„Jetzt! Junge Malerei in Deutschland“ nur noch wenige Tage im Museum Wiesbaden
Vielfarbige Lust am Experiment. Die Malerei lebt!
Die Malerei soll tot sein? Eine besondere Ausstellung in Wiesbaden beweist das Gegenteil… Impressionen von Petra Kammann
Imposant – die monumentalen „Zeichen auf Grund“ von Max Fintrop, „Untitled“, 2019, Acryl und Pigmente auf Leinwand, Foto: Petra Kammann
Das Museum Wiesbaden, das Kunstmuseum Bonn sowie die Kunstsammlungen Chemnitz – Museum Gunzenhauser haben erstmals den Versuch unternommen, den heutigen Stand der Malerei ,flächendeckend‘ zu erkunden und einen Querschnitt der jungen Malerei abzubilden, die in den letzten Jahren in Deutschland produziert wurde. In dem daraus resultierenden gemeinsamen Ausstellungsprojekt „Jetzt! Junge Malerei in Deutschland“ geht es um Malerei pur und nicht um „installative oder multimediale Erweiterungen des Mediums“.
Für die jeweiligen Standorte wählten die Projektverantwortlichen aus 500 Werken von 53 Künstlern und Künstlerinnen jeweils 3 Beispiele aus. Eine Auswahl der bislang ausgestellten Werke wird nach dem Ende der Schau in Wiesbaden am 19. Januar weiterwandern und ab dem 7. Februar in den Hamburger Deichtorhallen zu sehen sein.
Kuratoren der Ausstellung (von l.n.r.): Stephan Berg, Christoph Schreier, Anja Richter, Lea Schäfer, Jörg Daur, Alexander Klar, Frédéric Bußmann Foto: Kunstmuseum Bonn
Um die 100 Künstler und Künstlerinnen im Alter zwischen dreißig und vierzig wurden zunächst ausgewählt und daraufhin von einem Ausstellungsmacherteam, bestehend aus Prof. Dr. Stephan Berg, Dr. Fréderic Bußmann, Dr. Jörg Daur, Prof. Dr. Alexander Klar, Anja Richter, Lea Schäfer und Dr. Christoph Schreier, in den vergangenen zwei, drei Jahren in ihren Ateliers besucht worden. Die Kuratoren, die so objektiv wie möglich sein wollten, hatten sich vor Ort selbst ein Bild über den aktuellen Stand der Malerei in Deutschland machen und sich davon überzeugen wollen, was ihnen von Kritikern oder Kennern der Szene empfohlen wurde.
Blick in den unteren Ausstellungungsraum, in der zentralen Achse: Jens Einhorn, „Auf der Treppe vor dem Haus“, 2019, Acryl, Tusche, Gerso, Baumwolle, Leine, Polyester, Nettztstoff, Leim, Village auf Leinwand, Foto: Petra Kammann
Die Idee dazu war vor etwa drei Jahren in Wiesbaden entstanden, vielleicht aber war das Anliegen, aktuelle Kunst in der Landeshauptstadt zu zeigen, schon älter. Denn bereits 1957 hatte die legendäre erste deutsche Museumsausstellung „Couleur Vivante“ dort stattgefunden, mit abstrakter Kunst von deutschen und französischen Malern, welche erst danach berühmt wurden wie etwa der Quadriga-Künstler K. O. Götz. „Wir sind der richtige Ort, so etwas zu wagen“, sagte Jörg Daur, einer der Kuratoren und kommissarischer Leiter des Landesmuseums, zurecht.
Blick auf: „Round Up“ (rechts), das geheimnisvoll beleuchtete Haus von Simon Modersohn, Öl auf Leinwand, 2018, Foto: Petra Kammann
Bei den heutigen Künstlern handelte es sich indes nicht um die Maler oder gar Nachfolger des Informel, aber auch nicht um künstlerische „Quereinsteiger“. Die meisten Malerinnen und Maler der aktuellen Exponate haben an den renommierten Akademien in Düsseldorf oder in Leipzig studiert, einige von ihnen in Hamburg, München und Berlin. Oft waren sie auch Meisterschüler. Entsprechend groß ist die Vielfalt ihrer Ausrichtungen. Der Jüngste unter ihnen ist mit seinen 28 Jahren Simon Modersohn, ein Nachfahre von Otto Modersohn und Paula Modersohn-Becker, dessen geheimnisvoll-surreale Bilder einen speziellen und ganz eigenen Sog ausüben.
Auf 15 Ausstellungsräume sind die insgesamt 164 Werke so geräumig gehängt und geschickt verteilt, dass die Beziehungen zwischen den einzelnen Künstlerpositionen untereinander sichtbar werden. Interessant sind im Wiesbadener Museum speziell die Durchblicke in die angrenzenden Räume, denn sie ermöglichen nicht nur Vergleiche, die Betrachter können auf diese Weise auch die unterschiedlichen Positionen mit einem Blick wahrnehmen.
Ausstellungsansicht mit „Reichwald“ von Florian Meisenberg, dem in New York lebenden Meisterschüler von Peter Doig, Foto: Petra Kammann
Dabei ist der Rundgang der Wiesbadener Schau nicht etwa thematisch gegliedert. Rücksicht genommen hingegen wurde offensichtlich aber auf den Zuschnitt der Räumlichkeiten und auf die teils historischen Säle des Museums im Parterre. So im Falle des Düsseldorfer Künstlers und Oehlen-Schülers Max Fintrop, dessen explodierende Farben sich vom historischen Dekor abheben oder im Falle des in New York und Düsseldorf arbeitenden Florian Meisenberg, dessen loopartige Malerei auf großflächige Tüchern die kassettierten Türen umrahmen.
Solche Werke bilden einen unmittelbaren Kontrapunkt zu den historischen Dekorelementen, die sie damit gleichzeitig auf spannende Weise in ein neues Licht rücken. Gerade im vergleichenden Sehen können da Aufschlüsse zu Malprozess und Bildthema gegeben werden. Dabei wird deutlich, welche vielseitigen Möglichkeiten und Grenzen das Medium Malerei selbst haben kann. So wirkt Meisenbergs großflächige Malerei stark rhythmisierend.
Was die heutigen Malerinnen und Malerinnen in ihren noch so unterschiedlichen Ansätzen eint, ist aber ansonsten der jeweils vorgegebene (Keil-)Rahmen, den sie sich selbst stecken, gewissermaßen der Malgrund, auf den sie meist in einem längeren Prozess und mit spielerischer Lust ihre Farben aufpinseln, spritzen, schaben, minutiös ausmalen, um eine entsprechende Farbflächen- oder Tiefenwirkung zu erlangen.
Ausstellungsansicht mit Greiner links von der Tür, „Ohne Titel“, 2019 und rechts: Franziska Reinbothe, Ohne Titel 2016, Foto: Petra Kammann
Bei all den verschiedenartigen Positionen, die „Jetzt!“ in Wiesbaden zusammengetragen wurden, ist es interessant, dass in der jungen Generation, die im Wesentlichen nicht mehr in der Erfahrung des geteilten Deutschlands aufgewachsen ist und ausgebildet wurde, weder Abstraktion noch Figuration mehr eine Rolle spielen. Hinter ihren Bildern stehen schlicht unterschiedliche Auffassungen und gestaltete Malhandlungen.
„Zum besonderen Wert eines Gemäldes gehört seine Individualität, Singularität und die Aura des Originals“, sagt der bisherige Leiter des Wiesbadener Museums, Alexander Klar, der inzwischen als Direktor an die Hamburger Kunsthalle gewechselt hat. Er hatte die Aktion wesentlich vorangetrieben mit der Überzeugung: „Gemälde tragen eine Handschrift, die sie einmalig macht, und lassen das Temperament und die Sensibilität ihrer Erschafferinnen oder Erschaffer erkennen.“ Die Schlussfolgerung: Was zählt, ist am Ende die Konsequenz des jeweiligen Stils und das Ergebnis. Und das kann sich in Wiesbaden durchaus sehen lassen. Auch überzeugt die Unmittelbarkeit gegenüber Bilderfahrungen mit dem Digitalen.
Spiel mit verschiedenen Bildebenen bei Vivian Greven (links), Tru I, 2018, Öl und Acryl auf Leinwand
In der figurativen Malerei greifen die Künstler nur selten auf die vorgegebene Natur zurück. Grundlagen können zum Beispiel klassizistische Vorbilder sein, die wie im Falle von Vivian Grevens Geschöpfen wie Marmorskulpturen anmuten, deren Realität auch eher unwirklich daherkommt. Da scheint der aus der Wirklichkeit herausgehobene Kopf von „Tru 1“ im Nichts zu liegen, was die Irrealität dieses Motivs und dessen Künstlichkeit unterstreicht, vielleicht, weil hier auf der Basis digitaler Fotografien gearbeitet wurde. Der Titel „Tru1!“ verstärkt diesen Eindruck noch zusätzlich. Was ist wahr und wirklich? Diese Frage steht auch in anderen Gemälden im Raum. Insgesamt spielt das Artifizielle bei einer Reihe von Arbeiten keine unbedeutende Rolle, sei es in der Farbgebung, der Vorlage eines Comics oder anderweitig Rezipiertem. Kunst und Künstlichkeit scheinen inzwischen eine neue fast selbstverständliche Symbiose eingegangen zu sein.
Gewebeartige Strukturen in Bastian Muhrs Gemälden (links), Ausstellungsansicht Foto: Petra Kammann
Die Fülle der ausgestellten Bilder ist gewaltig und reicht vom Keller des Museums Wiesbaden bis in beide Flügel der Säle im Parterre. Dabei lassen sich in der Schau keine eindeutigen Tendenzen ausmachen. Hier und Jetzt! erleben wir in großer Vielfalt einen breiten Querschnitt der Gegenwartsmalerei mit ihren zahlreichen verschiedenen Positionen.
Großformatige Leinwände mit wilden und wuchtigen Farbexplosionen hängen neben fast schon altmeisterlich gemalten hyper-realistischen Gewändern und neben neuen Reflexionen darüber, welches Verhältnis wir zur Landschaft oder welchen Zweifel wir an derselben haben. Bei manchen der Gemälde mit ihren knalligen Neonfarben stellt sich die Assoziation an gesprayte Streetart ein, bei anderen wiederum die an die Pop- und Op-Art-Szene der sechziger Jahre.
Feinstofflich altmeisterlich gemalte „Körper“, wie Mona Ardeleanu die mysteriösen Objekte auf ihren Bildern nennt
Manche der Arbeiten erinnern an Stillleben, andere wiederum an figürliche Porträts. Was wie von der Bildfläche verschwunden zu sein scheint, sind die eingebauten politische Parolen. Vielleicht aber haben die Kuratoren auch bewusst die Nähe zur Agit Prop-Kunst vermeiden wollen.
Mal ist die Leinwand Teil medialer der Selbstreflexion, mal wird sie als Material oder Metapher eingesetzt wie im Falle von Franziska Reinbothes bemaltem Leinwandobjekt. Reinbothe gehört – um nur ein Beispiel herauszugreifen – zu den radikalsten Vertretern der Schau: Sie sprengt den Rahmen des ursprünglichen Bildrahmens, in dem sie ihr Bild komplett in sich zusammenfaltet.
Franziska Reinbothe, Ohne Titel, 2016/2018, Acryl und Forstmarkierer auf Leinwand, ca. 58 × 44 × 18 cm, Courtesy der Künstlerin, Galerie Kim Behm, Mannheim Foto: Falk Messerschmidt
Insgesamt ist das Spektrum der malerischen Bildproduktion aber groß: Unterschiedlichste Auseinandersetzungen mit Rahmen, Leinwand, Maltechnik, Art des Farbauftrags und der Konstruktion des Bildmotivs werden anhand der in der Ausstellung gezeigten Werke deutlich. Aber nicht nur die Vielfalt, auch die Frische und Unbekümmertheit mancher Werke in dieser besonderen Schau ist bemerkenswert und das nicht nur, weil die meisten der Arbeiten wohl gerade mal in den vergangenen zwei Jahren entstanden sind.
Ausgelegte Karten mit Fragen an das geneigte Publikum, Foto: Petra Kammann
Hilfreich und durchaus interaktiv anregend sind dabei die in den einzelnen Sälen ausliegenden Karten, die den Betrachtern Fragen mit auf den Weg geben. Sie sind zudem auch in anderen zeitgenössischen Museen jederzeit einsetzbar. Ein Glück, dass wir uns einen Überblick über aktuelle Tendenzen verschaffen konnten, selbst, wenn man vielleicht die Auswahl im ein oder anderen Fall anders getroffen hätte. Dass das aufwändige Projekt verwirklicht werden konnte, verdanken wir nicht zuletzt der Kooperation und der Unterstützung einiger Unternehmen wie der Art Mentor Foundation Lucerne, Habbel, Pohlig und Partner, der Deutsche Telekom AG und nicht zuletzt den treuen Freunden des Museums Wiesbaden e.V. …
Präsentation der Künstler auf einer Schauwand im Tiefparterre der Ausstellung, Foto: Petra Kammann
Beteiligte Künstler: Mona Ardeleanu, Israel Aten, Paula Baader, Lydia Balke, Cornelia Baltes, Jagoda Bednarsky, Viola Bittl, Peppi Bottrop, Andreas Breunig, Paul Czerlitzki, Benjamin Dittrich, Jens Einhorn, Jenny Forster, Pius Fox, Max Frintrop, Sabrina Fritsch, Ina Gerken, Fabian Ginsberg, Gregor Gleiwitz, Lukas Glinkowski, Henriette Grahnert, Dana Greiner, Vivian Greven, Sebastian Gögel, Toulu Hassani, Sabrina Haunsperg, Franziska Holstein, Aneta Kajzer, Sumi Kim, Maximilian Kirmse, Li-Wen Kuo, David Lehmann, Benedikt Leonhardt, Florian Meisenberg, Monika Michalko, Hannes Michanek, Simon Modersohn, Bastian Muhr, Anna Nero, Moritz Neuhoff, Vera Palme, Alexander Pröpster, Franziska Reinbothe, Daniel Rossi, Markus Saile, Moritz Schleime, Jana Schröder, Daniel Schubert, Kristina Schuldt, Alicia Viebrock, Stefan Vogel, Jonas Weichsel, Tristan Wilczek.
Anlässlich des Ausstellungsprojekts erschien auch der Katalog Jetzt! Junge Malerei in Deutschland beim Hirmer Verlag, München (978-3-7774-3419-3,; an der Museumskasse zum Preis von 35 Euro erhältlich
Weitere Infos unter:
https://museum-wiesbaden.de/jetzt