home

FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Vorbildlich: der DAM-Preis 2020 des Deutschen Architekturmuseums

Vorzüglich: das begleitende „DAM Architektur Jahrbuch 2020“ und die Internet-Präsenz

Von Uwe Kammann

DAM-Preis für David Chipperfield Architects, James Simon-Galerie, Berlin, Foto: Ute Zscharnt for David Chipperfield Architects

Immerhin, Frankfurt ist beim diesjährigen Architekturpreis des Deutschen Architekturmuseums (DAM) nicht schlecht vertreten. Unter den 26 Bauten, welche derzeit im Architekturmuseum als Beispiele für außergewöhnliche Qualität und als besonders bemerkenswert ausgestellt sind, finden sich gleich drei aus dem heimischen Bestand: ein äußerst schlichter Klinkerbau am Peterskirchhof (Büro NKBAK, Stylepark), dann ein Beispiel für kostengünstigen städtischen Wohnungsbau aus dem hiesigen Büro Schneider+Schumacher, schließlich noch ein ebenfalls geklinkertes Mehrfamilien-Wohnhaus an der sonst eher unwirtlichen Schlosstraße (Stefan Forster Architekten).

Büro NKBAK Stylepark Neubau am Peterhof, Frankfurt, Foto: Patricia Parinejad

Das ist keine schlechte Quote für den hiesigen Raum, denn in den Vorjahren hatte DAM-Direktor Peter Cachola Schmal bedauernd zu konstatieren, dass sich vorbildliches Bauen mit außergewöhnlichen Lösungen eher in Berlin und im Süden Deutschlands findet. Das hat sich föderal weiter aufgefächert, so ein Fazit dieses Jahres.

Der seit 2007 vergebene DAM-Preis ist sich in den Zielsetzungen, im formalen Rahmen und im praktischen Procedere treu geblieben. Dazu zählt vor allem seine Unabhängigkeit. Sprich: Er ist weit entfernt von den vielen nationalen und internationalen Architekturpreisen, die beispielsweise von dem in Verbänden und Kammern organisierten Berufsstand selbst vergeben werden. Weiter ist er in der Methodik sehr gründlich, auf der Grundlage eines zweistufigen Prozesses: Zuerst nominiert das DAM in eigener Kompetenz 100 besondere Bauten, danach verengt eine Expertenjury diese so genannte „Longlist“ auf eine „Shortlist“, diesmal mit „26 besten Bauten in/aus Deutschland“ – wie sie aktuell in der gleichnamigen Ausstellung im Architekturmuseum in Modellen und Fotos gezeigt werden (noch bis 10. Mai).

Eine Erweiterung dieser Auswahl findet sich in der begleitenden Publikation, die in der Aufmachung sehr gediegen und wortwörtlich schwerwiegend ist und dazu einen gewichtigen Titel trägt: „Deutsches Architekt Jahrbuch“ (DOM publishers), jeweils mit dem Jahrgang gekennzeichnet, diesmal also 2020. Hier werden die Bauten der Shortlist und natürlich jene der Engauswahl – der Finalisten – vorgestellt und ausführlich in ihren Qualitäten gezeigt. Dies geschieht über eine ausführliche Beschreibung, nicht zuletzt aber über vorzügliche Fotos, über Lagepläne, Grundrisse und Schnittpläne. Ein Band, der schon alleine wegen der hohen Qualität dieser Abbildungen zum wiederholten Studieren geradezu einlädt.

Wer wiederum alle 100 Bauten, welche vom DAM in eigener Kompetenz für den Wettbewerb ausgewählt wurden, kennenlernen will, kann dies über die Internet-Seite des DAM tun. Denn hier sind all’ diese Häuser über eine klare Gliederung mit aussagekräftigen Abbildungen aufzurufen und über eine jeweils knappe Beschreibung der Haupteigenschaften näher in Augenschein zu nehmen.

Das ist in dieser Form vorbildlich. Und zeigt – worum es den Initiatoren und den Juroren ja auch wesentlich geht –, welch’ weiter Fächer von Bauaufgaben hier abgebildet wird. Das reicht von Wohnbauten über Kulturhäuser und Geschäfts- und Bürobauten bis hin zu  Bildungseinrichtungen. Folglich zählt beim Gesamtbild dieses Preises nicht unbedingt der ganz große Auftritt und strahlende Glanz, um zu den 25 Auserwählten zu gehören, sondern es wird der Blick ebenso auf Unspektakuläres und Bescheidenes gerichtet, vorausgesetzt, damit sind hervorragende architektonische Qualitäten verbunden. Auffällig übrigens über die Jahre, dass die ‚großen’ und renommierten Büros natürlich ihre markante Präsenz behalten, aber immer auch wieder Neuankömmlinge in diesem Kreis mit architektonisch interessanten Handschriften auffallen und reüssieren.

Auch innen großzügig gestaltet: die neue James Simon-Galerie als zentrales Eingangsgebäude für die Museumsinsel in Berlin von David Chipperfield Architects, Foto: Ute Zscharnt for David Chipperfield Architects

An der Spitze sind die Kriterien natürlich noch einmal zugespitzt, da müssen viele Eigenschaften zusammenkommen, um den Hauptpreis davonzutragen. In diesem Jahr ist er wieder auf einen Kulturbau gefallen, nämlich das neue verbindende Eingangshaus für die Museumsinsel in Berlin, das den Namen eines der großen Mäzene dieses weltberühmten Komplexes trägt: James-Simon-Galerie. Architekt dieses mit seinen strengen Pfeilerreihen nachgerade klassisch anmutenden Baus ist David Chipperfield, der in Berlin (aber auch beispielsweise in Marbach) mit mehreren Bauten Furore gemacht hat, auch in unmittelbarer Nachbarschaft der James-Simon-Galerie: mit einem geschlämmten Eck-Klinkerbau (einst Privatgalerie, jetzt funktional zu den Berliner Museen gehörend) und vor allem mit dem vielgerühmten Wiederaufbau des Neuen Museums, bei dem er hochsensibel die vorhandenen Ruinenteile des klassizistischen Baus  mit modernen Elementen ergänzt hat.

Der jetzige Preis-Bau wiederum nimmt auch ein wesentliches Element der Museumsinsel auf, nämlich den Säulengang, der die tempelartige Alte Nationalgalerie und das Neue Museum umfasst und jetzt, dank der verklammernden Eingangsgalerie, zum Pergamonmuseum weitergeführt wird, allerdings mit einem ganz eigenen Akzent: einmal, weil sich die seitlichen Säulen (hier sind es allerdings eher schmale Pfeiler mit rechteckigem Profil) teilweise in der Spree spiegeln; und weiter, weil die Eingangsebene der Galerie über eine großzügige Freitreppe zu erreichen ist – eine noble, ja fast erhabene Geste, welche in dieser Form lange Zeit eher verpönt war.

Ohnehin, Chipperfield hat sich diesen Rückgriff auf frühere Architektursprachen (damals gerade bei repräsentativen Kulturbauten beliebt) erst nach einem fast erbittert ausgetragenem Streit erlaubt. Ursprünglich hatte nämlich für diesen neuen Eingangs- und Dienstleistungsbau (für Kassen, Garderoben, Restaurant und Café, Museumsladen, das alles inzwischen ergänzt um einen Vortragssaal und eine Ausstellungshalle) ganz schlichte, in der Höhe gestaffelte Quader mit einer mattierten Glashaut vorgesehen. Doch bildete sich schnell ein massiver Widerstand gegen diesen Entwurf, der von vielen als zu modernistisch, als seelenlos und ortsfremd empfunden wurde.

 

Eine solche von Einsicht getragene Revision des Architekten selbst (und auch der Bauherren, hier: die Stiftung Preußischer Kulturbesitz) ist selten. Beim Reichstagsumbau war es ähnlich. Der mit Weltreputation geschmückte Architekt Norman Foster hatte sich nämlich lange gegen die jetzt zum Symbol gewordene Kuppel gesträubt. Beim geplanten Museum der Moderne am Kulturforum wiederum haben sowohl das Architekturbüro Herzog & de Meuron als auch der Bauherr (wieder die Preußenstiftung) trotzig und halsstarrig an einem Entwurf festgehalten, der (tituliert als ‚Kunstscheune’) von allen Seiten massive Kritik einstecken musste, eine Kritik, die in der vehementen Form und in der einhelligen Konstellation (Politik, Medien, Architektenvertreter) sicher einmalig war und noch ist.

Von Kritik ist die James-Simon-Galerie – deren Kosten sich bei einer komplizierten Baugeschichte verdoppelt haben, auf rund 135 Millionen Euro – nahezu vollständig verschont geblieben. Allein die Tagesszeitung „taz“ bemerkte mit leiser Häme, die superschlanken Pfeiler/Stützen erinnerten an „Storchenbeine“. Nichts davon natürlich in den Bemerkungen der Juroren. Hier finden wir Kennzeichnungen wie „schlichte Eleganz“, „luxuriöses Gelenk und finales Passtück für die Museumsinsel“, „meisterliche Gratwanderung zwischen heroischer und moderner Interpretation“, „grandiose Gleichzeitigkeit von Pathos und Erhabenheit, von Bescheidenheit und Unterordnung an diesem einzigartigen Ort“. Unisono ist hier Begeisterung herauszuhören und herauszulesen. Ähnlich einhelliges Lob hatte es ja auch im vergangenen Jahr gegeben: für die behutsame Transformierung des noch für die DDR-Moderne stehenden Kulturpalastes in Dresden in einen von einer Bibliothek umgebenen Konzertsaal (Büro gmp).

Das „DAM Jahrbuch Architektur 2020“ versammelt die Argumentation zum jetzigen Preisträger auch diesmal wieder ausführlich, vermittelt durch die großzügigen Fotoansichten auch ein sehr gutes Bild sowohl der städtebaulichen als auch der Einzelqualitäten dieses Baus – wie es überhaupt ein vorzügliches Kompendium ist, welches das weite Spektrum vorführt, das in den Grundlinien heutiger Architektur zu finden ist.

Florian Nagler Architekten, Eingangsgebäude Freilichtmuseum Glentleiten, Foto: Schals / Jüttner / Pk Odessa

Und dieses Bild wiederum verweist in nicht wenigen Beispielen auf einfache, fast möchte man zuspitzen: archaische Formen des Bauens. Vielfach finden sich wieder Satteldächer, Klinker- und Backsteinwände. Oder auch traditionelle bäuerliche Formen, so beim Eingangsgebäude des Freilichtmuseums Glentleiten im oberbayerischen Großweil, das zudem ein inzwischen beliebtes ‚Thema’ aufnimmt: Bauen mit Holz.

Wie modernes großstädtische Bauen aussehen kann, das ganz verschiedene Charakteristika der unmittelbaren Umgebung aufnimmt – hier: die traditionelle Berliner Blockbebauung und die benachbarten Solitärbauten der Internationalen Bauausstellung 1984 –, zeigt das neue Redaktions- und Verlagsgebäude der „taz“ an der Friedrichstraße. Besonders interessant ist hier, dass die Grundstruktur eines kräftig ausgebildeten Gerüsts aus diagonal ausgebildeten Stahlträgern eine Offenheit der Etagen und Großräume erlaubt, die gleichzeitig die innere Organisationsstruktur der „taz“ aufzugreifen oder zu spiegeln scheint: eine Ordnung ohne erkennbare Hierarchie, kommunikationsoffen, transparent, werkstattaffin.

E2A taz Neubau, Redaktion-und Verlagsgebäude, Berlin, Foto: Yalu Kojima

Bemerkenswert ist auch, dass sich diese als Alternativprojekt gestartete Zeitung, die nur über eine im Vergleich zu Medienkonzernen sehr eingeschränkte Finanzkraft verfügt, sich ein Haus leistet, das in dieser Qualität in der Presse- und Medienlandschaft fast einmalig ist. Interessant wird sein, wie sich das neue, von Rem Koolhaas entworfene neue Großgebäude von Springer (gar nicht weit entfernt) in der medialen Realität und ihrer Arbeitswelt bewähren wird; die, so der Architekt, ebenfalls von einer völligen Offenheit und Jederzeit- und Überall-Kommunikation gekennzeichnet sein soll. Man darf gespannt sein, ob sich der neue Springer-Bau (der an ein glasverschlossenes Riesen-Klappmaul erinnert) im kommenden Jahr in der DAM-Auswahl wiederfindet.

Beachtlich auch wieder in diesem Jahr, dass die DAM-Verantwortlichen und die Juroren verstärkt jene Formen des Wohnungsbaus im Auge haben, die im kostengünstigen Rahmen dem Ziel eines bezahlbaren Wohnens näherkommen sollen und wollen. Ganz nach vorne hat es das Projekt „einfach gebaut“ von orange architekten in Berlin gebracht. Zu den Merkmalen des Ensembles gehören auch ein außenliegendes Treppenhaus und Laubengänge, die auch beim Frankfurter Projekt von Schneider+Schumacher ein Kernelement bilden. Auch die Jury bewertet diese Formen als gangbare Wege eines kostengünstigen Bauens für Wohnanlagen.

ORANGE ARCHITEKTEN „einfach gebaut“, Wohnhaus Berlin, Foto: Jasmin Schuller

Ob die Beurteiler die vielfachen Erfahrungen aus den vergangenen Jahrzehnten gar nicht bedacht haben, wonach genau diese Außenerschließungen bei den Bewohnern eher ein Gefühl des Unbehagens, des Ausgesetztseins hervorgerufen haben, auch leicht Opfer von Verwahrlosungen wurden? Bei einem weiteren nominierten Bau dieser ziemlich robusten Art (Beton-Brutalismus als Wiedergeburt) – das viel besprochene sogenannte Terrassenhaus im Berliner Wedding – hat der Architekt Arno Brandlhuber gleich auf die eher hässliche und ordinäre Umgebung verwiesen: dagegen müsse man nicht ankämpfen, sondern sich ihr anpassen.

Es wäre vielleicht eine interessante neue Ergänzung des DAM-Architekturpreises, einmal im Abstand von zehn Jahren bei ausgewählten Bauten zu prüfen und zu beschreiben, wie sie sich im Laufe der Nutzung bewährt haben, wie sich ihr Bild eventuell verändert hat, wie ihre Qualitäten im zeitlichen Abstand beurteilt werden.

Doch unabhängig von solchen möglichen Neuerungen (und Variationen, wie sie jeder Preis durchläuft, wenn er nicht erstarren soll und will): Den DAM-Architekturpreis wahrzunehmen – sei es über die Ausstellung selbst, sei es über das jeweils aktuelle „DAM Jahrbuch Architektur“ oder auch durch einen ergänzenden Online-Ausflug auf die DAM-Internetseite –, das ist ein Muss für jeden, der sich mit den aktuellen Entwicklungen auseinandersetzen will. Es sind viele Entdeckungen zu machen. Und man kommt auch nicht umhin, der dort präsentierten Architektur eine beachtliche Qualität zu bescheinigen. Aber der tägliche Blick auf die gebaute Umwelt belegt leider auch, in wie hohem Maße das eigentlich Vorbildliche nicht als Vorbild wirkt, jedenfalls nicht in einer Breite, die uns als Augenmenschen zu Preisliedern inspirieren könnte. Von Juroren ganz zu schweigen.

 

Comments are closed.