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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Zum Tod von Suhrkamp-Cheflektor Raimund Fellinger

„Bin im Wald. Kann sein, dass ich mich verspäte…“

Das Ende einer Suhrkamp-Geschichte in Frankfurt und Erinnerung an die Filmpräsentation des Handke-Films

Von Petra Kammann 

Die Filmemacherin Corinna Belz hatte den österreichischen Autor und inzwischen gekürten Nobelpreisträger Peter Handke 2016  anlässlich ihres Films über Peter Handke „Bin im Wald. Kann sein, dass ich mich verspäte…“ in seinem Haus im französischen Clamart besucht, ihn befragt und gefilmt, um dem Kosmos seiner Texte, Sätze und Notate sowie seinen zahlreichen Polaroids nachzuspüren. Betreut hatte Handkes Texte, die in Deutschland beim Suhrkamp Verlag erschienen waren, über viele Jahre Raimund Fellinger. Fellinger hat seit vier Jahrzehnten, zuletzt als Cheflektor, das Suhrkamp-Profil geprägt. Jetzt ist er in Frankfurt gestorben… Ein kleiner Nachruf auf den loyalen Lektor.

Die Regisseurin Corinna Belz im Gespräch mit Suhrkamp-Cheflektor Raimund Fellinger bei der Präsentation des Handke-Films im November 2016, Foto: Petra Kammann

Zur Premiere des Films in Frankfurt im November 2016 war Raimund Fellinger, langjähriger Suhrkamp-Lektor (seit 1979) und späterer Cheflektor im selben Verlagshaus, zur Premiere des Films „Bin im Wald. Kann sein, dass ich mich verspäte…“ ins Programmkino Cinema nach Frankfurt gekommen und hatte dort mit MMK-Kurator Mario Kramer in den Film eingeführt. Ich selbst hatte seinerzeit für die Faustkultur (deren Verantwortliche übrigens lauter Suhrkampianer sind) darüber berichtet…

Nach einigen Jahren Düsseldorf wieder nach Frankfurt zurückgekehrt, war dies für mich die letzte Begegnung mit der mich prägenden Frankfurter „Suhrkamp Kultur“. Raimund Fellinger führte neben MMK-Kurator Mario Kramer seinerzeit in die Filmpremiere „Peter Handke. Bin im Wald. Kann sein, dass ich mich verspäte“ ein und damit in eine „Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt“ Handkes. Viel heftiger, als der Film, der dem Autor auf die Spur kommt, waren im vergangenen Herbst dagegen die entfachten Debatten um die Verleihung des Nobelpreises an den österreichisch-slowenischen Autor gewesen, der sich im „Jugoslawienkrieg“ für Milosevic engagiert hatte.

Der Film, für den Raimund Fellinger lange mit der Filmautorin Corinna Belz zusammengearbeitet hatte, wandte sich eher der poetischen Seite Handkes zu. Daher schenkte ich der Filmemacherin bei der Premiere damals mehr Aufmerksamkeit als dem eigentlich von mir durchaus geschätzten Lektor, möglicherweise auch, weil ich immer noch empört war, dass der Suhrkamp Verlag keinen Fuß mehr in Frankfurt gelassen hatte und mir nichts dir nichts nach Berlin umgezogen war. Aber das ist eine andere Geschichte.

Filmtrailer  „Peter Handke. Bin im Wald. Kann sein, dass ich mich verspäte“

In der auch „kleinteiligen Welt“ des Films bekamen wir Zuschauer die Gelegenheit, zwanglos einen Blick in das Innere des „Handke-Hauses“ zu werfen. Man musste schon Zeit mitbringen, um sich auf die kleinen Geräusche des Alltags und die kleinen Dinge sensibilisierend einzulassen. Denn sie schienen von der realen, hektischen und technisierten Welt, die anderswo stattfand, unendlich entfernt …

Dafür wurden Augen und Ohren geschärft –  man spürte förmlich die Gerüche und Geräusche, tauchte ein in Handkes Welt – und konnte Einblicke in die handgeschriebenen Notizhefte, seine ständigen Begleiter, gewinnen, ohne dass einem langweilig geworden wäre. Vielmehr begann man beim genauen Hinschauen etwas von dem zu begreifen, was zum Beispiel einen „geglückten Tag“ in Handkeschem Sinne ausmacht.

Im Zentrum stand vor allem die Beobachtung des Autors, dem wir beim Verfertigen seiner Gedanken zuschauen, der sich die Zeit nimmt, die er braucht, um den Dingen auf den Grund zu gehen, dabei auch scheinbar mal ins Unreine spricht, um nach nach einer Pause wieder den Gedanken aufzunehmen.

Szenen, mit denen sich der Handke- und Thomas Bernhard-Kenner Raimund Fellinger zweifellos identifizieren konnte. Solche Szenen verfilmen zu können, muss vom Lektor nicht nur gebilligt, unterstützt, gedeckt, sondern auch angestoßen worden sein. Er hat die intimste Kenntnis des Autors. Die Filmemacherin hatte das, was Literatur ausmacht filmisch umgesetzt.

Vielleicht erleben wir gerade in den stillen verordneten Tagen der Corona-Krise, die infarktähnlich das Land überzogen und außer Kraft gesetzt hat, ähnlich, wie sich die Wahrnehmung verlangsamt. Handkes Lektor Raimund Fellinger, den ich seinerzeit aus meinem Artikel ausgespart habe, muss zweifellos intensiv die Arbeit der Regisseurin Corinna Belz begleitet haben, hat es vermutlich ebenso erlebt und konnte der Filmemacherin den literarischen Vorgang vermitteln.

Hinzu kam: Fellinger musste nach einem schweren gesundheitlichen Einbruch für vieles, was er früher bestens beherrschte, Geduld aufbringen und wieder neu lernen. Dabei hat er es mit aller Selbstdisziplin und Überzeugung noch geschafft, „seinen Autor“, den umstrittenen Nobelpreisträger Peter Handke, dem er sich bis zum Schluss loyal verpflichtet gefühlt hat, bis zur Verleihung des Nobelpreises nicht nur zu begleiten, sondern auch zu verteidigen.

Raimund Fellinger ist am 25. April in Frankfurt am Main im Alter von 68 Jahren verstorben und war bis zum Schluss für den Verlag tätig. Die Erfahrungen und profunden literarischen Kenntnisse des „ersten Dieners seines Verlags“, dessen Bildung und Loyalität vermutlich viele Suhrkamp-Autoren nachtrauern werden, sind nicht so leicht ersetzbar. Mit dem Tod von Raimund Fellinger schrumpft leider auch die Frankfurter Intellektuellenszene. Dies macht die Stadt zusätzlich ärmer. Nicht zuletzt auch darum trauern wir.

 

Raimund Fellinger wurde 1951 in Dillingen/Saar geboren und studierte Germanistik, Linguistik und Politikwissenschaft. Er promovierte über Heinrich Heine. 1979 begann er als Lektor im Suhrkamp Verlag und verantwortete seit 1980 die legendäre edition suhrkamp.

Seit 2006 war Fellinger Cheflektor des Suhrkamp Verlages, seit 2010 ebenfalls für den Insel Verlag und blieb bis zum Schluss Mitglied der Geschäftsleitung. Auch nach dem Umzug des Suhrkamp Verlages nach Berlin lebte er mit seiner Frau in Langen/Hessen. Außerdem war Fellinger über Jahrzehnte im Kuratorium der Frankfurter Poetikvorlesung.

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