weg in die Gegenwart oder gar in die Zukunft zu finden? Sind die hier im Städel gesammelten Werke jetzt in der neuen Ordnung nur anders remixed worden oder gibt es eine neue Struktur oder einen roten Faden, der uns durch das Dickicht der zeitgenössischen Kunst so leitet, dass wir uns zurechtfinden können?

Die Treppe in den Gartensaal – eine Rückkehr in die Gegenwart; alle Fotos: Petra Kammann

Eines zumindest steht fest, dass nämlich nichts Bestand hat, dass der Boden unter uns schwankt. Im 20. Jahrhundert hat es schon begonnen; aber noch tiefgreifender war der Einschnitt nach 1945. Musste die Kunst nach den Gräueltaten des vergangenen Krieges nicht wieder bei Null anfangen, wie es die in der Sammlung vertretenen Arbeiten der ZERO-Künstler, Piene, Mack und Uecker sahen und wie es kaum sinnfälliger als in Uecker Sanduhr wird?

Andrerseits, braucht der schwankende Boden unter unseren Füßen nicht einen festen Rahmen, damit man ihn überhaupt wahrnehmen kann und man darin nicht wie im Moor versinkt? Die zeitgenössische Städel-Sammlung, in der sich wertvolle, aber auch nicht ausschließlich hochkarätige Werke befinden, muss da vielleicht den ein oder anderen Kompromiss machen oder vielleicht doch auch Schneisen schlagen. Es bleiben Fragen über Fragen.

Ob sich das der gestrenge Museumsgründer Johann Friedrich Städel vor über 200 Jahren so vorgestellt hat? Der nämlich sammelte zunächst Zeichnungen aus den damaligen Kunstzentren Europas mit höchstem Anspruch an Qualität. Von der Qualität im  Grundstock der damals gesammelten exquisiten Zeichnungen aus Italien, den Niederlanden, Deutschland und Frankreich jedenfalls kann man sich gerade jetzt eine Etage höher in der Ausstellung „Städels Erben“ überzeugen. Nun müssen wir heute in der Gegenwartskunst andere Maßstäbe anlegen, was nicht etwa bedeuten soll, dass man deshalb  – unabhängig vom Preis – die Messlatte niedriger anlegen sollte.

Dr. Martin Engler, seit 2002 Sammlungsleiter für „Gegenwartskunst nach 1945“ am Städel Museum 

10 Jahre sind nun schon vergangen, seitdem die Gartenhalle als Gehäuse für die zeitgenössische Kunst geöffnet wurde. Nun stellt sich für den Kurator der Gegenwartssammlung Martin Engler, der seit acht Jahren dafür zuständig ist, die Frage, wie er die Sammlung nach 10 Jahren neu ordnen soll, zumal ein paar neue Arbeiten hinzugekommen sind. Soll sich die Auswahl eher an die Jüngeren richten, oder an diejenigen, welche die Impressionisten lieben, die Botticelli- oder die van Gogh-Fans oder die Anhängers des Meisters von Flémalle? „Schon vom Alter her haben wir da heute eine ganz andere Breite. Wir haben ein ganz heterogenes Publikum. Für jeden soll etwas dabei sein“, meint Engler. Was hat sich bewährt, was verändert?

Der Kurator hat sich gegen eine chronologische Ordnung als Leitfaden entschieden, weil er die ständige Überlappung von Strömungen sieht, die wiederum auch in der Bezogenheit der Werke aufeinander sichtbar werden soll. „Wir erzählen mehrere Geschichten parallel, wir haben uns längst davon verabschiedet, eine Kunstgeschichte zu erzählen, wo alles schließt und passt. Parallel entwickeln sich Dinge in verschiedene Richtungen. Und dennoch befruchten sie sich auch gegenseitig.“ Und so möchte er zeigen, wie sich etwa beim Flanieren durch die Halle Blickbeziehungen ergeben können. Keine ganz leichte Angelegenheit, da man dafür stets die hochkomplexe Museumssammlung vor Augen haben sollte.

Allein zeitgenössische Kunst zu sammeln, ist schon schwierig genug, weil man nicht vorhersagen kann, was auf Dauer Bestand hat und ob sich ein Gegenwartskünstler endgültig etablieren kann. Gemeinsam mit dem Städelkomitee wird im Frankfurter Museum daher versucht, die Sammlung des Hauses mit Blick auf dessen Tradition weiterzudenken, was bedeutet, dass die Gegenwartskunst im Städel immer auch in einem kunsthistorischen Kontinuum zu stehen hat.

Die Sammlung in neuer Zusammenstellung – Ausstellungsansicht vom zentralen Platz der rund 3.000 m² großen Gartenhallen

Sichtachsen zu schaffen ist eine der Strategien Englers. Dafür jedoch braucht es etwas Weitblick. An einigen Stellen funktioniert es auch, vor allem aber, wenn der Besucher schon eine Portion Seherfahrung mitbringt. So schaut man, wenn man die Treppe herabgestiegen ist, zunächst auf das Gemälde „Tarnów“ des polnischen Malers, Filmemachers und Comiczeichner Wilhelm Sansals aus dem Jahre 1982, auf dem man eine Schlafende in ihrem Bett erspäht, sie ist in ihrem intimsten Umraum den Blicken der Betrachter ausgeliefert, und parallel dazu beim Blick durch Isa Genzkens „Fenster„-Skulptur von 1990 Daniel Richters 2007 entstandenes suggestives Gemälde von der aggressiven, mit Schlagstöcken agierenden „Horde“ wahrnimmt.

Größer könnten die Gegensätze kaum sein. Und doch entwickelt sich die Geschichte eines Zusammenhangs von Brutalität. Wendet man sich nach links in den Flur, so fällt der Blick am Ende des Gangs auf Francis Bacons starkes Bild „Studie für die Krankenschwester in dem Film „Panzerkreuzer Potemkin“ von 1957, in dem auf grünem Untergrund ein gefangener geschundener Mensch in einem Gestell wie an seidenen Fäden hängt und sich sein (Un-)Gesicht zu einem schmerzhaften Schrei verdichtet.

„Abstrakt for a house that is not“ von Simon Dybbroe Møller

Daneben sind die Blicke von so mancherlei farblichen Explosionen angezogen, von Durchblicken und Materialmixen, von Themenzusammenhängen, die so sein könnten, aber auch anders. Anything goes? Manches wirkt überinterpretiert, belanglos oder gar wie eine dekorative Spielerei, die Vorurteil von Spießern gegen moderne Kunst nur die Argumente an die Hand zu geben scheint. Schwierig auch das Verhältnis von Malerei zu anderen Medien wie Installationen, Fotografien und Skulpturen. Stützen die starken Werke die eher schwächeren oder zeigen sie nur deren Bedeutungslosigkeit wie im Fall der ausgerollten Teppiche des 1967 geborenen dänischen Künstlers Simon Dybbroe Møller?

Gute Laune stellt sich ein, wenn Menschen durch Daniel Burens blau-weiß und rot gestreifte Tore „Les Portes“ von 1985 gehen. Und es löst geradezu ein Kichern aus, wenn man – frei  nach Marcel Duchamp  –  in der Installation des israelischen Künstlers Heim Steinbach „Security and serenity #1 (Sicherheit und Gelassenheit) von 1985 die hinter dieser Streifenbühne stehenden Designer-Klobürsten auf Sockeln entdeckt oder die zwei Kommoden von John Armleder von 1968. Ready made war doch gestern. Oder? Ist da auch plötzlich ein Stück IKEA ins Museum eingezogen?

Identifikation mit dem Kunstwerk oder Zufall? 

Wie gut, dass gerade an einer App gearbeitet wird, die einem dazu verhilft, mehr über das je einzelne hier ausgestellte Werk zu erfahren. Dafür sind auch schon die passenden Museumsmöbel da, die ihrerseits so gar nicht nach IKEA aussehen und den Besuchern eine Verschnaufpause gönnen, um sich ein wenig vom Labyrinth der Gegenwart zu erholen. Unmöglich, an dieser Stelle auch noch einmal die vielen Schwergewichte der Ausstellung zu erwähnen, seien es Fotografien der Düsseldorfer Fotografenschule oder der Folkwangschule, Richters berühmte „Kahnfahrt“, die dynamischen und kräftigen Gemälde eines Ernst Wilhelm Nays, Klaus Rinkes „The Wall“, Maria Lassnigs „Selbstbildnis mit Affen“, die wunderbare zart-filigrane Skulptur Giacomettis neben einem Gemälde des Schweizer Künstlers, das so entrückt poetisch wirkt, oder die Räume kalter Einsamkeit eines Neo Rauch,  undundund… Man ist ständig auf der Suche, sucht sein Lieblingswerk oder dreht und wendet sich und sucht nach Orientierung. Ohne Führung und Vorkenntnisse könnte man dabei leicht ins Rotieren kommen…

Test des Möbels, auf dem man demnächst auch in Ruhe die App ausprobieren kann

ZURÜCK IN DIE GEGENWART. NEUE PERSPEKTIVEN, NEUE WERKE – DIE SAMMLUNG VON 1945 BIS HEUTE 

Neupräsentation der Sammlung Gegenwartskunst ab dem 19. Mai 2020
Kurator: Dr. Martin Engler (Sammlungsleiter Gegenwartskunst, Städel Museum)
Projektleitung: Svenja Grosser (Wissenschaftliche Volontärin, Städel Museum)

Städel Museum
Schaumainkai 63
60596 Frankfurt am Main
www.staedelmuseum.de

Besucherservice und Führungen: 

+49(0)69-605098-200, info@staedelmuseum.de

Öffnungszeiten:

Di, Mi, Sa, So + Feiertage 10.00–18.00 Uhr, Do + Fr 10.00–21.00 Uhr 

Sonderöffnungszeiten:

21.5., 31.5., 1.6., 2.6. und 11.6.2020 (10.00–18.00 Uhr) 

Für Gruppen ist vorab eine Anmeldung unter +49(0)69-605098-200 oder info@staedelmuseum.de erforderlich. 

 

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