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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Verblüffende Einblicke. Sepp Jägers Frankfurt-Fotografien aus vier Jahrzehnten

Eine Auswahl von 150 Fotos aus einem Nachlass mit mehr als 100.000 Negativen

Von Uwe Kammann

„Interstoff “ in den Swinging Sixties: Models bei er Eröffnung der Messe am 21. Mai 1968

Immer noch macht dies vielen Menschen eine große Freude: Fotoalben zu betrachten. Trotz der Abermillionen von Bildern, die im Umlauf sind, trotz der Inflation an Selfies, mit denen alles und jedes an persönlichen Momenten festgehalten und dann sofort in Umlauf gebracht wird, bieten die Alben nicht nur den Vorzug nostalgischer Erinnerung an eine fast schon vergangen geglaubte mediale Erinnerungsform. Nein, ihr allergrößter Vorzug ist, dass sie den Aufnahmen (diesen Ausdruck brachte Wilm Wenders in seiner Friedenspreis-Laudatio auf den großen Fotografen Salgado wieder zu Ehren), dass sie also den Aufnahmen einen Rahmen, einen festen Ort zuteilen. Und, nicht zuletzt, ein Album zwingt zur Auswahl, zur Verdichtung – was automatisch den Bildern einen besonderen Wert verleiht.

Dieser Grundgedanke des das Einzelne kostbar machenden Verdichtens – indem man auswählt, hervorhebt – wird sofort wachgerufen, wenn man das jüngst im Sutton-Verlag erschienene Fotobuch „Frankfurt am Main. 1930 bis 1970“ in die Hand nimmt. Die Zeitspanne, das springt ins Auge, ist mit vier Jahrzehnten schon beträchtlich, geht es doch um einen Bogen von der Nazizeit bis zur großen Modernisierungswelle in Frankfurt. Und das Prinzip der äußersten Verdichtung ist ebenso augenfällig, wenn man weiß, dass für diese exemplarische fotografische Chronologie aus einem Archivbestand von über 100.000 Negativen eine höchst exklusive Auslese getroffen wurde – mit schließlich 150 Fotos.

Die zerstörte Frankfurter Altstadt mit Dom, 1948

Die Ausgangszahl ist in der Tat gewaltig. Sie erklärt sich aber leicht, wenn man weiß, dass der Urheber dieses Werks, Sepp Jäger, als freier Bildjournalist in Frankfurt zu den produktivsten Vertretern dieses Berufsstandes gehörte. Sein Bild-Handwerk – und er verstand sich so, empfand sich alles andere als ein Künstler-Fotograf – lernte er gründlich, indem er zunächst eine Ausbildung zum Grafiker absolvierte, dann die „Akademie der Arbeit“ an der Universität Frankfurt besuchte.

1928 dann nahm der 22jährige seine Arbeit als freiberuflicher Berichterstatter auf, mietete eigens ein Atelier im Westend, am Gärtnerweg – ein Foto zeigt das Haus, in angeschnittener Perspektive. Das Spektrum seiner Arbeit weitete er allerdings aus, so auch auf die Werbe- und Industriefotografie. Auch davon ist ein bestes Beispiel im Buch enthalten, mit einer im Stil der 50er-Jahre-Eleganz gestalteten Aufnahme, die eine Dame beim Umgang mit einer Musiktruhe der Firma Braun zeigt, unmittelbar vor dem Sprung zum zeitlos-legendären Design, mit dem Dieter Rams die Marke Braun unverwechselbar machte.

Feier zum „Tag des Baumes“ mit Gesangsdarbietungen von Schülern am 8. Mai 1964 im Frankfurter Stadtwald

Das Feld für den unermüdlich arbeitenden Sepp Jäger war weit, es erstreckte sich auf alle Bereiche des Lebens der Mainmetropole, vom schlichten Alltag bis zu den großen Aktivitäten wie den Messen und den Modernisierungsschüben im Verkehrswesen. Zu den Auftraggebern gehörten die FAZ, der Frankfurter Generalanzeiger in besonders hohem Maße der Hessische Rundfunk, der deshalb auch den fotografischen Nachlass des 1976 verstorbenen Fotografen erwarb. Allerdings behielt er in der Folge nur jene 20.000 Negative, die direkt mit der Arbeit des Senders zu tun hatten – der übrige große Teil wurde dem Hessischen Wirtschaftsarchiv überlassen, das inzwischen eine beträchtliche Zahl digitalisiert hat.

Ulrich Eisenbach, der Leiter dieses Hesssischen Wirtschaftsarchivs, hat für den vorliegenden Band des sich stark mit Regionalgeschichte befassenden Sutton-Verlags die jetzige Auswahl getroffen. Wie unter einem Brennglas zeit sievielfältige Aspekte des Frankfurter Lebens (ausschließlich im abstrakteren Schwarz-Weiß, weil Sepp Jäger nur spärlich, seit den 60er Jahren, mit Farbfilm gearbeitet hat).

Frankfurt Altstadt 1936: Trödler boten hier ihre Gebrauchtwaren an

Geradezu atemberaubend ist es, ein Bild aus einer Altstadtgasse von damals zu sehen, eng, arm, mit einem  nach Kundschaft ausschauenden Trödler und seinen billigsten Textilien. Ohnehin, der Bogen ist weit vom großformatigen Panoramablick auf das enggebaute alte Frankfurt, so ganz ohne Hochhäuser (aufgenommen von einem Luftschiff) und später dann die Silhouette aus den 70er Jahren, die heute so schon nicht mehr existiert: ein Silhouette mit dem Zürich-Hochhaus, dem eigenständigen Schwungdach des Stadtbads Mitte und dem Turm des Fernmeldehochhauses.

 

Sanierung der Hauptwache im Rahmen des U-Bahnbaus, Stand der Arbeiten am 5. Juli 1968

Viele der heutigen Frankfurter werden sich die Augen reiben und fragen: Wo ist das alles geblieben, wie konnte sich alles so schnell wandeln, was wir auf den nüchternen Fotos von Sepp Jäger sehen? Die wechselnden Fassaden des Kaufhofs, die Transformation beim Wiederaufbau der Hauptwache, die Auto-belebte Zeil, die Wasserfontäne auf dem Bahnhofsvorplatz, das damals so bescheidene Flughafengebäude, die Terasse direkt am Flugfeld. Natürlich macht das Bild von der vollständigen Trümmerwüste vor dem Dom einen tiefen Eindruck, und im Kontrast verstehen wir sofort, warum in der Nachkriegszeit ein hoch aufragendes Bayer-Haus mit seinem damals so modernen Flugdach den Bewohnern wie ein großes Versprechen erschien auf eine neue Zeit mit Freiheitsräumen und Konsumfreuden.

Kindersehnsucht vor einem noch spärlich anmutendem Spielzeuggeschäft, Mercedes-Sportwageneleganz à la Nitribitt vor einem Café Kranzler mit Messingrahmen, eine Modenschau im Zoo-Gesellschaftshaus, eine Fronleichnamsprozession mit Nonnen, adrette Pettycoat-Teenager beim Mainfest Mitte der 50er Jahre, Badeszenen in Höchst: Das alles wirkt aus heutiger Sicht wie völlig aus der Zeit gefallen. Ebenso wie Motive aus dem Verkehrssektor, von den Adlerwerken über die Zeppelinhalle bis zur kastenförmigen Straßenbahn vor dem neuen Schwung des Kaufhofs oder dem nächtlichen Autoglanz auf der Zeil über den Verkehrsschutzmann am Eschenheimer Turm bis zur verlängerten Auto-Hochbahn am nach einem Autohaus benannten Opel-Kreisel – in dieser Form längst Geschichte.

Beklemmend wirken auf uns die Bilder aus der NS-Zeit, gerade weil Sepp Jäger sie damals erkennbar völlig unbefangen aufgenommen hat. Der Hitlergruß von Handwerkern in ihrer Arbeitskleidung bei einer Ehrenparade – Frankfurt war zur „Stadt des deutschen Handwerks“ ausgerufen worden -, der Blick (1936) eines Jungen in einen Altstadtladen mit dem Schild „Deutsches Geschäft“ auf dem Schaufenster, die Betriebstankstelle der Adlerwerke, die noch nicht in das schreckliche Kapitel der Zwangsarbeit eingetreten waren, die Aufbahrung des bei einer Rekordfahrt verunglückten Rennfahrers Bernd Rosemeyer vor der Großrune der SS in deren Frankfurter Haus, der Sarg mit der Hakenkreuzfahne bedeckt: Das alles sagt viel, sehr viel, wenn man sich in die Bilder vertieft und sie auch mit dem heutigen Wissen „liest“.

Interessierte Besucherinnen 1964 auf der Bundesfachschau Hotel-und Gewerbe – Internationale Kochkunst-Ausstellung in Frankfurt

  • 168 Seiten
  • ca. 150 Abbildungen
  • Format 22,7 x 27,4 cm
  • ISBN: 9783963031762,
  • Sutton Verlag, 29,99 €

Egal also, ob man die Alltagszenen betrachtet oder jene, die mit besonderen Ereignissen verbunden sind – wie eine Brückeneinweihung oder eine Gesangsdarbietung beim „Tag des Baumes“ (1964!) im Stadtwald: Dieser konzentrierte Fotoband bietet einen tiefen und nachhaltigen Einblick in das Leben Frankfurts. Unprätentiös ist das alles, mit jeweils nur kurzen Bildlegenden zur Darstellung und zum Entstehungsjahr, aber gerade deshalb so überzeugend in seiner dokumentarischen Annäherung. Wer mehr von Frankfurter Geschichte verstehen will, oft im staunenden Vergleich von Eindrücken aus vier Jahrzehnten, dem ist dieses Buch sehr zu empfehlen.

 

 

 

 

 

 

 

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