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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Ein ungewöhnlicher Liederabend mit Julian Prégardien (Tenor) und Tamar Halperin (Piano) in der Alten Oper

Von Bach, über Beethoven bis zu Busoni. Ein besonderer Dialog von Stimme und Piano

von Petra Kammann

Der Saal war gefüllt und die Spannung groß bei einem Programm, das zunächst auf den ersten Blick etwas abenteuerlich erschien. Wie lassen sich Lieder und Arien zwischen Barock und Spätromantik konzipieren, verbunden durch Präludien aus dem „Wohltemperierten Klavier“ von Johann Sebastian Bach. Bach –  ein romantischer Komponist?

Großer Beifall für die Solisten Julian Prégardien (Tenor) und Tamar Halperin (Klavier) im Mozart Saal der Alten Oper, Foto: Petra Kammann

Das von Julian Prégardien bis ins Kleinste konzipierte Programm, bei dem die Bach-Rezeption als Bezugspunkt im Mittelpunkt stand, wich von der Publikumserwartung ab, dass, wenn schon er, der ideale Evangelist, in dieser Jahreszeit singt, dann wohl eher ganze Bach-Passionen aufzuführen seien. Stattdessen stellte der renommierte Tenor an den Anfang eines gemeinsamen gemischten Liederabends mit der israelischen Pianistin Tamar Halperin ein Advent-Motiv, Bachs Kantate „Meine Seele wartet auf den Herrn“.

Aber ganz von vorn. Zunächst einmal begann der von den ,Frankfurter Bachkonzerten‘ organisierte Liederabend  im Mozart-Saal pianissimo und mit dem zurückgenommenen Anschlag der Pianistin Tamar Halperin, die mit Bach-Busonis Klaviertranskription „Nun komm, der Heiden Heiland,“ BWV 659 einen Ton anschlug und vorgab, der wie aus weiter Ferne zu kommen schien. Dieser Ton sensibilisierte das Publikum für eine romantische Empfindsam- und Empfänglichkeit. Entsprechend war auch die erstaunlich konzentrierte Zuhörbereitschaft.

Diese Stimmung wurde durch die sich anschließende adventliche Kantate nahtlos durch Julian Prégardiens Interpretation von „Meine Seele wartet auf den Herrn“ aufgegriffen, als Übung in Geduld, auf die lange Erwartung, dass es wieder Morgen werde in der Welt. Der durchgängige Wechsel von menschlicher Stimme und Pianospiel, von tiefer Trauer, Tod und Lebenslust führte zu einem dialogischen Kontinuum eines Liederabends, der von den brillanten pianistischen, teils arabesken Überleitungen Tamar Halperins wie mit einem roten Faden verknüpft war.

Man konnte die im Vorfeld geäußerte Aussage des herausragenden Tenors Julian Prégardien unmittelbar nachvollziehen: „Vor die Wahl gestellt, würde ich mich für den Liederabend entscheiden, anstatt in der Oper zu singen“. Ja, er hatte sich voll und ganz dem Liederabend verschrieben. Mit Tamar Halperin hatte Prégardien eine Piano-Künstlerin gefunden, die nicht nur sein Recital oder seine Arien begleitete, sondern daraus auch noch einen eigenständigen Klavier-Liederabend machte, ohne dass es die modulationststarke Stimme des Tenors übertönt hätte, sondern sie im Gegenteil befeuerte.

Nie war so viel Innigkeit und gleichzeitige Dramatik zu hören wie im Wechselspiel zweier so kongenialer musikalischer Partner. Dafür brachte die im Rheingau lebende ECHO-Preisträgerin und fundierte Bach-Kennerin das Instrument förmlich zum Singen, Klingen, Atmen, Anhalten oder auch zum Antreiben, wenn sie fast jazzartige Überleitungen zum darauffolgenden Lied schuf.

Stürmisch und voller Verve setzte Prégardien mit dem Rezitativ „Wie hast Du Dich mein Gott – in meiner Not, in meiner Furcht und Zagen denn ganz von mir gewandt?“ ein, so dass die ganze Gottverlassenheit spürbar wurde. Es gelang ihm, in der Arie „Bäche von gesalznen Zähren“ aus BWV 21 den strömenden Fluss der Tränen, den Bach geradezu bildlich in Kaskaden umgesetzt hat, mit der vollen Strahlkraft seines Tenors zur Geltung bringen. Und am Ende der Arie schien sich in einem gewaltigen Crescendo der ganze „Höllenschlund“ förmlich aufzutun.

Der Abend war geprägt von den gekonnten Stimmungswechseln. So änderte sich die Atmosphäre gleich beim Einsetzen von Hugos Wolfs Vertonung des romantischen Mörike-Gedichts „Auf ein altes Bild“, der Beschreibung einer spätmittelalterlichen Darstellung von Maria und dem Kinde in grün sprießender Landschaft, und sie bewegte sich vom Dunkel ins Licht. Interessant löste Halperin auch den Übergang von Hugo Wolfs Vertonung zu Ludwig van Beethovens Lied „Vom Tode“ nach einem Text von Christian Fürchtegott Gellert. Fast minimalistisch, auf einem Ton beharrend und dann wieder verklingend, leitete sie fast tonlos über zu diesem „Memento mori“ Beethovens, um gleich darauf mit dem Bachschen Präludium und der polyphonen Fis-Dur-Fuge aus dem ,Wohltemperierten Klavier‘ zu Bachs früher Choralkantate für den Ostersonntag „Christ lag in Todes Banden“ nach Luthers Text, die vom Sieg des Lebens über den Tod handelt, zu gelangen.

Auch das gehörte zur Konzeption dieses Liederabends. Durch die Abfolge geistlicher Lieder und Arien zwischen Barock und Spätromantik blitzten immer wieder die eingestreuten Bach-Präludien auf, schafften Inseln des Innehaltens, fügten die musikalisch so unterschiedlich angelegten Stücke zu einem Ganzen zusammen und ließen durch den speziellen Rhythmus eine lang anhaltende musikalische Meditation entstehen. Ein intensives Erlebnis, das selbstverständlich keine Pause erlaubte.

Beeindruckend die verschiedenen eingestreuten poetischen Hugo-Wolf-Lieder, die man nur selten zu hören bekommt, welche die Abfolge von Todesahnung und wiederaufkeimender Natur fassten. Großartig wurde von Prégardien Hugo Wolfs „Karwoche“ gesungen, wobei  man die Vögel tirilieren hören und kurz darauf den Hauch der „Trauermelodien trunken“ erahnen konnte. Das „Sei getreu bis in den Tod“ des Bach-Wiederentdeckers Felix Mendelssohn Bartholdy aus dem Oratorium „Paulus“ bildete den hoffnungsmachenden krönenden Abschluss des Konzerts, bei dem langanhaltend applaudiert wurde.

Nicht zuletzt ist die ungeheure Leistung der mit dem Countertenor Andreas Scholl verheirateten Pianistin noch einmal hervorzuheben, die auch Passagen, welche man von verschiedenen Instrumenten gespielt kennt, so auf ein Instrument, das Klavier, reduzieren kann, dass man nichts vermisst. Dass Halperin zunächst eine Karriere als Tennisspielerin anstrebte, bevor sie in Tel Aviv, Basel und an der New Yorker Juilliard School Musik studierte, hat ihr vermutlich auch die physische Ausdauer und Kraft gegeben, ein solch vielfältiges Programm in einem ohne Pause durchzuspielen.

Ein Liederabend, den man so schnell nicht vergessen wird! Nur allzu gerne hätte man am anschließenden Signierstand im Foyer der Alten Oper, bei dem auch Halperins vierjährige muntere Tochter Alma zugegen war und mit ihrer Mutter signierte, das ebenbürtige Zusammenspiel der beiden auf CD erworben. Aber vielleicht war auch gerade in dem Fall das Live-Erlebnis das ganz Besondere. Würden wir sonst überhaupt gerne die Wohnung verlassen, um ein Konzerthaus aufzusuchen?

Julian Prégardien und Tamar Halperin beim anschließenden Signieren, Foto: Petra Kammann

www.frankfurter-bachkonzerte.de

 

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