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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Auf nach Stuttgart!

Die Pollo – oder die schwäbische Kunst der Täuschung

Ein Besuch der Stuttgarter Staatsgalerie aus Anlass des 250. Todestages des venezianischen Malers Tiepolo und ein Blick auf die Zeitgenossen

von Jürgen Pitzer

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Giovanni Battista Tiepolo,
Bildnis des Antonio Riccobono,
Ausschnitt,
Foto: Jürgen Pitzer

Über Stuttgart gibt es ja immer noch Fake-Nachrichten, vergleichbar denen der Bielefeld-Verschwörung. Eine in der öffentlichen Meinung fest eingebrannte Vorstellung ist z.B., dass die Leute dort „nix gebbe“, am wenigstens aber für die „Kunscht“, sondern das Zusammengeraffte­ ­– wenn überhaupt – dann dafür „Flädle“, „Spätzle“ und wahlweise „Lemberger“, „Trollinger“ oder einen „Öttinger“ in sich reinzuschlotzen bzw. zu schlemmen. Ein anderes Urteil besagt, dass dort alles eng, die Leute sowohl eilig als auch wortkarg seien, und wenn sie mal sprächen, sei dieser Sprech sowieso völlig unverständlich, weil kein Hochdeutsch.

Nix davon ist dran! Wenn´s um die (Aus-) Sprache geht, vielleicht doch ein wenig. So wird der Maler, dessen großartige Ausstellung zu besichtigen es sich allein schon lohnt, ins Schwabenlande zu reisen, zum „Die Pollo“, also frei übersetzt zu einem italienischen Legehuhn, schwäbisch anverwandelt und sprachlich eingemeindet.

In der Tat fügen sich die phantasievoll präsentierten Gemälde samt Vorstudien und Kreidezeichnungen Tiepolos, des „besten Malers Venedigs“ (warum diese Einschränkung ?) bestens in die nach Zahl und Qualität der Exponate unglaublich reich bestückte Sammlung der Stuttgarter Staatsgalerie. 

Giovanni Battista Tiepolo, Porträtstudie eines älteren Mannes, Rötel und weiße Kreide auf blauem Papier, Foto: Jürgen Pitzer

Aus Anlass des 250. Todestages organisierte die Staatsgalerie mit zahlreichen Leihgaben aus dem In- und Ausland eine Ausstellung, die erstmals im deutschsprachigen Raum die gesamte Schaffensperiode des Malers zur Geltung bringt. In Deutschland ist Tiepolo vielen vor allem durch die grandiose Deckenmalerei bekannt, mit der das Treppenhaus der Würzburger Residenz prächtig repräsentativ ausgestaltet ist. 

Als Kopie hängt diese allein wegen der schieren Größe ebenso wie seiner, den Globus und seine damals bekannten vier Erdteile umspannenden Bilderwelt beeindruckende Gemäldekosmos, in einem eigenen Raum an der Decke. Die zahlreichen Vorstudien zu den Figuren sind sorgsam erläutert an den Wänden zu besichtigen.

Neben den zahlreichen großflächigen Ölgemälden mit wechselvollen Motiven aus der antiken Mythologie, die durch ihre strahlende Farbigkeit ebenso überraschend lebendig erscheinen wie auch wegen der dramatischen Komposition sowie der mit feinem oder geradezu knarzigem Pinselstrich gefassten Bilder, ist die Stuttgarter Ausstellung auch ein Fundus für die Liebhaber der Zeichnung. 

Motive aus dem Alltag werden hier ebenso mit sicherem knappen Strichen lebendig vorgestellt wie Vorstudien zu den dann großflächig ausgeführten Gemälden. 

Einen reizvollen Kontrast zu Tiepolo bilden die Bilderwelten von Christoph Brech, die zusammen mit einer eigens für die Ausstellung produzierten Videoinstallation gezeigt werden. 

Wer mit alten Italienern nichts anzufangen weiss, kommt trotzdem auf seine Kosten, so er denn ein Liebhaber der Kunst ist, ganz gleich ob Verehrer der Im-, Ex- oder andere Pressionisten, Liebhaber von Beuys oder Beckmann, Picasso oder Klee, es ist von allem reichlich und auf qualitativ höchstem Niveau da, sorgsam bewacht von kundigen Hütern und -innen.

Neben der Tiepolo-Ausstellung und der sie begleitenden Ausstellung „La Serinissima“, welche die Jahrhunderte alte und immer noch beeindruckende Zeichenkunst aus Venedig präsentiert, ist noch bis zum 2. Februar zu bestaunen, wie auch das bei einer Auktion im Oktober 2018 absichtsvoll halb zerschredderte Banksy-Bild „Love is in the bin“ .

Wer dadurch Gefallen daran gefunden hat, sich hinter das Licht führen zu lassen, der kann dieser Neigung mit nur wenigen Schritten diagonal durch den Schlossgarten hin zum Kunstmuseum ausgiebig frönen. Unter dem anzüglichen, nämlich auf den gleichnamigen Hitchcock-Film „Vertigo“ verweisenden Titel werden dort auf drei Etagen verblüffende Beispiele gelungener optischer Täuschungen vom Mittelalter bis zur OP-Art präsentiert.

Und wer dann nicht mit einem wissenden Lächeln aus einer der vielen geheimnisvollen Dunkelkammern kommt, hat hier und auch sonst wie nix mit „Kunscht“ was am Hut. Der interessiert sich dann auch nicht für die anderen bemerkenswerten Präsentationen von Frischzellen oder der ab Februar zu besichtigenden Träumen von einer „schwäbischen Kunst“! Der oder die sollte dann auch nicht nach Stuttgart fahren! 

Prospekt, fotografiert von Jürgen Pitzer

Aber allen anderen sei empfohlen: Auf nach Stuttgart, der Kunscht und des guten und sogar fröhlichen Lebens wegen!

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