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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Die Sixties in Frankfurt – „Bewegte Zeiten“

Die Beatles kamen nur bis zum Flughafen, Kennedy bis in die Paulskirche, Joan Baez sang zum Ostermarsch, Udo Jürgens in der Jahrhunderthalle, Studenten besetzten die Schienen, Neckermann wurde Verleger, Mohammed Ali boxte im Waldstadion und Handke beschimpfte das Publikum.

Von Petra Kammann

„Bewegte Zeiten“ – so der Titel einer Ausstellung im Institut für Stadtgeschichte –  waren die wirtschaftlich erfolgreichen 60er Jahre in Frankfurt, der Stadt, die sich ständig neu erfindet. Manche der im Institut für Stadtgeschichte ausgestellten Zeitdokumente ergänzen das kollektive Gedächtnis, das sich in dieser Dekade häufig nur auf die 68er beschränkt.

1 The Beatles bei ihrem Zwischenstopp auf dem Frankfurter Flughafen, 2. Juli 1964 © ISG FFM, S7Bo Nr. 1165, Mickey Bohnacker; 2 John F. Kennedy nimmt beim Frankfurt-Besuch ein Bad in der Menge, 25. Juni 1963 © ISG FFM, S7Z Nr. 1963-196, Kurt Weiner; 3 Ostermarschaktivist*innen fordern „Fünf Minuten Verkehrsruhe für Vietnam“, 13. April 1968 © ISG FFM, S7Z Nr. 1968-38, Klaus Meier-Ude

Ein Schwarz-Weiß-Foto. Unschuldig steht da ein eingeschneiter Käfer auf dem Römerberg, auf dessen Haube die mit dem Finger die in den Schnee eingeschriebene Jahreszahl 1960 zu sehen ist. Damals also schneite es noch zur Jahreswende… So unspektakulär begann das neue Jahrzehnt, das ansonsten viele Umwälzungen mit sich brachte, nicht nur das Jahr 1968.

Römerberg um 1960 © ISG FFM, S7C Nr. 1998-3089

Frankfurts Gute Stube: Sie war das Zentrum, von dem so vieles ausging. Im Römer, der in den 50ern wiederaufgebaut worden war, regierte traditionell die SPD. Vor der getreppten Fassade war noch ein Parkplatz, auf dem vor allem viele VW-Käfer standen. Ein Reisebus konnte noch unbehelligt direkt vor dem Eingang des Rats der Stadt parken und auf die Touristen warten, die in der Zwischenzeit den Kaisersaal besucht hatten.

Im Römer wurde aber auch Weltpolitik gemacht, zum Beispiel wurde da die Städtepartnerschaft mit dem französischen Lyon und dem englischen Birmingham besiegelt, dann trug sich der amerikanische Präsident John F. Kennedy in das Goldene Buch der Stadt ein, was für die Weltoffenheit der Stadt spricht, die sich nun ständig häutet. Die Messen und der Flughafen waren hier schon seit 1945 „das Tor zur Welt“. Hinzukam, dass in Frankfurt die amerikanischen Streitkräfte stationiert waren.

Nicht zuletzt muss das wohl dazu beigetragen haben, dass John F. Kennedy 1963 die Stadt und den Römer aufsuchte. Der so jungenhaft und frisch wirkende Präsident fuhr wie ein Popstar im offenem Wagen durch die ihm zujubelnden Frankfurter, genoss das Bad in der Menge. In seiner präsidialen Funktion legte er in der Paulskirche ein politisches Bekenntnis zum transatlantischen Bündnis ab, sprach sich gegen den Sonderweg Frankreichs aus und pries die deutsch-amerikanische Freundschaft. 150 000 Frankfurter jubelten ihm zu. Und sie trauerten auch öffentlich, als noch im selben Jahr bekannt wurde, dass man ihn erschossen hatte.

Blick in die Ausstellung: Hier geht es um den Ausbau des Flughafens und das Expandieren der Messe, Foto: Petra Kammann

Deutschland war inzwischen auch wieder zu Wohlstand gekommen. Die Wirtschaft boomte. Die Farbwerke Höchst AG standen für den Fortschritt der Chemie. Ihnen ist der Bau der Jahrhunderthalle, in der auch verschiedene Pop-Größen auftraten, zu verdanken. Farbfernseher und Werbung sorgten für neue Freizeit- und Konsummuster. Liesel Christ, die frankfodderisch babbelnde Mama Hesselbach, stand mit ihrem Schlappmaul und den hohen Einschaltquoten für das Herz auf dem rechten Fleck. Das Versandunternehmen Neckermann siedelte sich in Frankfurt an. Von hier aus wurde hunderttausendfach der Neckermann-Warenkatalog in die Republik verschickt. Hans-Magnus Enzenensberger schreibt in seinen berühmten „Einzelheiten“ eine bitterböse Rezension über die neue Konsumbibel des Kleinbürgers.

Verkehrschaos am Eschenheimer Turm, um 1965 © ISG FFM, S7Z Nr. 1965-320, Kurt Weine

Man wollte eine autogerechte Stadt nach amerikanischem Vorbild planen und den Schienenverkehr unter die Erde verbannen. Am Eschenheimer Turm entstand schon 1965 ein Verkehrschaos, weil eben nicht nur Käfer durch die Stadt fuhren, sondern zunehmend auch DKWs, Mercedes-, Ford- und Opel-Limousinen. Schließlich fand hier seit 1953 die IAA statt. Schon 1961 erzielte sie einen Besucherrekord mit 950.000 Besuchern. Expansion allüberall.

Der Flughafen sollte erweitert werden. Veränderungen, die nicht nur auf nicht ungeteilte Zustimmung stießen…  Lärmbelästigung war damals das Hauptargument. Es wurde gebaut, wohin man schaute, und kein Stein blieb auf dem anderen. Zum Beispiel beim Bau der U-Bahn, was vor allem an der aufgerissenen Eschersheimer Landstraße fast fünf Jahre lang erst einmal die Geschäftswelt lahmlegte. Aber in der Händlerstadt hatte man auch Marketing-Ideen. Als die U-Bahn endlich fährt, wird das von allerlei Werbemaßnahmen begleitet, wie zum Beispiel Fähnchen schwenken, Solidaritätsbuttons anstecken oder gar Zusammenbauen der historischen Hauptwache aus einem Bastelbogen, unter der eine Papp-U-Bahn herfährt. Das Zusammenwirken der Gegensätze. Kein Problem.

Zur Eröffnung der U-Bahn gab es Fähnchen und Buttons, Foto: Petra Kammann

Gleichzeitig machte man sich damals auch schon Gedanken über die Römerplatzbebauung. Einer der Vorschläge war es damals, die gewaltige Beton-Architektur des Technischen Rathauses auf dem Römerberg fortzusetzen, was jedoch nicht auf Gegenliebe stieß. Man kam zu keinem konstruktiven Schluss. Und es sollte noch Jahre dauern, bis man sich einig war. Für den Wiederaufbau der zerstörten Alten Oper hatte die Bürgerinitiative AG Opernhaus schon 9 Millionen Mark gesammelt, damit die vor dem Krieg so wichtige Kulturinstitution wenigstens wieder ein Dach bekäme. Doch dass sie wieder aufgebaut werden würde, da war erst einmal Dynamit-Rudi Arndt vor. Aber das ist wieder eine andere Geschichte…

Umbau der Nordweststadt und der Hinweis auf zeitgenössische Inszenierungen, Foto: Petra Kammann

Wegen der stetig anwachsenden Bevölkerung und dem Bedarf an neuem Wohnraum wurde inmitten von Grünanlagen die Satellitenstadt Nordweststadt mit viel Beton gebaut. Der Architekt Schwagenscheidt hatte mit diesem Bauprojekt an die 20er Jahre anknüpfen wollen, wo die Wohnungsnot groß war. Als das Nordwestzentrum 1968 feierlich eröffnet wird, strömen die Menschen noch in Scharen in das etwas rohe ungeschlachte Begegnungszentrum, das auch zugig, weil ohne Dach war. Nach kurzer Zeit stellt sich heraus, dass dieses Zentrum nicht angenommen wird. Es vereinsamt, verödet und wird sogar kriminalisiert, bis später ein Investor kommt, der es dann überdacht und zu einem Einkaufszentrum macht. Ob der Blick auf die Nordweststadt, der wohl den Psychoanalytiker Alexander Mitscherlich zu seinem Standardwerk „Die Unwirtlichkeit der Städte“ angeregt haben mag, das bezeichnerweise den Untertitel „Anstiftung zum Unfrieden“ trägt?

Ausstellungskurator Dr. Markus Häfner erläutert die Bauentwicklung Frankfurts, Foto: Petra Kammann 

Der wachsende wirtschaftliche Wohlstand, der Expansionsdrang, das transatlantische Bündnis. Sie machen klar: Nichts bleibt so, wie es ist. Das führt einerseits zu einer  erhofften Demokratisierung der Bundesrepublik. Gleichzeitig bedeutet das aber auch, dass etliche Gewohnheiten und Gegebenheiten in Frage gestellt werden, vor allem sozial und politisch. Der Respekt vor dem, was man mal für eine Autorität gehalten hat, schwindet, vor den Professoren zum Beispiel. „Unter den Talaren – der Muff von 1000 Jahren“ lautet die Parole der Studenten, was tatsächlich dazu führte, dass die Professoren vor allem in den Geisteswissenschaften die Talare ablegten und diskussionsbereit waren. Die Gewerkschaften kämpften für die 40-Stunden-Woche, auch für die humane Unterbringung der Gastarbeiter, und natürlich für eine angemessene Bezahlung.

Blick in die Ausstellung, neu: die Lamellen mit den aufgespannten Demo-Motiven, Foto: Petra Kammann

Der vergangene Krieg, er war nicht nur an den baulichen Brüchen der Stadt sichtbar, er steckte den Menschen noch in den Knochen. Und die Idee vom Frieden war noch ein hehres Ideal. Ein Schock löste daher die Wasserstoffbombe aus, als sie am 30. Oktober 1961 von der Sowjetunion gezündet wird. Ausgehend von der Professoren- wie von der Studentenschaft beginnen nun die ersten öffentlichen Proteste und Demonstrationen, an denen sich noch ein Großteil der Bevölkerung beteiligte, so wie sich später auch  eine breite Opposition gegen die Notstandsgesetze und gegen den Vietnamkrieg bildete.

Auftakt des Auschwitz-Prozesses im Römer, 20. Dezember 1963 © ISG FFM, ISG S7Z Nr. 1963-411, Kurt Weiner

Der Generalstaatsanwalt Fritz Bauer fordert die kritische Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit und initiiert so die Ausschwitz-Prozesse zwischen 1963 und 1968. Am 20. Dezember 1963 nimmt die Auseinandersetzung mit dem dunkeln Kapitel deutscher Geschichte in einem 183-tägigen Marathon im ersten Auschwitz-Prozess in Frankfurt seinen konkreten Ausgang. Da stehen erstmalig unter Teilnahme der aufgewühlten Bevölkerung tatsächlich die verantwortlichen Täter, die zunächst ihre Mitschuld abstreiten, vor Gericht. Voller Aufmerksamkeit nehmen insgesamt 20 000 Bürger an dem außergewöhnlichen Prozess teil.

Protest ist in den Sechziger erlaubt, und zwar in jeglicher Hinsicht. Diese Erfahrung hat sich durchgesetzt. Gleich ob es um die Notstandsgesetze, die verklemmte Sexualität, die Bestrafung der Homosexualität, die ungewollte Schwangerschaft der Frau und ihre Reduktion auf die Hausfrauenrolle oder ob es um Axel Springer und seine Bild-Zeitung geht. Die Frankfurter Societätsdruckerei wird blockiert, um die Auslieferung der Bild-Zeitung zu verhindern. Und die Polizei greift ein, wie auch bei den Besetzungen der Universität.

Im TAT wird von Peter Handke das Publikum zur Freude der Kritiker und zum Verdruss eines Teils des Publikums beschimpft. Im Schauspiel wird Brecht gespielt und Harry Buckwitz diskutiert mit dem Publikum über Politik. Man protestiert im Ostermarsch und in Begeisterung für die amerikanische Folk-Sängerin, Bürgerrechtlerin und Pazifistin Joan Baez für den Frieden gegen den Vietnamkrieg, und man kritisiert die amerikanische Außenpolitik vor dem amerikanischen Generalkonsulat, wodurch sich das Verhältnis zur USA nicht gerade verbessert.

Aufkleber für die „Sternfahrt“ nach Bonn, Foto: Petra Kammann

Die Protestwelle hat die Universität vollends erreicht, als 1967 Benno Ohnesorg erschossen wird. Über den SDS und Spartakus radikalisiert sich ein Teil der Studentenbewegung, u.a. der Adorno-Schüler Hans-Jürgen Krahl. Nun wird selbst das Institut für Sozialforschung, für das der aus dem Exil zurückgekehrte Professor Theodor W. Adorno steht, angegriffen und besetzt. Legendär das gezielte „Busenattentat“ in Hörsaal VI, wo drei Studentinnen ihre Brüste entblößten, als Adorno den Saal betrat und sie den Professor zur Stellungnahme herausforderten.

„Wer nur den lieben Adorno lässt walten, der wird den Kapitalismus sein Leben lang behalten“ hatte ein Student zu Beginn der Vorlesung des Philosophieprofessors an die Tafel des Hörsaal VI. geschrieben, ein anderer Kommilitone hatte ihn zur Selbstkritik aufgerufen, wobei er sich auf die vorausgegangene, von Adorno mit Hilfe der Polizei veranlasste Räumung des von Studenten besetzten Instituts für Sozialforschung unter Führung von Hans-Jürgen Krahl berief.  „Adorno als Institution ist tot“ hatte die Parole auf einem Flugblatt gelautet, was den Vertreter der Kritischen Theorie naturgemäß ins Mark traf. Wenig später erlag er einem Herzinfarkt.

Und selbst die Paulskirche, in der seit 1952 der Friedenspreis verliehen wird, war nicht mehr sakrosankt. Sie musste abgeriegelt werden, als der senegalesische Autor Léopold Senghor 1968 den Friedenspreis verliehen bekam. Die Demonstranten wollten in die Paulskirche eindringen, Daniel Cohn-Bendit setzte sich über die Absperrung hinweg.

Nach und nach aber gingen die Studentenunruhen und die damit verbundenen Krawalle dem Ende zu, ein Teil der Aktivisten radikalisierte sich mit den entsprechenden bekannten Folgen.

Einstiegstafeln in der Ausstellung, Foto: Petra Kammann

Das Institut für Stadtgeschichte präsentiert in der konzentrierten, nach Themengebieten gegliederten Schau eine Reihe von Dokumenten aus seinen Beständen, die auch den Alltag dieser aufregenden Jahre anschaulich machen; Flugblätter, Theaterprogramme, Flyer, Aufkleber, Buttons, Kataloge und Produktwerbung, Auszüge aus Schülerzeitungen. Außerdem sind ein paar Medienstationen eingerichtet, an denen man die Ereignisse auch in bewegten Bildern erleben kann.

Erstaunlich ist, wie manche Fragestellungen der Sechziger Jahre den heutigen gleichen. Bei dem ein oder anderen Exponat der komprimierten Schau muss man schmunzeln, bei anderen wird man daran erinnert, wohin es führen kann, wenn man sich ideologisch verrennt. Man kann den heutigen Schulklassen nur empfehlen, sich mit dieser Dekade zu beschäftigen. Noch gibt es eine Reihe von Zeitzeugen, die sie befragen und mit denen sie sich auseinandersetzen können.

Weitere Informationen

zur Ausstellung und zum umfangreichen Begleitprogramm sowie die aktuellen Öffnungszeiten und ergänzende Inhalte zur Schau finden sich unter www.stadtgeschichte-ffm.de sowie auf www.facebook.com/isgfrankfurt und www.twitter.com/isg_frankfurt.

Der Eintritt in die Ausstellung ist frei. Sie ist regulär montags bis freitags von 10 bis 18 Uhr sowie samstags und sonntags von 11 bis 18 Uhr geöffnet. Bis 19. April 2020 ist sie an den Wochenendtagen schon ab 10 Uhr und mittwochs bis 20 Uhr geöffnet. Die Öffnungszeiten an Feiertagen sind unter www.stadtgeschichte-ffm.de zu finden. 

Der Katalog zur Ausstellung „Bewegte Zeiten: Frankfurt in den 1960er Jahren“ mit 192 Seiten und über 110 Abbildungen ist ist im Societäts-Verlag erschienen. Die von Dr. Markus Häfner verfasste Begleitpublikation  bildet nicht nur die Inhalte der Ausstellung ab, sondern ergänzt sie um zusätzliche Abbildungen und Objektbilder, eine Chronik und acht vertiefende Schlaglichter. Die Publikation wurde von Dr. Evelyn Brockhoff, Leitende Direktorin des Instituts für Stadtgeschichte, in der Reihe „Kleine Schriften des Instituts für Stadtgeschichte“ herausgegeben und ist im Institut für Stadtgeschichte, über den Webshop des Societäts-Verlags und im Buchhandel für 18 Euro erhältlich (ISBN 978-3-95542-375-9). 

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