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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Der Zauber der Langsamkeit – Was macht Willy Puchner in Coronazeiten? Ein FeuilletonFrankfurt-Interview

Aus dem Reservoir der Vergangenheit schöpfen

← Willy Puchner ist Fotograf, Zeichner und Autor. Seit 1978 ist er freischaffend tätig, außerdem macht er etliche Ausstellungen, hält Vorträge und gibt Workshops im In- und Ausland.
Sämtliche Abbildungen: ©Willy Puchner

 

Puchner hat zahlreiche Bücher veröffentlicht, u. a. „Die Sehnsucht der Pinguine“ (1992), „Tagebuch der Natur“ (2001), „Illustriertes Fernweh“ (2006), „Die Welt der Farben“ (2011), „Unterwegs, mein Schatz“ (2015), „Fabelhaftes Meer“ (2017) und „Willys Wunderwelt“ (2019). Seine Beiträge findet man in Zeitungen und Magazinen (u. a. in GEO, mare, Life, Stern, Wiener Zeitung). Seit 2009 erscheinen regelmäßig seine Zeichnungen, Texte und Collagen in der FAZ mit dem Titel „Puchners Farbenlehre“. Wie ergeht es dem Reisenden und Weltenerkunder in Corona-Zeiten?
Für diese und andere Fragen interessierte sich Petra Kammann.

Selbst Willy Puchners Fisch trägt Mundschutz in diesen Zeiten

← Puchners Mitreisende Joe und Sally, die beiden Pinguine, verewigt auf einer Briefmarke 

 

Petra Kammann: Alles ist anders jetzt. Die Vergangenheit kommt einem plötzlich unendlich weit entfernt vor, und dann tauchen urplötzlich Bilder auf, die sich ins Gedächtnis gegraben haben, wie zum Beispiel die von Ihrer 4-jährigen Reise um die Welt mit Joe & Sally, den beiden Polyester-Pinguin-Figuren. Unvorstellbar in der aktuellen Lage. Zehren Sie heute von diesem Erlebnis, auch von der damit verbundenen inneren Freiheit? Wenn ja, wovon besonders?

Willy Puchner: Die Vergangenheit ist wie ein großer Behälter, ein Reservoir, in dem das eine oder andere gespeichert ist. In glücklichen Augenblicken kann ich darauf zurückgreifen. Die Reise mit den beiden Pinguinen entstand in einer Situation, wo ich mich von etwas befreien musste, und all das, was ich damals gesehen, erlebt, angesammelt und aufbewahrt habe, all die inneren Bilder sind mein Schatz, mein Fundus, aus dem ich schöpfen kann.

Trauriges  Theater – derzeit ohne Publikum 

Und nun sitzen Sie fest in der Kontaktsperre in Wien. Macht Sie das nicht wütend oder sogar traurig? Was bedeutet es denn für Sie, da Sie als freier Künstler u.a. auch von Workshops und Seminaren leben, die Sie in Schulen und anderswo abhalten, und die von heute auf morgen alle weggefallen sind?

Die Situation mit den vielen Beschränkungen und Vorschriften wie Abstand halten usw. ist so unwirklich, dass ich auch nach Wochen noch immer nicht aus dem Staunen herauskomme. Wenn ich bei meinen kurzen Wegen nach draußen die vielen verhüllten Gesichter sehe, empfinde ich die Szenerie, in die mich die Krise hinein katapultiert hat, so, als würde ich mich in einem Alptraum bewegen. Und wenn ich dann zu Hause sitze und mich täglich mit den Absagen meiner Lesungen und Workshops auseinandersetzen muss, spüre ich, dass der Bereich, in dem ich lebe, trotz der vielen hellen Masken etwas dunkler geworden ist.

So kann eine Zimmerreise aussehen

Fällt Ihnen da nicht doch die Decke auf den Kopf oder sehen Sie Ihre eigenen vier Wände plötzlich in völlig anderem Licht?

Ich bin Frühaufsteher und freue mich fast immer auf den Morgen. Das kenne ich schon aus meiner Kindheit. Kurz nach dem Aufwachen überlege ich, womit ich mir heute eine Freude machen könnte, was ich tun muss und womit ich mich nach getaner Arbeit belohnen könnte. Diesbezüglich hat sich in der derzeitigen Krise nicht so viel geändert. Ich will trotz der widrigen Umstände meinen Tag, auch in meinen eigenen vier Wänden, gestalten.

Die Menschen, die plötzlich zu Hause viel Zeit haben, fangen an aufzuräumen und stoßen dabei auf ihre Kinder- und Familienfotos. Dabei rekapitulieren sie häufig auch ihre eigene Geschichte. Sie haben über private Fotos gearbeitet. Können Sie Empfehlungen geben, wie man sich sinnvoll daran machen kann?

Willy fotografiert seine Schwestern

Ich bin mehr oder weniger im Kontext der privaten Bildwelt aufgewachsen. Meine Eltern waren beide Porträtfotografen und haben versucht, die Gesichter der Menschen festzuhalten und zu verschönern. Schon als Kind liebte ich es zu fotografieren. Im analogen Zeitalter der Fotografie waren die Bilder noch keine Massenware, heute in der digitalen Bilderflut sind es so viele, dass wir in umgekehrter Richtung denken müssten. Ein wichtiges Wort könnte LÖSCHEN bedeuten. Indem ich jeden Tag meine Alben auf dem Computer durchforste, könnte ich sie aussortieren und nur noch Höhepunkte behalten. Und dazu dann einige persönliche Zeilen schreiben…

Ursprünglich haben Sie als Fotograf angefangen und für so wichtige Zeitschriften wie GEO oder den Stern Reportagen gemacht. Was bedeutet Ihnen Fotografie heute, wo man einfach nur noch auf den Auslöser des Handys drücken muss, um ein Bild zu erzeugen?

Auch wenn ich unter anderem immer wieder mit meinem Mobiltelefon fotografiere, nehme ich den Augenblick des Auslösens sehr ernst. Fotografie ist mir zu wichtig, als dass ich manisch und bedenkenlos alles abbilde, was mir vor die Augen kommt…

Teil der Briefwelt, gemalt, appliziert und genäht

Woher kam es, dass Sie plötzlich angefangen haben, so schön zu zeichnen und Ihre Geschichten mit der Hand zu schreiben? Haben Sie als Kind schon viel gezeichnet? Ist es für Sie wichtig, dass Sie etwas vom Kopf in die Hand überführen, sei es mit Stiften, Kreiden, Farben, zuletzt sogar mit Faden und Nadel?

Als Kind habe ich es geliebt, Zierleisten, bunte gestaltete Linien, in meine Hausübungshefte zu kritzeln. Ich erinnere mich, dass ich immer sehr glücklich war, wenn noch genug Platz auf der Seite meiner Hausaufgaben vorhanden war.

Als ich die vielen Jahre mit den Pinguinen unterwegs war, hatte ich meine Reisetagebücher mit dabei, und wie damals in meiner Kindheit liebte ich es, in meine Materialbücher, wie ich sie nannte, hineinzuschreiben und hineinzuzeichnen. Abgesehen davon, dass ich etwas mit meinen Händen mache, spüre ich, dass ich es gerne mag, wenn die Zeit langsam vergeht. Seit einigen Monaten habe ich begonnen, mit der Nähmaschine Materialien zusammenzufügen, zu applizieren, und was mir dabei am besten gefällt, ist, dass ich immer sehr langsam nähe.

  

Prinz Heinrich und Prinzessin Fromentine

Welche Bedeutung haben Geschichten für Sie? Märchen? Kindergeschichten, Romane oder einfach auch nur das Papier- oder Papptheater? Steht etwas auf Ihrem Schreibtisch, das Sie bei Ihren Inspirationen begleitet? Auf Ihren Zeichnungen finden sich viele Tiere. Wie kommt das?

In meiner Welt leben viele phantastische Figuren, Wesen der besonderen Art. Alle hatten zu gegebener Zeit ihre Wichtigkeit. Vor allem sind es Tiere, wilde, aber auch zahme, winzige, riesengroße, aber auch solche, die es in Wirklichkeit gar nicht gibt. Im Lauf der Zeit waren es immer wieder andere, die mir wichtig waren. Ob das nun die reisenden Pinguine waren, die unermüdlichen Kamele, die verliebten roten Hasen, die Vogelprinzessinnen, Lurche, Frösche oder Kriechtiere. Und immer wieder Vögel, die begleiten mich schon eine Ewigkeit. Nicht nur auf meinem Schreibtisch stehen kleine Objekte, die Wohnung ist genau genommen voll wie eine Wunderkammer mit unzähligen Kuriositäten.

Aus dem Buch „Ein Hase auf Reisen“

Was machen Sie mit Ihrer Sehnsucht, nun nicht einfach in andere Länder fahren zu können? Kann man der Reiselust auch in den eigenen vier Wänden frönen? Gibt es ein Buch, das Sie gerne wieder und wieder lesen möchten, das Sie auch unseren Lesern und Leserinnen empfehlen könnten?

Ich habe gelernt, auch zu Hause zu reisen. Das kann ich zum Beispiel in meinen Materialbüchern, da ist jede Doppelseite ein neuer Aufenthaltsort. Auch in meinen fremden und eigenen Büchern bin ich unterwegs. Ein Buch zum Beispiel, das ich immer wieder gelesen habe, ist von Paul Auster „Musik des Zufalls“, die Schilderung einer Reise, die das menschliche Glück auf unterschiedliche Art und Weise beleuchtet.

Aus dem Buch „Unterwegs, mein Schatz“

Haben Sie einen Lebensfaden, den Sie immer wieder aufgreifen und wie einen Schatz hüten? Oder eher ein Motto, das Sie über Lebenskrisen verschiedenster Art bringt? Und wie erleben Sie in der aktuellen Lage das Vergehen von Zeit?

Mein Lebensfaden ist meine Briefwelt. In unzähligen Postkarten und Briefen pflege ich Kontakt zu vielen Menschen. Die Korrespondenz ist mein großer Schatz! Mich in Form von privaten Texten, Zeichnungen oder Applikationen auszudrücken, macht mir große Freude und zusätzlich freut es mich, wenn ich andere Menschen glücklich mache. Immer wieder zählte und zählt diese Form des Innehaltens zur Bewältigung von Krisen, immer wieder hat mir meine Briefwelt geholfen, schwierige Zeiten geduldig und gut zu überstehen.

Willy Puchners Brief an den Vater

Willy Puchners Hommage an seine Mutter

Weitere Infos

Sollte jemand Zeit haben, sich einen Podcast anzuhören, würde das Willy Puchner freuen. Sehr sogar!

https://www.jugendliteratur.at/podcast/willy-puchner

Sollte jemand mit Willy Puchner in Kontakt treten wollen. Es ist immer eine Erfahrung wert, gleich, ob Sie eine Zeichnung erwerben wollen, um eine Lesung oder einen digitalen Workshop bitten oder oder, dann mailen Sie ihn einfach an: puchner@aon.at

Näheres siehe auch: www.willypuchner.com

Willy Puchners Bücher – Eine Auswahl

 

  

„Bäume“, 1980
„Zum Abschied, zur Wiederkehr“, 1981
„Die Wolken der Wüste“, 1983
„Dorf-Bilder“, 1983
„Die Sehnsucht der Pinguine“, 1992
„Ich bin …“, 1997
„Die Sehnsucht der Pinguine“ überarbeite Neuausgabe in 7 Sprachen, 1999
„Tagebuch der Natur“, 2001
„Flughafen. Eine eigene Welt“, 2003
„Die Sehnsucht der Pinguine“ überarbeitete Neuausgabe, 2004 
„Bäume“, Neuausgabe, 2005
„Illustriertes Fernweh. Vom Reisen und nach Hause kommen“, 2006
„Wien. Vergnügen und Melancholie“2008
„Willy Puchners Tierleben“, 2008
„On Stage“, 
2010
„Willy Puchners Welt der Farben“, 2011
„Ein Hase auf Reisen“, Bloomsbury, Berlin 2012.
„ABC der fabelhaften Prinzessinnen“, NordSüd Verlag, Zürich 2013
„Hans im Glück“. NordSüd Verlag, Zürich 2014
„ABC der fantastischen Prinzen“, NordSüd Verlag, Zürich 2014
„Unterwegs, mein Schatz!“, Nilpferd im G&G Verlag, Wien 2015

„Fabelhaftes Meer“ Nilpferd im G&G Verlag, Wien 2017
„Ich bin …“ (überarbeitete Neuausgabe), Wien 2018
„Willys Wunderwelt“, NordSüd Verlag, Zürich 2019 

 

 

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