Warum in die Ferne schweifen? Hofheims Kapellenberg
Einladung zu einer spannenden Entdeckungstour
Von Hans-Bernd Heier
Hofheim am Taunus – Wegen der coronabedingten Einschränkungen können Deutsche derzeit den Urlaub nicht in ihren Lieblingsferienregionen verbringen. Und das dürfte noch etliche Wochen, wenn nicht sogar Monate so bleiben. Warum also in die Ferne schweifen, liegt bisweilen das Gute doch so nah? Denn auch in Ihrem näheren Umkreis lässt sich viel Neues und Überraschendes entdecken bzw. wiederentdecken. Gehen Sie deshalb dort auf Entdeckungstour und lassen sich positiv überraschen – wie beispielsweise bei einer Wanderung auf den wunderschön bewaldeten Hofheimer Kapellenberg.
Eingang zum „Blauen Haus“; Foto: Hans-Bernd Heier
Der Hausberg Hofheims am Taunus, der zentral im Rhein-Main-Gebiet zwischen der Landeshauptstadt Wiesbaden und Frankfurt am Main gelegenen Kreisstadt mit den schmucken Fachwerkhäusern, bietet gleich zu Beginn der Tour ein Highlight: das „Blaue Haus“. In ihm wurde die Kunstgeschichte der Avantgarde in Deutschland mitgeschrieben. Wegen der blau-gelben Farbgebung wurde die Villa „Blaues Haus“ genannt. Das mittlerweile unter Denkmalschutz stehende Gebäude, das noch immer in blau-gelber Farbe erstrahlt, entwickelte sich in den dreißiger Jahren zum zeitweiligen Arbeitsdomizil einiger namhafter Künstler. 1920 hatte es die wohlhabende Hanna Bekker vom Rath zusammen mit ihrem Mann Paul Bekker das stattliche Anwesen an der Kapellenstraße 11 erworben.
Seitentrakt des Denkmal-geschützten Gebäudes; Foto: Gisela Heier
Hanna Bekker vom Rath (* 7. September 1893 in Frankfurt am Main; † 8. August 1983 in Bad Nauheim) war eine ganz außergewöhnliche Persönlichkeit: Sie war Schülerin der bekannten Künstlerinnen Ottilie W. Röderstein und Ida Kerkovius, erzielte mit ihren Gemälden deutschlandweite Anerkennung und war eine kenntnisreiche Kunstsammlerin. Große Teile ihrer hervorragenden Kunstsammlung befinden sich seit 1987 im Wiesbadener Landesmuseum. Als international anerkannte Kunsthändlerin war sie eine unermüdliche Botschafterin der Avantgarde. Vor allem war sie eine ebenso großzügige wie unerschrockene Mäzenin.
Die talentierte Malerin war eng mit avantgardistischen Künstlern wie Erich Heckel, Alexej von Jawlensky, Ludwig Meidner, Emy Roeder und Karl Schmidt-Rottluff befreundet, die in ihrem Hofheimer Anwesen ein- und ausgingen. Ihnen wie auch Willy Baumeister und ihrer Lehrerin Ida Kerkovius, die vom nationalsozialistischen Regime unterdrückt und als „entartet“ diffamiert wurden, teilweise sogar mit Malverbot belegt waren, bot die mutige Galeristin zwischen 1940 und 1943 ihre Berliner Atelierwohnung als heimlichen Ausstellungsort an.
Giebel eines der Prachtbauten an der Kapellenstraße; Foto: Hans-Bernd Heier
Das „Blaue Haus“ konnten einige der von den Nationalsozialisten diffamierte Künstler als Arbeitsdomizil nutzen – ein mutiges, aber höchst riskantes Unterfangen. Nach dem Krieg lud die Hausherrin bis zu ihrem Tode ein „kulturell interessiertes Publikum“ in ihr Haus ein, das zurecht als „ein Zentrum des deutschen Expressionismus“ galt. Heute befindet sich das Haus in Privatbesitz und kann nur von außen besichtigt werden.
Der Cohausentempel; Foto: Hans-Bernd Heier
Von dort geht es auf dem gut ausgeschilderten Weg – vorbei an prachtvollen Villen – zu dem rund einen Kilometer entfernten, 1910 errichteten „Cohausentempel“. Der vom nördlichsten Pinienwald Europas umrahmte Aussichtstempel ist nach Carl August von Cohausen (1812 – 1894) benannt. Von Cohausen, Konservator am Landesmuseum zu Wiesbaden und Oberst z.D (*z.D. Abk. für „zur Disposition“), hatte seinerzeit die Ringwälle auf dem Kapellenberg erforscht und maßgebliche Anregungen zu systematischen Untersuchungen der Reste der römischen Militärlager auf dem Hochfeld gegeben.
Die schlichte Gedenkstätte mit dem formschönen Kupferdach ging in den 1950er Jahren vom Verschönerungs- und Verkehrsverein in die Obhut der Stadt Hofheim über. Von der kleinen Plattform vor der Anlage bietet sich nicht nur ein herrlicher Blick auf die Taunusstadt, sondern bei klarer Sicht auch weit über den Frankfurter Flughafen hinaus.
Wildgehege mit ↑ Damwild und ↓ Wildschweinen; Foto: Hans-Bernd Heier
Der weitere Weg führt zunächst zum Wildpark mit Rehen und Wildschweinen und dann zu der gut einen Kilometer entfernten Bergkapelle.
Die Bergkapelle verdankt ihre Entstehung einem Gelöbnis, das Hofheims Einwohner im Juni 1666 wegen der ringsum wütenden Pest ablegten. Der damalige Pfarrer Johannes Gleidener zog mit seiner Gemeinde in einer Prozession auf den „Rabberg“ (Räuberberg) und betete um Verschonung von der Pest. Er versprach, an dieser Stelle eine Marienkapelle zu bauen und alljährlich am ersten Sonntag im Juli dorthin zu wallfahren.
Kapelle mit wechselvoller Geschichte; Foto: Gisela Heier
1667 wurde die erste Kapelle – ein Fachwerkbau – eingeweiht. Bald kamen immer mehr Pilger zu den Wallfahrten. Tatsächlich gab es in Hofheim und den anderen Gemeinden, die sich am Gelübde beteiligt hatten, keinen einzigen Pestkranken. Bis heute ziehen am ersten Sonntag im Juli viele Gläubige aus den katholischen Kirchengemeinden von Hofheim, Münster, Kriftel, Zeilsheim und Hattersheim in feierlicher Prozession den Berg hinauf.
Angesichts der zurzeit weltweit wütenden Corona-Epidemie mag einem der Gedanke kommen, ein pantheistisches Gotteshaus zu errichten, damit so die zerstrittenen Völker und Religionen wenigstens etwas friedlicher wieder zusammenrücken.
Eingangsfassade mit Madonna und Außenkanzel; Foto: Gisela Heier
Die Bergkapelle verzeichnete eine wechselvolle Geschichte. Bereits im Jahre 1772 wurde mit dem Bau einer neuen, größeren Kapelle begonnen, die 1784 eingeweiht werden konnte. Aber bereits elf Jahre später wurde diese von plündernden Soldaten zerstört. Das mit Notaltären ausgestattete Gemäuer verwitterte langsam. Von 1851 bis 1857 wurde die Kapelle von Grund auf erneuert und erhielt ihr heutiges Aussehen.
Marienfigur an der Außenwand der Bergkapelle; Foto: Gisela Heier
Anlässlich des 150-jährigen Jubiläums der Bergkapelle wurde 1916 eine steile Treppe zur Kapelle erbaut. Gleichzeitig wurden von den ehemals sieben Stationen eines alten Kreuzweges – „Fußfälle Christi“ genannt – vier auf Podeste neben der Treppe aufgestellt. Die Kreuzwegstationen hat Anfang des 18. Jahrhunderts der Aschaffenburger Bildhauer Anton Wermerskirch aus Main-Sandstein gefertigt.
Erwähnenswert sind noch die liebevolle Marienfigur und die überdachte Kanzel aus rotem Sandstein an der Außenwand der Bergkapelle. Die Kunstschätze im Inneren der Kapelle sind derzeit nicht zu sehen, da die Kirche coronabedingt geschlossen ist.
Noch überragt der Meisterturm die Baumgipfel; Foto: Hans-Bernd Heier
Nur wenige hundert Meter davon entfernt steht der „Meisterturm“. Der Aussichtsturm befindet sich in 306 Meter ü. NN auf der Spitze des bewaldeten Kapellenbergs nordwestlich der Stadt. Heute überragt der Eisenturm mit einer Höhe von 21,5 Metern die umliegenden Bäume nur noch um wenige Meter. Bei klarer Sicht können Besucherinnen und Besucher von der überdachten Aussichtsplattform einen herrlichen Rundblick genießen – nach Süden über das Rhein-Main-Gebiet bis zum Odenwald und nach Norden auf den Taunus mit dem Großen Feldberg.
Schon 1895 errichtete der Hofheimer Verkehrs- und Verschönerungsverein einen hölzernen Aussichtsturm. Während des Ersten Weltkriegs unterblieben die notwendigen Instandhaltungsmaßnahmen und der Turm verfiel. Nach dessen Abriss wurde er im Jahre 1928 durch einen Turm aus Stahlfachwerk ersetzt. Benannt wurde dieser nach Dr. Wilhelm von Meister, dem ersten Landrat des Landkreises Höchst (Vorläufer des Main-Taunus-Kreises. Als technisches Baudenkmal steht der Turm heute unter Denkmalschutz.
Er ist derzeit genauso geschlossen wie die gleichnamige Waldgaststätte am Fuße des Meisterturms, die momentan nur einen Mahlzeiten-Abholservice anbieten kann.
Wer nach dieser abwechslungsreichen Exkursion noch Zeit und Kondition hat, kann auf dem „Historischen Rundweg“ mit guten Informationstafeln noch zur 3,5 Kilometer entfernten „Gundelhard“, einem beliebten Ausflugsziel, wandern.
Weitere Informationen unter: www.hofheim.de
Die Reihe „Warum in die Ferne schweifen?“ wird in lockerer Folge fortgesetzt.