Im Liebieghaus erstrahlen die Farben der Antike in neuem Glanz
Statt Missoni tragen die bunten Götter jetzt Hermès – nach erfolgreicher Welttournee zurück in Frankfurt
Von Hans-Bernd Heier
Seit 2003 tourt die „Bunte Götter“- Schau erfolgreich durch die ganze Welt und wird kontinuierlich durch neue Forschungsergebnisse ergänzt. In 30 Städten haben mittlerweile rund 3 Millionen Besucher die Ausstellung gesehen, zuletzt in San Francisco, wo täglich 6.000 Besucher die Farbenpracht der antiken Götter- und Heldenstatuen bestaunen wollten. Jetzt sind diese zurück in Frankfurt. Die Liebieghaus Skulpturensammlung präsentiert die große, erweiterte Ausstellung „Bunte Götter – Golden Edition. Die Farben der Antike“, die einen neuen, differenzierten Blick auf das irritierende Phänomen der Statuenpolychromie ermöglicht.
Experimentelle Farbrekonstruktion Variante C eines Bogenschützen, sogenannter „Paris“, 2019; Liebieghaus Skulpturensammlung – Norbert Miguletz
Die Vorstellung antiker Skulpturen in reinem Marmorweiß bestimmt bis heute das Bild von der europäischen Antike. Doch dieser Eindruck täuscht. Schon Johann Winckelmann, der „Vater der Kunstarchäologie“ wusste um die Farbigkeit antiker Plastiken, aber das entsprach nicht dem damaligen klassizistischen Schönheitsideal. Das sahen Künstler der griechischen und römischen Antike allerdings völlig anders. Für den bedeutenden Schriftsteller Euripides (ca. 480 bis 406 v. Chr.) war beispielsweise die farblose Marmorskulptur von außerordentlicher Hässlichkeit. Auch Platon, Plinius der Ältere oder Plutarch berichteten in ihren Schriften vom Farben- und Formenreichtum der Gewänder der ägyptischen Statuen, der die griechischen Künstler faszinierte.
Junge griechische Künstler wurden sogar nach Ägypten geschickt, um dort die Herstellung großer Steinskulpturen zu erlernen und die Farbenpracht der Tempel, Gräber und Statuen zu studieren. Denn aufgrund des trockenen Klimas in Nordafrika hat sich diese Farbigkeit bis heute sehr gut erhalten. Im 1. Jahrtausend v. Chr. fand ein reger Austausch zwischen Ägypten und Griechenland statt. Dabei gaben die Ägypter nicht allein Techniken der Formgebung, sondern auch die Methoden der Farbgestaltung von Skulpturen an die Griechen weiter.
Experimentelle Farbrekonstruktion Variante B der sogenannten „Peploskore“ von der Athener Akropolis, 2005, überarbeitet 2019; Foto: Liebieghaus Skulpturensammlung
Die Antike war voller Farben. Durch das Farbenkleid sollten nicht nur das ästhetische Erscheinungsbild erweitert und die Lebendigkeit der antiken Skulpturen gesteigert werden, sondern dem Betrachter auch wichtige Informationen zur Identifikation der dargestellten Person übermittelt werden.
Bereits im 18. und 19. Jahrhundert wurden intensive Forschungsarbeiten zur farbigen Fassung antiker Statuen durchgeführt und auch klar nachgewiesen. Trotzdem hielt sich das Ideal-Bild einer marmorweißen antiken Skulptur und Architektur. „Die Liebieghaus Skulpturensammlung sowie ein Wissenschaftlerteam um Vinzenz Brinkmann mit ihrem internationalen Forschungsnetzwerk werden nicht müde, diese Sicht nachhaltig zu korrigieren. Die große erweiterte Ausstellung in der Liebieghaus Skulpturensammlung präsentiert neueste, lehrreiche Erkenntnisse und resümiert 40 Jahre intensive Forschung zur Farbigkeit antiker Skulptur“, sagt Dr. Philipp Demandt, der neben dem Städel Museum auch Direktor der Liebieghaus Skulpturensammlung ist.
In der Frankfurter Skulpturensammlung sind die farbigen Götter und Helden das erste Mal 2008 gezeigt worden. Damals titelte Erhard Metz in seinem Bericht in feuilletonfrankfurt „Die Götter trugen Missoni“ und fuhr fort: „Chic angetan waren sie, die alten Götter und Helden – hat da etwa der bekannte Modemacher Ottavio Missoni später bei ihnen ,abgekupfert‘?“ In der Pressekonferenz erklärte Prof. Vinzenz Brinkmann, Leiter der Antikensammlung im Liebieghaus und Kurator der beeindruckenden neuen Präsentation: „Sie werden sehen, dass wir von der Mode Missonis in die von Hermès getreten sind“.
Experimentelle Studien zur Farbgestaltung des „Treu-Kopfes; Foto: Hans-Bernd Heier
Seit der ersten Ausstellung „Bunte Götter“ 2008 in Frankfurt hat sich die Anzahl der von dem Forschungsteam erarbeiteten Rekonstruktionen verdoppelt, neue Aspekte, wie etwa die Farbigkeit antiker Bronzen und auch die wichtige Rolle der Vergoldung, sind hinzugekommen. Prof. Dr. Vinzenz Brinkmann, Kurator der Ausstellung und Leiter der Antikensammlung des Liebieghauses, erläutert: „Unsere experimentellen Rekonstruktionen haben sich als zentrales Werkzeug des Erkenntnisgewinns zur Farbigkeit antiker Skulptur herausgestellt. Erst das Experiment mit den antiken Malmaterialien und -techniken auf dem dreidimensionalen Körper kann für diese zuvor unbekannten Fragen Lösungsvorschläge erarbeiten. Naturgemäß werden für diesen Prozess Objekte gewählt, deren Farbigkeit möglichst gut erhalten ist“.
Recht farbkräftig ging es bei den alten Griechen zu; Foto: Liebieghaus Skulpturensammlung – Norbert Miguletz
Mithilfe naturwissenschaftlicher Messmethoden, die in den letzten Jahren weiterentwickelt und verfeinert wurden, konnten Informationen über die originalen antiken Marmorskulpturen gewonnen werden, die als Grundlage für die Anfertigung der spektakulären Rekonstruktionen dienten. Zudem wurden antike Schriftquellen zur Statuenpolychromie neu ausgewertet. Neben formgetreuen Gipsabgüssen wurden auch Kopien in Marmor und schließlich 3D-Drucke angefertigt. Die Kopien wurden anschließend mit den authentischen, historischen Malmaterialien farbig gefasst. Brinkmann weist aber darauf hin: „Dabei stellt die Rekonstruktion immer eine Annäherung dar und wird niemals das ursprüngliche Erscheinungsbild vollständig wiedergewinnen – auch kann sie die künstlerische Raffinesse des Originals nicht in allen Details nachbilden“.
Die lange Serie der dreidimensionalen, physischen Rekonstruktionen geht 2020 in das dreißigste Jahr. Ulrike Koch-Brinkmann und Vinzenz Brinkmann begannen bereits 1989 mit experimentellen Farbrekonstruktionen an Kopien der Originale. Die Grundlage hierfür bilden eigene naturwissenschaftliche Untersuchungen, aber vor allem die gesammelten Ergebnisse zahlreicher interdisziplinärer Forschungen auf internationaler Ebene. An den wichtigen Museen, wie dem Akropolismuseum in Athen, dem British Museum in London, dem Louvre in Paris, dem Metropolitan Museum in New York, der Ny Carlsberg Glyptotek in Kopenhagen oder dem Pergamonmuseum in Berlin, haben Archäologen, Restauratoren und Naturwissenschaftler in gemeinsamer Anstrengung die Erforschung der Farbigkeit der eigenen Sammlungsbestände mit großem Erfolg vorangetrieben.
Museumsdirektor Dr. Philipp Demandt, Kurator Prof. Vinzenz Brinkmann und Dr. Julia Cloot, stellv. Geschäftsführerin des Kulturfonds Frankfurt RheinMain bei der gut besuchten Pressekonferenz; Foto: Hans-Bernd Heier
Das Museum am Schaumainkai präsentiert jetzt die erweiterte Schau „Bunte Götter – Golden Edition. Die Farben der Antike“, die einen neuen, differenzierten Blick ermöglicht. Aspekte, wie die Farbigkeit antiker Bronzen und die der Vergoldung, sind neu hinzugekommen. Gerade die bislang als Gestaltungsmittel weniger beachtete Vergoldung wird jetzt stärker beleuchtet. Sie spielte auch in der Antike eine sehr wichtige Rolle, die dem Kurator zufolge „immer größere Bereiche der Skulptur eroberte und wiederum als Malgrund dienen konnte. Immer wieder wurde Gold als Material für den Schmuck des menschlichen Körpers und der Tiere verwendet. Gold- und Silberauflagen wie auch Einlagen in farbigen Steinen verstärkten den Glanz und die Lichtreflexion der antiken Skulpturen“. Ein eindrucksvolles Beispiel hierfür liefern die Goldreste an der Marmorfigur der sogenannten „Kleinen Herkulanerin“.
Experimentelle Farbrekonstruktion der sog. „Kleinen Herkulanerin“; Foto: Liebieghaus Skulpturensammlung – Norbert Miguletz
In der Ausstellung lässt sich anschaulich nachvollziehen, dass die Farbgebung in der archaischen Epoche (650–480 v. Chr.) und auch in der Klassik (480–330 v. Chr.) bestimmten Konventionen unterworfen war. Gegenstände und Figuren wurden mit Farben wiedergegeben, die dem Naturvorbild ähnelten. Charakteristisch für die griechische Plastik der archaischen Stilperiode sind Standbilder, die einen nackten Jüngling (Kuros) oder ein reich geschmücktes Mädchen (Kore) zeigen. Auch in der Epoche des Hellenismus (330–30 v. Chr.) war die Skulptur polychrom gefasst. In einigen Fällen lässt sich nachweisen, dass die nackten Bereiche der menschlichen Figur mit einem rötlich- oder hellbraunen Farbton bemalt waren. Anhand der präsentierten Reliefs des sogenannten Alexandersarkophags aus der Königsnekropole von Sidon wird deutlich, dass der Charakter der Farbgebung ganz wesentlich durch Kontrapunkte in Form eines leuchtenden Blaus, eines intensiven Rots oder goldenen Ockers bestimmt wurde. „Die Griechen waren damals auf dem Weg nach Hollywood“, kommentiert Brinkmann die Entwicklung.
Rekonstruktion der Farbigkeit des sogenannten Panzertorsos von der Athener Akropolis, Variante B, 2005; Foto: Liebieghaus Skulpturensammlung – Norbert Miguletz
Zu sehen sind in der faszinierenden Präsentation über 100 Objekte aus weltbekannten Museumssammlungen, beispielsweise aus dem British Museum in London, dem Museo Archeologico in Neapel, der Ny Carlsberg Glyptotek in Kopenhagen, dem Archäologischen Institut in Göttingen, der Skulpturensammlung der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden sowie aus dem reichen Bestand des Liebieghauses, darunter 60 Rekonstruktionen aus den letzten Jahren, aber auch einige aus dem 19. Jahrhundert sowie 22 Grafiken. Die hochkarätigen Exponate sind über das ganze Museum verteilt. Das Zusammenspiel der farbigen Rekonstruktionen mit den weißen Marmorskulpturen und den bronzenen Plastiken des Hauses lässt diese in reizvollem, neuem Licht erscheinen.
Rückenansicht des Bogenschützen, im Hintergrund die Krieger von Riace; Foto: Liebieghaus Skulpturensammlung – Norbert Miguletz
Einen hervorragenden Einblick in die Arbeit der Wissenschaftler bieten die unterschiedlichen experimentellen Farbfassungen des sogenannten Treu-Kopfes, der Darstellung einer weiblichen Gottheit. Denn insbesondere mit der Fassung der nackten Haut hat sich die Wissenschaft seit Beginn der Ausgrabungen im 18. Jahrhundert schwergetan. Die Ausstellung zeigt nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen angefertigten Farbrekonstruktionen, die ein präzises Bild der Maltechnik und der verwendeten Pigmente ermöglichen. Unterstützt wurde die wissenschaftliche Arbeit durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die Stiftung Archäologie, das Leibnizpreis-Projekt von Prof. Dr. Oliver Primavesi, durch Salvatore Settis, die Regierung der Republik Italien, den Städelschen Museums-Verein und zuletzt durch das deutsche Bundesministerium für Bildung und Forschung sowie die Goethe-Universität Frankfurt am Main mit Prof. Dr. Dirk Wicke.
Farbrekonstruktionen der Statue einer griechischen Muse, 2019; Foto: Liebieghaus Skulpturensammlung – Norbert Miguletz
Eine weitere Attraktion im Liebieghaus stellt eine interaktive Installation dar, welche die Statue einer griechischen Muse mit einem Gewand in unterschiedlichen Phasen der Farbrekonstruktion zeigt. Besucher können selbst die von ihnen präferierte Fassung wählen.
Das Ehepaar Ulrike Koch-Brinkmann und Vinzenz Brinkmann, für die diese Forschungsarbeiten zur Lebensaufgabe geworden ist, hat dankenswerterweise 2016 die in ihrem Besitz befindlichen Rekonstruktionen der Städelstiftung übereignet.
Die begeisternde Schau – großzügig vom Kulturfonds Frankfurt RheinMain, von der Georg und Franziska Speyer’schen Hochschulstiftung, der FAZIT-STIFTUNG und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützt – ist bis zum 30. August 2020 in der Liebieghaus Skulpturensammlung zu sehen; weitere Informationen unter: www.liebieghaus.de