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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Sidi Larbi Cherkaoui und Colin Dunne zeigen „Session“ am Schauspielhaus in Köln

Vom Tanzen mit Händen und Füßen

von Simone Hamm

Eastman, Session, Foto: Koen Broos 

Von all den großartigen Choreografen und Choreografinnen, die aus dem kleinen Flandern kommen, ist Sidi Larbi Cherkaoui, Sohn eines Marokkaners und einer Belgierin, der vielseitigste. Er ist Leiter des königlichen flämischen Balletts in Antwerpen und hat seine eigene Ballettkompanie „Eastman“. Er brachte siebzehn Shaolin Mönche auf die Bühne, tanzte mit der Flamencosängerin Maria Pagés, arbeitete mit der Performance-Künstlerin Marina Abramovic.

Er ließ Mangas auf die Bühne projizieren und hat mit „Babel“ ein Werk aus Tanz, Musik, Skulptur und Text geschaffen. Das Royal Ballett in London ließ er zu Musik von Henri Purcell „Medusa“ tanzen. In München inszenierte er Glucks Oper „Alceste“ mit vielen Tanzszenen. Er drehte eines der berühmtesten Videos der Popgeschichte: Beyonce und Jay – Z im Louvre: „apeshit“.

Zum Tanz kam Sidi Larbi Cherkaoui durch seine Eltern, die sehr gern Musik hörten, der Vater, ein Marokkaner, arabische Musik, seine Mutter, eine Flämin,  französische Chansons. Dazu haben sie getanzt. Tanz war also von früh an ein Ausdruck der Freude für ihn. Dann hat Cherkaoui im Fernsehen den Film FAME gesehen, der an einer New Yorker Kunst- und Musikschule spielt. Er sah, wie Menschen sich bewegen können, was sie mit ihrem Körper machen können.

Nach etlichen Großprojekten hat der Choreograf und Tänzer Sidi Larbi Cherkaoui  nun eine ganz kleine Kunstform gewählt „Session“, ein Duett mit dem irischen Choreografen und Tänzer Colin Dunne.

Eastman, Session, Foto: Koen Broos 

Als Cherkaoui den Tänzer Colin Dunne vor vielen Jahren in „Riverdance“, der irischen Tanzshow sah, war er einfach hingerissen. Da war einer, der seinen Körper perfekt beherrschte. Wenn Dunne nun in „Session“ tanzt, sind seine Arme fast reglos, die Füße aber fliegen. Denn er kommt vom irischen Folktanz. Und doch bleibt Dunne, trotz der wahnwitzig schnellen Beinarbeit, immer geerdet. Seine Füße folgen den schnellen, ständig wechselnden Rhythmen des Klaviers. Zum präparierten Piano gibt er das Solo. Das ist perfekte Synchronität von steppenden Fersen  und Klavierklängen.

Sidi Larbi Cherkaouis Bewegungen hingegen sind auch dann fließend, wenn der Rhythmus der Musik kompliziert und hart ist. Seine Hände fliegen. Das ist, in seiner Gegensätzlichkeit ungeheuer  spannend. Die Musik hat der Ire Michael Gallen komponiert. Eine Musik, die so gar nicht an irische Folklore erinnert, eine minimalistische Musik. Gallen spielt Klavier und Xylophon, Soumik Datta die Saraod, eine indische Langhalslaute. Crossover nicht nur beim Tanz, auch in der Musik.

Und wie eine Jazzsession, wie eine spontane Session in einem irischen Pub, wirkt das, was auf der Bühne zu sehen und zu hören ist. Und tatsächlich gibt es einige improvisierte Stellen in der ansonsten strengen Choreografie.

Eastman, Session, Foto: Koen Broos 

Etwa, wenn Cherkaoui und Dunne in Jeans und Straßenschuhen auf einer roten Couch sitzen. Sie beugen die Köpfe, legen ihre Hände unters Kinn, kreuzen die Arme über ihren Knien, stehen auf und klatschen die Hände aneinander. Das ist absurd komisch. Dann sitzen auch die beiden Musiker mit auf der roten Couch und alle singen.

Für Colin Dunne und Sidi Larbi Cherkaoui ist „Session“ nicht nur ein Tanzstück, sondern auch ein Konzert. Gemeinsam loten sie die Grenzen von Bewegung und Klang, von Sehen und Hören aus. Unwillkürlich stellt man sich die Frage, wer hier wem folgt, was zuerst da war: Musik oder Tanz. Die Tänzer und die Musiker beantworten diese Frage nicht. Sie zeigen stattdessen virtuosen, hingebungsvollen Tanz.

https://www.schauspiel.koeln/spielplan/tanz/eastman/

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