Zum 450. Todesjahr Pieter Bruegels des Älteren
Variationsreiche Spuren des flämischen Meisters in seiner Heimat
von Petra Kammann
Um den flämischen Meister Pieter Bruegel den Älteren (1525/30-1569), der vor allem unzureichend als „Bauernbruegel“ in die Geschichte eingegangen ist, rankten sich in diesem Jubiläumsjahr zwischen Brüssel und Antwerpen rund um seine Werke besondere Ausstellungen und Inszenierungen. Das Land, in dem der Künstler lebte und arbeitete, besitzt nicht nur verborgene Schätze, sondern es hat sich auch zu den Motiven des Malers, der tief im Land verwurzelt ist, eine Menge einfallen lassen, um die Aufmerksamkeit auf den genialen Renaissancekünstler zu lenken, so real wie möglich, so digital wie nötig…
,Der Sturz der rebellierenden Engel‘ von Pieter Bruegel dem Älteren aus dem Jahre 1562 ist eines der Meisterwerke der Königlichen Museen der Schönen Künste in Belgien. Abb.: KMSKB, Brüssel, inv. 584 © KMSKB, Foto: Grafisch Buro Lefevre, Heule
Eigentlich hätte man vor einem Jahr nach Wien ins Kunsthistorische Museum fahren müssen, um Bruegels bedeutendste Gemälde zu sehen. Dort fand nämlich im vergangenen Winter „Once in a Life“, die große Bruegel-Retrospektive, statt. Aber allein eines der Werke Pieter Bruegels d.Ä., das sich in der belgischen Metropole Brüssel befindet, entschädigt schon für das mögliche Versäumnis. Es handelt sich um das fantastischste Bruegel-Werk schlechthin: „Der Sturz der rebellierenden Engel“ von 1562.
Da malt sich der Künstler ein Universum mit klar erkennbaren Engeln und anderen Lebewesen aus. Himmel und Erde sind in Bewegung geraten. Alles ist in Aufruhr und in unendlich erscheinender Bewegung. Hier herrscht das Chaos pur, weil alle aufeinander losgehen. Der Maler führt uns vor, wie der Erzengel Michael versucht, Luzifer zu verjagen, der gegen Gott aufbegehrt. Die Konfrontation zwischen Gut und Böse hält er in der Schwebe und lässt alles andere als ein Happy End erahnen.
Figuren aus den Bildern schweben in der Kapellenkirche wie der ein Schwert schwingende Engel, Foto: Petra Kammann
Die minutiös dargestellten Fabelwesen und schillernden Dämonen erinnern dabei an Fantasy-Figuren, die mit ihren leuchtenden Farben so modern wie apokalyptisch die Abgründe der menschlichen Fantasie ausloten.
Dabei steckt auch der Kampf der wehrhaften Engel voller Bezüge. Das damals gerade neu entdeckte Amerika ist nämlich durchaus im Bild präsent. Da finden sich zum Beispiel Indianerfedern, welche den Rücken eines rothaarigen Teufels schmücken oder der Panzer eines Gürteltiers, das Bruegel mit der Metallrüstung eines Dämonen verfremdet hat. Da schwebt am Himmel ein Kugelfisch, den man normalerweise eher im Pazifischen und Indischen Ozean wähnt.
Die Bruegel-Skulptur vor der Kapellenkirche in Brüssel, Foto: Petra Kammann
Bruegel kannte solche exotischen Details durchaus aus eigener Anschauung, da sie zu seiner Zeit in den Kunstkammern der Brüsseler Adligen gesammelt und präsentiert wurden. Außerdem konnte man sie in den so bedeutenden gedruckten Nachschlagewerken dieser Zeit, zu denen er Zugang hatte, finden, weil sie sehr genau abgebildet waren. Denn Bruegel war – das ist den wenigsten bekannt – ein gebildeter Humanist, der die Welt um sich herum mit glasklarem Blick, Wissen und kritischen Augen betrachtete.
Den schon erwähnten Kugelfisch konnten wir übrigens in Brüssel zum Beispiel als Einzelfigur in der Kapellenkirche im Marollenviertel ebenso wiederbegegnen wie auch dem Engel mit Schwert, der dort über dem gekreuzigten Christus schwebte. Im Innern der Kirche verstecken sich noch weitere Figuren aus Bruegels Bilderwelten wie Käfer, geflügelte Insekten oder wundersame Bauersleute. Sie alle machen Bruegels Werk auf spezielle Weise erfahrbar. Man versucht, sie in den Bildern wiederzufinden. Auf dem Vorplatz der Kirche, in der Bruegel einst in Brüssel heiratete, erinnert übrigens heute eine Bronzeskulptur an den flämischen Meister.
Multimedia-Show „Beyond Bruegel“ mit 360-Grad-Projektion im Brüsseler Dynastiepalast, Foto: Petra Kammann
Damit man sich die zahllosen Details und Anspielungen der Bruegel-Gemälde genau anschauen kann, hat man im Erdgeschoss des Königlichen Museums der Schönen Künste in einem leeren Raum bis zum bis zum 31. Dez 2019 eigens eine „Bruegel-Box“ eingerichtet. Zwölf von Bruegels Meisterwerken, die sich ansonsten in Museen in Berlin, New York, Wien, Rotterdam oder Brüssel befinden, wurden hier in raumfüllende digitale Projektionen verwandelt. Darin kann sich für die Besucher mittels einer 3D-Animation Bruegels Welt bewegen. Sie beginnt sich im Laufe des Sehens zu entfalten, ist aber nicht zu stoppen.
Das zieht sicher auch ein größeres und vielleicht auch ein jüngeres Publikum an. Denn dank der „Bruegel-Box“ können die Museumsbesucher prinzipiell durch Zoomen in den hochauflösenden Aufnahmen der „Wimmelbilder“ Details entdecken, die ihnen vor den verhältnismäßig kleinen Originalen häufig verborgen bleiben. Durch die filmische Rundumsicht werden die Besucher in dem Projektionsraum gewissermaßen auch Teil der Bruegelschen Welt. Leider lassen sich die Bilder nicht anhalten und überlagern daher die differenzierten Eindrücke auch wieder rasch. Das intensive Betrachten eines Original-Gemäldes jedenfalls lässt sich so leicht eben doch nicht toppen.
In Schloss Gaasbeek stellten auch zeitgenössische Künstler aus, Foto: Petra Kammann
Natürlich versuchte man – anlässlich des Bruegeljahrs – mit dem Pfunde, das man hatte, zu wuchern. Daher gab es das Jahr über viele interessante Ausstellungen und so spannende Aktionen wie raumfüllende Wimmelbilder mit tanzenden Bauern, VR- und Multimediaspektakel, Bauernmahlzeiten mit geschlachteten Schweinen für Bruegelgerichte und das eigens gebraute Bruegel-Bier Lambic. Und wer in Brüssel auf den mittelalterlichen Verteidigungsturm Hallepoort stieg, konnte dank Virtual-Reality-Fernrohren sehen, wie die Stadt vor 450 Jahren wohl ausgesehen haben mag.
„Das Narrenfest. Bruegel wiederentdeckt“ lautete die Devise. Das fand sich auch in Ausstellungen wie ‘Feast of Fools‘ im Schloss Gaasbeek, wo man einen Begriff von den Träumen und Albträumen zeitgenössischer Künstler bekam, deren Werke dort dem historischen Umfeld des Renaissance-Genies, dann thematisch verwandten Gemälde wie von James Ensor gegenübergestellt wurden oder zeitgenössischen, wie es die Gruppe Rimini Protokoll mit ihrem ,Feast of Food‘ tat. Sie erforschte, wie industrielle Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion heute aussehen – so nah und gleichzeitig so weit von unserer eigenen Küche entfernt. Kurzum, zwischen Brüssel und Antwerpen bruegelte es atmosphärisch das ganze Jahr über ganz unterschiedlich und auf den verschiedensten Ebenen. Und die Ausstellungen sind noch nicht zu Ende.
Wimmelbilder mit Hunderten von Figuren und zahllosen Alltagsszenen, in denen man immer wieder Neues entdeckt wie gespiegelt in der Landdomäne Bokrijk, Foto: Petra Kammann
An Orten mitten im Grünen wie das eher in wärmerer Jahreszeit zu besuchende Schloss Gaasbeck mit dem wunderschönen ‚französischen‘ Garten und den Obstspalieren aus der Frühbarockzeit oder auch das Freilichtmuseum Bokrijk, mit seiner einzigartigen Sammlung von über 120 nachgebauten historischen Gebäuden und zahlreichen Objekten aus unterschiedlichen Regionen und Epochen Flanderns, konnte man in diesem Jahr in Bruegels Atmosphäre und Alltagswelt eintauchen. Den Bruegel-Touristen werden solche Orte wegen der Schönheit der Umgebung ohnehin bestens in Erinnerung bleiben, und ihr Weg wird sie wohl auch in Zukunft hierher führen…
Dabei, über das Leben des Malers selbst gibt es eigentlich nur wenige Anhaltspunkte. Bruegel lebte zunächst in Antwerpen, wo er Schüler von Pieter Coecke van Aelst wurde und als Entwurfszeichner für den erfolgreichen Verleger Hieronymus Cock tätig war. Immerhin war Flandern im 16. Jahrhundert das anerkannte Zentrum der Kupferstecher. Dort trat Bruegel auch in die edle Malerzunft, die Antwerpener Lukasgilde, ein. Und mit den Kupferstichen, die Cock damals in ganz Europa vertrieb, hatte Bruegel sich in der Kunstwelt des 16. Jahrhunderts daher auch sehr schnell einen Namen machen können.
Bruegels Zeichnungen und Stiche sind heute in der Königlichen Bibliothek der Schönen Künste (KMSKB) in Brüssel aufbewahrt, so dass man in diesem besonderen Jahr auf den besonderen Schatz des Hauses zurückgreifen konnte.
Pieter Bruegel d.Ä., „Die großen Fische essen die kleinen“, Königliche Bibliothek der Schönen Künste, Brüssel
Die Ausstellung „Bruegels Welt in Schwarz und Weiß“ entführt die Besucher mitten ins 16. Jahrhundert, wo sie das Leben Bruegels und seiner Zeitgenossen nachempfinden können. Bis zum 15. Februar des kommenden Jahres kann man dort noch sein grafisches Werk entdecken, darunter solche Motive wie „Winterlandschaft mit Eisläufern und Vogelfalle“ von 1565 oder der „Engelssturz“ wie die „Tolle Grete“, die gegen Ende von Bruegels Antwerpener Zeit entstanden war.
Schon anhand des grafischen Werks bekommt man einen lebhaften Eindruck vom biblischen Schreckenszenario, das Bruegel auf genialische Weise mit detaillierten historischen Zeugnissen zu verbinden wusste. Ganz abgesehen davon ist der Ausstellungsort selbst schon für sich allein eine kleine Sensation: Die Königliche Bibliothek mit ihren Marmorrotunden und herrlichen Fresken im einstigen Palast von Karl von Lothringen gilt in Brüssel heute baulich als eines der Schmuckstücke des 18. Jahrhunderts, das man sich nicht entgehen lassen sollte.
Von Bruegels Biographie selbst ist – wie gesagt – eigentlich nur äußerst wenig überliefert, so dass sich viel spekulieren lässt. Als gesichert gilt, dass er im Jahr 1563 Coecke van Aelst, die Tochter seines früheren Meisters heiratete und nach Brüssel umgezogen war, vermutlich auch, weil er im kulturellen Zentrum der Spanischen Niederlande wohl als herausragender Künstler präsent sein wollte. Hier konnte er sich künstlerisch neu aufstellen und verwirklichen, denn aus dem minuziösen Zeichner und Kupferstecher sollte ja ein bedeutender Maler werden.
Die restaurierte „Dulle Griet“ („Die tolle Grete“) 1563, im Antwerpener Museum Mayer van den Bergh, Foto: Ans Brys
In der Antwerpener Zeit waren 1562 allerdings auch schon erste Gemälde entstanden wie „Die Dulle Griet“ („Die tolle Grete“) oder die 12 separat bemalten runden Medaillons „Den Mond anpinkeln“ (Man sehe die Parallele zum Männeken Piss in Brüssel oder auch die Anspielung auf das flämische Sprichwort, welches die Frustration ausdrückt: „Andauernd pinkle ich gegen den Wind“,). Sie sind im dortigen Museum Mayer van den Bergh zu sehen. Auf dem Gemälde der tollen Grete bilden bizarre Ruinen, monströse Kreaturen, kämpfende Menschen und der Widerschein eines glutheißen Feuers den Hintergrund für die ein Schwert schwingende, vorwärtsstürmende Frau in Rüstung – die „Dulle Griet“, wie in der Bruegelzeit in damaligen Karikaturen die Mannweiber genannt wurden.
‚Madonna trifft Tolle Grete. Sammler und ihre Spitzenstücke‘ lautete daher auch eine Ausstellung (bis 31.12.2020) über die Leidenschaft zweier tonangebender Antwerpener Sammler: Fritz Mayer van den Bergh (1858–1901) und Florent van Ertborn (1784–1840). Natürlich sind Bruegel und Fouquet die wahren Meister hinter der Tollen Grete und der Madonna. Das Museum Mayer van den Bergh präsentiert im Bruegel-Jahr eine einzigartige Auswahl mit den besten Stücken seiner herausragenden Sammlungen wie zum Beispiel eben die berühmte „Madonna von Melun“ des französischen Hofmalers Jean Fouquet, auch „Madonna Sorel“ genannt, und andere Meisterwerke wie die von Rogier Van der Weyden und Gerard David.
Jean Fouquet, Madonna umringt von Serphinen und Cherubinen (c)KMSKA, Lukas-Art in Flanders vzw, Foto: Hugo Maertens
Pieter Bruegel der Ältere verbrachte – von seiner Jugend und einer kurzen Italienreise einmal abgesehen –, die besonders produktiven Jahre seines Lebens aber in Brüssel. Die heutige Hauptstadt inspirierte den flämischen Meister zu großen Meisterwerken wie zu der Winterlandschaft mit Eisläufern und Vogelfalle wie auch zu der Bauernhochzeit. Daraus wird häufig der Schluss gezogen, Bruegel habe auf dem Lande gelebt. Aber der Künstler war ein Stadtmensch, der in Antwerpen und in Brüssel, nie aber auf dem Land gelebt hat, wobei seine Liebe sicher Landschaften galt wie dem idyllischen Pajottenland um Brüssel oder der flämischen Landschaft an der Schelde vor den Toren Antwerpens, die er immer wieder in seine Gemälde einbaute.
Bruegel gilt als Landschaftsmaler, vor allem als ,Erfinder‘ der Winterlandschaft, eines Genres, das bis dahin restlos unbekannt war. Das mag auch andere Gründe gehabt haben. Als gut informierter Bürger hatte er wohl auch ein meteorologisches Bewusstsein. In seiner Zeit hatte sich nämlich das Klima in Europa nämlich dramatisch verändert. Im Winter blockierten Eisberge in der Nordsee die Häfen. Und die Winter waren lang, während die Sommer kurz und kühl waren. Das hatte für die Menschen natürlich etwas Bedrohliches. Häufig waren Hungersnöte und Armut die Folge. Insofern dokumentieren Bruegels Winterlandschaften u.a. auch die ,Kleine Eiszeit‘, welche Europa im 16. Jahrhundert stark beeinflusste.
Einige von Bruegels Gemälden sind wohl nie Zuge des spanischen Erbfolgekrieg glücklicherweise noch im Besitz der Königlichen Museen der Schönen Künste (KMSKB) nicht an die Habsburger gegangen, sondern in Brüssel geblieben. Das Brüsseler Museum besitzt gleich zwei seiner großen Schneebilder, die „Volkszählung zu Bethlehem“, die Bruegel in eine flämische Landschaft verlegt hatte, wie auch die „Winterlandschaft mit Eisläufern und Vogelfalle“. Das KMSKB präsentiert sie in einem eigenen Bruegel-Saal, in dem nicht nur das weltberühmte Bild „Der Sturz der rebellierenden Engel“ zu sehen ist, sondern auch die virtuelle Ausstellung „Unseen Masterpieces“. Das allein ist schon eine Reise in die europäische Metropole wert.
Pieter Bruegel der Ältere, „Die Volkszählung in Bethlehem“, 1566, eik. KMSKB, Brussel, inv. 3637 © KMSKB, foto: J. Geleyns / Roscan
Zu den raren Lebensdaten des großartigen Malers gehört, dass Bruegel 1569 in Brüssel stirbt, wobei der genaue Todestag sowohl der 5. oder 9. September oder auch der 13. Dezember sein kann. Das Grab des Malers jedenfalls befindet sich am Rand der Kapellenkirche in unmittelbarer Nähe des Sablon und des Bruegelschen Wohnhauses im Marollenviertel. Seine Söhne Pieter Brueghel der Jüngere (1564-1637/38) und Jan Brueghel der Ältere (1568-1625) führten sein Handwerk fort. Dabei erwiesen sie sich als überaus produktiv, ebenso wie nachfolgende Generation.
Dennoch wird sich das folgende „Flemish Masters“-Themenjahr demnächst so altniederländischen Meistern wie den Brüdern van Eyck widmen, den Schöpfern des Genters Altars, der derzeit noch restauriert wird. Aber das wiederum ist eine andere Geschichte…