Alcina an der Deutschen Oper am Rhein
Händels Zauberoper im Wellnessresort
von Simone Hamm
Die schöne Zauberin Alcina lockt Edelmänner auf ihre Insel, umgarnt und verführt sie. Wenn sie keine Lust mehr auf sie verspürt, verwandelt sie sie in wilde Tiere, Pflanzen oder Steine. Auch Ruggiero, ein Ritter aus dem Heer Karls des Großen, erliegt ihrer Verführungskunst und vergisst seine Geliebte Bradamante. Diese verkleidet sich als ihr eigener Bruder, reist auf die Insel, will Ruggiero zurückgewinnen.
Händels Oper Alcina ist eine Geschichte von Magie und Liebe, von Täuschung und Verblendung, Leidenschaft und Eifersucht. Die Geschichte einer Frau, die über alle Männer herrschen kann, bis sie sich selbst verliebt und ihre Zauberkraft verliert. Oder vielleicht die Geschichte einer Frau, die die Männer solange beherrscht, bis sie ihre Zauberkraft verliert und sich endlich verlieben kann.
Für Regisseurin Lotte de Beer ist Alcinas Zauberreich einfach ein Wellnessresort im Süden, breite Liegen, eine Bar, Gecken in Badehosen.
Wenn sie das konsequent durchhielte, wäre das eine Interpretationsmöglichkeit. An der New Yorker MET etwa verlegte Phelim McDermott Mozarts „Cosí fan Tutte“ in die fünfziger Jahre auf Coney Island. Einen Schwertschlucker, einen Schlangenmenschen, einen Gewichtheber und eine Dame mit Bart hatte man aus dem Vergnügungsviertel Coney Island gleich mitgebracht. Das war farbenfroh, aufrührerisch, bisweilen surreal, und manchmal sangen die Sängerinnen in Gondeln hoch am Sternenhimmel.
An der MET, wo es oft staubtrockene Inszenierungen zu sehen gibt, wird in dieser Spielzeit auch eine Händeloper aufgeführt: Agrippina. Regisseur David McVicar verlegt die Geschichte von Machtgier und Hunger nach Liebe und Sex aus dem alten Rom in eine hippe New Yorker Bar, ein modernes Mausoleum und ein futuristisches Schlafgemach. Auch das ist ganz wunderbar anzuschauen und anzuhören. So kann man Händel ganz zeitgemäß, modern auf die Bühne bringen. Poppea wird übrigens von der großartigen Brenda Rae gesungen, die viele Frankfurter Opernliebhaber gut kennen.
Lotte de Beer vertraut dem Bühnenbild von Christoph Hetzer, dem Wellnesstempel im Urlaubsparadies, nicht. Dabei ist diese Umgebung, die Langeweile und Überdruss darstellen soll, doch perfekt ausgewählt. Aber das genügt de Beer nicht. Sie schickt gleich mehrere Alcinas auf die Bühne, eine junge naive, manchmal mehrere junge naive, eine alte, nachdenkliche. Dass Alcina einmal jung war und vielleicht naiv, dass sie altern, mehr reflektieren wird, versteht sich von selbst, da braucht es keine Alter Egos in weißen Kleidern und roten Strickjacken.
Axel Kober, der Generalmusikdirektor der Oper am Rhein dirigierte die „Neue Düsseldorfer Hofmusik“, ein Ensemble das sich einen Namen mit historischer Aufführungspraxis gemacht hat. Ein musikalischer Hochgenuss: präzise, leuchtend, überzeugend.
Maria Kataeva (Ruggiero), Jacquelyn Wagner (Alcina). FOTO: Jochen Quast / Deutsche Oper am Rhein
Jacquelyn Wagner ist Alcina, zunächst herrisch, störrisch, am Ende eine verzweifelte, liebende Frau, mit der man fast Mitleid hätte, wären nicht zuvor die verzauberten Männer in weißen Unterhosen mit grauen Tüten über dem Kopf, die fatal an Abu-Ghuraib denken ließen, über die Bühne geschlichen.
Auch Maria Kataeva als Ruggiero ist wandlungsfähig, stark und kraftvoll, wenn er zunächst bei Alaina bleiben will und voller Schmerz, wenn er sich verabschieden muss von der Insel der Lüste. Wissend, dass alles nur Schein ist, bleibt doch eine tiefe Traurigkeit.
Wallis Giunta ist Bradamante, Ruggiero Verlobte – zuversichtlich und fest ist ihr Mezzosopran, sie glaubt an ihre Liebe.
Shira Patchornik war ganz kurzfristig für die erkrankte Elena Sancho Pereg eingesprungen und ist Alcinas Schwester Morgana. Sie singt voller Kraft und Selbstbewusstsein.
Es war eine große, berührende musikalische Leistung von Sängern und Musikern, für die sie tosenden Applaus bekamen. Vereinzelte Buhrufe hingegen gab es für die Regisseurin.
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