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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Caricatura zeigt „F.W. Bernsteins Grafisches Trainingslager an der Eider. Das kann ja heiter werden“

Witz trifft auf Ernsthaftigkeit, Komik auf Sinn und Unsinn

von Hans-Bernd Heier

Bei den jährlichen Treffen der „Postkarten-Connection der Rendsburger Zeichnerei von 1990 bis heute“ sind zahllose Postkarten entstanden – alles Unikate. Unter dem Titel „F.W. Bernsteins Grafisches Trainingslager an der Eider. Das kann ja heiter werden“ zeigt das Caricatura Museum aus Anlass des 30. Geburtstags dieses erfolgreichen Workshops eine amüsante Auswahl von gezeichneten Postkarten. Im „F.W. Bernstein-Kabinett“ des Museums sind 260 ausgewählte Karten von 62 Zeichner/innen in Petersburger Hängung versammelt.

Den Ende 2018 verstorbenen F.W. Bernstein ehrt das Museum mit 40 gezeichneten Postkarten; Foto: Bernd Heier

Die Anfänge dieses „Trainingslagers“ liegen mittlerweile drei Dezennien zurück. Der Titanic-Zeichner und Universitätsprofessor F.W. Bernstein, alias Fritz Weigle, wurde damals in die Sommerakademie nach Rendsburg eingeladen. Der berühmte Karikaturist und Dichter, Gründungsmitglied der „Frankfurter Schule“, übernahm dort die Leitung des Zeichenkurses: Damit war die „Rendsburger Zeichnerei“ geboren. Seitdem treffen sich jährlich bis zu 40 Zeichnerinnen und Zeichner, professionelle Künstler und Amateure aus ganz Deutschland zu einem achttägigen Workshop, um eine  Woche lang tagsüber nichts anderes zu tun, als zu zeichnen. Bis 2004 stand dieses Zeichen-Seminar unter der Leitung von F.W. Bernstein; derzeit wird es mit großer Begeisterung von Lotte Wagner geleitet. Für sie ist es „das schönste Fortbildungsseminar mit herrlichem Garten“, der von dem Gärtner Bock gepflegt wird.

Lotte Wagner mit einer kleinen Auswahl der ihr zugeschickten Postkarten; Foto: Bernd Heier

Nach Beendigung des ersten Fortbildungsseminars im September 1990 gab Altmeister Bernstein seinen Schülern die Anweisung mit auf den Weg: „Wenn du eine gezeichnete Postkarte erhältst, antworte mit einer gezeichneten Postkarte“. Jeder, der eine Karte bekommt, sollte innerhalb von drei Tagen zurückzeichnen. „Die Dreitagesfrist konnte und kann nicht immer eingehalten werden“, wie die Grafikerin und Malerin Ulrike Wenzel, in dem Ausstellungskatalog schreibt. „Aber im Großen und Ganzen waren wir erstaunlich fleißig“, schon alleine, um die „Kartenschulden“ nicht allzu sehr anwachsen zu lassen.

Bernstein löste damit ein nicht enden wollendes Hin und Her bekritzelter, aquarellierter, gestempelter Papierstückchen aus. Abertausende Karten wurden in den kommenden Jahren kreuz und quer durch die Republik geschickt. „Bernsteins Hausaufgabe“, sich gegenseitig bis zum nächsten Seminar selbstgezeichnete Karten zukommen zu lassen, diente dazu, „quasi in Schwung zu bleiben“, so Wenzel, Gründungsmitglied der „Rendsburger Zeichnerei“. Die daraus entstandene Korrespondenz ging schon bald weit über den ursprünglichen Teilnehmerkreis hinaus. In den letzten 30 Jahren wurden mehr als 15.000 Postkarten verschickt. So entstand im Laufe der Jahre eine variantenreiche Korrespondenz mit vielfältigen Themen, verschiedenen Techniken, Formaten und Fertigkeitsgraden. Hier trifft Witz auf Ernsthaftigkeit, Komik auf Sinn und Unsinn.

Ausstellungsplakat; © Caricatura Museum

Damals war Bernstein, der pausenlos gezeichnet hat, wohl selbst von dem großen Erfolg des beliebten Fortbildungsseminars überrascht: „Die Theorie, dass die Lust am Zeichnen heilbar ist, wurde gründlich widerlegt“. Im August 2000 formulierte er die launige Zeichenverordnung „Am Anfang war der Strich“, die 34 Punkte umfasst. Sie regelt beispielsweise, dass in den Monaten ohne R weder Butter noch Parfum gezeichnet werden dürften und dass die Strichgeschwindigkeit der Alkoholmenge anzupassen sei. Noch heute gibt es diese thematischen „Serviervorschläge“, wie Lotte Wagner betont, z. B. „Tier des Tages“, „Goethes Geburtstag“, Sommerdampfer oder Aktzeichnen.

Lotte Wagner, Museumsleiter Achim Frenz und der Künstler Ari Plikat beim Betrachten des Postkarten-Bildbands „The Rendsburger“; im Hintergrund rechts: der Zeichner und Co-Kurator Peter P. Neuhaus; Foto: Renate Feyerbacher

„The Rendsburger“; Foto: Caricatura Museum Frankfurt

Die Begeisterung für selbst gestaltete Postkarten ist umso erstaunlicher, als die große Ära dieses Kommunikationsmittels sich zu Ende neigt. Was früher ein kompaktes, preiswertes Kommunikationsmittel war, wird heute durch Kurznachrichten und Soziale Netzwerke ersetzt. Dabei waren gerade gezeichnete Postkarten ein beliebtes Medium von Künstlern, seit in Deutschland 1885 der Versand von bebilderten Karten erlaubt war. So verschickte der Maler Philipp Franck, Landschafts- und Genremaler, am 11. Juni 1880 von Kronberg im Taunus eine selbstbemalte Postkarte mit der Deutschen Reichspost an seine Schwester Lilly Franck nach Frankfurt am Main. Diese Karte gilt heute als erste ihrer Gattung und nimmt den Rang einer Inkunabel ein. Später fanden insbesondere Künstler der expressionistischen Künstlergruppen der „Brücke“ und des „Blauen Reiters“ Gefallen an selbst gestalteten Postkarten, die sie als Grußbotschaft an ihre Freunde oder Förderer schickten.

 

Bernsteins Postkarte „Stempel nachgeliefert“; Foto: Caricatura Museum Frankfurt

Eine Spezialität der Rendsburger Postkarten-Connection sind sog. „Gemeinschaftskarten“. Diese entstehen meist in gemütlicher Runde, wenn sich Workshop-Teilnehmer im Laufe des Jahres irgendwo im Lande treffen und dann zusammen eine Karte gestalten, um diese als aktuellen Gruß an Freunde aus dem Zeichenkreis zu schicken. Besonders eifrige Versenderin von Sammelkarten ist Lotte Wagner, wie die kurzweilige Schau zeigt.

Von der spielerischen Idee, gemeinsam Kunstwerke zu gestalten, waren auch die Surrealistinnen und Surrealisten begeistert, wie in der grandiosen Schau „Fantastische Frauen“ in der benachbarten Schirn Kunsthalle zu sehen ist. Dort ist eine eigene Sektion mit verblüffenden Ergebnissen dieser Gruppenspiele den „cadavres exquis“ gewidmet. Dabei führten die Teilnehmer nacheinander auf einem gefalteten Papier die Darstellung des Vorgängers fort, ohne zu sehen, was jener kreiert hatte. Solche kollektiven Kunstwerke sollten den Zusammenhalt der Gruppe stärken.

Für die unterhaltsame Schau konnten die Empfänger der kleinformatigen Kunstwerke jeweils 4 bis 5 Lieblingskarten auswählen und dem Caricatura zur Verfügung stellen. Zu sehen sind u. a. Arbeiten der Künstler Oliver Schollenberger, Lotte Wagner und Ulrike Wenzel, der Cartoonisten Martin Perscheid, Ari Plikat und POLO sowie der Illustratoren Heike Drewelow und Christoph Gremmer.

„F.W. Bernsteins Grafisches Trainingslager an der Eider. Das kann ja heiter werden“ bis 27. August 2020 im Caricatura Museum Frankfurt – Museum für Komische Kunst; weitere Informationen unter: www.caricatura-museum.de

 

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