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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Fantastische Frauen“ – „Rausgekickt aus der Kunstgeschichte“ und ganz präsent in der Schirn

„Da war nix mit Muse“ – Metamorphosen und eine Umkehr der Perspektive

von Petra Kammann

Frida Kahlo und Meret Oppenheim, sie sind inzwischen vielen ein Begriff. In der Schirn sind aber Entdeckungen surrea­lis­ti­scher Kunst von Frauen aus mehr als drei Jahr­zehn­ten zu machen, – Werke von Künstlerinnen aus den 1930er- bis 1970er-Jahren. Dort wird nämlich derzeit in einer großen Sammelschau erst­mals der weib­li­che Beitrag zum Surrea­lis­mus ausgeleuchtet. Verbindendes Element der mehr oder weniger bekannten Künstlerinnen stellte dabei die persönliche Beziehung zu André Breton, dem Grün­der der Surrea­lis­ten, dar. Denn „die Gruppe um Breton war offen für Kollektivität und neue Kreativität (…) und stellte Werke aus aller Welt auf Augenhöhe aus“, sagt Ingrid Pfeiffer, die Kuratorin der bemerkenswerten Überblicks­aus­stel­lung „Fantastische Frauen“.

Schirn-Kuratorin Dr. Ingrid Pfeiffer bei der Pressekonferenz, Foto: Petra Kammann

Die rund 260 gezeigten Werke: Gemälde, Papierarbeiten, Skulpturen, Fotografien und Filme von insgesamt 34 internationalen Künstlerinnen – allein 80 Leihgaben kamen aus verschiedenen Ländern und Institutionen wie dem Metropolitan Museum of Art, New York; der Tate, London; den National Galleries of Scotland, Edinburgh; dem Centre Pompidou, Paris; dem Musée d’art moderne de la ville de Paris; dem Musée national Picasso, Paris; dem Kunstmuseum Bern; dem Kunstmuseum Basel; dem Moderna Museet, Stockholm; dem mumok – Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig, Wien, und dem Museum de Arte Moderno, Mexiko-Stadt –, sie alle öffnen den Blick für ein wichtiges Element dieser besonderen Kunstströmung der Moderne, für die künstlerisch aktiven Frauen, die in hohem Maße daran beteiligt waren und deren Namen in Vergessenheit gerieten.

„Es ist ein umfassender Überblick über die dezidiert weibliche Seite der Bewegung, wie er bislang noch nicht zu sehen war. Die der Ausstellung zugrundeliegende Forschung möchte dazu beitragen, dieses wesentliche Kapitel der Kunst zu vervollständigen“ kommentiert Schirn-Direktor Philipp Demandt begeistert die Schau. Daher freut er sich ganz besonders darüber, dass sich diese großartige Überblicksausstellung über die gesamte Länge beider Galerien der Schirn erstreckt und somit den Künstlerinnen des Surrealismus den Platz einräumt, der eine repräsentative Auswahl ihrer Werke in topografisch umgrenzten Räumen sichtbar macht. 

Schirndirektor Philipp Demandt vor seinem Lieblingsbild „The Decoy“ von Edith Remington, das er als besonders poetisch empfindet, Foto: Petra Kammann

Doch wie war es eigentlich zu dieser so ungewöhnlichen wie arbeitsintensiven Ausstellung gekommen? Da muss Schirn-Kuratorin Dr. Ingrid Pfeiffer weiter ausholen, denn sie verfolgt das Thema schon seit fast zehn Jahren und knüpft an Erfahrungen an, die sie bereits 2011 mit der Ausstellung der Skulpturen des Surrealismus, „Surreale Dinge“, gemacht hat. Schon damals sei ihr aufgefallen, dass unter den 50 Künstlern zwölf Frauen dabei waren. Das habe sie neugierig gemacht und motiviert, weiter zu forschen. Während Frauen in der Kunst oft nur als als Modelle, Geliebte oder Muse vorkamen, welche die Einbildungskräfte der Männer stärken sollten, sei das im Surrealismus schon etwas anderes gewesen. Als die meisten noch ziemlich jungen freiheitsliebenden und selbstbewussten Künstlerinnen Anfang der 1930er-Jahre nach Paris ins Zentrum der Avantgarde zur Gruppe der Surrealisten um André Breton stießen, wurden sie dort willkommen geheißen. Sie durften an allem teilhaben, ausstellen, mitmachen und durchaus eine zentrale Rolle spielen. Und doch sind nicht einmal die Namen der meisten von ihnen uns heute vertraut.

Schon im Aufgang zur Ausstellung begegnen dem Besucher die unterschiedlich fantasievoll auf Fotografien inszenierten Frauenporträts, Foto: Petra Kammann

Als André Breton 1924 sein berühmtes „Manifest des Surrealismus“ verfasste, ging es zunächst auch eher um eine literarische Bewegung, um eine Gruppe von Literaten – lauter Männer eben. Frauen spielten da nur eine sehr geringe Rolle. Aber Breton hatte ein neues Gestaltungsprinzip entdeckt, das ungeahnte Kräfte bei allen offen und kreativ denkenden Menschen freisetzte: die mit dem Unbewussten verbundene écriture automatique, bei der die Methode des Schreibens darin bestand, dass Bilder, Gefühle und Ausdrücke unzensiert und ohne Eingreifen des kritischen Ichs wiedergegeben und mit dem Zufall und der Bedeutung von Träumen und Mythen verknüpft werden sollten.

Das regte natürlich auch die bildenden Künstler an, die sich ab etwa 1930 dann ebenfalls mit dieser Geisteshaltung des Surrealismus beschäftigten. Nach und nach stießen die Künstlerinnen dazu, die zu dieser Zeit durchaus schon über eine entsprechende Ausbildung verfügten und selbstbewusst auftraten. Sie konnten hier ihren femininen Blick mit ins Spiel bringen. Ihre weibliche Sicht war umso begehrter, als nach dem gescheiterten Militarismus des Ersten Weltkriegs auch das Patriarchat für Bankrott erklärt wurde.

„Fantastische Frauen. Surreale Welten von Meret Oppenheim bis Frida Kahlo“, Ausstellungsansicht, © Schirn Kunsthalle Frankfurt, 2020, Foto: Norbert Miguletz

Und die Frauen, sie waren begierig darauf, sich aus der passiven Rolle der Muse zu befreien und ihr eigenes Selbstverständnis zum Ausdruck zu bringen, oft genug auch auf ironische Weise wie zum Beispiel im Falle von Leonor Fini (1907 Buenos Aires – 1996 Paris), die nackte, schlafende Männer malte, über denen sich starke bekleidete Frauen erheben. „Sie dreht sozusagen die Rollen um und rebellierte dadurch gegen die gängigen Klischees“, sagt Pfeiffer über die italienische Malerin. Die französische Malerin und Fotografin Dora Maar (1907 Paris – 1997 Paris) wiederum, die den meisten vor allem als Muse von Picasso vertraut ist, sei darüberhinaus auch politisch engagiert gewesen, sie unterschrieb Manifeste gegen Faschismus und Stalinismus, während sich die britisch-mexikanische Künstlerin Leonora Carrington (1917 Clayton Green – 2011 Mexiko-Stadt) nicht nur für den Feminismus stark machte, sondern auch für die indigenen Völker und damit dann den Eurozentrismus relativierte.

Schon in den Aufgängen zur Ausstellung begegnen wir den „Fantastischen Frauen“, Foto: Petra Kammann

Träume und Mythen, Spiele und Maskeraden waren die Mittel, mit denen die Künstlerinnen die Bildwelten des Surrealismus erforschten. Das veränderte ihre Sicht auf das Verhältnis von Frau und Mann und den Blick auf den eigenen weiblichen Körper so zukunftsweisend, dass etliche ihrer Ansichten sogar heutzutage immer noch ganz aktuell erscheinen. Da sie daran ausgesprochen professionell arbeiteten, wurden sie damit auch erfolgreich und nahmen an wichtigen Ausstellungen teil.

„Da war nix mit Muse“, sagt Kuratorin Ingrid Pfeiffer, selbst wenn etwa Meret Oppenheim (1913 Berlin – 1985 Basel) zunächst durchaus als Modell des Foto-Künstlers Man Ray anfing, der Aktaufnahmen der jungen Meret vor einer Druckmaschine machte. Dabei entstanden Fotografien, die nicht zuletzt durch Oppenheims androgyne Schönheit berühmt und zu ikonischen Bildern wurden. Meret Oppenheim war auch mit dem renommierten Künstler Max Ernst liiert. Das „Meretlein“ war – wie Max Ernst sie auf der Einladungskarte zu ihrer ersten Einzelausstellung verharmlosend nannte, – den Surrealisten  durchaus über den Kopf gewachsen. Im Gegensatz zu den anderen Geliebten des Frauenhelden Max Ernst verließ sie ihn aus eigenem Antrieb und voller Stolz. Und die von ihr geschaffene „Pelz-Tasse“, das surrealistische Objekt schlechthin, war schon 1936 vom New Yorker Museum of Modern Art angekauft worden.

Ab den 1930er-Jahren beteiligten sich die Künstlerinnen insgesamt an den internationalen Surrealismus-Ausstellungen, etwa in New York (1936), in Paris (1936 und 1938), in Tokyo (1937), in Amsterdam (1938) und in Mexiko-Stadt (1940). Eines jedoch unterscheidet sie von den männlichen Kollegen. Sie waren meist jünger als ihre männlichen Kollegen, weswegen viele ihrer Hauptwerke erst in den 1940er- und 1950er-Jahren entstanden. Und obwohl weitere Ausstellungen der Gruppe bis in die 1960er-Jahre stattfanden und sich die Strömung erst 1969 völlig auflöste, war der Surrealismus für Viele mit dem Zweiten Weltkrieg zu Ende. So fanden die Werke der so produktiven Künstlerinnen bislang zu wenig Berücksichtigung. Trotz ihrer damaligen Erfolge tauchten ihre Namen in den einschlägigen Standard-­Publikationen so wie auch in vielen Ausstellungen zum Surrealismus, die es in der Nachkriegszeit gab, nicht auf.

„Fantastische Frauen. Surreale Welten von Meret Oppenheim bis Frida Kahlo“, Ausstellungsansicht, © Schirn Kunsthalle Frankfurt, 2020, Foto: Norbert Miguletz

Die 1930er-Jahre hatten einen Bruch mit sich gebracht. Viele der Künstler und Künstlerinnen waren ausgewandert, sind ins Exil gegangen, hatten andere Sorgen… Dennoch wurde die Strömung an verschiedenen Orten der Welt wie in Paris, London, New York, in Tokyo, in Mexiko weitergesponnen. Doch hatten die Frauen, die oft ums nackte Überleben kämpfen mussten, nicht daran gedacht, sich frühzeitig einen Sitz im Olymp zu sichern. So war nach Ende des Zweiten Weltkrieges von ihnen erst einmal überhaupt nicht die Rede. Bei Meret Oppenheim löste das nach dem Krieg eine große Schaffenskrise aus. Die Frauen waren aus der Kunstgeschichte einfach „rausgekickt“ worden. Selbst die heute so populäre und eindrückliche mexikanische Malerin Frida Kahlo, die sich mit ihren eigenen Stigmata verewigte, wurde erst in den 80er Jahren wiederentdeckt, nicht zuletzt über ein Buch, das Anfang der 80er Jahre im Frankfurter Verlag Neue Kritik erschien.

Claude Cahun, Selbstporträt (I am in Training… Don’t Kiss Me), ca. 1927, Vintage-Silbergelatineabzug, 11,7 x 8,9 cm, Privatsammlung, © Claude Cahun  in der Schau „Fantastische Frauen“in der Schirn

Neben den bekannteren Namen wie Louise Bourgeois (1911 Paris – 2010 New New York), Claude Cahun (1894 Nantes – 1954 Saint Helier), Leonora Carrington, Frida Kahlo (Coyoacán- 1954 Mexiko-Stadt), Meret Oppenheim  oder Dorothea Tanning (1910 Galesburg – 2012 New York) sind in der Ausstellung zahlreiche, bislang weniger bekannte Persönlichkeiten zu entdecken wie die tschechische Künstlerin mit dem geschlechtsneutralen, vom Französischen citoyen (Bürger) abgeleiteten Namen Toyen (1902 Prag – 1980 Paris), die reiselustige Alice Rahon (1904 Chenecey-Buillon – 1987 Mexiko-Stadt), deren Malerei mexikanische Farben aufnimmt oder die New Yorker Malerin und Dichterin Kay Sage (1898 Albany – 1963 Woodbury) mit ihren coolen surrealen Landschaften. Auch sie werden in der Schirn jeweils mit einer repräsentativen Auswahl ihrer Arbeiten vorgestellt. Zudem spiegelt die Ausstellung die Netzwerke und Freundschaften, die zwischen den Künstlerinnen in Frankreich, England, Belgien, der Tschechoslowakei, der Schweiz, Skandinavien, später in den USA und Mexiko entstanden waren.

Neben den surrealistischen Gemälden ist aber auch „La Coquille et le Clergyman“ („Die Muschel und der Kleriker“) aus dem Jahre 1927, der erste 40-minütige surrealistische Film der Künstlerin Germaine Dulac (1882 Amiens – 1942 Paris) in der Schirn zu sehen, den sie nach einem Drehbuch des Künstlers Antonin Artaud gedreht hat, und der von einem jungen Geistlichen handelt, der sich im Kampf um die Gunst einer unerreichbaren Frau durchsetzen will. Ein Avantgarde-Film, der mit zahlreichen Traumsequenzen und sexuellen Anspielungen arbeitet, in dem der Betrachter durch endlose Flure und Torbögen gejagt wird, der aber bei Artaud und den Surrealisten keine Gnade fand, die Macherin aus dem Kreis ausschloss und daher erst in den 1950er-Jahren wegen seiner filmischen Qualität wiederentdeckt wurde.

Blick in den Auftaktsaal, Foto: Petra Kammann

Der Auftakt der Ausstellung mit Meret Oppenheims Werken aus den 1930er bis 1970er-Jahren, darunter so phantastische Skulpturen wie Urzeit-Venus (1933/62) und Collagen wie Anatomie d’une Femme morte (1934)  oder so Gemälde wie Das Auge der Mona Lisa (1967 ) sowie der Schlusspunkt der Ausstellung mit dem lichten Raum für Luise Bourgeois (1911 Paris – 2010 New York), in dem die Gemälde und skulpturalen Objekte Femme Maison (1945 – 47) stehen, die sich mit der weiblichen Identität und Sexualität beschäftigen, können auch deswegen als besonders gelungen angesehen werden, weil sie besonders gestaltet sind und ganz gegenwärtig und unverbraucht wirken.

„Fantastische Frauen“ – Man merkt der Kuratorin Ingrid Pfeiffer trotz der jahrelangen intensiven Arbeit den Spaß an den Entdeckungen an. Außerdem freut sie sich fast spitzbübisch an der Alliteration des Titels. Auch die gelungene sprachliche Form ist für sie ein Türöffner für den Museumsbesuch. Aber glücklicherweise gibt es ja den umfassenden Katalog aus dem Hirmer Verlag, der eine Art Standardwerk werden könnte, in dem man sich nach dem inspirierenden Ausstellungsrundgang den einzelnen Künstlerinnen noch einmal in Ruhe widmen kann. Den Museumsbesuch sollte man keinesfalls verschieben. Denn eine Verlängerung der Ausstellung „Fantastische Frauen“ ist ausgeschlossen. Am 24. Mai wandert sie nämlich unmittelbar weiter nach Kopenhagen ins Louisiana Museum of Modern Art.

Blick in den letzten Raum der Schirn-Ausstellung „Fantastische Frauen“, Foto: Petra Kammann

Alle weiteren Infos auch zu speziellen Veranstaltungen unter: www.schirn.de

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