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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Starke Stücke im Schauspiel Frankfurt (19)

Ein Überblick über drei neue starke Stücke

von Renate Feyerbacher

Die Ratten, Regie: Felicitas Brucker, Ensemble, Foto: Birgit Hupfel

Gerhart Hauptmann, „Die Ratten“

„Alles is hier morsch“

Lange hat Gerhart Hauptmann an seiner Berliner Tragikomödie „Die Ratten“ gearbeitet, die 1911 uraufgeführt wurde. Der Erfolg war mäßig. Das Stück spielt in den 1880er Jahren und befasst sich mit der sozialen Realität dieser Jahre. Die einen profitieren vom wirtschaftlichen Aufschwung, die andern vegetieren in Armut. „Jerechtigkeet is noch nich ma oben in Himmel“, klagt Frau John. „Sonne is blos for feine Leite!“ „Die Ratten“ sind Metapher für eine haltlose Gesellschaft, die auseinander driftet. Ein aktueller Aspekt.

Gerhart Hauptmann (1862-1946) ist ernsthaft an diesen sozialen Themen interessiert und lässt die Figuren in der Sprache ihres Milieus reden. Schauplatz der Handlung ist eine Mietskaserne in  Berlin. Als „eine unterirdische Welt des Leidens, des Lasters und des Verbrechens“, beschreibt der Autor sie. Entkommen oder Rückzugzonen gibt es nicht.

Der Literatur-Nobelpreisträger  aus dem Jahre 1912 hat dieses Stück mit kaputten Typen voll gepackt  . Im Mittelpunkt steht Frau John, die seit dem frühen Tod ihres ersten Kindes traumatisiert ist. Sie kauft der schwangeren Pauline, einer von der Gesellschaft ausgestoßenen Frau, die sich in den Landwehrkanal stürzen will, das Neugeborene ab und gibt es als eigenes Kind aus – auch gegenüber ihrem Mann.

Pauline bereut, dass sie ihr Kind weggab und will es nun zurück haben. Frau John entführt das Kind einer Nachbarin und schiebt es ihr unter. Krankhafter mütterlicher Wahsinn. Maurerpolier John arbeitet in Hamburg, würde aber lieber in Berlin tätig sein, bekommt das ganze Geschehen nicht mit, versagt am Ende.

Der ehemalige Theaterdirektor Harro Hassenreuter, der mit der Schauspielerin Alice ein Verhältnis hat, hofft auf eine neue Position. Bruno, der viel jüngere Bruder von Frau John, dem sie seltsam hörig ist, macht krumme Sachen. Der junge Erich Spitta, Theologiestudent, will Schauspieler werden und ist in Hassenreuters Tochter Walburga verliebt und sie in ihn.

Theaterdirektor Hassenreuter lehnt Spittas Kunstbegriff ab. Spitta: „Vor der Kunst wie vor dem Gesetz sind alle Menschen gleich, Herr Direktor.“ Direktor Hassenreuter: „ So? Ach!? Wo haben Sie diesen hübschen Gemeinplatz her?“

Der bigotte Pastor Spitta ist entsetzt über seinen Sohn und versucht, ihn von dem sündigen Weg des Schauspielers abzubringen. Alles Figuren, die auch heute noch Gültigkeit haben.

Regisseurin Felicitas Brucker, die in München studierte, in London ein Regie-Stipendium absolvierte, an bedeutenden Bühnen Deutschlands inszenierte, die mehrfach zu den Mülheimer Theatertagen und zu den Autorentheatertagen nach Berlin eingeladen wurde, hat sich dieses Stück ausgesucht, denn ursprünglich sollte „Yvonne, die Burgenprinzessin“ von Witold Gombrowicz gezeigt werden.

Die Regisseurin erkrankte jedoch. Also sprang Brucker kurzfristig ein. Hauptmanns Intension hat sie zwar voll im Blick. Auch sind ihre Ideen ausgefallen. Dennoch empfand ich die Umsetzung als zu hektisch, zu turbulent, vielleicht zu sehr dem Zeitgeist hinterher gehechelt.

Die Figuren, die sehr sportlich agieren, sind kaum zu fassen. Sie bewegen sich auf einer Drehbühne aus Plexiglas, die sich mal langsam, mal schnell dreht. Sie ist das eindrucksvolle Werk von Dirk Thiele Galizia, der mit bedeutenden Regisseuren weltweit zusammen arbeitet und eine Gastprofessur in Berlin hat.

Irene Ip, die Kostümbildnerin, lässt Frau John einen kurzen Rock, ein ärmelloses Oberteil tragen. Ein blonder Kurzhaarschnitt wirkt flott. Trotzdem wird man aus der modernen Frau, deren mütterlicher Leidensdruck spürbar ist, nicht so richtig schlau. Sie ist kühl, gefühllos, unruhig, aber entschlossen.

So wird von der fantastischen, bereits vielfach ausgezeichneten Patrycia Ziolkowska gespielt, die seit zwei Jahren zum Ensemble gehört. Die Szenen mit Bruno, ihrem Bruder, zählen zu den intensivsten der Aufführung.

Fridolin Sandmeyer, der die Rolle des durchgeknallten Typen übernommen hat, spielt sie brillant. Schwester und Bruder haben ein inniges Verhältnis, ihrem Mann und Kind gegenüber ist das nicht der Fall. Herr John, Andreas Vogler, hat kein einprägsames Profil, erst am Schluss begreift er, was los ist und wendet sich ab.

Frau John: „ Paul, det Kind is aus meinen Leibe jeschnitten! Det Kind is mit meinen Blute erkooft. Nich jenug, alle Welt is hinter mich her und will et mich abjagen! Nu kommst ooch du noch und machst et nich anders, det is der Dank! als wenn det ick ringsum von hungrige Welfe umjeben bin. Mir kannste dotmachen! mein Kindeken soste nich anfassen.“

Frau John bringt sich schließlich um. Erich Spitta (Samuel Simon) bringt es auf den Punkt. „Mir sagt ein ganz bestimmtes Gefühl: erst jetzt hat das Kind seine Mutter verloren.“

Ein insgesamt überzeugendes Bühnenteam mit Sebastian Kuschmann, Katharina Linder, Aline Emini, Peter Schröder, Sarah Grunert, Friderike Ott, Kristin Alia Hunold und Christoph Pütthoff musikalisch unterstützt von Philipp Weber.

Weitere Aufführungen im großen Haus am 28.12. und 5.1.2020 wieder Theatertag.

 

„Brand“ von Henrik Ibsen

Unversöhnlich gegen  Kirche und Staat, aber auch gegenüber denen, die er liebt

Brand von Henrik Ibsen, Regie: Roger Vontobel, Ensemble, Foto: Birgit Hupfeld

Es war Henrik Ibsens (1828-1906) erstes Erfolgsstück in Norwegen – vor allem als Lesedrama gefeiert. Überall und besonders von jungen Leuten wurde es gelesen. Geschrieben hat er „Brand“ 1865, aber erst 20 Jahre später wurde das Dramatische Gedicht in Stockholm uraufgeführt  und erst zehn Jahre später in Christiania, wie Oslo damals hieß. Ibsen war fast 70 Jahre, als er es erstmals sah. Er wies eine religiöse Deutung zurück. Ein damaliger Kritiker  fragte sich, wieso ein solch problematischer, inakzeptabler Mensch eine solche Begeisterung auslösen konnte. „Brand“, so verzeichnet es das Archiv des Nationaltheaters in Oslo, wurde in 117 Jahren insgesamt nur elf Mal auf der Bühne gezeigt.

Für Frankfurt hat der Übersetzer Hinrich Schmidt-Henkel aus dem dramatischen Gedicht in Versen eine neue deutsche Prosaübersetzung geschaffen, die zeitnah und aktuell ist. Das fast drei Stunden dauernde Stück ist gut zu verstehen, aber inhaltlich nach wie vor keine leichte Kost.

Noch bis ins 20.Jahrhundert hinein galt Norwegen als das Armenland Europas. Viele emigrierten, so auch Ibsen, später seine Familie. Er kehrte zurück.

„Peer Gynt“ schrieb Ibsen nach „Brand“.

„Brand“ wie auch  „Peer Gynt“ grübeln über dieselbe Frage nach, wie nämlich der einzelne Mensch den Anspruch auf Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung verwirklichen kann. Peer Gynt passt sich den äußeren Verhältnissen an, Brand tritt der Welt kompromisslos entgegen.

Das Stück beginnt auf den Eisfeldern des Hochgebirges. Dort trifft Brand den Maler Einar (Nils Kreutinger) und Agnes. Die beiden Männer kannten sich als Jungen. Brands Ansichten imponieren der lebensfrohen Agnes, die Einar verlässt und ihm folgt.

Für Brand, den Pfarrer, gilt die theologische Forderung „Alles oder nichts!“ für die anderen und auch für sich – Anpassung oder Revolte. Ständig würden wir zu faulen Kompromissen neigen. „Es ist die Gesellschaft, die ihn an seinen eigenen Werken misst und ihn damit um Fanatiker werden“, so interpretiert Dramaturgin Marion Tiedtke die Zwänge (Programmheft).

Dreimal versucht er auszubrechen, aber die andern erinnern ihn an seine Selbstverpflichtung. Er will einen besseren Menschen, aber sein rigoroses Vorgehen zerstört dieses Vorhaben.

Er versagt der Mutter (Heidi Ecks) die Sündenvergebung und letzte Ölung, weil sie ihr Erbe nicht verschenken will. Er opfert sein neugeborenes Kind, weil er die Gemeinde nicht  im Stich lassen will und treibt Agnes in den Tod. Er geht über Leichen.

Heiko Raulin ist kein charismatischer Gotteskrieger, sondern ein fanatischer Moralapostel, der oft Recht hat. „Die Menge tanzt ohne Sinn und Verstand am Rande des Abgrunds“. Es ist die Unerbittlichkeit, die ihn scheitern lässt.

Regisseur Roger Vontobel, Foto: Petra Kammann

Jana Schulz, die Regisseur Roger Vontobel gerne einsetzt, hält als Agnes Brand gelegentlich im Zaum. Sie ist die Einfühlsame, die Einsichtige, eine kluge Frau, der es aber nicht gelingt, diesen Fanatiker zu bremsen. Eindringlich die Szene, als Agnes die Babywäsche aufhängt und von Brand penetrant aufgefordert wird, jegliche Trauer zu unterdrücken.

Komplex sind die Szenen mit den Bauern, der lange Dialog mit dem Landrat, den Isaak Dentler verkörpert. Von Katharina Bach als wilde Gerd, die nichts Gutes für die Zukunft prophezeit, bleibt vor allem der Gesang im Ohr ebenso Keith O’Brien Gitarren- und Elektroklänge

Bei Ibsen kommt Brand, wieder auf der Hochebene, in einer Lawine um.

In der Inszenierung von Roger Vontobel erschießt er sich. Eine bildstarke Aufführung, die auch ihre poetischen Seiten hat. Leer ist die Bühne, die Olaf Altmann baute. Ihr Mittelteil lässt sich steil hochfahren. Viel Nebel wird versprüht. Faszinierend sind die Lichtspiele von Johan Delaere, die dem Geschehen zu einer tiefen Eindringlichkeit verhelfen. Keine besondere Hervorhebung der Kostüme, die Ellen Hofmann schuf.

Der Theaterabend, der durch die Prosa-Neuübersetzung überhaupt spielbar wird, fordert die ganze Aufmerksamkeit des Zuschauers. Er kann am  27.Dezember , am 23. Januar 2020 mit englischen Übertiteln erlebt werden.

Übrigens ist „Peer Gynt“ im Januar wieder auf dem Spielplan.

 

„Geschlossene Gesellschaft“

Eine Zwangsgemeinschaft

Geschlossene GesellschaftRegie: Johanna Wehner, Patrycia Ziolkowska, Anna Kubin, Heidi Ecks, Matthias Redlhammer
Foto: Thomas Aurin/Schauspiel Frankfurt

Die drei Toten, ein Mann und zwei Frauen, sind in der Hölle gelandet, in einem geschlossenen Raum, aus dem kein Entkommen ist. Sie sind einander ausgeliefert, aufeinander angewiesen. „Eine Zwangsgemeinschaft wie im Wartezimmer“, so bezeichnet Regisseurin Johanna  Wehner die Situation.

Sie war eine der drei Stipendiaten 2013 des neu eingerichteten Frankfurter Regiestudios. Die anderen waren Alexander Eisenach und Ersan Mondtag. Alle drei sind heute erfolgreiche Regisseure.

Fotos: Birgit Hupfeld / Thomas Aurin /Schauspiel Frankfurt; Foto: Renate Feyerbacher

Die 1981 in der Beethoven-Stadt Bonn geborene Johanna Wehner, die 2017 für die Inszenierung „Orestie“ in Kassel den FAUST Theaterpreis erhielt, hat durch die „„Staubschicht“ des Sartre-Stücks, von der die Dramaturgin Ursula Thinnes während der kleinen Pressrunde sprach, „durchgeguckt“, den Text „zerhackt und sortiert. Jeder Satz liegt auf der Goldwaage.“ Original Sartre-Sprache.

Jean-Paul Sartre (1905-1980) hat diese böse Komödie „Huis Clos“ (Geschlossene Gesellschaft) in kurzer Zeit in einem Pariser Hotelzimmer geschrieben. 1944 fand die Uraufführung in dem von den deutschen Besatzern geschlossenen Paris statt.

Jeder versucht herauszufinden, warum er/ bzw. sie in der Hölle, die sich durch unerträgliche Hitze bemerkbar macht, gelandet ist. Die lesbische, hochintelligente Inès, eine Postangestellte, hat Florence verführt, ihr Mann kommt um. War es ein Suizid?  Florence öffnet den Gashahn, um sich und Inès auszulöschen. Die verführerische Estelle hat ihr Kind getötet, ihr Mann erschießt sich. Estelle stirbt an einer Lungenentzündung.

Der Journalist Garcin hat seine Frau, die aus der Gosse kam, schwer misshandelt. Er war ein Deserteur –  aus Überzeugung oder aus Feigheit? Zwölf Kugeln durchsieben ihn.

Jeder ist Peiniger und Opfer des Psychoterrors, jeder ist des andern Folterknecht. Sind die Hölle nur die Andern oder ist man selbst die Hölle?

„Kriminellen Spaß“ habe sie bei der Arbeit gehabt, sagt die in „Literatur verliebte“ Johanna Wehner. Das ist der Inszenierung und der Spielfreude anzumerken. Patrycia Ziolkowska als Inès, eine Durchgeknallte, Anna Kubin als Estelle, sehr kokett. Beide baggern am Mann, am feigen Garcin, den Matthias Redlhammer spielt. Dem ursprünglich stummen Diener, der die drei Toten ins höllische Wohnzimmer hineinführt, hat sie Sprache gegeben, stoisch Heidi Ecks.

Sie agieren im Bühnenbild von Volker Hintermeier, der ein hinten zulaufendes Oktogon schuf, das Ellen Jäger mit Licht erfüllt. Beim Eintritt müssen sich die neuen Höllenbewohner bücken. Die metallene Stange wurde Johanna Wehner beim begeisterten Schlussapplaus allerdings zum Verhängnis. Sie konnte ihre Premierenfeier nicht wahrnehmen. Es gehe ihr gut, betonten Dramaturgin Ursula Thinnes und Pressefrau Sandra Strahonja später. Ihre Schauspielern*Innen habe sie ständig gemahnt, den Kopf zu beugen.

Ein Nachteil hat die Bühnenkonstruktion für die Zuschauer, die an den Rändern sitzen. Sie bekommen nicht alles vom Geschehen mit. Ellen Hofmann hat wunderbare Kostüme entworfen und Felix Johannes Lange interessante Musik beigesteuert.

Ein Theaterabend, der auch dem Publikum einen kriminellen Spaß bereiten wird.

Weitere Aufführungen  am 4., 16. 19., 26. Januar 2020

 

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