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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Jan van Eyck, Eine optische Revolution“ im Museum für Schöne Künste (MSK) Gent und in der St. Bavo-Kathedrale

Himmlisch-irdisch schöne Malerei

„ein über köstlich, hoch verständig gemähl“, Albrecht Dürer

von Petra Kammann

Der Genter Altar von Hubert und Jan van Eyck gilt als eines der bedeutendsten und einflussreichsten Gemälde überhaupt. Ein lebendiges Meisterwerk, das den Himmel auf die Erde holt und die Heiligen in die Wohnstuben reicher Genter Bürger. Gleichzeitig öffnet es den Blick auf die Stadt, in die Landschaft und es richtet ihn auf das Individuum. Diese neue Weltsicht spiegelt sich in vielfachen Variationen in den um die zwanzig noch existierenden Werken des flämischen Malers Jan van Eyck wieder. Gut die Hälfte, 13 der 23 weltweit bekannten Werke, sind nun in einer spektakulären Ausstellung „Jan van Eyck. Eine optische Revolution“ im Museum der Schönen Künste Gent (MSK) zu bewundern.

Nie konnten Kunstliebhaber den Verkündigungsengel auf der Außenseite des Genter Altars von Jan van Eyck so von Nahem betrachten wie in der Ausstellung „Jan van Eyck. Eine optische Revolution“ im Museum der Schönen Künste Gent (MSK), Foto: David Levene. 2020 

Once in a life. Erstmalig und sicher zum letzten Mal sind außerhalb der Genter St.-Bavo-Kathedrale im MSK in über 13 Räumen nicht nur acht der frisch restaurierten Tafeln der Außenseite des Genter Altars der Gebrüdern Eyck auf Augenhöhe zu betrachten, sondern auch die atemberaubend schönen, noch zu restaurierenden Innenflügel-Tafeln mit Adam und Eva, daneben mehrere Porträts, Kopien von verschollenen Gemälden, Gemälde aus van Eycks Werkstatt, illuminierte Handschriften, eine Tapisserie aus Tournai sowie mehr als hundert Meisterwerke des Spätmittelalters, u.a. von Zeitgenossen der italienischen Renaissance. Ein Fest nicht nur für die Augen!

Das Genter Meisterwerk mit der „Anbetung des Lammes“ und einer Schar von Engeln und Heiligen war schon wegen seines großen Detailreichtums seit seiner Entstehung ein Publikumsmagnet. Vor allem zunächst für die Künstler, die in Scharen nach Gent pilgerten, um die gemalte Offenbarung des Johannes mit eigenen Augen zu erleben. 1521 hatte Albrecht Dürer von Antwerpen aus Gent besucht und notiert: „Am mittwoch frühe fuhrten sie mich auf S. Johannes thurn; do über sahe ich die groß wunderbarlich statt, darin ich gleich vor groß ansehen ward. Darnach sahe ich des Johannes taffel; das ist ein über köstlich, hoch verständig gemähl, und sonderlich die Eva, Maria und Gott der vatter sind fast gut.“ (Jane Cambell Hutchinson: Albrecht Dürer, Frankfurt/New York 1994)

St. Bavo-Kathedrale. Heute Standort des Genter Altars, Foto: Petra Kammann

1432 war in der früheren Pfarrkirche Sint-Jans (St. Johannes) (heute St.-Bavo-Kathedrale) der mehrfach klappbare Flügelaltar in der Kapelle des Patrizier-Ehepaars Jobs Vijd und Elisabeth Borluut in Gent eingeweiht worden. Joos Vijd hatte den Genter Altar zunächst bei Hubert van Eyck, Jans älterem Bruder, in Auftrag gegeben. Nach Huberts Tod im Jahr 1426 setzte Jan dann dessen Arbeit fort und vollendete das meisterliche Werk. Die Informationen über Jan van Eycks Leben dagegen sind eher spärlich. Einen Hinweis bekommen wir jedoch aus dem Altarwerk selbst. Der Maler hält sich und seinen Bruder als Schöpfer des Werks auf den unteren Rahmenleisten des 3.75 m hohen und aufgeklappt über 4 m breiten Genter Flügelaltars in einer Inschrift ebenso fest wie die Stifter als Auftraggeber und er setzt den Vollendungszeitpunkt, das Jahr 1432, dazu.

Eine zentrale Tafel, „das Lamm Gottes“ des Retabels, konnte wieder in die Kathedrale St. Bavo zurückkehren. Hier die komplette Festtagsseite des aufgeklappten Genter Altars, die man in der Kathedrale St. Bavo noch unvollständig anschauen kann, Foto: ©Frederik Van Allemeersch – Art in Flanders vzw, foto KIKIRPA

Van Eyck, der auch als Diplomat in Diensten des burgundischen Fürsten Philipp des Guten quer durch Europa reiste und aus den südlichen Ländern Seh-Erfahrungen mitbrachte – nicht zuletzt botanische –, konnte seine Ölmalerei auf bisher nie gekannte Höhen so vervollkommnen, dass er etlichen Malern und Zeitgenossen als Vorbild diente. Schaut man seine Bilder von Nahem an, so erlebt man ebenso intensiv die Weite seines Horizonts wie auch das akribisch gemalte irdische Detail der unmittelbaren Umgebung. Das faszinierte natürlich die Menschen. Und so verwundert es nicht, dass die Begehrlichkeiten von Anfang an immens waren, diesen Altar selbst zu besitzen, den das reiche Genter Ehepaar Vijd-Borluut, gestiftet hatte.

Das führte dazu, dass diesem ungewöhnlichen Polyptychon eine äußerst wechselhafte Geschichte beschieden war. Einzelne Tafeln oder der ganze Altar mussten über die Jahrhunderte aus machtpolitischen Gründen unfreiwillig quer durch Europa reisen… (s. die tabellarische Geschichte im Anhang). Wenden wir uns aber nur der neueren Geschichte zu. 1934 wurden in der Nacht zwei Tafeln des Altars aus der Kirche, in die er nach dem Versailler Vertrag wieder zurückgekehrt war, schlicht gestohlen. Eine davon, Johannes der Täufer, ist zurückgekehrt, die andere, die Tafel der „Gerechten“, ist bis heute nicht wieder aufgetaucht. Mit dem Überfall deutscher Truppen auf Belgien kamen 1940 dann die Nationalsozialisten ins Spiel. Denjenigen, die George Clooneys Film „Monument’s Men“ gesehen haben, dürfte zumindest dieser Teil der Geschichte vertraut sein.

Zunächst brachten die Franzosen den Retabel während des Zweiten Weltkriegs nach Pau in die Nähe der Pyrenäen, in das Schloss, in dem Henri IV geboren wurde. Dort entdeckten ihn die Nazis, verschleppten ihn zunächst nach Neuschwanstein. Als 1944 schon eine Niederlage absehbar war, hatte Hitler die Kunstwerke, die er, wie eben auch die Tafeln des Genter Altars, für das Führermuseum bestimmt hatte, in das Salzbergwerk nach Altaussee bringen lassen, damit sie nur ja nicht in die Hände der Alliierten gerieten. Zum Schluss hatte er den Befehl erteilt, dieses Lager im Stollen zu sprengen. Glücklicherweise hatte sich eine Gruppe österreichischer Bergwerker zusammengetan, um mit vereinten Kräften diesen Plan zu vereiteln. Diese mutigen „stillen Helden“ hatten den Altar in Sicherheit gebracht.

Auch nach Ende des Zweiten Weltkriegs war noch nicht alles wieder in Ordnung. Man kann sich mühelos vorstellen, dass die Lagerung in der kalten und feuchten salzigen Grotte entsprechende Spuren auf der kostbaren Ölmalerei hinterlassen hatte, so dass eine gründliche Reinigung und Restaurierung nötig war. Also wurde der Altar zunächst umfassend in Brüssel restauriert und, soweit als damals möglich, auch von den Partien, die zwischenzeitlich teils aus moralischen Gründen übermalt worden waren, wieder befreit.

Die jüngsten Restaurierungen der Vorderseite des Genter Altars, © www.lukasweb.be – Art in Flanders, foto’s KIKIRPA

Anschließend wurde der Altar zunächst wieder – wie auch zuvor – in der Vijd-Kapelle, der Kapelle des Stifters Jodocus Vijd in der St. Bavo-Kathedrale, aufgestellt. Um ihn aber dauerhaft vor Vandalismus zu schützen, hatte man ihn ab 1989 in der nördlichen dunklen, wie man glaubte, sichereren Turmseitenkapelle von St. Bavo, lichtgeschützt und klimatisiert hinter ein grünlich getöntes dickes Panzerglas verbannt.

Dort aber konnten die Besucher leider die originale, ungeheuer differenzierte Farbigkeit, die vor allem durch die ständige Beleuchtung mit Kunstlicht stark beeinträchtigt war, ebensowenig wahrnehmen wie die besonderen Details entdecken, auf die van Eyck bei der Gestaltung des Flügelaltars soviel Mühe verwandt hatte. Und einen Begriff von der Komplexität dieses Werks, der groß angelegten Gesamtkomposition, das eine Alltags- und eine Festtagsseite zum Aufklappen hat, konnten sie sich auch nicht machen.

Ein schwacher Abglanz des Gesamtwerks: in der Vijdkapelle der St. Bavo-Kathedrale steht stellvertretend an ursprünglicher Stelle  eine von Agfa gesponserte „Kopie“ des Genter Altars, den man öffnen und schließen kann, Foto: Petra Kammann

Auf den Innenseiten des Altars sind Visionen des Jüngsten Gerichts aus der Apokalypse des Johannes dargestellt. Auf allen fünf Tafeln unten steht vor der Landschaft vorne der Lebens-, (Tauf-)brunnen, dahinter in einer teils tropisch blühenden Landschaft der Altar mit dem Lamm Gottes in der Mitte. Von der Himmelsmitte aus sendet die Taube des Heiligen Geistes von oben ihre goldenen Lichtstrahlen herunter. Im Hintergrund ist der Paradieslandschaft das himmlische Jerusalem zugeordnet, dessen real gestaltete Kirchenbauten Porträts damals bedeutender Kirchen der Umgebung sein mögen.

Die teilrestaurierte Festtagsseite hinter Panzerglas in der St. Bavo-Kathedrale, Foto:© www.lukasweb.be

Beherrscht wird die Altarseite durch die darüberliegende traditionelle Dreiergruppe des Jüngsten Gerichts: Maria zur Linken des Weltenrichters und rechts Johannes der Täufer oder Johannes der Evangelist? Maria liest bei der Verkündigungsszene andächtig, während Johannes in Doppelfunktion als Johannes der Täufer und als Evangelist das Buch wie ein Prophet vor sich her trägt. Herausgehoben in der Mitte ist der Weltenrichter als im wahrsten Sinne der Herrscher der Szene, der aber wegen seiner nach oberzeigenden Hand auch als Auferstehender dargestellt wird. Dem raffiniert theologischen Aufbau des Werkes, das in den Details noch viel aufschlussreicher ist, könnte man eine eigene Geschichte widmen…

Links erscheinen singende und rechts musizierende Engel. Rechts und links am Außenrand des Retabels, scheinen Adam und Eva fast lebensgroß im luftleeren Raum zu stehen. Der Tradition entsprechend kennzeichnen Feigenblatt und Frucht das erste Menschenpaar als Ursünder. Das Paar selbst wurde augenscheinlich nach Modellen aus Fleisch und Blut so natürlich gemalt, dass es so aussieht, als wolle Adam gerade mit einem Fuß aus dem Rahmen treten. Das wiederum kann man sich aus nächster Nähe im MSK anschauen.

Adams Fuß scheint aus dem Rahmen zu treten, Foto: David Levene 2020

van Eycks malerische Auffassung unterscheidet sich in ihrer Realitätsnähe jedoch grundsätzlich von den etwa in der italienischen Renaissance einsetzenden Aktdarstellungen, die viel mehr von wissenschaftlich-anatomischer Konstruktion geprägt waren oder Bezug auf antike Vorbilder nahmen, während der flämische Maler die Oberfläche und die geringste Bewegung des Körpers genau beobachtete und bis ins kleinste Detail darstellte.

Zahlreiche Inschriften zu den Genreszenen geben den Betrachter außerdem theologische Hinweise und sie verweisen bei van Eyck auch auf die Bedeutung der Sprache. Das Wort spielt – entsprechend dem Johannes-Evangelium im Genter Alter – eine herausragende Rolle. Es wird gesprochen und vom Chor gesungen, d.h. Worte werden zu lebendigen und plastisch wirkenden Bildern wie auch die dahinter verborgenen Personen.

Mit der Ausschmückung ihrer Privatkapellen, von denen aus sie am Gottesdienst teilnahmen, versuchten sich die Stifter, die reichen Bürger und die Zünfte in dieser Zeit der wirtschaftlichen Blüte der flämischen Städte besonders zu profilieren. Neu ist dabei die Einbindung individueller Bürger in die biblischen Geschichten, wie zu sehen bei dem farbig und ganz naturalistisch angelegten Ehepaar Vijd-Borluut in den unteren Tafeln der rückwärtigen Alltagsseite des Altars. Dort werden sie durch ihre farbigen Kleider besonders hervorgehoben, Vijd wird sogar mit allen Unebenheiten in seinem Gesicht dargestellt. Insgesamt tritt das Individuum hervor und fällt aus dem traditionellen Rahmen. Deshalb hält auch der Maler sich und seinen Bruder als Schöpfer des Werks auf den unteren Rahmenleisten mit einer Inschrift ebenso fest wie die Stifter als Auftraggeber, fügt also also eine selbstbewusste Signatur hinzu und führt damit den Schöpfer aus der Anonymität heraus.

Außenflügel des Genter Altars von 1432  von  Jan (Maaseik?, um 1390 – Brügge, 1441) und Hubert van Eyck (Maaseik, um 1366/1370 – Gent, 1426), Öl auf Holz, St.-Bavo-Kathedrale, Gent © www.lukasweb.be – Art in Flanders vzw

Acht Jahre lang hat schließlich die sorgfältige Restaurierung etlicher Tafeln des Klappaltars gedauert. Seit 2012 arbeitete das KIK, Königliches Institut für das Kunsterbe, in der Werkstatt des Museums für Schöne Künste in Gent an der gründlichen Restaurierung des Genter Altars.

Dank der Verwendung von Ölfarbe und transparenten, gefärbten Glasurschichten, die Jan von Eyck auf höchst subtile Weise benutzte, konnte nach der Renovierung der Gemälde und nachdem die Firnisschichten abgetragen waren, wieder die ganze Vielfalt an Farbnuancen, die intensive Farbigkeit, die Klarheit und Transparenz, aber auch Sättigung der Farben zum Vorschein kommen und wieder sichtbar werden.

Es war auch für die Restauratoren verblüffend zu sehen, dass nicht nur das Beobachtungsvermögen und die akribische Maltechnik des flämischen Malers wieder zum Vorschein kamen. Die theologischen und wissenschaftlichen Kenntnisse Jan van Eycks, wie die der Optik, waren außerordentlich. So richtet sich die Farbigkeit der Figuren nicht zuletzt nach dem einfallenden Licht und Sonnenstand am Ort der Vijds-Kapelle, für die der Altar eigens konzipiert war, um seine volle Wirkung zu entfalten. So scheint es, als würden die Außenflügel tatsächlich durch das von rechts in die Kapelle eintretende Licht beleuchtet. Dem waren offensichtlich präzise optische Beobachtungen vorausgegangen.

Erstaunlich für die Kunstliebhaber und für die Zeit auch ganz neu in der Malerei van Eycks ist zum Beispiel aber auch, dass der Erzengel Gabriel nicht, wie damals üblich, Maria vor einem prächtigen mittelalterlich goldenen Hintergrund von ihrer Schwangerschaft berichtet, sondern in einem fast wohnlichen und räumlich erfassbaren Umfeld. Das entfaltet eine lebensnähere Wirkung. Der Raum des Auratischen wird durch die Lebensnähe nun für jeden Bürger erfahrbar.

Auch die schillernde Farbigkeit des Flügels vom Erzengel Gabriel auf der Alltagsseite des Genter Altars ist geradezu betörend. Kostbar und üppig malt van Eyck zudem den weichen Fall seines schlichten Umhangs, anmutig und natürlich seine Haltung, durchscheinend wiederum die weißen Lilien in der einen Hand als Zeichen der Unschuld, mit der anderen Hand auf das bevorstehende Ereignis nach oben deutend, kostbar die funkelnde Brosche, in der sich das von außen eindringende Licht bricht, welche den großzügig bemessenen Stoff des Umhangs zusammenhält.

Die einstige gotische Tuchhalle vor dem Belfried erinnert an die illustre Vergangenheit Gents, Foto: Petra Kammann

Nicht zu vergessen, dass Flandern und vor allem auch Städte wie Tournai, Brüssel oder Gent und Brügge damals Zentren des europäischen Tuchhandels waren. Mit dem Verkauf von kostbaren Stoffen in den flämischen, burgundischen Städten der südlichen Niederlande liefen doch die Textilmanufakturen auf Hochtouren und führten zu unermesslichem Reichtum etlicher Bürger. Während des van Eyck-Jahres 2020 kann man übrigens in der Tuchhalle von Genter Kreativen exklusive Produkte erwerben, die auf das Werk van Eycks Bezug nehmen.

Minutiös erleben wir auf van Eycks Gemälden immer auch das üppig gewellte Haar der Himmelkönigin, das von einer prächtigen Krone gehalten wird, außerdem das Funkeln der Edelsteine, in denen sich durchaus Details wie Stadtansichten oder Personen spiegeln können. In Flandern hat auch die Goldschmiedekunst eine lange Tradition. Und nicht zuletzt scheint ihinter den Fensteröffnungen immer die die neuartige gotische Architektur der Schelde-Städte durch. Die fein gemalten urbanen Szenen und Landschaften ziehen die Augen des Betrachters ebenso in ihren Bann wie die typischen Blumen, Früchten und Heilkräuter auf den satten Wiesen.

↓ Jan van Eyck (Netherlandish, c. 1390 – 1441), The Annunciation, c. 1434/1436, oil on canvas transferred from panel, Andrew W. Mellon Collection 1937.1.39

               

Der Verkündigungsengel, Tafel auf dem Außenflügel des Genter Altars von 1432  von  Jan (Maaseik?, um 1390 – Brügge, 1441) und Hubert van Eyck (Maaseik, um 1366/1370 – Gent, 1426), Öl auf Holz, St.-Bavo-Kathedrale, Gent © www.lukasweb.be – Art in Flanders vzw

Nicht zuletzt die wunderschön gemalten Engel. Vergleichbar sind die in Haltung und Geste einander ähnelnden Verkündigungsengel des Genter Altars und der „Verkündigung des Herrn“, ein Gemälde, das wohl zwischen 1434 und 1436 entstand. Die schmale hohe Tafel kam eigens aus der National Gallery of Art in Washington, D.C. für die Schau ins MSK nach Gent. Gabriels prächtiges Brokatgewand  erinnert hier allerdings eher an die singenden Engel des Genter Altars. Beim fast wohnlichen Innenraum als Hintergrund ähneln wiederum die schmalen Fensterbögen einander.

Dabei hat van Eyck hier für die Verkündigung der Schwangerschaft Marias nicht das bürgerliche Stadtpalais gewählt, sondern das Innere einer Kirche. Möglicherweise handelt es sich wegen des Formats  dieser Tafel um den linken Flügel eines Triptychons. Es wird vermutet, dass diese Verkündigungsszene zudem eines der wenigen Beispiele dafür ist, dass van Eycks Gönner, der burgundische Herzog Philipp der Gute, dieses Werk in Auftrag gegeben haben könnte. Aber vieles bleibt heute mangels Quellenlage in van Eycks Leben eben nur Vermutung.

Wie auch immer. Die symbolträchtige Bildsprache van Eycks zeugt von großer theologischer Kenntnis, die er jeweils bewusst und raffiniert in seine Werke einbaut. Da wird in der „Verkündigung des Herrn“ die Botschaft Gottes vom Erzengel Gabriel mit den Worten „Ave gratia plenam“ („Gegrüßet seist du, Maria, voll der Gnade“) übermittelt, worauf Maria antwortet: „Ecce ancilla domini“ („Siehe, ich bin die Magd des Herrn“). Beide Sätze sind auf dem Bild so angebracht, dass Marias Worte auf dem Kopf stehend somit unmittelbar zu Gott sprechen.

Die Perspektive wird geöffnet: Detail des städtischen Hintergrunds beim Blick aus dem Fenster, fotografiert von David Leven 2020

Die hohe Wertigkeit von van Eycks Malerei erlebt man in der Ausstellung besonders durch die Gegenüberstellung der einzelnen Tafeln mit anderen Kunstwerken der Zeit, mit der damaligen zeitgenössischen Bildhauerei und Malerei, mit den Kopien oder den Porträts von van Eyck, vor allem mit den Werken der italienischen Künstler, die völlig anders an die Sache herangingen.

Die insgesamt 100 weiteren Exponate in den dafür eigens hergerichteten Räumen, darunter Werke berühmter Zeitgenossen wie Fra Angelico, Paolo Uccello, Pisanello, Masaccio oder Benozzo Gozzoli, bilden für die so kostbar gemalte Welt des Jan van Eyck eine Art historisch konzeptuellen Rahmen. Sie bringen van Eycks Werk noch mehr zum Leuchten, unterstreichen seine präzise Detailtreue, seine überdurchschnittliche Beobachtungsgabe, seinen geradezu fotografischen Realismus. Dabei scheint das Licht bei dem flämischen Maler aus der Tiefe des Raumes zu kommen.

Dagegen wirken die Ansichten der italienischen Malerfürsten in manchem geradezu enttäuschend flach. Mag es u.a. daran liegen, dass Jan van Eyck auch eine eigene Farbtechnik entwickelt hatte. So rührte er seine Farbpigmente nicht mehr wie im Mittelalter mit rohem Ei an, sondern setzte Öl als Bindemittel ein, er experimentierte förmlich mit der Farbe, setzte ihr Stoffe zu, die sie noch schneller trocknen ließ. So konnte er mehrere transparente Schichten übereinander malen, was den Bildern die besondere Tiefe und Leuchtkraft verlieh, die man bei den Italienern fast schmerzlich vermisst. Ihre Renaissance orientierte sich häufig an der Antike.

van Eycks Gönner Herzog Philipp der Gute, Kopie eines verlorenen Porträts von Rogier van der Weyden, 2. Hälfte 15. Jahrhundert, mit der Kette des Ordens vom Goldenen Vlies

Insgesamt aber kann man, thematisch geordnet, in den eigens für diesen Anlass renovierten dreizehn Museumsräumen sein „blaues Wunder“ erleben. Kostbar sind die verschiedenen Gemälde, so die Kopie von Rogier von der Weydens Philipp-Porträt, die verschiedenen Gemälde von Petrus Christus, von der Madonna am Brunnen von Gerard David und das Distichon von Quentin Massijs, alle sorgfältig  auf dunklen, meist blauen oder roten Wänden inszeniert. Bei allem aber bilden die die Außenflügel des Genter Altars in der Ausstellung die Klammer, auch als Ausgangspunkt für thematische Bündelungen und Vertiefungen in den einzelnen Räumen wie etwa „Sündenfall und Erlösung“, „Der Raum“, „Mutter und Kind“, „Heilige in einer Landschaft“, „Das göttliche Porträt“, „Das Wort Gottes“, „Architektur“, „Die gemalte Skulptur“,  wo man die Dreidimensionalität der Malerei tatsächlich als noch intensiver – und wie aus Stein gehauen – erlebt als bei den zeitgenössischen Skulpturen.

Jan van Eycks Diptychon der Verkündigung, ca. 1433-1435, Öl auf Holz  Linke Tafel: 38,8 × 23,2 cm,Rechte Tafel: 39 × 24 cm , Museo Nacional Thyssen-Bornemisza, Madrid

Auch dem „Individuum“ ist ein Raum gewidmet mit van Eycks berühmten Porträts von Zeitgenossen. Daher gibt es dort besondere individuelle Porträts zu sehen wie zum Beispiel den „Mann mit dem blauen Chaperon“, der möglicherweise einen begehrten Genter Juwelier darstellt – er hält einen geschmiedeten Ring in der linken Hand. Ein anderes Porträt verweist auf den real existierenden Jan van Eyck, der auch ein bürgerliches Leben geführt haben muss. Ein Porträt hat er seiner Frau Margarete van Eyck gewidmet, die ihn übrigens in Brügge, auf der letzten Station seiner zahlreichen Reisen, um einige Jahre überlebt hat.

Jan van Eyck (*Maaseik? um 1390 + Brügge, 1441)

Bildnis eines Mannes mit blauem Chaperon,

ca. 1428-1430

Öl auf Holz, 22 × 17 cm

Muzeul National Brukenthal, Sibiu (Rumänien)

 

Der Rundgang stimmt anfangs in einer Art Übersichtstafel auf das vermutliche Leben des Diplomaten und Künstlers Jan van Eyck ein, virtuell durch das projizierte Gesamtwerk des Genter Altars, wo auch die einzelnen Kuratoren und Restauratoren zu Wort kommen. Es führt die Besucherinnen und Besucher aber auch durch panoramische Fernsichten und meditative Innenräume. Die Ausstellung als Ganzes macht die Wechselwirkung zwischen Materiellem und Geistigem, zwischen Details und gesamten Kosmos spürbar und zeigt das Ausbrechen aus der spätmittelalterlichen Gemeinschaft zum befreiten Individuum.  

Besondere Aufmerksamkeit zieht in der Schau auch die Buchmalerei mit dem Turin-Mailänder Stundenbuch auf sich. Die so reich und lebendig illuminierte Handschrift ist vermutlich das wichtigste Werk, das Jan van Eyck mit der Buchmalerei verbindet. Einen Ehrenplatz bekommt es daher  in der Schau zurecht. Hier konnte der Künstler auch in Alltagsdingen seine ganze Liebe zum Detail auf das Pergament bannen, von der Truhe mit den Vorratsgegenständen bis zu den Gefäßen und Haustieren. Völlig ungekünstelt erscheint hier die Lebensnähe und die Bewegung der Menschen.

Da Teile der Handschrift zuletzt nach Turin und Mailand gelangten und der Turiner Teil 1904 bei einem Brand zerstört wurde gelangte auch der Mailänder Teil, der insbesondere das beeindruckende Folio mit der Geburt Johannes des Täufers erhält, zuletzt nach Turin.

Detail aus dem Turin-Mailänder Stundenbuch (1410-1440), gemalt von  Jan van Eyck,  Geburt Johannes des Täufers. Tempera, Gold und Tusche auf Pergament, Turin, Nationalbibliothek, Foto von David Levene, 2020

Auch dieses kostbare Stundenbuch, das die beiden einzigen erhaltenen Miniaturen des Meisters enthält, hat eine bewegte Geschichte, war es doch möglicherweise zunächst Teil der so umfangreichen wie legendären „Très belles heures de Notre-Dame“ der Brüder Limburg. Im 15. Jahrhundert war nämlich ein Teil dieses Buchs in die südlichen Niederlande gelangt und von unterschiedlichen Künstlern illuminiert worden, wobei die beiden erhaltenen Miniaturen wegen der natürlichen Darstellung so hervorstechen, dass sie Jan van Eyck wegen der beispiellosen Maltechnik zugeschrieben wurden.

Will man geballtseine differenzierte Malerei auch von ganz unmittelbar erleben, so sollte man sich beeilen, denn der Andrang im MSK wie in St. Bavo ist gewaltig. Den Einlass, der immer nur für ein Zeitfenster gültig ist, sollte man vorab schon buchen. JOHANNES DE EYCK FUIT HIC laute die selbstbewusste Signatur des Malers. „Van Eyck was here“, heißt es in der Werbekampagne der Stadt Gent für das van Eyck-Jahr 2020. Ich würde ergänzen: „van Eyck is here“ und das nur für begrenzte Zeit. Und Sie? Waren Sie auch schon einmal bei dem flämischen Meister zu Besuch? Die berühmte Sentenz gilt nicht nur für Paris, auch „Gent ist eine Messe wert“…

Ausgang der Ausstellung im MSK Gent, Foto: Petra Kammann

Weitere Infos:

Die Ausstellung „Jan van Eyck. Eine optische Revolution“ im Museum für Schöne Künste (MSK) in Gent, Fernand Scribedreef 1. geht noch bis zum 30. April 2020. Der Genter Altar in der St.-Bavo-Kathedrale, St. Baafsplein in der Stadtmitte: Öffnungszeiten: Mo.-Sa. 8.30-17 Uhr, So. 13 – 17 Uhr; ab 1. April jeweils bis 18 Uhr. Öffnungszeiten: wochentags 9.30-17.30 Uhr, an Wochenenden 10-18 Uhr. Ticket im Vorverkauf

mehr unter: www.mskgent.be

Der Katalog:

Van Eyck. Eine optische Revolution stellt die Ausstellung inhaltlich in einen größeren Zusammenhang. Anhand von neunzehn essayistischen Beiträgen nationaler und internationaler Experten werden Welt, Werk, Einfluss und Rezeption van Eycks aufschlussreich analysiert und diskutiert. Das Buch beginnt mit einem historischen Teil, der den Stand der Forschung, eine biographische Skizze und Analysen der Zeit, in der van Eyck lebte und arbeitete, umfasst. Kernstück des Buches sind Essays, die van Eycks revolutionäre Kunst beleuchten. Ein weiterer Schwerpunkt ist der Dialog von van Eycks Werk mit anderen Gattungen wie Bildhauerei, Miniaturmalerei und Goldschmiedekunst. Am Schluss wird auch auf Künstler aus anderen europäischen Ländern und deren Bezug zu van Eycks optischer Revolution eingegangen. Herausgeber: Hannibal/Kannibaal 504 S. / 370 Abbildungen Belser Verlag

 

Die Geschichte des Genter Altars in Kurzform von 1432 bis heute

1458 Festzug Philipps des Guten: Die Innenseite des Altars wird auf einer dreistockigen Bühne als ‚lebendes Bild‘ (ohne Adam und Eva) nachgestellt.

1559 Philipp II. gibt eine Kopie in Auftrag, da der Altar nicht verkäuflich ist.

1566 Während des Bildersturms wurde er im Kirchturm versteckt.

1569 Neuerliche Aufstellung in der Vijd-Kapelle.

1578 Demontage und Transport ins Rathaus: als Geschenk für Königin Elisabeth 1. von England vorgesehen (durch die Familie des Stifters verhindert).

1586 Neuerliche Aufstellung in St. Bavo, jedoch nicht in der ursprünglichen Kapelle.

1591 Wegen großem Besucherandrang Reglementierung des Zugangs: viermal pro Jahr.

1662 Die Tafeln werden in den neuen Barockaltar eingesetzt.

1781 Auf Veranlassung Kaiser Josephs II. (1765-1796) müssen die Tafeln mit Adam und Eva wegen ihrer Anstößigkeit abgebaut werden.

1794 Die vier Mitteltafeln werden nach Paris in das Musee Central d’Art verschleppt. Die Flügel bleiben in Gent, wo sie versteckt gehalten wurden.

1815 Tafeln werden aus Paris wieder zurückgeführt: neuerliche Aufstellung des Altars

1815 Erwerb der Flügel ohne Adam und Eva durch Kunsthändler, Verkauf für 10000 Gulden an einen englischen Sammler.

1821 Weiterverkauf an den preußischen König für 400 000 Gulden: Aufstellung der Tafeln im Kaiser-Friedrich-Museum in Berlin. Die ca 1 cm starken Tafeln wurden in der Mitte aufgeschnitten, um Vorder- und Rückseite können gleichzeitig zeigen zu können. Bei der Reinigung wird die Widmungsinschrift entdeckt.

1861 Das Brüsseler Museum kauft die Tafeln mit Adam und Eva, die bis dahin verschollen waren.

1919 Durch den Versailler Vertrag kommen die Altartafeln aus Berlin wieder zurück nach Gent.

1934 Am 11. April werden die Tafeln mit den Gerechten Richtern und mit Johannes dem Täufer gestohlen. Lösegeld 1 Mio belgische Francs, die Tafel mit Johannes dem Täufer wird gefunden, die Gerechten Richter bleiben bis heute verschollen.

1941 Kopie der „Gerechten Richter“. Während des Zweiten Weltkrieges wird der Altar nach Pau, ins Schloß Heinrichs IV, in Sicherheit gebracht.

1942 Deutsche Besatzer spüren den Altar auf und bringen ihn nach Neuschwanstein.

1944 Transport in die Salzminen nach Alt-Aussee, wo das Bergwerk bei Niederlage gesprengt werden soll. Bergwerker verhindern das.

1945 Zurück nach Gent, Wiederaufstellung in der Vijd-Kapelle.

1989 Aufstellung in der Villa-Kapelle unter getöntes Panzerglas. Wegen der ständigen elektrischen Beleuchtung verändern sich die ursprünglichen Farben.

2012  bis heute fundamentale Reinigung und Restaurierung.

2020 Die letzten Tafeln werden noch im MSK restauriert und werden im Oktober in ein neu konzipiertes Besucherzentrum gestellt.

Weitere Ausstellungen zum van Eyck-Jahr

Neben der Ausstellung im MSK ist ab dem 12. März im Groeningemuseum in Brügge (bis 12. Juli 2020) die Ausstellung „Jan van Eyck in Brügge“ zu sehen. Diese etwas intimere Ausstellung konzentriert sich auf den Maler in seiner Stadt und untersucht die Ursprünge von Van Eycks Meisterwerk „Madonna von Kannunik Joris van der Paele“ und anderer seiner in Brügge befindlichen Tafeln.

https://www.museabrugge.be/bezoek-onze-musea/onze-musea-en-monumenten/groeningemuseum

Die Ausstellung Kleureyck. Van Eycks Farben in Design ab dem 13.03.2020 im Genter Designmuseum beschäftigt sich mit den 7 Grundfarben und dem von Jan van Eyck und seinen Zeitgenossen verwendeten Pigmentuniversum. In unterschiedlichen Farbaufstellungen werden dort Projekte von Designern aus mehreren Entwurfsbereichen ausgestellt. Außerdem werden die historischen Salons des Hotel de Coninck in Erlebnisräume verwandelt, in denen moderne bekannte und weniger bekannte Designer und Künstler ihre Werke im Rahmen des Themas Farbe und Sinne ausstellen.

www.designmuseumgent.be

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