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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Jetzt offen: „Life doesn’t frighten me. Michelle Elie wears Comme des Garçons“ im Museum Angewandte Kunst

Die avantgardistische japanische Modedesignerin Rei Kawakubo und ihre Trägerin und Sammlerin Michelle Elie
Auf die neu ausgeschilderten Museumspfade hat sich Petra Kammann begeben.

Herr des Hauses: Prof. Matthias Wagner K; Foto: Petra Kammann

Als am 5. Mai um Punkt 10 Uhr das strahlend-schöne weiße Haus am Museumsufer öffnet, ist Hausherr Prof. Matthias Wagner K schon da, bereit, um nach dem Rechten zu sehen, hatte er doch in Absprache mit den hiesigen Gesundheitsbehörden und dem Kulturdezernat eigens ein Konzept zur Einhaltung der Hygiene- und Sicherheitsbestimmungen entwickelt, um trotz der Corona-Krise sein Publikum noch erreichen zu können. Nun merkt man ihm die große Freude an, die ersten Besucher der Ausstellung „Life doesn’t frighten me. Michelle Elie wears Comme des Garçons“ – man hätte sie schon seit dem 4. April sehen können – persönlich zu begrüßen. Er ist gespannt, wie das Publikum auf die Geschichte einer Modeschöpferin reagiert, die auf avantgardistisch-radikale Weise eine neue Silhouette erfunden hat. Ohne Corona-Krise wären die Besucher sicher so zahlreich gekommen wie bei der Jil Sander-Ausstellung.

Der veränderte Eingangsbereich, Foto: Petra Kammann

Schon im Eingang weisen Schilder auf sämtliche Regelungen hin. Ein Schutz aus Plexiglas befindet sich vor der Dame an der Kasse im Foyer, die Besucher*innen werden auf markierten Wegen durch das Museum geleitet, Auf- und Abgänge wurden getrennt, denn es dürfen sich nur maximal 100 Personen insgesamt im Haus gleichzeitig aufhalten. Die Aufsichten und das Museumspersonal tragen alle einen Mund-Nasen-Schutz und achten auf die Einhaltung eines Mindest-Abstandes von 1,5 Metern zwischen den Besuchern. Gestaltete, wiederverwendbare Masken aus einem antibakteriell wirkenden Stoff, welche in Kooperation mit der Frankfurter Manufaktur Stitch by Stitch sowie der Berliner Agiba Service UG entstanden, können im Museum zwischen 6 Euro und 14 Euro erworben werden, damit, wenn jemand keinen Mundschutz dabei hat, er deswegen nicht wieder umkehren muss.

Der Museumsparcours ist vorgegeben; Foto: Petra Kammann

Aufgrund der behördlich-hypienischen Auflagen mussten Tabletts, Touchscreens und Kopfhörer aus den Ausstellungsräumen entfernt werden. Stattdessen können die Besucher Audiodateien über das WLAN des Museums auf das eigene Smartphone herunterladen. Mit speziellen Booklets kann man die Ausstellung erkunden, sie werden nach jedem Gebrauch wieder für den nächsten desinfiziert. Außerdem gibt es auf der Website des Museums die PDF-Ausgabe eines Begleitmagazins zum kostenfreien Download. So ist der Museumsbesuch von den äußeren Bedingungen nur wenig belastet.

„Gerade in Zeiten wie diesen sind für mich Kunst- und Kultureinrichtungen systemrelevant. Denn in einer Demokratie sind diese Orte für kritische Reflexionen, für Widerständigkeit, für Anderes, Neues, einem sinnlichem Erleben und nicht zuletzt für Kontemplation unersetzlich. Und deshalb freue ich mich jetzt ganz besonders über die Öffnung, ist doch allein schon der Titel der Ausstellung  – Life doesn’t frighten me. Michelle Elie wears Comme des Garçons – in dieser Situation von großer Doppeldeutigkeit“, sagt der Direktor des Museums.

 „Life doesn’t frighten me“. Diese provokative titelgebende Aussage ist ein Zitat der gebürtigen Haitianerin, Mode-Ikone, Schmuckdesignerin, Stylistin Michelle Elie, die zwar in Haiti geboren, aber in New York City aufgewachsen ist, in den 1990er Jahren dort als Model gearbeitet hat und schließlich zur Modesammlerin wurde und heute mit ihrer Familie im Belgischen Viertel in Köln lebt.

Philosophie optisch umgesetzt beim Aufgang, Foto: Petra Kammann

Ihre Liebe zu den nicht so leicht tragbaren Entwürfen der japanischen Designerin entflammte bei Elie in den späten 1990er-Jahren, als sie ihr erstes Stück aus Kawakubos revolutionärer Body meets dress, dress meets Body-Kollektion erstand. Die Modekünstlerin Rei Kawakubo verformte damals zum ersten Mal die Körpersilhouette durch Polsterung. Tatsächlich gehört Mut dazu, Kawakubos Entwürfe zu tragen und sich damit auch klar gegen gesellschaftliche Normen zu positionieren. Mit Comme des Garçons am Leib fordert nun die Schöpferin des Labels, Rei Kawakubo, eine der derzeit angesagtesten Modedesignerinnen, die Ausstellungsbesucherinnen dazu heraus, selbstbewusst ihr eigenes Körpererleben zu reflektieren und sich damit Raum im öffentlichen Raum zu verschaffen. 

Keine üblichen Hochzeitskleider aus der Sammlung von Michelle Elie, Foto: Wolfgang Günzel 

Diese eigentlich sinnlich erfahrbare Ausstellung dieser auffälligen Kleidung war in der Coronakrise zweifellos eine große Herausforderung für den Museumsdirektor: „Natürlich mussten und müssen wir feststellen, dass das Leben, ein Virus in der Tat uns etwas anhaben kann. Zugleich steht er für ein Sich-hinweg-Setzen über Normen, Vorstellungen und Zuschreibungen“. Mit der nicht minder interessanten Sammlerin und Trägerin dieser Mode, Michelle Elie, eben auch.

Aber in der augenblicklichen Lage kommt ein spezieller Aspekt hinzu. Die hier präsentierte raumgreifende Art von Kleidung schafft auf ganz natürliche Weise ein „Social Distancing“ –  in jeder U-Bahn, in jedem Taxi , sogar im Flieger. „Wer hätte gedacht, dass wir plötzlich mit dieser Ausstellung auch in dieser Hinsicht so aktuell sein würden“, sagt Matthias Wagner K.

Das Museum Angewandte Kunst zeigt insgesamt über 50 Ensembles der umfangreichen Comme des Garçons-Kreationen der Sammlerin Michelle Eli. Sie stellt nicht nur die Frage, wie wir Kleidung dazu nutzen, um uns selbst auszudrücken und sie erzählt Geschichten zu einzelnen Kleidungsstücken  – vom Moment der Entdeckung auf dem Laufsteg in Paris, über den teils abenteuerlichen Erwerb bis hin zum Erleben auf dem eigenen Körper  und den unterschiedlichsten Reaktionen, die das Tragen dieser Stücke bei anderen provoziert.

Eigentlich habe sie ihren ersten Entwurf von Comme Des Garçons 1995  nur gekauft, um ihn selbst zu tragen. Sie sei damals von der Modekollektion emotional so berührt gewesen, da diese Kleidung mit ihrer Schwangerschaft wuchs und sich dem Körper anpasste. Seit dieser Erfahrung wurde Michelle Elie eine leidenschaftliche Sammlerin der Entwürfe von Rei Kawakubo. Beide Frauen verbindet zudem, dass sie mit dieser Art der Kleidung provozieren wollen, indem sie spielerisch und lustvoll den männlichen, durch westliche Schönheitsideale gelenkten Blick in Frage stellen.

„Ich bin überzeugt, dass es für jedes Kleid den richtigen Anlass gibt und dass man es eben dann trägt, wenn man das Gefühl hat, es tragen zu müssen. Ich verlasse mich dabei immer auf mein Bauchgefühl“, sagt Michelle Elie. Sie trägt ihre Comme des Garçons Looks mit Mut, fällt auf und positioniert sich damit klar gegen gesellschaftliche Normen.

… zum Beispiel eine Neuinterpretation des japanischen Kimonos, Foto: Petra Kammann

So war das Modelabel Comme des Garçons von der japanischen Prêt-à-porter-Modedesignerin Rei Kawakubo aus Tokio auch gedacht, als sie es 1969 bewusst als Reaktion auf die damalige Fashion-Welt gründete. Anders als bei den meisten Mode-Marken ging und geht es bei ihr immer um etwas mehr als „nur“ um Mode. Kawakubo bindet in ihre Designs und Kreationen immer auch Zitate der Architektur, der Kunst, der Lyrik, der Musik ein und stellt traditionell japanische Stoffmuster und -schnitte in neue Zusammenhänge.

Im Gegensatz zur „Shopping-Mode“ muss man sich daher mit einem solchen Fashion-Outfit daher auch inhaltlich auseinandersetzen, um das Wesen oder die eigentliche Geschichte dahinter zu begreifen, weil eben Kawakubos  Kollektionen sich stets historischer, sozialer oder kultureller Referenzen bedienen. Erst 1981 präsentierte Rei Kawakubo ihre erste unkonventionellen Modenschau in Paris und wurde damit auf Anhieb erfolgreich, denn man sprach über die avantgardistische Designerin, die ohne Rücksicht auf Körperformen durch Dekonstruktion, Verschiebung, Zerstörung und Ausbuchtungen mit den Konventionen der Schnittkunst brach. Ihre Devise lautete: „Ich mache Kleider für starke Frauen“. Das verschaffte ihr auch internationale Aufmerksamkeit.

Tatsächlich gehört schon auch eine Portion Mut und Eigensinn dazu, Comme des Garçons zu tragen, man fällt auf, weil man sich damit gegen gesellschaftliche Normen positioniert. Insofern ist Elies charakteristische Sentenz „Life doesn’t frighten me“ ausgesprochen zutreffend. Die Modeikone ist selbstbewusst genug, sich die Kleidungsobjekte als eine Art zweite Haut anzueignen, sie überspitzt damit nicht nur ihre eigenen Körpererfahrungen, sondern sie fordert ihre Umgebung zur Stellungnahme heraus.

Viel Platz zwischen den Ausstellungsinseln, Foto: Petra Kammann

Mindestens ebenso radikal wie Kawakubs Stil, so ist auch ihr Umgang mit Materialien, wenn sie zum Beispiel etwa Baumwolle scheuert, bis sie lappig wird oder Wolle so lange kocht, bis sie steif wird, um daraus panzerähnliche Gebilde zu kreieren. Durch die Art der wehrhaften Textilien wird nicht allein der Körper zum herausfordernden Motiv. Manche Exponate mit den wulstigen Ausbuchtungen erinnern in manchem an Skulpturen. Schön, dass die Kleiderkunstwerke so präsentiert sind, dass man sie auch beim Umkreisen der Ausstellungsinseln im Raum und damit erleben kann, welche Ausstrahlung sie da entwickeln.

Weitere Tipps:

In der Ausstellung kommt Eliie an Video-Stationen, wie sie ihre Geschichte mit den Kleidungsstücken erzählt.

Bis um 30. August ist die Mode-Ausstellung noch im Museum Angewandte Kunst am Schaumainkai 17 in Frankfurt zu sehen.

Online-Premiere von The Fashion Teller und Sittin‘ in a Cloud

Zwei Kurzfilme aus der Ausstellung Life doesn’t frighten me. Michelle Elie wears Comme des Garçons

In den Filmen The Fashion Teller und Sittin‘ in a Cloud begleitet der Regisseur Gianluca Matarrese Michelle Elie bei ihren Besuchen auf den Pariser Fashion Weeks. Wir sehen Elie, die mittlerweile bei vielen Fashionshows in der ersten Reihe sitzt, in ihrem Element und in Interaktion mit Models und nicht zuletzt die Erfüllung eines lang ersehnten Traums: einem Treffen mit ihrer persönlichen Heldin, Rei Kawakubo.


Filmclip aus „The Fashion Teller“ von Gianluca Matarese

The Fashion Teller

Ein Film von Gianluca Matarrese
Musik und Sound von Cantautoma

Sittin‘ in a Cloud

Ein Film von Gianluca Matarrese
Musik und Sound von Cantautoma


Kuratorin: Dr. Mahret Ifeoma Kupka


Eröffnungsgrüße aus dem Museum

Von Prof. Matthias Wagner K, Dr. Mahret Ifeoma Kupka und Michelle Elie


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