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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Hommage an William Forsythes Kunst der organisierten Bewegung zu seinem 70ten

Ausloten des Raums und der körperlichen Grenzen

Foto-Impressionen von Petra Kammann

William Forsythe anlässlich seiner Ausstellung „Fact of Matter“ 2015 im MMK

Er hat eine große Lücke in der Stadt Frankfurt hinterlassen. Hier gründete er 1984 das Ballett Frankfurt und 2004 The Forsythe Company. William Forsythe, der 1949 in New York geborene Erneuerer des Balletts, hat mit seinen bahnbrechenden Ballettchoreografien, experimentellen Tanztheaterstücken und digitalen Tanzpartituren einen unvergleichlichen tänzerischen Kosmos geschaffen. Nachdem der langjährige Direktor des Frankfurter Balletts die künstlerische Leitung seiner Forsythe Company abgegeben hatte, widmete er sich verstärkt der Wechselbeziehung zwischen Choreographie und Bildender Kunst. 2015 waren seine raumgreifenden Installationen „The Fact of Matter“ im MMK zu sehen. Heute wird er 70 Jahre alt und hat nichts von seiner charismatischen Bühnenerscheinung verloren.

Mit dem eigenen Körper Maß nehmen – eine Choreografie, die durch Neugierde für den uns umgebenden Raum entsteht

Hervorgerufen durch Klanglandschaften und abrupte Lichtwechsel, gerieten Forsythes Tänzer mit so seltsamen Ausdrucksmöglichkeiten wie choreografische Ballungen, Verknotungen, Absplitterungen, Auseinandersprengungen und schliddernden Gängen an ihr Unbewusstes, um sich der Frage zu stellen: Wie bin ich, nur weil ich nicht in einer normalen Umgebung bin?

Die Frankfurter Schau „The Fact of Matter“ 2015 war nach Einzelpräsentationen wie zum Beispiel 2013 während der Ruhrtriennale im Essener Museum Folkwang oder 2009 in der Tate Modern in London die erste gesamte Museumsausstellung, die das Werk von William Forsythe in all seinen Facetten zusammen mit den musealen Hauptwerken der zurückliegenden 20 Jahre vorstellte.

Forsythe hatte die Sammlung des Museums MMK bereits seit seiner Eröffnung im Jahr 1991 aufmerksam verfolgt und sich davon inspirieren lassen. Und er hat die Werke der Sammlung zu seinen choreografischen Objekten ausgewählt und sich mit ihnen in Dialog gesetzt. Dabei ließen seine raumbezogenen Installationen die Besucher selbst zu Akteuren werden.

William Forsythe vor seiner „City of Abstracts“ (2000), einem gemorphten Spiegelbild auf der Videowand in der zentralen Halle des MMK

Das spektakulärste Werk dieser Schau war zweifellos die raumgreifende Videoleinwand in der Eingangshalle des Museums, die per Computerschleifen und mittels einer Kamera die vorbeikommenden Besucher skurril verformt. Wenn mehrere Menschen gleichzeitig darauf zu sehen sind, entstehen Choreografien von abstrakter Faszination und sich ständig verändernder Schönheit.

Forsythes performativen und raumbezogenen Choreographic Objects verbanden sich in der Ausstellung aufs Gelungenste mit der subtil-vertrackten Museumsarchitektur von Hans Hollein wie mit den Hauptwerken aus der Sammlung des MMK, so etwa mit denen von Florian Hecker, On Kawara, Teresa Margolles, Bruce Nauman, Nam June Paik, Fred Sandback, Richard Serra, Santiago Sierra, Andreas Slominski, Rosemarie Trockel, James Turrell oder Cy Twombly, Andy Warhol und anderen mehr. Die besondere der Schau geriet so zu einer performativen Ausstellung mit choreografischer Anordnung, in der die Besucher selbst aktiv wurden.

„The Fact of Matter“ (2009) – im Ringe-Parcours macht Forsythe uns mit der Tücke der Materie und der Schwerkraft vertraut

Zum Beispiel in einem Raum mit 200 weißlichen Kunststoffringen, aufgehängt an grauen Transportbändern und befestigt auf unterschiedlicher Höhe: Den Raum soll man da durchqueren, ohne dabei den Boden zu berühren. Natürlich ist es äußerst mühselig, sich durch zweihundert Ringe hindurch zu hangeln. Nur allzu schnell gelangt man da an die Grenzen der eigenen körperlichen Leistungsfähigkeit; der Raum unter einem beginnt zu schwanken.

„Nowhere and Everywhere at the Same Time“ (2015) – Hier navigiert  Sammlungsleiter und Kurator Mario Kramer zwischen den Pendeln

Oder dann der Raum mit den 60 Pendeln: Lote hängen von der Decke in einem sich bewegenden Feld mit computergesteuerten Pendeln, welche im individuellen Rhythmus schwingen. Hier muss man sich schon sehr genau überlegen, wie man da durch kommt, ohne, wie es die Handlungsanweisung vorgibt, diese Pendel zu berühren. Diese Installation geht übrigens auf eine stundenlange Tanzperformance „Nowhere and Everywhere at the same Time“ von 2007  zurück. Immer wieder schöpft Forsythe aus seinen choreografischen Erfahrungen.

Eine Videoinstallation, in der zwei Tänzer aus der ehemaligen Forsythe Company ineinander verknäult scheinen

Aber er präsentierte auch kontemplativere Stücke. So das Video, das zwei ineinander verknäulte Männerkörper zeigte –  Tänzer aus der ehemaligen Forsythe-Company, die sich sehr langsam bewegen und die unwahrscheinlichsten Verknotungen und Klammergriffe praktizieren.

„A Volume in which it is not Possible for Certain Actions to Arise (2015)“ mit einem Raum von 70 cm Höhe

Forsythe sorgte mit seinen Installationen im MMK nicht nur dafür, dass die Besucher ihre körperlichen Grenzen kennenlernten, er zeigte auch die Folgen körperlicher Beschränkungen auf, etwa wenn er dazu aufforderte, einen Raum von nur 70 Zentimeter Höhe zu durchqueren. Vor allem diese Installation löste ein ganz besonderes Gefühl von Beengung und Beklemmung aus.

Forsythe und der Kurator Mario Kramer hatten für diese Werkschau neben den Forsythe eigenen Installationen auch 30 Arbeiten aus der ständigen Sammlung des Hauses ausgewählt, die sie zu den Installationen in Beziehung setzten.

Analyse und Reflexion der eigenen Bewegung…

So wurde das MMK dank der tatkräftigen Unterstützung von Sammlungsleiter und Kurator Mario Kramer, der damaligen MMK-Direktorin und heutigen Leiterin der Kunstsammlung NRW Susanne Gaensheimer und Dr. Helmut Müller, Geschäftsführer des Kulturfonds Frankfurt Rhein-Main, für die Zeit der Schau zu einem wirklichen „Museum in Bewegung“.

William Forsythe hat es uns vorgemacht, was es bedeutet, beweglich zu sein und zu bleiben, auch wenn die Umstände schwierig erscheinen. Damit bleibt er bis zu seinem heutigen 70. Geburtstag, auchnachdem er Frankfurt verlassen hat, immer noch ein großes Vorbild für die Kulturszene der Stadt, die sich in Zukunft an ihm orientieren sollte.

2010 hatte er auf der Biennale in Venedig den Goldenen Löwen für sein Lebenswerk erhalten. Auch danach ist er in seiner Arbeit nicht etwa stagniert, sondern hat nach neuen Wegen seiner Wahrnehmungs- und Ausdrucksfähigkeit gesucht. FeuilletonFrankfurt dankt dem Künstler der Bewegung ebenso wie für seine vorbildhafte und erfahrungsgetränkte Haltung und gratuliert ihm heute vor allem aber zu seinem runden Geburtstag, der ihm ganz sicher wieder neue Räume eröffnen wird, wherever, hier oder anderswo, there is no doubt…

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