Corona macht erfinderisch – Museen laden zu virtuellem Rundgang ein
Internetangebote als Appetizer für Kunstfreunde
Von Hans-Bernd Heier
Aufgrund der schrecklichen Corona-Pandemie müssen die realen Türen der Museen und Galerien zubleiben. Dabei haben mit Beginn der Frühjahrssaison einige Museen erst kürzlich hochkarätige Präsentationen eröffnet beziehungsweise planten, langjährig vorbereitete Ausstellungen in diesen Tagen zu zeigen. Dazu kommt es aber zunächst nicht, obwohl die Bilder bereits an den Wänden hängen und die Skulpturen aufgestellt sind. Kunstinteressierte müssen sich deshalb in Geduld üben. Viele öffentliche Kultureinrichtungen in der Rhein-Main-Region sind bis mindestens zum 10. April 2020 geschlossen.
Marianne von Werefkin, „Zirkus (vor der Vorstellung)“, um 1910, Tempera auf Pappe, 55 x 90 cm, Leopold-Hoesch-Museum Düren; Foto: Peter Hinschläger
Das Landesmuseum Wiesbaden
Zwei Tage nach Eröffnung der grandiosen Schau „Lebensmenschen – Alexej von Jawlensky und Marianne von Werefkin“ musste das Landesmuseum Wiesbaden wegen der Corona-Krise seine Tore wieder schließen, zunächst bis 19. April. Als eines der wegweisenden Künstlerpaare der Avantgarde sind sie in den Kanon der Kunstgeschichte eingegangen. Mit der von ihnen 1909 initiierten Gründung der „Neuen Künstlervereinigung München“, aus der zwei Jahre darauf der „Blaue Reiter“ hervorgegangen ist, haben die beiden als Paar gemeinsam – Werefkin als Vordenkerin und Jawlensky als malerischer Impulsgeber – nicht nur diese Vereinigungen sowie die Moderne vorangetrieben. Auch jeder für sich hat einen ganz wesentlichen Beitrag zur Entwicklung der Kunst am Beginn des 20. Jahrhunderts geleistet. Erstmals ist ihr Oeuvre Seite an Seite und auf Augenhöhe in einer gemeinsamen Schau zu sehen.
Und. Ein kurzes Video bietet Einblicke in die überragenden Kunstwerke der „Lebensmenschen“; www.museum-wiesbaden.de
Ludwig Knaus „Das Kirchweihfest (Tanz unter den Linden vor einem hessischen Dorf)“, 1883, Öl auf Leinwand; Städel Museum, Frankfurt am Main
Eine weitere Sonderausstellung im Landesmuseum „Ludwig Knaus – Homecoming“ ist der Rückkehr der „Sehnsuchtsbilder“ des virtuosen Genremalers gewidmet. Ludwig Knaus zählte zu den bedeutendsten deutschen Malern im 19. Jahrhundert. Der in Wiesbaden 1829 geborene Künstler galt in seiner Zeit als der berühmteste Sohn der Stadt. Mit seinen im In- und Ausland äußerst erfolgreichen narrativen Werken verhalf er der Genremalerei zu einer einzigartigen Popularität. Nach seinem Tod verblasste jedoch nicht nur sein Ruhm sehr rasch, sondern auch die Bedeutung der Genremalerei.
Das Sinclair Haus in Bad Homburg
Kuratorin Ina Fuchs vor einer großformatigen Kohlezeichnung von Juul Kraijer; Foto: Sinclair Haus
Das Sinclair Haus in Bad Homburg zeigt unter dem Titel „Zweiheit“ Werke der niederländischen Künstlerin Juul Kraijer. Die nur kurz geöffnete monografische Ausstellung bietet einen umfassenden Einblick in die beeindruckenden Arbeiten der in Rotterdam lebenden und arbeitenden vielseitigen Künstlerin. In ihren Zeichnungen und Fotografien geht es um die Natur des Menschen. „Der Körper dient ihr dabei als Projektionsfläche für Gefühle und Zustände. Kraijers Werke loten die Grenzen des Körpers aus und überschreiten sie immer wieder“, erläutert die Kuratorin Ina Fuchs; das Haus ist voraussichtlich bis zum 30. April geschlossen; s. a. www.museum-sinclair-haus.de
Kunst-und Kulturstiftung Opelvillen in Rüsselsheim
Auch die Opelvillen in Rüsselsheim haben ihre digitalen Aktivitäten verstärkt und eine neue Videoreihe auf ihrer Homepage sowie über Facebook und Instagram gestartet. Dort werden in kurzen Clips ausgewählte Objekte der derzeitigen Ausstellung „Liebesgrüße aus Havanna – Zeitgenössische kubanische Kunst im internationalen Kontext“ vorgestellt, um mit Kunstinteressierten in Verbindung zu bleiben.
Ricardo G. Elías „305-I“, aus der Serie „Dry Gold“, 2005–2009; © Ricardo G. Elías / Opelvillen
Der Titel verweist auf jenen James-Bond-Klassiker, der kurz nach der Kuba-Krise im Kalten Krieg gedreht wurde. Bis heute beziehen sich bedeutende Teile der kubanischen Kunst auf die besondere Geschichte und Realität des Landes. Für einen vertiefenden Einblick in die komplexe und besondere Situation der Gegenwartskunst des Karibikstaates beleuchtet die beeindruckende Ausstellung aktuelle Entwicklungen.
Frankfurter Museen
Auch die „Lange Nacht der Museen“, die für den 25. April in Frankfurt und Offenbach vorgesehen war, ist abgesagt worden. Für alle enttäuschten Kunstfreunde bieten die meisten Museen allerdings einen besonderen Service an – nach dem Motto: Wenn Sie nicht zu uns kommen können, kommen wir zu Ihnen nach Hause und laden zu virtuellen Impressionen ein. Diese digitalen Appetizer können natürlich keine persönliche Erkundungstour durch die Ausstellungen ersetzen, wollen aber Lust auf einen späteren Besuch wecken, wie einige Beispiele belegen.
Das Museum für Kommunikation Frankfurt
Ausstellungsansicht; © Museum für Kommunikation; Foto: Sven Moschitz
Die spannende Ausstellung „#neuland: Ich, wir & die Digitalisierung“ ist fertig und wartet auf Besucher. Mit dem „Online Sneak Preview“ wollen die Ausstellungsmacher einen digitalen Vorgeschmack auf die hoch aktuellen Themen der Schau bieten. Das Museum für Kommunikation Frankfurt lädt daher zu einem virtuellen Schnupperkurs ein: Viele Aspekte der Digitalität treten in dem derzeitigen Ausnahmezustand noch deutlicher hervor: Wir alle informieren uns online über das Coronavirus. Zahllose Webseiten versorgen uns mit umfangreichen Nachrichten, aber auch mit Falschmeldungen, mit „Fake News“, die sich oft nicht von soliden Sachmeldungen unterscheiden. Die Freiheit der digitalen Welt ist mit Herausforderungen für uns als Individuen, aber auch für die Gesellschaft verbunden. Wie wirkt sich die Digitalisierung ganz konkret auf unser Leben aus? In welchen Bereichen verändert sie die Gesellschaft? Antworten auf diese Fragen bietet „#neuland“; siehe: www.mfk-frankfurt.de
10-Pfennig-Briefmarke Germania
mit Kaiserkrone und Inschrift
„REICHSPOST“ (1900);
© Archiv für Philatelie Bonn
Im Museum für Kommunikation wird auch noch die kleine, aber Sonderausstellung „Germania: Marke & Mythos“ gezeigt – eine wahrlich geschichtsträchtige Schau. Die Deutsche Reichspost hatte am 1. Januar 1900 eine Serie von neuen Briefmarken herausgegeben, in deren Mittelpunkt das Motiv der „Germania“ stand. Diese Serie war insgesamt 22 Jahre in Gebrauch, eine für Briefmarken ganz ungewöhnlich lange Umlaufdauer. Der ausgedehnte, historisch äußerst wechselvolle Zeitraum erklärt, warum die „Germania“, das Idol mit dem Blechbusen, Symbol der Wehrhaftigkeit, bis heute zu den bekanntesten und prägendsten Postwertzeichen Deutschlands gehört.
Das Museum Giersch der Goethe-Universität
Anton Wilhelm Tischbein „Bildnis des Johann Christian Senckenberg“, 1772, Öl auf Leinwand; Porträtsammlung Dr. Senckenbergische Stiftung
Auch im Museum Giersch der Goethe-Universität hängen bereits die Gemälde der neuen, noch nicht zugänglichen Präsentation: „Die Welt im BILDnis. Porträts, Sammler und Sammlungen in Frankfurt von der Renaissance bis zur Aufklärung“. Die Faszination des Porträts, die sich heute in massenhaft digital verbreiteten Porträts und „Selfies“ ausdrückt, hat Tradition. Die Ausstellung im Museum Giersch (noch bis zum 21. April geschlossen) blickt in die Geschichte und widmet sich der Bildnis-Kunst in Frankfurt von der Renaissance bis zur Aufklärung. In der bürgerlichen Kultur jener Zeit waren Porträts Mittel der sozialen Selbstdarstellung, Ausdruck einer ständischen Gesellschaftsordnung und zeitgenössischen Wertschätzung. Bislang völlig unbekannte Werke werden erstmals in diesem Kontext gezeigt; einen ersten virtuellen Einblick finden Sie unter: https://www.museum-giersch.de
Das Städel Museum
Besonders das Städel wirbt mit seinen mehrfach ausgezeichneten digitalen Angeboten für den Besuch des Museums. Ganz neu ist ein gut 13-minütiger Film, der facettenreich die Bedeutung der Skulptur im Impressionismus beleuchtet und eine gelungene Einführung in die große Ausstellung „EN PASSANT. Impressionismus in Skulptur“ ist.
Edgar Degas „Die Orchestermusiker“, 1872 Öl auf Leinwand, 63,6 × 49,0 cm, Städel Museum, Frankfurt am Main; Foto: © Städel Museum Edgar Degas „Kleine vierzehnjährige Tänzerin“, Bronze, 1881, Höhe 98 cm, Europäische Privatsammlung;© Städel Museum, Foto: Horst Ziegenfusz
Der Impressionismus fasziniert auch anderthalb Jahrhunderte nach seiner Entstehung. Vor allem die Malerei mit ihrem lockeren, skizzenhaft anmutenden Duktus, der hellen Farbpalette und den alltäglichen Motiven ist jedermann vertraut. Bis heute weniger erforscht und einem breiten Publikum unbekannt ist hingegen die Vielfalt des Impressionismus in der Skulptur.
Die Schau geht erstmals der Frage nach, wie sich Eigenschaften der impressionistischen Malerei – wie Licht, Farbe, Bewegung oder Flüchtigkeit – in der Bildhauerei manifestiert haben. Mit mehr als 160 Werken liefert die Präsentation einen umfassenden Einblick in die Möglichkeiten und Herausforderungen des Impressionismus in der Skulptur. Im Mittelpunkt stehen fünf Künstler: Edgar Degas, Auguste Rodin, Medardo Rosso, Paolo Troubetzkoy und Rembrandt Bugatti.
Noch ist der Weg in die zeitgenössische Ausstellung im unterirdischen Erweiterungsbau, die gerade neu geordnet wird, versperrt… Foto: Petra Kammann
Nahezu ein Jahrzehnt nach der Eröffnung des unterirdischen Erweiterungsbaus des Städel, den sogenannten „Gartenhallen“, soll die Sammlung Gegenwartskunst ab April zum ersten Mal neu präsentiert werden. Rund 250 Arbeiten von 170 Künstlerinnen und Künstlern aus verschiedenen Schulen, Stilen und Gruppen sind in der thematisch gehängten Schau „Zurück in die Gegenwart. Neue Perspektiven, neue Werke der Sammlung von 1949 bis heute“ zu sehen. Die Arbeiten eröffnen überraschende Vergleiche, Blickwinkel und Sichtachsen zwischen der unmittelbaren Gegenwart und ihren Wurzeln in den zurückliegenden Jahrzehnten. „Die Schau ist eine Einladung, eine besondere Sammlung und sieben Jahrzehnte Gegenwartskunst mit anderen Augen zu sehen“, so Städel-Direktor Philipp Demandt.
Weitere Informationen unter: www.staedelmuseum.de
Die Kunsthalle Schirn
Mit der erst kürzlich gestarteten großartigen Themenschau „Surreale Welten von Meret Oppenheim bis Frida Kahlo“ beleuchtet die Schirn erstmals den weiblichen Beitrag zum Surrealismus und zeigt, dass die Beteiligung der Künstlerinnen an der internationalen Bewegung wesentlich umfassender als allgemein bekannt war und bislang dargestellt wurde.
„Fantastische Frauen. Surreale Welten von Meret Oppenheim bis Frida Kahlo“, Ausstellungsansicht mit Kuratorin Ingrid Pfeiffer © Schirn Kunsthalle Frankfurt, 2020, Foto: Petra Kammann
Die in der Schirn präsentierten Künstlerinnen haben in unnachahmlicher Weise Ideen der Gruppe rezipiert und sie in ihren äußerst individuellen Arbeiten weitergeführt. Was die Werke der Künstlerinnen von denen ihrer männlichen Kollegen vor allem unterscheidet, ist die Umkehr der Perspektive: Oft durch Befragung des eigenen Spiegelbilds oder das Einnehmen unterschiedlicher Rollen sind sie auf der Suche nach einem neuen weiblichen Identitätsmodell. In der Zusammenschau werden die unglaubliche Vielfalt und die beeindruckende Eigenständigkeit der bekannteren wie auch unbekannteren Künstlerinnen des Surrealismus deutlich.
Weitere Informationen unter: www.schirn.de
Das Museum Angewandte Kunst
Gleich zwei Frankfurter Museen widmen sich in ihren fertigen, aber derzeit noch geschlossenen Ausstellungen dem Thema Kleidung.
„Michelle Elie wearing Comme des Garçons“, Paris 2015; Foto: Luigi Ciacco, © Luigi Ciacco
So zeigt das Museum Angewandte Kunst unter dem Titel „Life doesn’t frighten me – Michelle Elie wears Comme des Garçons“ die Aufsehen erregenden „Kleider-Objekte“ der Japanerin Kawakubo. Diese extravaganten Kreationen sammelt die Designerin und Mode-Ikone Michelle Elie nicht nur, sondern trägt sie auch. In der Schau erzählt Elie die Geschichten der jeweiligen Stücke: vom Moment der Entdeckung, über den Erwerb, bis hin zum Erleben auf ihrem eigenen Körper und den unterschiedlichsten Reaktionen, die das Tragen bei anderen provoziert.
Das Historische Museum
„Kleider in Bewegung“, Ausstellungsansicht; © Historisches Museum Frankfurt
Das Historische Museum wartet mit der Präsentation „Kleider in Bewegung“ auf. Ende des 19. Jahrhunderts fielen die gesellschaftlichen Standesschranken, demokratische Kräfte forderten die Monarchien heraus und durch Industrialisierung und Elektrifizierung entwickelten sich neue urbane Räume und Gesellschaftsmilieus. Diese gravierenden Umbrüche schlugen sich auch im rasanten Wandel der Bekleidung nieder, vor allem in der weiblichen Mode, wie die kurzweilige, interaktive Schau zeigt.
Weitere Informationen unter: www.museumangewandtekunst.de und www.historisches-museum-frankfurt.de