Frank Walter. Eine Retrospektive im MUSEUM FÜR MODERNE KUNST (MMK)
Frank Walter zwischen Kolonialismus, Exotismus und Moderne. Die kaleidoskopische Identität des karibischen Künstlers
von Petra Kammann
Vielfältig und vielschichtig sind nicht nur die Themen des 1926 in Antigua als Nachfahre von Versklavten und Plantagenbesitzern geborenen Künstlers Frank Walter (1926 – 2009) mit Wurzeln in Deutschland, sondern auch seine Materialien und Genres, in denen er sich ausdrückte: auf Holz, Masonit, Pappe, Papier, Linoleum oder Rückseiten von Fotografien, malte und zeichnete er mit Ölfarben, Tempera, Wasserfarben, Bunt- und Bleistiften, Schellack, Glitzer. Wenn er nicht malte, dann schrieb er Gedichte oder Tagebuchaufzeichnungen, und wenn er nicht schrieb, fertigte er Tonaufnahmen an. In einer Retrospektive im MMK ist jetzt sein umfangreiches Werk zu entdecken…
Frank Walter, Ausstellungsansicht MUSEUM MMK FÜR MODERNE KUNST, Foto: Axel Schneider
Welche Fülle! Wo anfangen bei einem schier unüberschaubarem Werk, das etwa aus 5.000 kleinformatigen Gemälden und 600 Holzskulpturen, zahlreichen Holzspielzeugen, bemalten Bilderrahmen und Fotos, mehr als 50.000 Seiten Prosa und Poesie, Theaterstücke, Texten zu Geschichte, Philosophie, Politikwissenschaften, Genealogie und Kunst sowie über 450 Stunden Tonaufnahmen besteht, das der Künstler nach seinem Tod 2009 in Antigua hinterlassen hat? Können da traditionelle europäische Kunstkriterien hier überhaupt als Maßstab angelegt werden? Das MMK hat Spuren in 13 Stationen gelegt und weitere zeitgenössische Künstler der Thematik zugeordnet.
Der von Palmen flankierte Eingang zur Restrospektive von Frank Walter im MMK bereitet auf das thematische Umfeld vor
Viele der in Frankfurt angekommenen Werke mussten erst einmal – vor allem nach 11 überstandenen karibischen Hurricans – aufgearbeitet, teilweise gereinigt und auch restauriert werden. Und so kam beim Sichten der Arbeiten MMK-Direktorin Susanne Pfeffer zu dem Schluss: „Es gibt keinen typischen Frank Walter“, den man hätte herausstellen können. Als die unendlich vielen kleinformatigen Gemälde zunächst gerahmt werden mussten, war Pfeffer so begeistert von den pittoresken Rahmen, die Frank Walter über die Jahre gesammelt und angemalt hatte, dass sie diese eigentlich in einer gestapelten Installation hätte präsentieren wollen, sie entschied sich dann aber dafür, seine verschiedenen Werke darin auszustellen. Zweifellos eine gute Entscheidung, weil so in die cleanen hohen Räumen des MMK auf diese Weise ein Stück Authentizität des Ursprungsorts transportiert wird.
Frank Walter, Ohne Titel, o. J., Foto: Axel Schneider
Überraschend ist aber zunächst einmal der von Kentia-Palmen gesäumte Eingang ins Museum. Sollte das in der Pandemiezeit die Sehnsucht nach karibischen Paradiesen stillen? Mitnichten, es ist der Nachbau der Installation „L’Entrée de l’exposition (Catalogue–Catalogus)“ aus dem Jahre 1974 des belgischen Künstlers Marcel Broodthaers. Der hatte sich in seinem „Musée d’art moderne“ schon früh kritisch mit dem Museum als Ort der Repräsentation und Ideologievermittlung sowie mit den musealen Praktiken des Sammelns, Archivierens und Präsentierens schlechthin auseinandergesetzt, und dabei Bilder, Objekte, Worte und Handlungen aus ihren etablierten Kontexten hinterfragt. Ein Schlüssel für den Palmenweg in neuem Kontext war zweifellos Walter Benjamins „Passagenwerk“, der u.a. auf die „Passagen, Wintergärten mit herrschaftlichen Palmen und Bahnhofshallen“ einging.
Ausstellungsansicht: thematisch zusammengestellte Bilder auf eingezogenen Wänden, Foto: Petra Kammann
Es sei auch nicht ganz leicht gewesen, die vielfältigen Materialien, die Frank Walter hinterließ, zeitlich einzuordnen, da sie in den meisten Fällen weder Titel noch Datierungen enthielten. Was die Arbeiten hingegen wiederspiegeln, sind die diversen Phasen im Leben des Künstlers mit einer ebenso vielfältigen Biographie. Für den in den verschiedenen politischen Kontexten lebenden Künstler, der unter unterschiedlichsten Bedingungen arbeitete, stellte das Sich-Äußern durch Kunst eine innere Befreiung dar. Seine Arbeiten sind sowohl vom klaren Kompositionsaufbau der europäischen Kunst der Moderne geprägt, als auch von karibischen Landschaften, Menschen, Farben und zahlreichen Naturelementen, welche eine hohe Emotionalität ausstrahlen.
Frank Walter ist 1926 in Liberta auf der Insel Antigua in den Kleinen Antillen, die damals noch britischen Kolonie war, geboren. Wie etliche Bewohner der Karibik zählte er sowohl weiße Plantagenbesitzer und Kolonisatoren als auch schwarze Sklaven und Tagelöhner zu seinen Vorfahren. Ein Teil seiner Familie stammte aus Deutschland, ein weiterer aus Großbritannien. Die Suche nach der eigenen Identität zieht sich daher durch sein gesamtes Leben. Als Lateinschüler war er umfassend gebildet. Bereits 1948 wurde er als erster Schwarzer Manager im Antiguan Sugar Syndicate, wo er die Modernisierung in der Zuckerindustrie vorantreiben wollte, Sozialreformen mit einbegriffen.
Gleichzeitig wollte er sich in Europa fortbilden und bereiste 1953 gemeinsam mit seiner Kusine Eileen Gallway von Frankreich über Italien nach England, wo man sich über sie mokierte. Zwischen einfachen Jobs im Bergbau und wissenschaftlichen Studien versucht er, sich mit den verschiedensten Mitteln, künstlerisch zu behaupten. Er dichtet, malt, zeichnet, schreibt philosophische Essays und reflektiert die Geschichte Antiguas. Ende der fünfziger Jahre kommt er ins Ruhrgebiet nach Gelsenkirchen, arbeitet dort in einer Kohlenzeche von Mannesmann und entdeckt für sich bei Aufenthalten in Düsseldorf und Köln die damals angesagte rheinische Kunstszene.
Die Holzskulpturen entstanden in Frankes Zeit in Dominica, Foto: Petra Kammann
Da er zunehmend von Halluzinationen geplagt ist, kehrt er nach England zurück und beklagt sich wiederum über die dortigen rassistischen Anfeindungen. 1961 fährt er schließlich zurück in die Karibik, richtet zunächst auf Dominica auf einem zehn Hektar großen Stück Land eine Holzkohlen-Produktionsstätte ein, die fünf Jahre lang auch erfolgreich arbeitet. In dieser Zeit entstehen dann seine ersten Holzskulpturen. Als das Land nach fünf Jahren dann konfisziert wird, kommt er 1967 in das inzwischen innenpolitisch autonome Antigua zurück.
Frank Walter, Ohne Titel, o. J., Foto: Axel Schneider
Dort gründet er eine Partei, kandidiert 1971 sogar bei der Wahl zum Premierminister, die dann allerdings sein Vetter gewinnt. Daraufhin führt er den Eisenwarenladen im Haus seiner Familie in St. John’s bis 1992 weiter, in dem er seit seiner Kindheit immer wieder lebte und er veröffentlicht sein einziges Buch „Sons of Vernon Hill“. Das Elternhaus verliert er 1992 jedoch in einem Rechtsstreit. Das Multitalent Walter arbeitet fortan hauptsächlich als Fotograf, baut und verkauft Kinderspielzeug, malt und schreibt unermüdlich (auch Hörstücke) und verstärkt seine künstlerischen Aktivitäten bis zu seinem Tode 2009.
Seine frühen Bilder sind in den unteren Räumen zu entdecken, Foto: Petra Kammann
Bemerkenswert ist der sichere souveräne Umgang des zum Teil unter prekären Lebensverhältnissen lebenden Künstlers mit den verschiedenen Medien und Ausdrucksmöglichkeiten. Seine bescheidenen kleinen Arbeiten sprechen den Betrachter emotional an. Seine tiefe Verankerung in der Natur, seine an die Natur angelehnte Spiritualität, von denen seine Arbeiten aus den frühen 60er Jahren zeugen, wirken unmittelbar und nicht aufgesetzt. Hinzukommt: „Seine Landschaftsmalereien zeugen von sehr genauen Beobachtungen, aber auch der Fähigkeit, die jeweilige Atmosphäre durch Abstraktion zu verdichten. Sie haben nichts gemein mit der in der Karibik gängigen, durch den Tourismus evozierten, pittoresken Landschaftsmalerei“, wie Susanne Pfeffer es beschreibt. Im musealen Umfeld erfahren sie eine postum große Wirkung, weil sie hier in neue Kontexte und in die Reihe mit anerkannten zeitgenössischen Künstlern wie Rosemarie Trockel oder Kader Attia gestellt sind und dadurch aufgeladen werden.
FRANK WALTER
Eine Retrospektive.
16. Mai — 15. November 2020
Domstraße 10
60311 Frankfurt am Main
Die Ausstellung entstand in enger Zusammenarbeit mit Dr. Barbara Paca, OBE, als beratender Kuratorin und Cultural Envoy to Antigua and Barbuda.
Dem Werk Frank Walters thematisch zugeordnete Arbeiten
Die Arbeiten von John Akomfrah, Khalik Allah, Kader Attia, Marcel Broodthaers, Birgit Hein, Isaac Julien, Julia Phillips, Howardena Pindell und Rosemarie Trockel zeugen von der Geschichte und Gegenwart des Kolonialismus in der Karibik sowie den geistesgeschichtlichen Kontexten des kolonialen und postkolonialen Denkens. Sie thematisieren Rassismen, die u.a. im exotisierenden Blick Ausdruck finden und beschreiben die Komplexität von Identität, Klasse und Rassifizierung
Für die Ausstellung neu geschaffene Werke
von Julien Creuzet, Kapwani Kiwanga und Carolyn Lazard
Katalog:
Der Katalog Frank Walter. Eine Retrospektive mit Beiträgen von Precious Okoyomon, Barbara Paca, Susanne Pfeffer, Cord Riechelmann, Gilane Tawadros, Krista Thompson und Frank Walter. Softcover, 424 Seiten, 548 farbige Abbildungen, erscheint bei KOENIG BOOKS, EUR 39,80